VwGH 15.10.2009, 2008/09/0344
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Unter einer Eingabe iSd § 34 Abs. 3 AVG ist ein schriftliches Anbringen iSd § 13 AVG zu verstehen, wobei Voraussetzung für die Strafbefugnis der Behörde ist, dass das AVG auf die betreffende Eingabe überhaupt Anwendung findet und sich auf eine mit Bescheid zu erledigende Angelegenheit bezieht. Daher ist § 34 Abs. 3 AVG auch auf Eingaben im Zuge eines gegen den Beschuldigten eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens anzuwenden. |
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RS 2 | Die Strafbestimmung des § 34 Abs. 3 AVG stellt zwar einen Eingriff in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung iSd Art. 13 StGG und Art. 10 MRK dar, sie ist aber als solche zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der demokratischen Gesellschaft notwendig und daher im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt des Art. 13 StGG und des Art. 10 MRK unbedenklich. Allerdings ist der § 34 Abs. 3 AVG bei der bescheidförmigen Verhängung einer solchen Ordnungsstrafe im Einzelfall - bei sonstiger Gesetzes- und Grundrechtswidrigkeit des Bescheides - im Lichte dieses Vorbehaltes und des darin normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszulegen. Der Zweck dieser Bestimmung ist die Spezialprävention, also die Absicht, die betreffende Person von der Setzung eines ordnungswidrigen Verhaltens abzuhalten und damit den Anstand im schriftlichen Verkehr mit den Behörden zu wahren. |
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RS 3 | Für die Strafbarkeit nach § 34 Abs. 3 AVG reicht es hin, dass die in der schriftlichen Eingabe verwendete Ausdrucksweise den Mindestanforderungen des Anstands nicht gerecht werden und damit objektiv beleidigenden Charakter hat; auf das Vorliegen einer Beleidigungsabsicht kommt es hingegen nicht an (Hinweis E , Zl. 90/19/0299). Auch auf "Besonderheiten der milieu- und geographisch bedingten Sprachwahl, an die ein anderer Maßstab bei der Beurteilung anzulegen sei", kommt es dabei nicht an. |
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RS 4 | Bei der Lösung der Rechtsfrage, ob eine schriftliche Äußerung den Anstand verletzt, ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass die Behörden in einer demokratischen Gesellschaft Äußerungen der Kritik, des Unmutes und des Vorwurfs ohne übertriebene Empfindlichkeit hinnehmen müssen (vgl. E , 97/17/0187). Es kann ein ordnungswidriges Verhalten nicht damit entschuldigt werden, dass die mit Ordnungsstrafe geahndete Äußerung eine "angemessene Entrüstung" auf das Handeln der Behörde zum Ausdruck bringen sollte (vgl. E , 90/19/0299). Im Verfahren über die Verhängung von Ordnungsstrafen sind die Vorschriften des AVG über das Ermittlungsverfahren nicht anzuwenden. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des Dipl.-Ing. K L in W, vertreten durch Dr. Ursula Singer-Musil, Rechtsanwalt in 1190 Wien, Döblinger Hauptstraße 68, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-03/P/5/2987/2008-1, betreffend Verhängung einer Ordnungsstrafe nach § 34 Abs. 3 AVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom schuldig erkannt, er habe sich in seiner am eingelangten Stellungnahme zur Aufforderung zur Rechtfertigung vom betreffend den Vorwurf der Winkelschreiberei durch nachstehende Äußerungen einer beleidigenden Schreibweise bedient
1) "Da behauptet ein stadtbekannter Spekulant der miesesten Sorte etwas völlig Haltloses und ist sich das Magistratische Bezirksamt nicht zu schade, ohne jede Prüfung der Sachlage ein steuerverschwenderisches Verwaltungsverfahren einzuleiten",
2) "Auch das Magistratische Bezirksamt hat daher nicht päpstlicher als der Papst zu sein und braucht sich schon gar nicht von einem ausgewiesenen Verbrecher namens Mag. ML, der - erfahrungsgemäß - sowohl bei der Stadt Wien als auch bei der Wiener Baupolizei, 'die Puppen nach seinen Wünschen tanzen lassen kann', legen lassen."
Wegen dieser Äußerungen wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 34 Abs. 3 AVG eine Ordnungsstrafe in der Höhe von EUR 100,-
- verhängt.
Die Behörde erster Instanz sah in diesen schriftlichen Äußerungen den an die Behörde gerichteten und durch keine konkrete Angaben untermauerten Vorwurf eines Missbrauchs der Amtsgewalt, was als beleidigende Ausdrucksweise zu qualifizieren gewesen sei, weil sie durch ihren Inhalt zweifelsfrei dazu geeignet seien, das Ansehen der Behörde herabzusetzen, und somit den Mindestanforderungen des Anstandes gegenüber der Behörde nicht entsprächen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, welche mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen wurde. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer die im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides zitierten Äußerungen getätigt habe, sei auf Grund der Aktenlage im Zusammenhang mit dem Berufungsvorbringen als erwiesen anzusehen. Aus diesem Grund habe auch von der Aufnahme weiterer Beweise abgesehen werden können. Die vom Beschwerdeführer verwendete Diktion sei im Hinblick auf - näher zitierte - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes geeignet, die Behördenorgane und das Ansehen der Behörde herabzuwürdigen. Bemerkungen dieser Art würden über das Ausmaß der zulässigen (also sachlichen) Kritik hinausgehen und daher den Mindestanforderungen des Anstandes nicht entsprechen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete, nach Ablehnung ihrer Behandlung und Abtretung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluss vom , B 987/08-3, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzte Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand, sondern beantragte lediglich die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes zusammengefasst vor, die von ihm getätigten Äußerungen würden bei objektiver Betrachtung weder eine Beleidigung noch die Unterstellung des Missbrauchs der Amtsgewalt, sondern "eine berechtigte (also sachliche) Kritik" darstellen. Die belangte Behörde übersehe, dass die im Spruch des erstinstanzlichen Erkenntnisses zitierten Äußerungen ihrem Inhalt nach nicht unsachlich seien, wozu er auch Beweise angeboten habe, sondern die angemessene Entrüstung des Beschwerdeführers zum Ausdruck brächten, dass "die Behörde aufgrund völlig haltloser Behauptungen von einem dem Beschwerdeführer aus der bisherigen Erfahrung als unangenehmen Spekulanten bekannten Anzeiger, der gar keine stichhaltigen Beweise für eine Erwerbsansicht anbieten konnte, überkorrekt reagiert und vermeidbare, letztlich von der Allgemeinheit zu tragende Kosten anfallen lässt". Die zitierten Äußerungen seien in einem sachlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit der Behörde gestanden, welche diese hätte hinnehmen müssen.
Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, der angefochtene Bescheid leide an einem Begründungsmangel, die belangte Behörde stütze sich nur darauf, dass er die getätigten Äußerungen in seiner Berufung wiederholt und bekräftigt habe, und vermeine, dass sie aus diesem Grunde von der Aufnahme weiterer Beweise hätte absehen können. Dies sei unrichtig, weil die Behörde bei Durchführung der von ihm beantragten sprachwissenschaftlichen Beweise zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können. Er sei auch in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden. Die belangte Behörde habe den Beschwerdeführer, da es kein Ermittlungsverfahren gegeben habe und weil sie es nicht für notwendig erachtet habe, auch niemals vom Ergebnis eines Ermittlungsverfahrens in Kenntnis gesetzt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Gemäß § 34 Abs. 2 AVG sind Personen, die die Amtshandlung stören oder durch ungeziemendes Benehmen den Anstand verletzen, zu ermahnen; bleibt die Ermahnung erfolglos, so kann ihnen nach vorausgegangener Androhung das Wort entzogen, ihre Entfernung verfügt und ihnen die Bestellung eines Bevollmächtigten aufgetragen oder gegen sie eine Ordnungsstrafe bis 726 Euro verhängt werden.
Die gleichen Ordnungsstrafen können gemäß § 34 Abs. 3 AVG von der Behörde gegen Personen verhängt werden, die sich in schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedienen.
Unter einer Eingabe im Sinne des § 34 Abs. 3 AVG ist ein schriftliches Anbringen im Sinne des § 13 AVG zu verstehen, wobei Voraussetzung für die Strafbefugnis der Behörde ist, dass das AVG auf die betreffende Eingabe überhaupt Anwendung findet und sich auf eine mit Bescheid zu erledigende Angelegenheit bezieht. Daher ist § 34 Abs. 3 AVG auch auf Eingaben im Zuge eines gegen den Beschuldigten eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens anzuwenden (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG I, 2004, Rz 15 zu § 34).
Die Strafbestimmung des § 34 Abs. 3 AVG stellt zwar einen Eingriff in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung im Sinne der Art. 13 StGG und Art. 10 EMRK dar, sie ist aber als solche zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der demokratischen Gesellschaft notwendig und daher im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt des Art. 13 StGG und des Art. 10 EMRK unbedenklich. Allerdings ist der § 34 Abs. 3 AVG bei der bescheidförmigen Verhängung einer solchen Ordnungsstrafe im Einzelfall - bei sonstiger Gesetzes- und Grundrechtswidrigkeit des Bescheides - im Lichte dieses Vorbehaltes und des darin normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszulegen. Der Zweck dieser Bestimmung ist die Spezialprävention, also die Absicht, die betreffende Person von der Setzung eines ordnungswidrigen Verhaltens abzuhalten und damit den Anstand im schriftlichen Verkehr mit den Behörden zu wahren (vgl. Hengstschläger/Leeb, aaO, Rz 17 zu § 34).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine beleidigende Schreibweise vor, wenn eine Eingabe ein unsachliches Vorbringen enthält, das in einer Art gehalten ist, die ein ungeziemendes Verhalten gegenüber der Behörde darstellt. Dabei ist es ohne Belang, ob sich die beleidigende Schreibweise gegen die Behörde, gegen das Verwaltungsorgan oder gegen eine einzige Amtshandlung richtet. Eine in einer Eingabe an die Behörde gerichtete Kritik ist dann gerechtfertigt und schließt die Anwendung des § 34 Abs. 3 AVG aus, wenn sich die Kritik auf die Sache beschränkt, in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht wird und nicht Behauptungen enthält, die einer Beweiswürdigung nicht zugänglich sind.
Für die Strafbarkeit nach § 34 Abs. 3 AVG reicht es hin, dass die in der schriftlichen Eingabe verwendete Ausdrucksweise den Mindestanforderungen des Anstands nicht gerecht werden und damit objektiv beleidigenden Charakter hat; auf das Vorliegen einer Beleidigungsabsicht kommt es hingegen nicht an (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/19/0299). Auf "Besonderheiten der milieu- und geographisch bedingten Sprachwahl, an die ein anderer Maßstab bei der Beurteilung anzulegen sei", wie der Beschwerdeführer meint, kommt es dabei nicht an.
Bei der Lösung der Rechtsfrage, ob eine schriftliche Äußerung den Anstand verletzt, ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass die Behörden in einer demokratischen Gesellschaft Äußerungen der Kritik, des Unmutes und des Vorwurfs ohne übertriebene Empfindlichkeit hinnehmen müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/17/0187 u.a.). Es kann im vorliegenden Fall aber kein Zweifel daran bestehen, dass die dem Beschwerdeführer vorgeworfene schriftliche Äußerung eine beleidigende Schreibweise darstellte. Auch kann der Beschwerdeführer das ordnungswidrige Verhalten nicht damit entschuldigen, dass die mit Ordnungsstrafe geahndete Äußerung eine "angemessene Entrüstung" auf das Handeln der Behörde zum Ausdruck bringen sollte (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/19/0299).
Insoweit der Beschwerdeführer Ermittlungs- und Feststellungsmängel geltend macht, ist er darauf zu verweisen, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt, nämlich der Wortlaut der schriftlichen Eingabe des Beschwerdeführers, unbestritten blieb und im Übrigen im Verfahren über die Verhängung von Ordnungsstrafen die Vorschriften des AVG über das Ermittlungsverfahren nicht anzuwenden sind (vgl. die in Hengstschläger/Leeb, aaO, Rz 22 zu § 34 angeführte hg. Rechtsprechung).
Aus diesen Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte abgesehen werden, weil der maßgebliche Sachverhalt bereits aus den vorgelegten Verwaltungsakten ersichtlich war und eine Verhandlung zur weiteren Klärung nichts hätte beitragen können. Auch Art. 6 EMRK steht dem nicht entgegen, weil es sich bei einer Ordnungsstrafe nicht um eine strafrechtliche Sanktion im Sinne der EMRK, sondern ihrer Natur nach eher um ein "Disziplinarvergehen" handelt und auch die Strafandrohung (ohne Möglichkeit einer primären oder Ersatzfreiheitsstrafe) wegen ihrer geringen Höhe nicht in den strafrechtlichen Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK fallen (vgl. die Urteile des EGMR Putz, ÖJZ 1996, 434 ff und Ravnsborg ÖJZ 1994, 706 ff; siehe auch Hengstschläger-Leeb, AVG I, 2004, Rz 27 zu § 34 und die dort referierte Literatur und Rechtsprechung).
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
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Schlagworte | Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2009:2008090344.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-51542