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VwGH 14.04.2016, Ra 2015/06/0042

VwGH 14.04.2016, Ra 2015/06/0042

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
MRK Art7 Abs1;
VStG §1 Abs2;
VStG §31 Abs2 idF 1977/101;
VStG §31 Abs3 Satz1 idF 1984/299 ;
VStG §31 Abs3 Satz2 idF 1984/299;
VwRallg;
RS 1
Der Verwaltungsgerichthof hat sowohl im Zusammenhang mit der Verlängerung der Verjährungsfrist des § 31 Abs 2 VStG durch die Novelle, BGBl 1977/101, als auch im Zusammenhang mit der Hinzufügung eines zweiten Satzes im § 31 Abs 3 VStG (über die Nichteinrechnung der Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof oder dem Verwaltungsgerichtshof) durch die Novelle BGBl 1984/299 die Auffassung vertreten, daß einer Anwendung der geänderten Verjährungsbestimmung auf vor dem Inkrafttreten der jeweiligen Novelle begangene Straftaten die Bestimmung des § 1 Abs 2 VStG nicht entgegensteht, zumal sich diese nur auf die Strafe bezieht, nicht aber auf Verjährungsregelungen. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten Bestimmung darf nur noch nicht die (Vollstreckungs-)Verjährung eingetreten sein. Ein allgemeines, die Verjährungsbestimmungen erfassendes Günstigkeitsprinzip läßt sich auch aus Art 7 Abs 1 MRK nicht ableiten (Hinweis E VS , 86/02/0171, VwSlg 12570/A/1987;

E , VfSlg 11212).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 89/02/0120 E RS 2
Normen
MRK Art7 Abs1;
VStG §1 Abs2;
VStG §31 Abs1 idF 2013/I/033;
VStG §31;
RS 2
§ 1 Abs. 2 VStG steht einer Anwendung einer geänderten Verjährungsbestimmung auf vor dem Inkrafttreten der jeweiligen Novelle begangene Straftaten nicht entgegen, sofern zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten Bestimmung Verjährung noch nicht eingetreten war. Ein allgemeines, die Verjährungsbestimmungen erfassendes Günstigkeitsprinzip lässt sich auch aus Art. 7 Abs. 1 EMRK nicht ableiten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/02/0120, mwN).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2015/08/0016 E RS 1

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Revision der *****, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-PL-13-0285, betreffend Übertretung des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft S), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft S (BH) vom wurde über die Revisionswerberin wegen Übertretung des § 20 Abs. 1 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 (BStMG) gemäß § 20 Abs. 1 BStMG eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 33 Stunden) verhängt.

Der Revisionswerberin wurde zur Last gelegt, sie habe am als Lenkerin eines näher genannten Personenkraftwagen im Gemeindegebiet P auf der Autobahn A1 den Mautabschnitt, Richtungsfahrbahn Staatsgrenze W, benützt, ohne die zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, weil keine gültige Mautvignette auf der Windschutzscheibe angebracht gewesen sei.

2 Die dagegen von der Revisionswerberin erhobene, als Beschwerde zu behandelnde Berufung wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (LVwG) vom als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen das Erkenntnis des LVwG eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 In der Revision wird zu deren Zulässigkeit vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis hänge von der Rechtsfrage ab, ob die Verlängerung der Verfolgungsverjährungsfrist auch den Lauf der bereits begonnenen Verfolgungsverjährung verlängere. Da die Verlängerung der Verfolgungsverjährungsfrist erst mit in Kraft getreten sei, fehle es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

8 Mit diesen Ausführungen wird die mit der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 erfolgte und am in Kraft getretene Verlängerung der Verfolgungsverjährungsfrist gemäß § 31 VStG angesprochen.

9 § 31 Abs. 1 und 2 VStG in der bis geltenden

Fassung

10 BGBl. I Nr. 20/2009 lautet:

"§ 31. (1) Die Verfolgung einer Person ist unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2 und 3) vorgenommen worden ist.

(2) Die Verjährungsfrist beträgt sechs Monate. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt."

11 § 31 Abs. 1 VStG in der ab geltenden Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 lautet:

"§ 31. (1) Die Verfolgung einer Person ist unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2) vorgenommen worden ist. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt."

12 Gemäß § 1 Abs. 2 VStG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, dass das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger wäre.

13 Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass die erste Verfolgungshandlung gegen die Revisionswerberin mit Aufforderung der BH zur Rechtfertigung vom , somit mehr als sechs Monate nach der der Revisionswerberin angelasteten Tathandlung vom , erfolgte. Hingegen war im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 (), mit der die Verfolgungsverjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 1 VStG auf ein Jahr verlängert wurde, die bis geltende sechsmonatige Verfolgungsverjährungsfrist noch nicht abgelaufen.

14 Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (2009 der Beilagen XXIV. GP) zur Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 gehen auf die Frage, ob sich die Verfolgungsverjährungsfrist in jenen Fällen, in denen die Verjährungsfrist nach der bisherigen Rechtslage nach dem Ablauf des enden würde, um weitere sechs Monate verlängert, nicht ein. Auch eine darauf bezugnehmende gesetzliche Übergangsbestimmung fehlt.

15 Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof sowohl im Zusammenhang mit der Verlängerung der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 2 VStG durch die Novelle BGBl. Nr. 101/1977 als auch im Zusammenhang mit der Hinzufügung eines zweiten Satzes im § 31 Abs. 3 VStG (über die Nichteinrechnung der Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof oder dem Verwaltungsgerichtshof) durch die Novelle BGBl. Nr. 299/1984 die Auffassung vertreten, dass einer Anwendung der geänderten Verjährungsbestimmung auf vor dem Inkrafttreten der jeweiligen Novelle begangene Straftaten die Bestimmung des § 1 Abs. 2 VStG nicht entgegensteht, zumal sich diese nur auf die Strafe bezieht, nicht aber auf Verjährungsregelungen. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten Bestimmung darf nur noch nicht die (Vollstreckungs-)Verjährung eingetreten sein. Er hat ferner judiziert, dass sich ein allgemeines, die Verjährungsbestimmungen erfassendes "Günstigkeitsprinzip" auch aus Art. 7 Abs. 1 EMRK nicht ableiten lässt (vgl. dazu die Ausführungen in dem den Einwand der Vollstreckungsverjährung betreffenden Erkenntnis vom , Zl. 89/02/0120, mit den Hinweisen auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 12.570/A, und auf die Vorjudikatur, sowie auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. Nr. 11212).

16 In dem zuletzt zitierten Erkenntnis erblickte der Verfassungsgerichtshof keinen Widerspruch der Bestimmung des § 31 Abs. 3 VStG in der Fassung BGBl. Nr. 299/1984 zu Art. 7 Abs. 1 EMRK. Diese - in Verfassungsrang stehende - Bestimmung beziehe sich auf das Verbot rückwirkender Strafbestimmungen und rückwirkender Strafverschärfungen, nicht aber auf Vorschriften über Verjährungsfristen. Art. 7 Abs. 1 EMRK stelle für den Bereich des Verwaltungsstrafrechtes die explizite verfassungsrechtliche Garantie dessen dar, was einfachgesetzlich in § 1 VStG enthalten sei.

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat überdies auch bereits für die Rechtslage nach Inkrafttreten der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 bekräftigt, dass § 1 Abs. 2 VStG einer Anwendung einer geänderten Verjährungsbestimmung auf vor dem Inkrafttreten der jeweiligen Novelle begangene Straftaten nicht entgegensteht, sofern zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten Bestimmung Verjährung noch nicht eingetreten war, und dass sich ein allgemeines, die Verjährungsbestimmungen erfassendes Günstigkeitsprinzip auch aus Art. 7 Abs. 1 EMRK nicht ableiten lässt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. Ra 2015/08/0016, 0017, mwN, in dem eine Strafbarkeitsverjährung zu beurteilen war, jedoch auch die hier maßgebliche Rechtsfrage beantwortet wurde; vgl. ferner zur Judikatur, wonach die Frage, ob eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen ist, u.a. den Beschluss vom , Zl. Ra 2015/06/0014, mwN).

18 Das LVwG ist im angefochtenen Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

19 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am

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Normen
MRK Art7 Abs1;
VStG §1 Abs2;
VStG §31 Abs1 idF 2013/I/033;
VStG §31 Abs2 idF 1977/101;
VStG §31 Abs3 Satz1 idF 1984/299 ;
VStG §31 Abs3 Satz2 idF 1984/299;
VStG §31;
VwRallg;
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015060042.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
IAAAF-50335