VwGH 18.11.2009, 2008/08/0237
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | BKUVG §42; |
RS 1 | Ein Irrtum über den Sachverhalt liegt vor, wenn der Sozialversicherungsträger Sachverhaltselemente angenommen hat, die mit der Wirklichkeit zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmten. Der Irrtum ist dann als wesentlich anzusehen, wenn er für die rechtliche Beurteilung des den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens bildenden Leistungsanspruches Bedeutung erlangt hat. Es kommt also darauf an, ob die vom Irrtum betroffenen und dann richtiggestellten Sachverhaltselemente im Zusammenhalt mit den vom Irrtum nicht betroffenen Feststellungen des seinerzeitigen Bescheides den Anspruch begründet bzw. erhöht hätten. Der seinerzeitige Irrtum muss auch kausal dafür sein, dass die Leistung zu Unrecht verweigert wurde. Führen zunächst außer Acht gelassene Tatsachen nicht dazu, dass die Anspruchsvoraussetzungen am Stichtag vorlagen, dann ist ein Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes abzuweisen (Hinweis E , 2001/08/0030 mwN). |
Norm | BKUVG §42; |
RS 2 | Wenn das Ergebnis des Verfahrens von medizinischen Fragen und damit vom Sachverständigengutachten abhängt, dann kann zwar in der Außerachtlassung einer gesicherten Erkenntnis des Faches ein offenkundiges Versehen liegen. § 42 B-KUVG bietet aber keine Handhabe dafür, jede Fehleinschätzung im Tatsachenbereich zu korrigieren, insbesondere auch nicht dafür, die Beweiswürdigung im Nachhinein neuerlich aufzurollen (Hinweis E , 2001/08/0030 mwN). |
Norm | BKUVG §101; |
RS 3 | War durch ein vorheriges Leiden die Erwerbsfähigkeit bereits messbar gemindert, so ist nicht die Gesamteinwirkung auf die Erwerbsfähigkeit, sondern nur die durch die Verschlimmerung verursachte Steigerung des Grades der Erwerbsunfähigkeit, also der Verschlimmerungsanteil an dem Gesamtzustand zu entschädigen. Im Fall der Verschlimmerung eines bestehenden Leidens durch beruflich bedingte Schädigungen wird das Gesamtleiden rechtlich in den beruflich bedingten und den davon unabhängigen, auf die Anlage bzw. Vorschädigung zurückzuführenden Teil zerlegt; der verschlimmerungsbedingte Anteil wird abgegrenzt und - unter Berücksichtigung des Vorschadens - allein entschädigt, da nur dieser der schädigenden Einwirkung zuzurechnen ist ( mwN). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des HR in F, vertreten durch Mag. Norbert Tanzer, Rechtsanwalt in 6410 Telfs, Obermarkt 2, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom , Zl. Vd-SV-1011-3-1/85/Au, betreffend rückwirkende Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes gemäß § 42 B-KUVG (mitbeteiligte Partei: Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter in Wien, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Bartensteingasse 16), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom hat die mitbeteiligte Versicherungsanstalt die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung für den Beschwerdeführer (ein Gendarmeriebeamter, der beruflich Schießübungen durchzuführen hatte) aus Anlass seiner Schwerhörigkeit mangels Vorliegens einer Berufskrankheit abgelehnt.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Klage beim Landesgericht Innsbruck. Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom wurde das Klagebegehren, die mitbeteiligte Versicherungsanstalt sei schuldig, dem Beschwerdeführer wegen Vorliegens einer Berufskrankheit Leistungen aus der Unfallversicherung zu gewähren, abgewiesen. In der Urteilsbegründung stützte sich das Landesgericht Innsbruck auf ein fachärztliches Gutachten des Dr. R. Ausgehend von diesem Gutachten gelangte das Gericht zur Darlegung, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers insgesamt 45 % betrage, der "lärmkausale" Anteil an der Schwerhörigkeit aber nur ein Drittel ausmache, weshalb eine Versehrtenrente, da das für die Zuerkennung einer Rente maßgebliche Ausmaß von 20 % somit nicht erreicht werde, nicht zugesprochen werden könne.
Der gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom keine Folge gegeben.
Mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom wurde der Revision des Beschwerdeführers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom keine Folge gegeben.
Mit Schreiben vom stellte der Beschwerdeführer bei der mitbeteiligten Versicherungsanstalt einen Antrag auf Versehrtenrente.
Mit Schreiben vom , gerichtet an den Beschwerdeführer, führte die mitbeteiligte Versicherungsanstalt aus, das Vorliegen einer Berufskrankheit aus Anlass der Schwerhörigkeit des Beschwerdeführers sei am im Renten- und Rehabilitationsausschuss abgelehnt worden. Da aus dem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck hervorgehe, dass der Beschwerdeführer eine lärmbedingte Hochtonschwerhörigkeit mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 15 % habe, die als Berufskrankheit anzusehen sei, dieser Umstand im Urteil aber nicht ausdrücklich ausgesprochen worden sei, wäre die Ablehnung der Schwerhörigkeit als Berufskrankheit weiterhin rechtskräftig. Da die mitbeteiligte Versicherungsanstalt diese Sachverhaltsdiskrepanz bemerkt habe, sei zum Vorteil des Beschwerdeführers die Angelegenheit neuerlich im Rentenausschuss ausführlich erörtert worden. Die Ablehnung der Schwerhörigkeit als Berufskrankheit sei in eine Anerkennung abgeändert worden. Die Lärmschwerhörigkeit sei daher als Berufskrankheit mit einer kausalen Minderung der Erwerbsfähigkeit von 15 % anerkannt worden. Der Prozentsatz von 15 % als durch die Berufskrankheit bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit sei der Urteilsausführung des Landesgerichtes Innsbruck entnommen.
Mit Schreiben vom , eingelangt bei der mitbeteiligten Versicherungsanstalt am , stellte der Beschwerdeführer den Antrag, den Feststellungsbescheid vom zu beseitigen und rückwirkend den gesetzlichen Zustand durch Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 45 %, jedenfalls jedoch mit 27 % festzusetzen. Der Beschwerdeführer legte dar, dass im Rahmen gerichtlicher Verfahren nunmehr ein Gutachten des Dr. E.-N. vorliege. Dieser Sachverständige habe nach neuesten Erkenntnissen eine umfangreiche Untersuchung vorgenommen und Tests durchgeführt, die bisher nicht gemacht worden seien. Dem vorherigen Gutachten lägen keine oder zumindest keine genauen Untersuchungsergebnisse zugrunde. Bislang sei offensichtlich bloß behauptet worden, dass ein Teil der Schwerhörigkeit nicht lärmbedingt wäre.
Mit Bescheid der mitbeteiligten Versicherungsanstalt vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 42 B-KUVG abgelehnt. Begründend wurde ausgeführt, dem Bescheid vom liege eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zugrunde, in der der Zustand hinsichtlich der Berufskrankheit endgültig und abschließend festgestellt worden sei. Abgesehen davon hätten die zusätzlichen Untersuchungen des Dr. E.-N. keine neuen Aspekte für die Kausalitätsbeurteilung bringen können.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Einspruch. Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde der Antrag, rückwirkend den gesetzlichen Zustand durch Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers im Ausmaß von 45 %, jedenfalls jedoch mit 27 % festzusetzen, als unzulässig zurückgewiesen. Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde zunächst aus, der Feststellungsbescheid vom sei auf Grund der Klage, mit der die Wiederaufnahme des gerichtlichen Verfahrens begehrt worden sei, mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck und letztlich des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom außer Kraft getreten. Damit liege das Tatbestandselement der Ablehnung einer Geldleistung durch einen Bescheid des Versicherungsträgers nicht vor. Selbst wenn man die Ansicht vertrete, dass der Feststellungsbescheid vom nach wie vor dem Rechtsbestand angehöre, sei für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen. Die mitbeteiligte Versicherungsanstalt sei bei der Erlassung des Bescheides vom an rechtskräftige gerichtliche Urteile gebunden gewesen und habe nur über das im Antrag auf Gewährung einer Versehrtenrente enthaltene Eventualbegehren, wonach die Schwerhörigkeit Folge einer Berufskrankheit sei und dass das für die Gewährung einer Versehrtenrente geforderte Ausmaß der Minderung der Erwerbsmäßigkeit von 20 % erreicht werde, abgesprochen. Im Übrigen hätten sowohl Dr. R. als auch Dr. E.-N. beidseits eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit diagnostiziert und hätten eine Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit von 45 % festgestellt. Lediglich in der aus der fachärztlichen Erfahrung gewonnenen Einschätzung, wonach die lärmkausale Komponente ein Drittel (Dr. R.) bzw. 60 % (Dr. E.-N.) betrage, unterschieden sich die beiden Gutachten. Der Umstand, dass nach der Gutachtenserstellung durch Dr. R. bei der Berechnung der Minderung der Erwerbsfähigkeit neue Erkenntnisse Eingang gefunden hätten, die nunmehr zu einer anderen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit führen könnten, ändere nichs am seinerzeit korrekt festgestellten Sachverhalt. Dies bringe auch die Amtsärztin Dr. K.-H. zum Ausdruck, wonach sich Dr. R. im Rahmen seiner Gutachtenserstellung die schon damals geltenden Richtlinien der medizinischen Wissenschaft zur Grundlage seiner medizinischen Äußerungen gemacht habe. Die weiteren gutachterlichen Stellungnahmen (Dr. N., Dr. E.- N.) würden das ursprüngliche Gutachten in den wesentlichen Aussagen bestätigen. Die vorliegenden Gutachten seien frei von Widersprüchen und in den objektivierbaren Sachverhalten zwanglos nachvollziehbar. Die Schlussfolgerungen über das Ausmaß der berufsbedingten Schwerhörigkeit stellten jedoch keinen wesentlichen Irrtum über den Sachverhalt oder ein offenkundiges Versehen dar. Dass Dr. E.-N. aus seiner Erfahrung andere Schlüsse ziehe, bewirke nicht, dass bei der Feststellung des Sachverhaltes ein Irrtum unterlaufen wäre. Dem Vorbringen des Einspruchswerbers, er leide auch an Tinnitus, was zu einer höheren Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit führen müsste, sei entgegen zu halten, dass er dieses Leiden erstmals in seinem Antrag vom rückwirkend mit Mai 1992 geltend gemacht habe. Damit sei der Tinnitus zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens durch Dr. R. mit noch gar nicht vorgelegen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, eine Gegenschrift erstattet mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Ergibt sich nachträglich, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist gemäß § 42 B-KUVG mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.
Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist die Feststellung der mitbeteiligten Versicherungsanstalt vom , die zutreffend von beiden Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens als Bescheid angesehen wird, nicht durch eine dagegen gerichtete Klage außer Kraft getreten (ob sie angesichts der zuvor ergangenen gerichtlichen Entscheidungen über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers zur Recht erfolgt ist, kann hier dahingestellt bleiben). Mit dem von der belangten Behörde erwähnten Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom wurde lediglich eine Wiederaufnahmeklage des Beschwerdeführers abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom abgewiesen.
Die Entscheidung, ob der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, ist eine Verwaltungssache, die Herstellung dieses Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache (vgl. z.B. das zu § 101 ASVG ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/08/0030, mwN).
Ein Irrtum über den Sachverhalt liegt vor, wenn der Sozialversicherungsträger Sachverhaltselemente angenommen hat, die mit der Wirklichkeit zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmten. Der Irrtum ist dann als wesentlich anzusehen, wenn er für die rechtliche Beurteilung des den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens bildenden Leistungsanspruches Bedeutung erlangt hat. Es kommt also darauf an, ob die vom Irrtum betroffenen und dann richtiggestellten Sachverhaltselemente im Zusammenhalt mit dem vom Irrtum nicht betroffenen Feststellungen des seinerzeitigen Bescheides den Anspruch begründet bzw. erhöht hätten. Der seinerzeitige Irrtum muss auch kausal dafür sein, dass die Leistung zu Unrecht verweigert wurde. Führen zunächst außer Acht gelassene Tatsachen nicht dazu, dass die Anspruchsvoraussetzungen am Stichtag vorlagen, dann ist ein Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes abzuweisen (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom mwN).
Wenn das Ergebnis des Verfahrens von medizinischen Fragen und damit vom Sachverständigengutachten abhängt, dann kann zwar in der Außerachtlassung einer gesicherten Erkenntnis des Faches ein offenkundiges Versehen liegen. § 42 B-KUVG bietet aber keine Handhabe dafür, jede Fehleinschätzung im Tatsachenbereich zu korrigieren, insbesondere auch nicht dafür, die Beweiswürdigung im Nachhinein neuerlich aufzurollen (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom mwN).
Es genügt also nicht, dass ein medizinischer Sachverständiger eine Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit vorgenommen hat, die von einem anderen Sachverständigen bloß nicht geteilt wird, wenn sie vertretbar erscheint (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0079). Sollte sich im Übrigen die medizinische Einschätzung etwa auf Grund neuer medizinischer Erkenntnisse im Nachhinein geändert haben, läge hier ein wesentlicher Sachverhaltsirrtum in Bezug auf den Bescheid vom schon deshalb nicht vor, weil diesfalls nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung keine anderen Tatsachen hätten festgestellt werden können als jene, die tatsächlich festgestellt wurden (vgl. wiederum das zitierte hg. Erkenntnis vom ).
Nach dem im Akt liegenden Gutachten des Dr. R. vom wurde beim Beschwerdeführer ein Hörverlust rechts von 74 % und links von 90 % diagnostiziert, und zwar nach der Tabelle von Röser aus dem Tonaudiogramm.
In seinem Gutachten vom gelangte Dr. E.-N. auf Grund der Röser-Tabelle zu einem Hörverlust von 88 % rechts und 91 % links, wovon ca. 20 % altersbedingt seien. Dr. E.-N. führt weiters aus, es ergebe sich rechnerisch ein Hörverlust rechts von 68 % und links von 71 %.
Beide Gutachter gelangten nach der Tabelle von Feldmann zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 45% für den gesamten Hörverlust.
Im Akt befindet sich weiters das Gutachten von Dr. N. vom . Darin wird ein Hörverlust beidseits von 85 % festgestellt. Dies ergebe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 65 %, zusätzlich 5 % für den als glaubhaft geschilderten Tinnitus, der jedoch in der Untersuchungssituation nicht habe objektiviert werden können. Somit würde sich eine Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit von 70 % ergeben. Wende man die Drittelkausalität für lärmbedingte Schwerhörigkeit an, entspreche dies einer lärmbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 23 %. Bezüglich der Kausalität schließt sich Dr. N. den Ausführungen von Dr. R. an.
Der Beschwerdeführer bemängelt, dass Dr. R. keine Audiogramme seiner Gutachtenserstellung zugrunde gelegt habe. Dieses Vorbringen ist insofern nicht zutreffend, als sich aus dem Gutachten ergibt, dass Tonaudiogramme erstellt worden sind. Abgesehen davon geht dieses Vorbringen schon deshalb ins Leere, weil es lediglich das Ausmaß der Hörbeeinträchtigung betrifft, (die im Übrigen auch von Dr. E.-N. als eine eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 45 % hervorrufende Beeinträchtigung bewertet worden ist), nicht aber die Frage, welcher prozentuelle Anteil der Hörbeeinträchtigung auf den Lärm, dem der Beschwerdeführer während seiner beruflichen Tätigkeit ausgesetzt gewesen ist, zurückzuführen ist.
Angesichts der festgestellten Schwerhörigkeit kann auch die abweichende Einordnung der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Dr. N. zu keinem anderen Ergebnis führen, da jedenfalls die von den beiden anderen Gutachtern angenommene Minderung der Erwerbsfähigkeit von 45 % vertretbar erscheint. War durch ein vorheriges Leiden die Erwerbsfähigkeit bereits messbar gemindert, so ist nicht die Gesamteinwirkung auf die Erwerbsfähigkeit, sondern nur die durch die Verschlimmerung verursachte Steigerung des Grades der Erwerbsunfähigkeit, also der Verschlimmerungsanteil an dem Gesamtzustand zu entschädigen. Im Fall der Verschlimmerung eines bestehenden Leidens durch beruflich bedingte Schädigungen wird das Gesamtleiden rechtlich in den beruflich bedingten und den davon unabhängigen, auf die Anlage bzw. Vorschädigung zurückzuführenden Teil zerlegt; der verschlimmerungsbedingte Anteil wird abgegrenzt und - unter Berücksichtigung des Vorschadens - allein entschädigt, da nur dieser der schädigenden Einwirkung zuzurechnen ist ( mwN).
Zur Frage der Kausalität legte Dr. R. in seinem Gutachten vom dar, der Kurvenverlauf sei für eine reine lärmkausale Schwerhörigkeit nicht typisch, obwohl bei vorgegebener Anamnese einer 30-jährigen beruflich bedingten Exposition bei Schießübungen eine lärmkausale Komponente sicher anzunehmen sei. Eine exakte Festlegung der lärmkausalen Komponente sei nicht möglich. Es könnten (bzw. dürften) 30 % bzw. 40 % der Gesamtschwerhörigkeit kausal verursacht sein.
In einer für das Landesgericht Innsbruck erstellten Gutachtensergänzung legte Dr. R. dar, wenn auch eine exakte prozentmäßige Festlegung des lärmschädigungsbedingten Anteils der hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit nicht möglich sei, habe er doch in seinem Gutachten versucht, mit einer eher aus der Erfahrung begründeten Festlegung von etwa einem Drittel lärmkausalen Anteil der Situation des Beschwerdeführers gerecht zu werden. Da der Bereich der Lärmschädigung stets im höheren Frequenzspektrum liege, müsse für die hochgradige Innenohrschwerhörigkeit im Mittel- und Tieftonbereich eine andere (nicht lärmkausale) Ursache der Hörstörung angenommen werden.
In einer weiteren Gutachtensergänzung für das Landesgericht Innsbruck führte Dr. R. aus, in der von ihm eingesehenen wissenschaftlichen Literatur zur Lärmschwerhörigkeit werde von vielen Autoren eine Hörschädigung im Tieftonbereich durch Lärm überhaupt nicht für möglich gehalten. Zum Beispiel finde W. ("Lärmschwerhörigkeit als Wahrscheinlichkeitsdiagnose", Wiener klinische Wochenschrift, Jahrgang 92, Heft 21, 1980) anhand von
25.444 ausgewerteten Tonaudiogrammen typische Hörverlustkurven für chronische Lärmexposition. Dabei habe der unterschiedliche Expositionspegel offenbar einen relativ geringen Einfluss auf das Ausmaß der Lärmschwerhörigkeit. Das Ergebnis einer faktorenanalytischen Untersuchung ergebe den Schluss, dass typischerweise für eine Lärmschwerhörigkeit eine nur sehr geringe Beteiligung tiefer und mittlerer Frequenzen an der Hörstörung bestehe. Nur bei besonders langer und extremer Lärmexposition (z.B. 35-jähriger Berufstätigkeit mit einem Lärmbelastungspegel von permanent 100 dB) könne auch der Mittel- und Tieftonbereich des Hörfrequenzspektrums geringgradig in die Störung miteinbezogen sein. Auch bei einer solchermaßen extremen Lärmexposition betrage der Hörverlust statistisch nur in 5 % der Fälle 30 dB bei 500 Hz (Tieftonbereich). Im Vergleich zum Hochtonhörverlust des Beschwerdeführers sei die Störung im Mittel- und Tieftonbereich viel zu ausgeprägt, als dass diese als lärmbedingt angesehen werden könnte. Es liege eine beidseitige, pantonale Innenohrschwerhörigkeit vor, die nur einen relativ geringen Kurvenabfall zu den hohen Frequenzen hin zeige. Eine Senkenbildung sei nicht zu erkennen. Auch dies spreche gegen eine alleinige lärmkausale Verursachung. Art und Zeitausmaß der tatsächlichen Lärmexposition, das späte ausgeprägte Auftreten der Hörstörung sowie die Art des Hörkurvenverlaufes mit starker Einbeziehung der mittleren und tiefen Frequenzen beidseits lasse nur eine teilkausale Lärmkomponente als wahrscheinlich zu. Von der Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit von 45 % sei lediglich ein Drittel (15 %) als lärmkausaler Anteil zuordenbar. Der überwiegende Teil der beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit sei idiopathischer (d.h. medizinisch-ätiologisch nicht eindeutig klärbarer) Ursache.
In dem Gutachten vom führte Dr. E.-N. aus, dass "erfahrungsmäßig in diesem Fall" 60 % lärmkausal bedingt sein könne, sodass die beruflich bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (Gesamtausmaß von 45 %) mit 27 % anzusehen sei. Diese Annahme gelte dann, wenn tatsächlich bei Dienstantritt ein normal funktionierendes Gehör gegeben gewesen sei, worüber kein Befund vorliege.
In einer Gutachtensergänzung vom legte Dr. E.- N. dar, der pathophysiologische Verlauf des Innenohres zeige keinen typisch lärmbedingten Hörausfall. Einerseits bestehe eine Anamnese und die Tatsache, dass der Kläger beruflich einer Lärmexposition ausgesetzt gewesen sei. Dass er während des Berufslebens einen viel stärkeren Hörausfall als in der Ruhestandsperiode erlitten habe, spreche für eine lärmkausale Komponente. In der Praxis komme es oft vor, dass man bei Patienten, die sich nie einer Lärmexposition ausgesetzt hätten, einen typischen Hochtonsack im Tonaudiogramm finde und umgekehrt. Andererseits sprächen die in dem Akt enthaltenen Audiogramme, die von Dr. E.-N. durchgeführten audiologischen Untersuchungen und die enge Dynamik im Unbehaglichkeitsfeld für konstitutionell hypersensible Innenohrorgane. Somit würde Dr. E.-N. aus der Erfahrung heraus den Hörverlust so unterteilen, dass der Hörverlust beruflich und konstitutionell zu bewerten sei, wobei sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 45 % ergebe. Davon sollten 60 % beruflich lärmkausal betrachtet werden, woraus sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 27 % aus diesem Grund ergebe. Der Restanteil sei als progrediente endogene Schwerhörigkeit zu betrachten.
Die belangte Behörde holte eine Stellungnahme der Landessanitätsdirektion Tirol, Dr. K.-H., vom ein. Darin wird ausgeführt, dass nach peniblem Studium der im Akt befindlichen Gutachten und intensiven Recherchen in der Fachliteratur auch nach amtsärztlicher Einschätzung die Gehörschädigung medizinisch nicht mit letzter Sicherheit prozentuell anteilig einer bestimmten Ursache zugeordnet werden könne. Aus praktisch medizinischer Erfahrung und in Übereinstimmung mit vorliegenden fachärztlichen gutachterlichen Einschätzungen sei aber mit größter Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass für die vorliegende Hörminderung auch die berufliche Exposition mitursächlich gewesen sei. Es werde davon ausgegangen, dass sich auch Dr. R. im Rahmen seiner Gutachtenserstellung die schon damals geltenden Richtlinien der medizinischen Wissenschaft zur Grundlage seiner medizinischen Äußerungen gemacht habe. Die weiteren gutachterlichen Stellungnahmen (Dr. N., Dr. E.-N.) bestätigten in den wesentlichen Aussagen das ursprüngliche Gutachten. Dr. R. sei aber zu einer differenten Einschätzung der berufslärmbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit gekommen. Die Schlussfolgerungen der Sachverständigen seien letztlich nach ihren "Erfahrungen" erfolgt.
Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgegangen ist, dass Dr. R. bei Erstellung von Befund und Gutachten die gesicherten Erkenntnisse seines Faches bzw. die Regeln seiner Wissenschaft beachtet hat.
Bezüglich des Tinnitus tritt der Beschwerdeführer der Ausführung der belangten Behörde, dass dieser vom Beschwerdeführer vor 1994 gar nicht behauptet worden ist, nicht entgegen. Er macht auch nicht geltend, dass die von Dr. N. auf Grund des Tinnitus angenommene Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen gewesen wäre.
Darin, dass die belangte Behörde im Spruch den Einspruch zurück- statt abgewiesen hat, liegt bloß ein Vergreifen im Ausdruck, zumal sich die Behörde in der Bescheidbegründung mit den Abweisungsgründen ausführlich auseinandergesetzt hat. Insoweit konnte der Beschwerdeführer in keinem Recht verletzt werden.
Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
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Normen | BKUVG §101; BKUVG §42; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2009:2008080237.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAF-51531