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VwGH 25.03.2015, Ra 2015/13/0007

VwGH 25.03.2015, Ra 2015/13/0007

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssatz


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Normen
AVG §68 Abs7;
AVG §68;
BAO;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
RS 1
Gemäß § 68 Abs. 7 AVG steht auf die Ausübung des der Behörde gemäß den Abs. 2 bis 4 zustehenden Abänderungs- und Behebungsrechts niemandem ein Anspruch zu (vgl. hiezu etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 349/2013, mwN, sowie Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Tz 129 ff unter Hinweis auf die hg. Rechtsprechung; vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2013/01/0057, mwN). Fehlt aber ein Recht auf Wahrnehmung des Aufsichtsrechtes und auf Entscheidung über einen darauf gerichteten Antrag, so könnte durch einen Bescheid, der einen solchen Antrag ablehnt, selbst dann nicht in subjektive öffentliche Rechte der Revisionswerberin eingegriffen werden, wenn § 68 AVG im Abgabenverfahren analog anzuwenden wäre. Die Abweisung eines auf Wahrnehmung des Aufsichtsrechtes gerichteten Antrages begründet somit mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit keine Revisionslegitimation.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas-Hutchinson, über die Revision der Ing. J Gesellschaft m.b.H. in N, vertreten durch Dr. Wolfgang Winkler, Rechtsanwalt in 2630 Ternitz, Hauptstraße 6, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RS/7100131/2014, betreffend Antrag auf Nichtigerklärung der Umsatzsteuerbescheide 1994 und 1995 gemäß § 68 Abs. 4 Z 2 und 4 AVG, den Beschluss

Spruch

gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Die Revisionswerberin (eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung) beantragte mit Schreiben vom an die Bundesministerin für Finanzen, die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1994 und 1995 "gemäß § 68 AVG ersatzlos als nichtig aufzuheben".

Begründend führte die Revisionswerberin im Wesentlichen aus, die Abgabenforderungen seien durch Verfahren zustande gekommen, die seinerzeit unter Verletzung elementarer Rechtsgrundsätze abgeführt worden seien, für deren Behebung die BAO selbst keine Sanierungsmöglichkeit mehr vorsehe. Zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit sei von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts in ständiger Rechtsprechung erkannt worden, dass auch in den Verfahren, für die nicht das AVG gelte, aushilfsweise die im AVG festgelegten Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens ganz allgemein Anwendung zu finden hätten; zu diesen Grundsätzen zähle zweifellos die Möglichkeit der Geltendmachung von Nichtigkeit.

Die Abgabenbehörde - in zweiter Instanz: die Finanzlandesdirektion - habe seinerzeit zur Begründung von erheblichen Umsatzsteuernachforderungen Annahmen getroffen, die unterstellten, dass den bescheidumfassten Umsätzen bloße Scheingeschäfte zugrunde gelegen seien. Zur Begründung, Untermauerung und Aufrechterhaltung einer solchen Annahme bzw. eines solchen Verdachtes seien jedoch - wie sodann näher ausgeführt wurde - durch Beamte bzw. Mitarbeiter der befassten Ämter oder Einrichtungen solche Handlungen gesetzt worden, die dazu geführt hätten, dass die darauf beruhenden Bescheide einen strafgesetzwidrigen Erfolg herbeiführten. Es liege daher der Nichtigkeitsgrund des § 68 Abs. 4 Z 2 AVG vor.

Die Umsatzsteuerbescheide würden aber auch an - ebenfalls näher ausgeführten - Verfahrensfehlern leiden, die nach den Bestimmungen des FinStrG, des StGB und der StPO mit Nichtigkeit bedroht seien (Nichtigkeitsgrund nach § 68 Abs. 4 Z 4 AVG).

Die Bundesministerin für Finanzen antwortete mit Schreiben vom . Im Verfahrensbereich der bundesrechtlich geregelten Abgaben sei ausschließlich die Bundesabgabenordnung anzuwenden. Nur in Fällen, in denen das spezifische Materiengesetz keine eigenen Verfahrensvorschriften enthalte, sei aushilfsweise das AVG anwendbar. Alle antragsgegenständlichen Abgabenverfahren seien mittlerweile rechtskräftig beendet. In der BAO fänden sich keine Rechtsinstrumente zur neuerlichen Aufrollung derartiger rechtskräftig abgeschlossener Abgabenverfahren. Die Bundesministerin sei weder Abgabenbehörde erster oder zweiter Instanz. Es bestehe keine organisatorische, inhaltliche oder rechtliche Zuständigkeit für die Bearbeitung dieses Antrages.

Die Revisionswerberin antwortete mit Schreiben vom und ersuchte um Erlassung eines Bescheides, um die Frage im Rechtsweg klären zu können.

Die Bundesministerin für Finanzen antwortete mit Schreiben vom . Die Erlassung eines verwaltungsbehördlichen Bescheides sei im vorliegenden Zusammenhang nicht vorgesehen, da der Antrag der Revisionswerberin keinerlei gesetzliche Grundlage finde.

Mit Schriftsatz vom erhob die Revisionswerberin Säumnisbeschwerde an das Bundesfinanzgericht. Die Revisionswerberin erachte sich dadurch, dass das Bundesministerium für Finanzen durch über ein Jahr - jedenfalls aber mehr als sechs Monate - über den Antrag auf Nichtigerklärung gemäß § 68 AVG nicht entschieden habe, in ihrem Recht auf Sachentscheidung verletzt.

Das Bundesfinanzgericht trug dem Bundesministerium für Finanzen mit Beschluss vom gemäß § 284 Abs. 2 BAO auf, innerhalb einer Frist von zwei Monaten zu entscheiden und eine Abschrift des Bescheides vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht oder nicht mehr vorliege.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesfinanzgericht den Antrag auf Nichtigerklärung der Umsatzsteuerbescheide 1994 und 1995 gemäß § 68 Abs. 4 Z 2 und Z 4 AVG ab. Das Bundesfinanzgericht erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG als nicht zulässig.

Begründend führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, das Bundesministerium für Finanzen habe innerhalb der gesetzten Frist weder eine Entscheidung getroffen noch angegeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege. Die Zuständigkeit zur Entscheidung sei daher auf das Bundesfinanzgericht übergegangen.

Dass eine grundsätzliche Entscheidungspflicht über den Antrag der Revisionswerberin bestehe, ergebe sich aus §§ 85a sowie 284 Abs. 1 BAO, wonach über Anbringen der Parteien zu entscheiden sei.

Die Bundesabgabenordnung sehe - anders als etwa das VwGVG - eine subsidiäre Anwendbarkeit des AVG nicht vor. Nur in Fällen, in denen das von den Verwaltungsbehörden anzuwendende Verfahrensgesetz keine entsprechenden Regelungen enthalte, sei aushilfsweise das AVG (die Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens) anzuwenden. Das Verwaltungsverfahren in der BAO sei jedoch umfassend geregelt; die BAO sehe auch verschiedene Instrumente zur Durchbrechung der Rechtskraft vor. Es könne daher nicht von einer fehlenden Sanierungsmöglichkeit der BAO im Hinblick auf rechtswidrige Bescheide, die bereits in Rechtskraft erwachsen seien, gesprochen werden.

Der Umstand, dass das AVG nicht für die gesamte Verwaltung verbindlich gemacht worden sei, vielmehr das Abgabenverfahren einer besonderen Regelung vorbehalten geblieben sei, zwinge zu der Annahme, dass es keineswegs rechtswidrig sei, wenn in anderen Verfahren auch andere Regelungen hinsichtlich der Rechtskraft und deren Durchbrechung vorgesehen würden. Es werde darauf ankommen, ob in diesem anderen Verfahren den Postulaten nach Rechtssicherheit oder nach Gesetzmäßigkeit das gleiche oder ein anderes Gewicht zugemessen werden solle.

Mangels Anwendbarkeit des AVG im Abgabenverfahren sei der Antrag der Revisionswerberin auf Nichtigerklärung der Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1994 und 1995, welcher sich auf § 68 AVG stütze, abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die außerordentliche Revision.

Die Revisionswerberin erachtet sich erkennbar im Recht darauf verletzt, dass die Umsatzsteuerbescheide 1994 und 1995 in analoger Anwendung des § 68 AVG ersatzlos als nichtig aufgehoben werden.

Die Revision ist nicht zulässig:

Gemäß § 68 Abs. 4 AVG können Bescheide von Amts wegen in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde als nichtig erklärt werden, wenn der Bescheid (u.a.) einen strafgesetzwidrigen Erfolg herbeiführen würde (Z 2) oder an einem durch gesetzliche Vorschrift ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leidet (Z 4). Gemäß § 68 Abs. 7 AVG steht auf die Ausübung des der Behörde gemäß den Abs. 2 bis 4 zustehenden Abänderungs- und Behebungsrechts aber niemandem ein Anspruch zu (vgl. hiezu etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 349/2013, mwN, sowie Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Tz 129 ff unter Hinweis auf die hg. Rechtsprechung; vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2013/01/0057, mwN).

Fehlt aber ein Recht auf Wahrnehmung des Aufsichtsrechtes und auf Entscheidung über einen darauf gerichteten Antrag, so könnte durch einen Bescheid, der einen solchen Antrag ablehnt, selbst dann nicht in subjektive öffentliche Rechte der Revisionswerberin eingegriffen werden, wenn § 68 AVG im Abgabenverfahren analog anzuwenden wäre. Die Abweisung eines auf Wahrnehmung des Aufsichtsrechtes gerichteten Antrages begründet somit mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit keine Revisionslegitimation.

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat als unzulässig zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §68 Abs7;
AVG §68;
BAO;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von
Gesetzeslücken VwRallg3/2/3
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2015:RA2015130007.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
VAAAF-50481