VwGH 15.10.2009, 2008/09/0278
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Das unabsichtliche "Verschieben" eines Schriftstückes in einen Stoß anderer Unterlagen stellt unzweifelhaft ein Ereignis iSd § 71 Abs 1 Z 1 dar. Es stellt sich daher die Frage, ob dieses Ereignis auf ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des Bf zurückzuführen ist. Das unabsichtliche "Verschieben" eines Schriftstückes in einen Stoß anderer Unterlagen ist eine Fehlleistung, die auch dem Sorgfältigsten unterlaufen kann. Darauf allein kommt es bei der Beurteilung des Vorliegens eines den minderen Grad des Versehens übersteigenen Verschuldens aber nicht an. Der Bf ist Unternehmer, er führt einen Malerbetrieb. In dieser Eigenschaft müssen ihm die für die Leitung eines Unternehmens notwendigen Prinzipien im Umgang mit behördlichen Schriftstücken vertraut sein. Dem Bf musste daher auch bewusst sein, dass jenes Poststück mit dem von ihm selbst unterfertigten blauen Rückschein ein dringliches behördliches Schriftstück enthalten musste. Schon aus diesem Grunde wäre es erforderlich gewesen, dass er sich nach Durchsicht seiner übrigen Post auch an jenen von ihm eigenhändig übernommenen RSa-Briefs erinnert und danach sucht bzw. sich auf geeignete Weise, etwa durch Nachfrage bei seiner Büromitarbeiterin vergewissert, dass dieses Poststück einer ordnungsgemäßen Bearbeitung zugeführt wurde. Daher erscheint es nicht den im Umgang mit behördlichen Schriftstücken gebotenen Sorgfalt zu entsprechen, eine Sendung, deren Bedeutung bereits durch die Art der Zustellung signalisiert wird, und die ihm offenbar bei Bearbeitung der übrigen Poststücke auch noch nicht untergekommen war, nicht zu suchen. Die Versäumung der Frist beruht daher nicht auf einem minderen Grad des Versehens. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des C S in P, vertreten durch Dr. Josef Holzmüller, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Bahngasse 8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom , Zl. E 019/12/2008.033/002, betreffend Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist in einer Angelegenheit nach dem AuslBG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft M vom schuldig erkannt, drei namentlich genannte polnische Staatsangehörige entgegen den Bestimmungen des AuslBG beschäftigt zu haben. Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer am zugestellt.
Mit Eingabe vom stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung, holte unter einem die versäumte Prozesshandlung nach und begründete seinen Antrag auf Wiedereinsetzung wie folgt (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof, Schreibfehler im Original):
"Dem Einschreiter ist am Freitag, dem , von seiner Büromitarbeiterin, Frau K.H., das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft M vom , Zahl. ..., vorgewiesen worden, welches allerdings schon wesentlich früher, vermutlich am
10. oder zugestellt worden sein muss.
Seine Mitarbeiterin teilte ihm dabei mit, dass sie das Straferkenntnis in einem Stapel von Bauplänen, welche sie von seinem Schreibtisch abzuräumen und in Ordner aufzuteilen hatte, gefunden hätte.
Der Einschreiter hat zu diesem Zeitpunkt erstmals davon Kenntnis erlangt, dass dieses Straferkenntnis offensichtlich nicht der ordnungsgemäßen Postbearbeitung zugeführt worden war, sodass der gegenständliche Wiedereinsetzungsantrag jedenfalls rechtzeitig ist.
Der dem Einschreiter dadurch entstandene Rechtsnachteil besteht darin, dass mangels Weiterleitung des Schriftstückes zwecks Fristvormerk an die mit der Postbearbeitung beauftragte Mitarbeiterin der Einschreiter (nicht) in der Lage war, das Rechtsmittel der Berufung an den UVS rechtzeitig zu ergreifen.
Kausal für das Versäumen dieser Frist war höchstwahrscheinlich Folgendes:
Normalerweise wird die gesamte Geschäftspost, wie auch die Post von Behörden, vom Zusteller entweder an die Büromitarbeiterin, Frau K.H., oder auch direkt an den Einschreiter übergeben, der auch die Rückscheine unterfertigt und sodann die einzelnen Poststücke öffnet und zur weiteren Bearbeitung an Frau K. H. weitergibt. Im Schnitt kommen pro Tag ca. 20 bis 25 Geschäftsstücke, die nach der Eröffnung durch den Einschreiter auf einem Stapel gelegt werden. Dieser Stapel wird dann von Frau H. zur weiteren Bearbeitung übernommen.
Beim gegenständlichen Straferkenntnis muss es so gewesen sein, dass der Einschreiter zwar den Rückschein unterschrieben hat, er dann das Poststück - wahrscheinlich abgelenkt durch ein Telefonat und zwei Kunden, die hereinkamen - so auf den Stapel der restlichen Post ablegte, dass es durch eine unabsichtliche Handbewegung des Einschreiters verrutschte und unter den Stapel von Plänen, die ebenfalls auf dem Schreibtisch des Einschreiters lag, geriet.
Aufgetaucht ist das Poststück eben dann im Zuge der Aufräum- und Ordnungsarbeitern der Frau K. H. am Freitag, den .
Nach dem der Einschreiter schon Jahre lang die Post seines Betriebes bearbeitet und es ihm noch niemals passiert ist, dass ihm ein Behördenschriftstück derartig in Verstoß geriet, liegt ein unvorhersehbares Ereignis vor, an dem den Einschreiter jedenfalls kein grobes Verschulden trifft, und für das auch keine Vorsorge möglich ist, weil menschliche Fehlleistungen einfach vorkommen und unvermeidlich sind."
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft M vom wurde dieser Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen, im Wesentlichen mit der Begründung, dass das Verlegen eines amtlichen Schriftstückes kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstelle, sondern vielmehr auf einen gravierenden organisatorischen Mangel schließen lasse.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, welche mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde abgewiesen wurde.
Die belangte Behörde begründete die Abweisung der Berufung im Wesentlichen damit, der Antragsteller habe in seinem Wiedereinsetzungsantrag den Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft zu machen, das heiße, es sei zumindest die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens des behaupteten Ereignisses und das Nichtvorliegen eines Verschuldens an der Fristversäumnis darzutun. Ein Sachverhalt sei glaubhaft gemacht, wenn die Umstände des Einzelfalls dafür sprächen, der vermutete Sachverhalt habe von allen denkbaren Möglichkeiten die größte Wahrscheinlichkeit für sich. Glaubhaftmachung setze eine schlüssige Behauptung des maßgeblichen Sachverhaltes voraus. Die Behörde sei an die im Wiedereinsetzungsantrag genannten Wiedereinsetzungsgründe gebunden. Es sei nicht bestritten worden, dass dem Beschwerdeführer das Straferkenntnis vom eigenhändig zugestellt worden sei. Es sei aber nicht ausreichend, wenn eine lediglich mögliche Begründung dafür geliefert werde, warum er das Poststück "verlegt habe". Das Vorbringen, das unabwendbare Ereignis könne sich nur dergestalt zugetragen haben, dass er durch eine unwillkürliche Handbewegung das Poststück unter einen Stapel von Plänen befördert habe, stelle lediglich eine Mutmaßung dar, eine von vielen denkbaren Varianten bei der nachträglichen Rekonstruktion des Geschehens, die eine Erklärung dafür liefern solle, wie sich das für die Fristversäumnis kausale Ereignis zugetragen haben könnte. Es vermöge aber - ohne nähere Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit dieses behaupteten Geschehens zu liefern - keinesfalls davon überzeugen, dass diese Behauptung wahrscheinlich den Tatsachen entspreche.
Im Übrigen habe der Beschwerdeführer nach Unterschreiben des Rückscheines gewusst, dass eine RSa-Briefsendung unter den Poststücken gewesen sei. Selbst wenn sich das Ereignis also so zugetragen hätte, wie es im Antrag beschrieben werde, wäre dem Beschwerdeführer vorzuwerfen, nach Durchsicht der übrigen Post nicht sofort nach dieser behördlichen Briefsendung gesucht zu haben. Der Beschwerdeführer lasse damit durchblicken, gegenüber behördlichen Poststücken nicht die gehörige Sorgfalt an den Tag zu legen, sodass von einem minderen Grad des Versehens nicht die Rede sein könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag einer Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft mache, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe das Nichtvorliegen eines den minderen Grad des Versehens überschreitenden Verschuldens lediglich glaubhaft zu machen. Bei der Glaubhaftmachung sei das Beweismaß erheblich reduziert, da es dabei doch lediglich um die Wahrscheinlichkeit der behaupteten Tatsachen gehe. Es reiche i.S. des § 71 AVG aus, dass nach den Erfahrungen des täglichen Lebens die behauptete Tatsache öfter vorkomme und nicht ein absolut singuläres Ereignis darstelle. Da nicht erklärt werden könne, wie das Poststück in Verstoß geraten sei, habe sich der Beschwerdeführer eben der Annahme bedient, die ihm nach der allgemeinen Erfahrung im Büroalltag am wahrscheinlichsten erschienen sei, nämlich jene, dass das Schriftstück auf seinem Schreibtisch eben durch eine unwillkürliche Handbewegung verschoben worden sei. Dass dies eine Mutmaßung sei, sei von ihm ja auch nicht bestritten worden. Er habe auch zugegeben, dass er den Brief übernommen, den Rückschein unterfertigt und das Poststück auf den Stapel der restlichen Post abgelegt habe. Die Ansicht der belangten Behörde, ihm sei auch unter Annahme des von ihm mutmaßten Sachverhaltes vorzuwerfen gewesen, nicht sofort nach Durchsicht der übrigen Post nach der behördlichen Briefsendung gesucht zu haben, sei verfehlt, weil er ja der Meinung gewesen sei, das Poststück ohnehin abgelegt zu haben, wo es hingehöre, es daher im Stapel der übrigen Post drinnen gewesen sei. Es hätte sich daher kein Grund ergeben, danach zu suchen.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes trifft eine Partei die Obliegenheit, bereits in ihrem Wiedereinsetzungsantrag alle Wiedereinsetzungsgründe innerhalb der gesetzlichen Frist vorzubringen und glaubhaft zu machen. Als "Ereignis" im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist jegliches Geschehen, also auch psychologische Vorgänge wie etwa Vergessen, Verschreiben, Sich-Irren usw. anzusehen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, 1998, E 45 ff zu § 71 AVG wiedergegebene hg. Judikatur). Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorbringen ein solches "Ereignis" dargestellt und - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht - auch mangels einer anderen konkret denkbaren Variante des Geschehens glaubhaft gemacht; das unabsichtliche "Verschieben" eines Schriftstückes in einen Stoß anderer Unterlagen stellt unzweifelhaft ein derartiges Ereignis dar. Es stellt sich daher lediglich die Frage, ob dieses Ereignis auf ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des Beschwerdeführers zurückzuführen ist.
Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige, bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligten Personen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/05/0122, mwN). Das unabsichtliche "Verschieben" eines Schriftstückes in einen Stoß anderer Unterlagen ist eine Fehlleistung, die auch dem Sorgfältigsten unterlaufen kann. Darauf allein kommt es bei der Beurteilung des Vorliegens eines den minderen Grad des Versehens übersteigenen Verschuldens aber nicht an.
Der Beschwerdeführer ist Unternehmer, er führt einen Malerbetrieb in P. In dieser Eigenschaft müssen ihm die für die Leitung eines Unternehmens notwendigen Prinzipien im Umgang mit behördlichen Schriftstücken vertraut sein. Dem Beschwerdeführer musste daher auch bewusst sein, dass jenes Poststück mit dem von ihm selbst unterfertigten blauen Rückschein ein dringliches behördliches Schriftstück enthalten musste. Schon aus diesem Grunde wäre es im vorliegenden Fall erforderlich gewesen, dass der Beschwerdeführer sich nach Durchsicht seiner übrigen Post auch an jenen von ihm eigenhändig übernommenen RSa-Briefs erinnert und danach sucht bzw. sich auf geeignete Weise, etwa durch Nachfrage bei seiner Büromitarbeiterin vergewissert, dass dieses Poststück einer ordnungsgemäßen Bearbeitung zugeführt wurde. Dass etwa zum selben Datum weitere RSa-Sendungen von ihm entgegengenommen worden wären, wurde von ihm nicht ins Treffen geführt. Daher erscheint es nicht den im Umgang mit behördlichen Schriftstücken gebotenen Sorgfalt zu entsprechen, eine Sendung, deren Bedeutung bereits durch die Art der Zustellung signalisiert wird, und die ihm offenbar bei Bearbeitung der übrigen Poststücke auch noch nicht untergekommen war, nicht zu suchen. Selbst wenn daher die Vorgänge sich tatsächlich so abgespielt haben, wie der Beschwerdeführer in seinem Wiedereinsetzungsantrag mutmaßt, kann der von ihm vertretenen Rechtsansicht, die Versäumung der Frist beruhe lediglich auf einem minderen Grad des Versehens, nicht geteilt werden.
Aus diesem Grunde erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2009:2008090278.X00 |
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Fundstelle(n):
JAAAF-51538