VwGH 05.09.2009, 2008/02/0108
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Die Auslegung eines Urkundeninhaltes ist Rechtsfrage und nicht Tatfrage, wenn die maßgeblichen Feststellungen über den Urkundeninhalt nicht aus zusätzlichen Beweismitteln, sondern aus der Urkunde allein getroffen werden. Nur die Feststellung der Willenserklärungen der Parteien ist Tatsachenfeststellung. Da aber im konkreten Fall anders lautende übereinstimmende Willenserklärungen nicht behauptet wurden, hat die Beh zu Recht den Vertragsinhalt zum Ausgang ihrer Überlegungen gemacht. Die Auslegung des Vertragstextes ist rechtliche Beurteilung. Die Einvernahme von Zeugen oder Parteien dazu ist daher gar nicht zulässig. Es muss vielmehr versucht werden, ausschließlich den Text der Vereinbarung auf deren objektiven Erklärungswert hin zu untersuchen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 98/15/0117 E RS 1
(hier nur erster und letzter Satz) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-281016/4/Wim/Ps, betreffend Übertretung des Bauarbeitenkoordinationsgesetzes (mitbeteiligte Partei: H H in L, vertreten durch die Anwaltssozietät Sattlegger - Dorninger - Steiner & Partner, 4020 Linz, Harrachstraße 6), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes
aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte wurde als verwaltungsstrafrechtlich verantwortlicher handelsrechtlicher Geschäftsführer der H. Bau GmbH mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom für schuldig erkannt, dass die H. Bau GmbH am als Baustellenkoordinator bei einem näher genannten Bauvorhaben nicht darauf geachtet habe, dass die Arbeitgeber den Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan angewendet hätten. Wegen Verletzung der §§ 10 Abs. 1 Z. 4 iVm § 5 Abs. 2 Z. 1 Bauarbeitenkoordinationsgesetz (BauKG) wurde über den Mitbeteiligten eine Geldstrafe von EUR 700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 16 Stunden) verhängt.
Die belangte Behörde hat der Berufung des Mitbeteiligten gegen dieses Straferkenntnis Folge gegeben, das Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren eingestellt.
Begründend führte die belangte Behörde aus, im Berufungsverfahren habe sich ergeben, dass Dipl. Ing. R für die H. Bau GmbH als verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich Beauftragter gemäß § 9 VStG und gemäß § 23 Abs. 1 ArbIG mit dessen Zustimmung bestellt worden und diese Bestellung auch dem Arbeitsinspektorat für den 9. Aufsichtsbezirk angezeigt worden sei. Die Bestellungsurkunde datiere vom und sei im Tatzeitpunkt wirksam und rechtsgültig vorgelegen. Die Bestellung eines verantwortlich Beauftragten schließe jedoch die Bestrafung des ansonsten nach außen vertretungsbefugten Bevollmächtigten einer GmbH aus.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Die belangte Behörde und der Mitbeteiligte haben Gegenschriften erstattet, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Ausschließlich strittig ist im Beschwerdefall, ob Dipl. Ing. R als verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich Beauftragter auch für die Einhaltung der Bestimmungen des BauKG bestellt worden ist.
In dem im Verwaltungsakt einliegenden Schreiben vom , auf das sich die Entscheidung der belangten Behörde tragend stützt, wurde Dipl. Ing. R. zum verantwortlichen Beauftragten gemäß § 23 Abs. 1 ArbIG bestellt; in der Bestellungsurkunde heißt es unter anderem:
"Betrifft: Bestellung von verantwortlichen
Beauftragten gemäß § 23 Abs. 1 ArbIG und Meldung der Baustelle gemäß § 3 Abs. 3 BauV
...
3. Sachlicher Zuständigkeitsbereich:
Einhaltung des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993, BGBl. Nr. 27 (ArbIG)
Einhaltung aller Arbeitnehmerschutzvorschriften Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung +
4. Räumlicher-, zeitlicher- und personeller Zuständigkeitsbereich
4.1. Baustelle und Anschrift:
Betriebsgebäude...............
Hangstraße 11...
4.3. Art und Umfang der Arbeiten: Baumeisterarbeiten,
Fundamente und Keller"
Der beschwerdeführende Bundesminister vertritt in seiner Beschwerde die Ansicht, mangels ausdrücklicher Anführung des BauKG in der Bestellungsurkunde erstrecke sich die Bestellung des verantwortlichen Beauftragten nicht auf die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes. Unter Bezug auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 37/06, wird ausgeführt, dass das BauKG nicht in den Kompetenztatbestand "Arbeitsrecht" falle, weil "die im BauKG normierten Pflichten treffen grundsätzlich den Bauherrn", während die Arbeitnehmerschutzvorschriften Pflichten des Arbeitgebers normierten. Die Bestellung von Dipl. Ing. R. habe daher die Einhaltung der Vorschriften des BauKG nicht umfasst, weshalb der handelsrechtliche Geschäftsführer der H. GmbH von der erstinstanzlichen Behörde zu Recht in Anspruch genommen worden sei.
In den Gegenschriften wird zusammengefasst die Ansicht vertreten, dass es sich bei der in Rede stehenden Vorschrift des § 5 BauKG um eine Arbeitnehmerschutzvorschrift handle, somit Dipl. Ing. R auch für die Einhaltung der Bestimmungen des BauKG verantwortlich gewesen sei.
Es kann aus folgenden Gründen im vorliegenden Fall dahin stehen, ob es sich bei den Vorschriften des BauKG (auch) um Arbeitnehmerschutzvorschriften handelt:
Die H. Bau GmbH wurde für die genannte Baustelle nicht nur als Baustellenkoordinator im Sinne des § 5 BauKG bestellt, sondern auch - wie sich aus der im Akt einliegenden "Vorankündigung von Bauarbeiten" vom ergibt - mit der Durchführung der Baumeisterarbeiten beauftragt. Mit der in Rede stehenden Bestellungsurkunde gemäß § 23 Abs. 1 ArbIG vom wurde von der H. Bau GmbH die Meldung der Baustelle gemäß § 3 Abs. 3 BauV erstattet, somit dem zuständigen Arbeitsinspektorat der Beginn der Baumeisterarbeiten gemeldet. Diese Meldung enthält keinen Hinweis darauf, dass die H. Bau GmbH auch als Baustellenkoordinator auf dieser Baustelle tätig ist.
Die Auslegung eines Urkundeninhaltes ist Rechtsfrage und nicht Tatfrage, wenn die maßgeblichen Feststellungen über den Urkundeninhalt aus der Urkunde getroffen werden. Zu untersuchen ist der Text auf seinen objektiven Erklärungswert hin (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 98/15/0117).
Nach dem Urkundentext steht die Bestellung von Dipl. Ing. R zum verantwortlichen Beauftragten in unmittelbarem Zusammenhang mit den Bauarbeiten der H. Bau GmbH und enthält keinen Bezug zu deren Tätigkeit als Baustellenkoordinator. Damit konnte aber für alle Beteiligten kein Zweifel bestehen, dass sich der Passus in der Bestellungsurkunde "Einhaltung aller Arbeitnehmerschutzvorschriften" nicht auf die vom Baustellenkoordinator einzuhaltenden Bestimmungen des BauKG bezieht, zumal in der hier zu beurteilenden Bestellungsurkunde nur von Baumeisterarbeiten, nicht aber von der Tätigkeit als Baukoordinator die Rede ist. Die vom beschwerdeführenden Bundesminister vertretene Rechtsansicht erweist sich daher im Ergebnis als zutreffend.
Da die belangte Behörde das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Mitbeteiligten zu Unrecht eingestellt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2009:2008020108.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAF-51479