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VwGH 21.09.2007, 2007/05/0208

VwGH 21.09.2007, 2007/05/0208

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
AVG §71 Abs2;
VwGG §46 Abs3;
RS 1
Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Frage der Versäumung der zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages vorgesehenen zweiwöchigen Frist des - dem § 46 VwGG vergleichbaren - § 71 Abs. 2 AVG ausgeführt, dass es rechtlich irrelevant ist, ob die Partei an der Versäumung dieser Frist kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Entscheidend dafür, ob die Frist des § 71 Abs. 2 AVG versäumt wurde, ist allein die Frage, zu welchem Zeitpunkt das die Erhebung einer fristgerechten Berufung (hier: eines fristgerechten Wiederaufnahmeantrages) hindernde Ereignis weggefallen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 94/18/0282).
Norm
VwGG §45 Abs2;
RS 2
Wird als Wiederaufnahmegrund eine Verletzung der Vorschriften über das Parteiengehör behauptet, erlangt die Partei vom Wiederaufnahmegrund in dem Zeitpunkt Kenntnis, in dem ihr die Entscheidung des Gerichtshofes zugestellt wird, das auf einer infolge Verletzung der Vorschriften über das Parteiengehör fehlerhaften Feststellung beruht. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist also binnen zwei Wochen nach Zustellung des das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof abschließenden Erkenntnisses oder Beschlusses an ihn zu stellen. Dieser Zeitpunkt allein ist für die Berechnung der Frist des § 45 Abs. 2 VwGG maßgebend (vgl. den Beschluss vom , Zl. 2003/09/0065 mwN).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2002/10/0079 B RS 1
Normen
MRK Art46;
MRK Art6 Abs1;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwGG §45 Abs1 Z4;
VwGG §45;
RS 3
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen die Ansicht vertreten, dass die Feststellung einer Verletzung der EMRK im § 45 VwGG nicht als Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof angeführt wurde. Auch aus Art. 46 EMRK lässt sich keine Verpflichtung ableiten, das Ausgangsverfahren wieder aufzunehmen, wenn ein Urteil des EGMR festgehalten hat, dass eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK durch Nichtdurchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung stattgefunden hat (Hinweis auf die hg. Beschlüsse vom , 2004/10/0032, dort mit ausführlicher Begründung, vom , Zlen. 2003/11/0111, 0112, 0113, und vom , 2005/03/0103).

Entscheidungstext

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

2007/05/0209

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Anträge des Ing. Alois Hofbauer in Gföhl, vertreten durch Mag. Dr. Robert Hirschmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Börseplatz 6/23, 1.) auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Beantragung der Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2003/05/0062, abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens (hg. Zl. 2007/05/0208), sowie

2.) auf Wiederaufnahme dieses Verfahrens (hg. Zl. 2007/05/0209), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Eine vom Antragsteller, dessen Antrag auf Erlassung eines baupolizeilichen Beseitigungsauftrages mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom im Instanzenzug rechtskräftig abgewiesen worden war, erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde von diesem mit hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/05/0062, als unbegründet abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof sah dabei von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG ab, weil der Sachverhalt hinreichend geklärt und die Rechtslage eindeutig sei und weil civil rights im Sinne des Art. 6 EMRK des Antragstellers nicht berührt würden.

Dieses Erkenntnis wurde dem Antragsteller zu Handen seines Rechtsvertreters am zugestellt.

Der Antragsteller wandte sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, welcher mit Urteil vom (Application no. 7401/04) feststellte, dass Art. 6 EMRK im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen der Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung verletzt worden sei.

Nach den Angaben des Antragstellers wurde das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte seinem Rechtsvertreter am zugestellt und ihm einige Tage später per Post übermittelt.

In den nun dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Anträgen auf Wiedereinsetzung bzw. auf Wiederaufnahme vom führt der Antragsteller aus, das Vollmachtsverhältnis zu seinem Rechtsvertreter sei beendet und er habe keinen Hinweis darauf erhalten, dass ein Antrag auf Wiederaufnahme des gegenständlichen Verfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VwGG zu stellen sei und dass hiefür gemäß Abs. 2 leg. cit. eine Frist von zwei Wochen ab Kenntnis des Wiederaufnahmegrundes bzw. binnen drei Jahren nach Zustellung des Erkenntnisses zu stellen wäre. Es treffe ihn kein Verschulden daran, dass das Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mehr als drei Jahre lang gedauert habe und erst jetzt feststehe, dass im gegenständlichen Verfahren sein Parteiengehör verletzt worden sei. Als rechtlicher Laie sei er davon ausgegangen, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte automatisch zu einer Neudurchführung bzw. Wiederaufnahme des gegenständlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof führen müsse, weil es sich im gegenständlichen Fall um eine Menschenrechtsverletzung handle und man sich daher im Bereich des Völkerrechts und nicht mehr ausschließlich im Bereich der innerstaatlichen Ordnung und des VwGG bewege. Erst als er über mehrere Monate hinweg keine neue Information vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bzw. der Republik Österreich oder dem Verwaltungsgerichtshof erhalten habe, habe er am seinen nunmehrigen Rechtsvertreter konsultiert, der ihn über die Zweckmäßigkeit eines Wiederaufnahmeantrages samt Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand informiert habe. Er habe sohin erst am Kenntnis vom Wiederaufnahmegrund der Nichtentsprechung der Vorschriften über das Parteiengehör erlangt bzw. sei er erst zu diesem Zeitpunkt als rechtlicher Laie darüber informiert worden, dass ein fristgebundener Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens erforderlich sei. Die Frist für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens sei daher noch offen. Er stelle daher den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Beantragung der Wiederaufnahme des gegenständlichen Verfahrens.

Unter einem holte der Antragsteller die versäumte Handlung nach und beantragte die Wiederaufnahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 45 VwGG. Nach seiner Ansicht läge der Wiederaufnahmegrund des § 45 Abs. 1 Z 4 VwGG vor, weil nicht nur den Vorschriften über das Parteiengehör nicht entsprochen worden sei, sondern auch anzunehmen sei, dass bei Gewährung des Parteiengehörs das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes anders gelautet hätte. Was der Antragsteller bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof näher darlegen hätte können, führt dieser im Weiteren ausführlich aus. Er beantragt abschließend, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu bewilligen, das zur Zl. 2003/05/0062 bereits abgeschlossene Verfahren neuerlich aufzunehmen und den damals gestellten Anträgen Folge zu geben.

Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen der §§ 45 und 46 VwGG haben folgenden Wortlaut:

"§ 45. (1) Die Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis oder Beschluss abgeschlossenen Verfahrens ist auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn

1.

...

4.

im Verfahren vor dem Gerichtshof den Vorschriften über das Parteiengehör nicht entsprochen wurde und anzunehmen ist, dass sonst das Erkenntnis oder der Beschluss anders gelautet hätte oder

5. ...

(2) Der Antrag ist beim Verwaltungsgerichtshof binnen zwei Wochen von dem Tag, an dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahre nach der Zustellung des Erkenntnisses oder des Beschlusses zu stellen.

§ 46. (1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) ...

(3) Der Antrag ist beim Verwaltungsgerichtshof in den Fällen des Abs. 1 binnen zwei Wochen nach Aufhören des Hindernisses, ..., zu stellen, ... Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen."

1) Zum Antrag auf Wiedereinsetzung:

§ 45 Abs. 2 VwGG beinhaltet zwei Fristen. Zum einen ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen von dem Tag, an dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, zu stellen (subjektive Frist); spätestens jedoch binnen dreier Jahre nach der Zustellung des Erkenntnisses oder des Beschlusses (objektive Frist). Nach dem Ablauf der Dreijahresfrist kann kein Antrag auf Wiederaufnahme mehr gestellt werden.

Der Antragsteller geht davon aus, dass beide Fristen versäumt wurden und dass Wiedereinsetzung in beide Fristen möglich wäre.

Selbst wenn man annehmen wollte, die erst nach Ablauf der Dreijahresfrist des § 45 Abs. 2 VwGG erfolgte Erlassung des Urteils des EGMR und die erst zu diesem Zeitpunkt eingetretene Kenntnis vom (angeblichen) Wiederaufnahmegrund sei als unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG zu qualifizieren, und unter der weiteren Annahme, auch die Dreijahresfrist des § 45 Abs. 2 VwGG sei restituierbar, ist dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kein Erfolg beschieden. Der Antragsteller hätte einen solchen Antrag nach § 46 Abs. 3 VwGG nämlich binnen zwei Wochen nach Aufhören des Hindernisses zu stellen gehabt.

Das Urteil des EGMR wurde dem Antragsteller nach seinen eigenen Angaben "einige Tage nach dem " zugestellt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wurde am eingebracht; der Antragsteller erachtete ihn im Hinblick auf die erst am erfolgte Rechtsbelehrung durch seinen Anwalt über die Möglichkeit der Ergreifung außerordentlicher Rechtsmittel als rechtzeitig. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Das Hindernis, nämlich die Nichterlassung des Urteils und -

nach Ansicht des Antragstellers - die Unkenntnis seines Inhaltes endete bereits mit der Zustellung des Urteils an den Antragsteller. Darauf, ob er dessen rechtliche Bedeutung abschätzen konnte oder nicht, kommt es dabei nicht an; die Frist des § 46 Abs. 3 VwGG knüpft allein an den Wegfall des Hindernisses an.

So hat der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Versäumung der zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages vorgesehenen zweiwöchigen Frist des - dem § 46 VwGG vergleichbaren - § 71 Abs. 2 AVG ausgeführt, dass es rechtlich irrelevant ist, ob die Partei an der Versäumung dieser Frist kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Entscheidend dafür, ob die Frist des § 71 Abs. 2 AVG versäumt wurde, ist allein die Frage, zu welchem Zeitpunkt das die Erhebung einer fristgerechten Berufung (hier: eines fristgerechten Wiederaufnahmeantrages) hindernde Ereignis weggefallen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 94/18/0282).

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erweist sich daher wegen Versäumung der Frist des § 46 Abs. 3 VwGG als verspätet und war bereits aus diesem Grund zurückzuweisen.

2) Zum Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens:

Die Dreijahresfrist des § 45 Abs. 2 VwGG und damit die Zulässigkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens endete bereits mit dem , sodass sich der am zur Post gegebene und am beim Verwaltungsgerichtshof eingelangte Antrag auf Wiederaufnahme als verspätet erweist. Auch dieser Antrag war daher zurückzuweisen.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgeführt hat, dass für den Fall, in dem als Wiederaufnahmegrund eine Verletzung der Vorschriften über das Parteiengehör behauptet wird, die Partei vom Wiederaufnahmegrund in dem Zeitpunkt Kenntnis erlangt, in dem ihr die Entscheidung des Gerichtshofes zugestellt wird, das auf einer infolge Verletzung der Vorschriften über das Parteiengehör fehlerhaften Feststellung beruht. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist also binnen zwei Wochen nach Zustellung des das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof abschließenden Erkenntnisses oder Beschlusses an ihn zu stellen. Dieser Zeitpunkt allein ist für die Berechnung der Frist des § 45 Abs. 2 VwGG maßgebend (vgl. die hg. Beschlüsse vom , Zl. 2002/10/0079, und vom , Zl. 2003/09/0065 mwN). Sollte im vorliegenden Fall überhaupt der Wiederaufnahmegrund des § 45 Abs. 1 Z 4 VwGG in Frage kommen, wäre auch diese Frist längst versäumt worden.

Abschließend wird bemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen die Ansicht vertreten hat, dass die Feststellung einer Verletzung der EMRK im § 45 VwGG nicht als Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof angeführt wurde. Auch aus Art. 46 EMRK lässt sich keine Verpflichtung ableiten, das Ausgangsverfahren wieder aufzunehmen, wenn ein Urteil des EGMR festgehalten hat, dass eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK durch Nichtdurchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung stattgefunden hat (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die hg. Beschlüsse vom , 2004/10/0032, dort mit ausführlicher Begründung, vom , Zlen. 2003/11/0111, 0112, 0113, und vom , 2005/03/0103).

Wien, am

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Normen
AVG §71 Abs2;
MRK Art46;
MRK Art6 Abs1;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwGG §45 Abs1 Z4;
VwGG §45 Abs2;
VwGG §45;
VwGG §46 Abs3;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2007:2007050208.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
KAAAF-51328