VwGH 29.04.2014, Fr 2014/16/0001
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Norm | VwRallg; |
RS 1 | Nach der ständigen hg. Rechtsprechung zum Schutz rechtsunkundiger Parteien im Verwaltungsverfahren schadet die falsche Bezeichnung eines Schriftsatzes nicht und ist für die Beurteilung des Charakters einer Eingabe ihr wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen lässt, und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2011/16/0004, und vom , 2011/16/0200). |
Normen | B-VG Art132; B-VG Art133 Abs1 Z2 idF 2012/I/051; VwGG §24 Abs1 idF 2013/I/033; VwGG §27 Abs1; VwGG §38 idF 2013/I/033; VwRallg; |
RS 2 | Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet mit Ablauf des auf Grund der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51, nicht mehr über Säumnisbeschwerden und ab ist beim Verwaltungsgerichtshof das Einbringen von Säumnisbeschwerden nicht mehr vorgesehen. Im vorliegenden Fall riefe die Bezeichnung eines Schriftsatzes als Säumnisbeschwerde durch einen rechtsunkundigen Einschreiter allein noch nicht die Unzulässigkeit des Begehrens der Beschwerdeführerin hervor. Allerdings ist aus dem Gesamtbild des von einem Rechtsanwalt eingebrachten Schriftsatzes und seinem Inhalt, nämlich der Bezeichnung als Säumnisbeschwerde, der Bezeichnung des unabhängigen Finanzsenates als belangte Behörde und dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache entscheiden, eindeutig zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin eine Säumnisbeschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof erheben wollte, wie sie - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - bis zum Ablauf des noch zulässig gewesen wäre. Auf Grund dieser unmissverständlichen Gestaltung kommt ein Umdeuten des Schriftsatzes in einen Fristsetzungsantrag - der beim Verwaltungsgericht einzubringen gewesen wäre - nicht in Betracht. |
Norm | |
RS 3 | Die nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin mit Ablauf des beim unabhängigen Finanzsenat noch unerledigte Berufung der Beschwerdeführerin ist gemäß § 323 Abs. 38 BAO vom Bundesfinanzgericht als Beschwerde im Sinn des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen. Dergestalt bestünde aber noch keine Säumnis des Bundesfinanzgerichtes, für welches die Frist für die Entscheidung erst mit zu laufen begonnen hat. |
Entscheidungstext
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Fr 2014/15/0002 B
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, in der Beschwerdesache der M, vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in 8650 Kindberg, Hauptstraße 7, gegen den unabhängigen Finanzsenat wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit der Gewährung der Familienbeihilfe den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin brachte beim Verwaltungsgerichtshof einen Schriftsatz vom ein, den sie als "Säumnisbeschwerde" bezeichnete, auf welchem sie als belangte Behörde "Unabhängiger Finanzsenat Graz" anführte und in dem sie an den Verwaltungsgerichtshof den Antrag stellte, der Verwaltungsgerichtshof möge "in Stattgebung meiner Säumnisbeschwerde über die Gewährung der Familienbeihilfe/Ausgleichszulage selbst entscheiden, in eventu den unabhängigen Finanzsenat eine Nachfrist in Höhe von maximal 8 Wochen erteilen, in der dieser die Entscheidung zu treffen hat".
Im Schriftsatz bringt die Beschwerdeführerin vor, dass sie am einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für ihre Tochter gestellt habe, den das Finanzamt Bruck Leoben Mürzzuschlag mit Bescheid vom abgewiesen habe. Dagegen habe sie am eine Berufung an den unabhängigen Finanzsenat eingebracht. Dem Schriftsatz legte die Beschwerdeführerin eine Ablichtung der Verständigung über die Vorlage der Berufung an den unabhängigen Finanzsenat vom bei.
Da der unabhängige Finanzsenat über diese Berufung seit mehr als sechs Monaten nicht entschieden habe, erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Sachentscheidung verletzt.
Durch Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG wurde u.a. der unabhängige Finanzsenat mit aufgelöst. Die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des bei den aufgelösten Behörden anhängigen Verfahren ging auf Verwaltungsgerichte über.
Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 9 B-VG traten in dem beim Verwaltungsgerichtshof und beim Verfassungsgerichtshof mit Ablauf des anhängigen Verfahren die Verwaltungsgerichte an die Stelle der unabhängigen Verwaltungsbehörden, wozu auch der unabhängige Finanzsenate zählte.
Nach der ständigen hg. Rechtsprechung führt die Bezeichnung einer Behörde, welche die Entscheidungspflicht nicht trifft, deren Verletzung mit der Säumnisbeschwerde geltend gemacht wird, zur Zurückweisung der Säumnisbeschwerde (vgl. die Beschlüsse vom , 2010/16/0208, vom , 2009/16/0174, und vom , 2008/16/0116, sowie betreffend die Bezeichnung "Finanzlandesdirektion" als belangte Behörde, nachdem durch das AbgRmRefG die Zuständigkeit zur Erledigung von Berufungen auf den unabhängigen Finanzsenat übergegangen war, den Beschluss vom , 2007/13/0074). Eine Säumnisbeschwerde, welche als belangte Behörde den aufgelösten unabhängigen Finanzsenat anführt, wäre daher bereits deshalb als unzulässig zurückzuweisen.
Gemäß Art. 133 Abs. 1 B-VG erkennt der Verwaltungsgerichtshof über
"1. Revisionen gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit;
2. Anträge auf Fristsetzung wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch ein Verwaltungsgericht;
3. Kompetenzkonflikte zwischen Verwaltungsgerichten oder zwischen einem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof."
Gemäß § 28 Abs. 5 BFGG iVm § 5 Abs. 1 VwGbk-ÜG gelten die beim Verwaltungsgerichtshof mit Ablauf des anhängigen Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch den unabhängigen Finanzsenat als Verfahren über einen Fristsetzungsantrag.
Gemäß § 38 Abs. 1 VwGG kann ein Fristsetzungsantrag erst gestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtssache nicht binnen sechs Monaten, wenn aber durch Bundes- oder Landesgesetz eine kürzere oder längere Frist bestimmt ist, nicht binnen dieser entschieden hat. Der Fristsetzungsantrag hat gemäß § 38 Abs. 3 Z 1 VwGG die Bezeichnung des Verwaltungsgerichtes zu enthalten, dessen Entscheidung in der Rechtssache begehrt wird..
Ist das Verwaltungsgericht seiner Entscheidungspflicht entgegen einem vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 38 Abs. 4 VwGG erteilten Auftrag nicht nachgekommen, so hat ihm der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42a VwGG aufzutragen, das Erkenntnis oder den Beschluss innerhalb einer von ihm festzusetzenden angemessenen Frist nachzuholen.
Fristsetzungsanträge sind gemäß § 24 Abs. 1 VwGG beim Verwaltungsgericht einzubringen.
Nach der ständigen hg. Rechtsprechung zum Schutz rechtsunkundiger Parteien im Verwaltungsverfahren schadet die falsche Bezeichnung eines Schriftsatzes nicht und ist für die Beurteilung des Charakters einer Eingabe ihr wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen lässt, und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2011/16/0004, und vom , 2011/16/0200).
Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet mit Ablauf des auf Grund der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51, nicht mehr über Säumnisbeschwerden und ab ist beim Verwaltungsgerichtshof das Einbringen von Säumnisbeschwerden nicht mehr vorgesehen. Im vorliegenden Fall riefe die Bezeichnung eines Schriftsatzes als Säumnisbeschwerde durch einen rechtsunkundigen Einschreiter allein noch nicht die Unzulässigkeit des Begehrens der Beschwerdeführerin hervor. Allerdings ist aus dem Gesamtbild des von einem Rechtsanwalt eingebrachten Schriftsatzes und seinem Inhalt, nämlich der Bezeichnung als Säumnisbeschwerde, der Bezeichnung des unabhängigen Finanzsenates als belangte Behörde und dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache entscheiden, eindeutig zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin eine Säumnisbeschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof erheben wollte, wie sie - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - bis zum Ablauf des noch zulässig gewesen wäre.
Auf Grund dieser unmissverständlichen Gestaltung kommt ein Umdeuten des Schriftsatzes in einen Fristsetzungsantrag - der beim Verwaltungsgericht einzubringen gewesen wäre - nicht in Betracht.
Im Übrigen ist anzumerken, dass die nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin mit Ablauf des beim unabhängigen Finanzsenat noch unerledigte Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 323 Abs. 38 BAO vom Bundesfinanzgericht als Beschwerde im Sinn des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen ist. Dergestalt bestünde aber noch keine Säumnis des Bundesfinanzgerichtes, für welche die Frist für die Entscheidung erst mit zu laufen begonnen hat.
Würde der in Rede stehende Schriftsatz einen Fristsetzungsantrag darstellen, wäre er daher beim Bundesfinanzgericht einzubringen gewesen und dann von diesem zurückzuweisen.
Die "Säumnisbeschwerde" war daher als unzulässig zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | BAO §323 Abs38; B-VG Art132; B-VG Art133 Abs1 Z2 idF 2012/I/051; VwGG §24 Abs1 idF 2013/I/033; VwGG §27 Abs1; VwGG §38 idF 2013/I/033; VwRallg; |
Schlagworte | Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2014:FR2014160001.F00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
IAAAF-49983