VwGH 28.03.2014, 2012/16/0119
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | 12010E267 AEUV Art267; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art10; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art22 Abs3; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art6 Abs1; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art7 Abs1; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art7 Abs2 idF 31992L0108; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art7 Abs6; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art9 Abs1; 31992L0108 System-RL ; 32008L0118 Verbrauchsteuer-SystemRL Art33 Abs1; 61995CJ0296 The Queen / Commissioners of Customs and Excise VORAB; 62002CJ0292 Meiland Azewijn VORAB; 62005CJ0005 Joustra VORAB; 62006CJ0374 BATIG VORAB; 62008CC0230 Dansk Transport og Logistik Schlussantrag; 62008CJ0230 Dansk Transport og Logistik VORAB; 62011CJ0663 Scandic Distilleries VORAB; 62012CJ0613 Helm Düngemittel VORAB; TabStG 1995 §27 Abs1; TabStG 1995 §27 Abs2; VwGG §38b; |
RS 1 | Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Sind Artikel 7 Absatz 1 und 2 und Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ABlEG Nr. L 76 vom , in der Fassung der Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom , ABlEG Nr. L 390 vom , dahin auszulegen, dass sie nationalen Vorschriften entgegenstehen, wonach eine Verbrauchsteuer (Tabaksteuer) für verbrauchsteuerpflichtige Waren (Zigaretten), die in einem (ersten) Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden waren und ohne Verwendung eines Begleitdokumentes nach Artikel 7 Absatz 4 dieser Richtlinie am Landweg durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten (Durchfuhrmitgliedstaaten) in einen weiteren Mitgliedstaat (Bestimmungsmitgliedstaat) befördert wurden, um im Bestimmungsmitgliedstaat verkauft zu werden, auch im Durchfuhrmitgliedstaat erhoben wird? |
Entscheidungstext
Beachte
Vorabentscheidungsverfahren:
* EU-Register: EU 2014/0003
* EuGH-Zahl: C-175/14
* EuGH-Entscheidung:
EuGH 62014CJ0175 B
* Enderledigung des gegenständlichen Ausgangsverfahrens im
fortgesetzten Verfahren:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma, die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, in der Beschwerdesache des P in B, vertreten durch Mag. Hannes Huber und Dr. Georg Lugert, Rechtsanwälte in 3390 Melk, Bahnhofstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates vom , Zl. ZRV/0448-W/11, betreffend Tabaksteuer, den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind Artikel 7 Absatz 1 und 2 und Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ABlEG Nr. L 76 vom , in der Fassung der Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom , ABlEG Nr. L 390 vom , dahin auszulegen, dass sie nationalen Vorschriften entgegenstehen, wonach eine Verbrauchsteuer (Tabaksteuer) für verbrauchsteuerpflichtige Waren (Zigaretten), die in einem (ersten) Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden waren und ohne Verwendung eines Begleitdokumentes nach Artikel 7 Absatz 4 dieser Richtlinie am Landweg durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten (Durchfuhrmitgliedstaaten) in einen weiteren Mitgliedstaat (Bestimmungsmitgliedstaat) befördert wurden, um im Bestimmungsmitgliedstaat verkauft zu werden, auch im Durchfuhrmitgliedstaat erhoben wird ?
Begründung
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer hat als LKW-Fahrer im Zeitraum zwischen Ende April 2005 und insgesamt 12.650.000 Stück Zigaretten, die von Unbekannten in das Zollgebiet der Europäischen Union geschmuggelt worden waren, auf Veranlassung des in Österreich ansässigen K-H S in Ungarn in den von ihm gelenkten LKW übernommen und bei fünf Fahrten als heimliche und undeklarierte Beifracht zu der in Frachtpapieren als Gesamtladung ausgewiesenen jeweiligen Tarnladung (Tapeten oder Kekse) von Ungarn über Österreich in das Vereinigte Königreich verbracht. Dort wurden die Zigaretten in vier Fällen von Unbekannten vom LKW abgeladen und in einem Fall von den britischen Behörden beschlagnahmt.
Das Zollamt Wien setzte mit Bescheid vom gegenüber dem Beschwerdeführer deshalb Tabaksteuer in Höhe von
1.249.820 EUR fest. Der Beschwerdeführer habe diese Zigaretten bezogen und nach Österreich verbracht.
Im anschließenden Rechtsmittelverfahren brachte der Beschwerdeführer vor, er sei von K-H S, dem Vater seiner damaligen Lebensgefährtin, dafür angeworben worden, Zigaretten (illegal) im Rahmen seiner Tätigkeit als LKW-Fahrer von Ungarn nach England zu transportieren. K-H S sei in der Hierarchie der Organisation des weit angelegten Zigarettenschmuggels wesentlich höher gestellt als er, der in der Kette selbst das letzte Glied gewesen sei und die Fahrten selbst durchgeführt habe. Er habe weder Informationen über die Menge der in "seinem LKW" verstauten Zigaretten gehabt noch seien ihm diesbezüglich Vertriebskonzepte bekannt gewesen. Unbestritten habe er lediglich in den fünf genannten Fällen zwischen April und Oktober 2005 einen LKW gelenkt, der mit den in Rede stehenden Zigaretten beladen gewesen sei, und sei mit dem beladenen LKW von Ungarn durch Österreich bis nach England gefahren. In England seien die Zigaretten dann von ihm unbekannten dritten Personen abgeladen worden. Sein "Auftrag" sei damit erledigt gewesen. Er sei als einfacher Lenker des LKW nicht wirtschaftlich verfügungsberechtigt über diese Zigaretten und deshalb nicht Bezieher dieser Zigaretten im Sinne des § 27 des (österreichischen) Tabaksteuergesetzes gewesen und habe sie in Österreich auch nicht in Verkehr gebracht. Im Übrigen sei die ledigliche "Durchfuhr" der Tabakwaren durch Österreich mit dem Zielland England von der Bestimmung des § 27 des Tabaksteuergesetzes nicht umfasst.
Der unabhängige Finanzsenat bestätigte mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid die Festsetzung der Tabaksteuer in der angeführten Höhe und stützte sich auf § 27 Abs. 2 des Tabaksteuergesetzes. Der Beschwerdeführer sei zwar nicht Bezieher der Zigaretten gewesen, habe aber über die vorschriftswidrigen Transporte gewusst und für die Transporte im Erfolgsfalle auch ein Entgelt erhalten. Der Beschwerdeführer habe als Lenker des jeweiligen LKW, mit dem die Zigaretten zu gewerblichen Zwecken über Österreich nach Großbritannien transportiert worden seien, erstmals im Steuergebiet (Österreich) Gewahrsam über diese Tabakwaren gehabt.
Unionsrecht:
Artikel 7 Absatz 1 und 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ABlEG Nr. L 76 vom , in der Fassung der Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom , ABlEG Nr. L 390 vom , lautet:
"Artikel 7
(1) Befinden sich verbrauchsteuerpflichtige Waren, die in einem Mitgliedstaat bereits in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat, so werden die Verbrauchsteuern in dem Mitgliedstaat erhoben, in dem sich die Waren befinden.
(2) Werden Waren, die bereits in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr gemäß Artikel 6 übergeführt worden sind, innerhalb eines anderen Mitgliedstaats geliefert oder zur Lieferung innerhalb eines anderen Mitgliedstaats bestimmt oder für den Bedarf eines Wirtschaftsbeteiligten, der eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, oder einer öffentlichrechtlichen Einrichtung bereitgestellt, so entsteht der Verbrauchsteueranspruch unbeschadet des Artikels 6 in diesem anderen Mitgliedstaat."
Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 92/12/EWG lautet:
"Artikel 9
(1) Unbeschadet der Artikel 6, 7 und 8 entsteht die Verbrauchsteuer, wenn die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführten Waren zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten werden.
In diesem Fall wird die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat geschuldet, auf dessen Gebiet sich die Waren befinden, und von der Person, in deren Besitz sie sich befinden."
Artikel 33 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG, ABlEU Nr. L 9 vom , lautet:
"Artikel 33
(1) Unbeschadet des Artikels 36 Absatz 1 unterliegen verbrauchsteuerpflichtige Waren, die in einem Mitgliedstaat bereits in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt worden sind, sofern sie zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten und dort zur Lieferung oder Verwendung vorgesehen sind, der Verbrauchsteuer, die in diesem anderen Mitgliedstaat erhoben wird."
Nationale (österreichische) Rechtsvorschriften:
§ 27 Abs. 1 und 2 des Tabaksteuergesetzes 1995 in der Stammfassung (TabStG) lautet samt Überschrift:
"Bezug zu gewerblichen Zwecken
§ 27. (1) Werden Tabakwaren aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates zu gewerblichen Zwecken bezogen, entsteht die Steuerschuld dadurch, daß der Bezieher
die Tabakwaren im Steuergebiet in Empfang nimmt oder
die außerhalb des Steuergebietes in Empfang genommenen Tabakwaren in das Steuergebiet verbringt oder verbringen läßt.
Steuerschuldner ist der Bezieher. Der Bezug durch eine Einrichtung des öffentlichen Rechts steht dem Bezug zu gewerblichen Zwecken gleich.
(2) Werden Tabakwaren aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates in anderen als den in Abs. 1 genannten Fällen in das Steuergebiet verbracht, entsteht die Steuerschuld dadurch, dass sie erstmals im Steuergebiet zu gewerblichen Zwecken in Gewahrsame gehalten oder verwendet werden. Steuerschuldner ist, wer sie in Gewahrsame hält oder verwendet."
Erläuterungen zur Vorlagefrage:
Im Beschwerdefall sind gemäß § 79 Abs. 11 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden. An die Stelle des mit aufgelösten unabhängigen Finanzsenates ist gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 9 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) das Bundesfinanzgericht getreten.
Da sich der dem Beschwerdefall zu Grunde liegende Sachverhalt im Jahr 2005 ereignet hatte, sind im Beschwerdefall einerseits noch die Richtlinie 92/12/EWG des Rates und andererseits § 27 Abs. 1 und 2 des Tabaksteuergesetzes 1995 noch in der Stammfassung (TabStG) anzuwenden.
Nach der insoweit übereinstimmenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom , 2009/16/0072) und des Obersten Gerichtshofes (Urteile vom , 13 Os 27/09h, und vom , 13 Os 83/11x) ist der Tatbestand des § 27 Abs. 2 TabStG gegenüber jenem des § 27 Abs. 1 leg. cit. subsidiär.
Die Erfüllung des Tatbestandes nach § 27 Abs. 2 TabStG setzt sohin voraus, dass der Tatbestand des § 27 Abs. 1 leg. cit. nicht erfüllt ist. § 27 Abs. 2 TabStG ist sohin etwa dann erfüllt, wenn keine Person Tabakwaren aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates zu gewerblichen Zwecken bezogen hat. Dies ist beispielsweise dann gegeben, wenn sich die Zweckbestimmung von Tabakwaren, die zunächst nicht für gewerbliche Zwecke in das Steuergebiet verbracht wurden, nach deren Verbringen ändert (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2005/16/0077).
Nach dem Wortlaut des § 27 TabStG wäre dies aber auch dann der Fall, wenn - wie im vorliegenden Beschwerdefall nach der unbestrittenen Sachverhaltsannahme des unabhängigen Finanzsenates -
Tabakwaren zu gewerblichen Zwecken aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates (im Beschwerdefall: Ungarn) mit einem Beförderungsmittel (im Beschwerdefall: LKW) durch Österreich über weitere Mitgliedstaaten in einen anderen Mitgliedstaat (im Beschwerdefall: in das Vereinigte Königreich) befördert werden. Denn in diesem Fall werden Tabakwaren zwar nicht in Österreich bezogen (§ 27 Abs. 1 TabStG), jedoch nach Österreich verbracht und erstmals in Österreich zu gewerblichen Zwecken in Gewahrsam gehalten (§ 27 Abs. 2 TabStG).
Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren bereits die Ansicht vertreten, die ledigliche Durchfuhr der Tabakwaren durch Österreich mit dem Zielland England sei von der Bestimmung des § 27 des Tabaksteuergesetzes nicht umfasst
Die vom unabhängigen Finanzsenat herangezogene Bestimmung des § 27 TabStG soll die unionsrechtliche Bestimmung des Artikels 7 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates umsetzen.
Der Verwaltungsgerichtshof hegt die Bedenken, dass dem Ergebnis, zu dem der unabhängige Finanzsenat auf Grund der nationalen Gesetzgebung gelangte, die Bestimmungen der Richtlinie 92/12/EWG, insbesondere deren Artikel 7 nicht entgegenstehen.
Im Beschwerdefall ist davon auszugehen, dass die in Rede stehenden (Schmuggel-)Zigaretten in Ungarn in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden waren, dies nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 92/12/EWG, allenfalls nach
Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a oder b dieser Richtlinie.
Im Zuge der Beförderung der Zigaretten am Landweg von Ungarn in das Vereinigte Königreich befanden sich die Zigaretten unstrittig (zeitweise) in Österreich. Da es sich um einen Transport im Rahmen einer geschäftsmäßigen Verbringung großer Mengen unversteuerter Zigaretten in das Vereinigte Königreich (wohl um letztlich dort am Schwarzmarkt verkauft zu werden) handelte und der Beschwerdeführer dafür - seinen Angaben im Verwaltungsverfahren zu Folge - ein Entgelt erhalten hatte (für die fünfte Fahrt: hätte erhalten sollen), geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass sich die Zigaretten in Österreich auch "zu gewerblichen Zwecken" befunden haben.
Dieses Ergebnis, dass die Verbrauchsteuer in solchen Beförderungsfällen im Durchfuhrmitgliedstaat erhoben wird (auch wenn sie nach Entrichtung im Bestimmungsmitgliedstaat dann gemäß
Artikel 22 Absatz 3 der Richtlinie 92/12/EWG gegebenenfalls wieder erstattet werden müsste; vgl. dazu auch das (Scandic Destilleries SA), Rn 35) scheint dem der Richtlinie 92/12/EWG ersichtlich innewohnenden System zu widersprechen, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren, die zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden, im Bestimmungsmitgliedstaat zu versteuern sind.
Der EuGH hat zwar im Urteil vom in der Rs. C-374/06 (BATIG Gesellschaft für Beteiligungen mbH), Rn 55, ausgesprochen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht zu einem absoluten Grundsatz erhoben hat. Allerdings sieht der Verwaltungsgerichtshof dies vor dem Hintergrund des jenem Verfahren zu Grunde liegenden Sachverhaltes, dass in einem Mitgliedstaat die verbrauchsteuerpflichtigen Waren (widerrechtlich) in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden waren und dabei bereits die Steuerzeichen eines anderen Mitgliedstaates trugen.
Die im vorliegenden Fall gegebene Sachverhaltsgestaltung der Gewahrsame (zu gewerblichen Zwecken) bei der Durchfuhr durch einen Mitgliedstaat könnte auch zu einer mehrfachen, nicht nur zweifachen Erhebung der Verbrauchsteuer führen, nämlich abgesehen von der Erhebung zunächst im Mitgliedstaat der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr und der Erhebung im Bestimmungsmitgliedstaat nämlich in jedem Mitgliedstaat der Durchfuhr.
Eine denkmögliche Auslegung zur Vermeidung dieses Ergebnisses bestünde im Beschwerdefall darin, die Wortfolge "Befinden sich Waren … in einem Mitgliedstaat" und "in dem sie sich befinden" in Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates (in der
englischen Fassung: "being held" und "in which ... are held"; in
der französischen Fassung: "sont detenus") dahin auszulegen, dass die Erhebung der Verbrauchsteuern nicht nur dort, sondern auch dann erfolgt, wenn sich die verbrauchsteuerpflichtigen Waren in diesem Mitgliedstaat befinden. Werden solche Waren demnach durch einen Mitgliedstaat befördert, erlischt der Anspruch dieses Mitgliedstaates auf Erhebung der Verbrauchsteuer, wenn die Waren den Mitgliedstaat nach der Durchfuhr wieder verlassen haben. Es entsteht der Anspruch des nächsten Mitgliedstaates auf der Beförderungsstrecke, in dem sich die Waren dann befinden, bis sie schließlich im Bestimmungsmitgliedstaat angelangt sind.
Eine solche Auslegung der Bestimmung, wo sich Waren befinden, lässt sich etwa dem (Helm Düngemittel GmbH), Rn 29, 30 und 39 entnehmen, in welchem der EuGH die für die Ausstellung einer Ersatz-Warenverkehrsbescheinigung festgelegte Voraussetzung des Art. 20 des Protokolls Nr. 4 des in jener Rechtssache maßgeblichen Europa-Mittelmeer-Abkommens, dass sich Waren unter der Überwachung einer Zollstelle befinden, nach Verlassen des betreffenden Mitgliedstaates als nicht mehr gegeben angesehen hat.
Eine weitere denkmögliche Auslegung zur Vermeidung dieses Ergebnisses bestünde im Beschwerdefall darin, Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates als die gegenüber Artikel 7 Absatz 1 und Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie speziellere Regelung anzusehen. Diesfalls wären die in Rede stehenden Zigaretten, die bereits in einem Mitgliedstaat (im Beschwerdefall: Ungarn) in den steuerrechtlich freien Verkehr gemäß Artikel 6 übergeführt worden sind, als zur Lieferung innerhalb eines anderen Mitgliedstaates (im Beschwerdefall: des Vereinigten Königreiches) bestimmt, weshalb der Verbrauchsteueranspruch in diesem Mitgliedstaat (im Vereinigten Königreich) entsteht und nicht im Mitgliedstaat (Durchfuhrmitgliedstaat), in dem sich die Waren (gerade) vorübergehend befinden.
Dies könnte der Aussage des EuGH in seinem Urteil vom in der Rs. C-296/95 (EMU Tabac SARL, The Man in Black Ltd, John Cunningham), Rn 51, entnommen werden, wonach
Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates klarstellt, dass in diesem Rahmen (wenn sich Waren zu gewerblichen Zwecken in einem Mitgliedstaat befinden) dann, wenn diese Waren innerhalb eines anderen Mitgliedstaats geliefert oder zur Lieferung innerhalb eines anderen Mitgliedstaats bestimmt sind, der Verbrauchsteueranspruch in diesem anderen Mitgliedstaat entsteht.
Der EuGH hat bereits im erwähnten Urteil vom in der Rs. C-296/95 (EMU Tabac SARL, The Man in Black Ltd, John Cunningham), Rn 42, und dann im Urteil vom in der Rs. C-5/05 (B.F. Joustra), Rn 30, bemerkt, dass zwar nach Art. 6 der Richtline (92/12/EWG des Rates) die Verbrauchsteuer mit der Überführung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr in einem Mitgliedstaat entsteht, dies jedoch nicht ausschließt, dass die Verbrauchsteuern gemäß den Artikeln 7, 9 oder 10 anschließend in einem andern Mitgliedstaat erhoben werden, wobei die gegebenenfalls im ersten Mitgliedstaat entrichteten Verbrauchsteuern dann gemäß Artikel 7 Absatz 6 oder
Artikel 10 Absatz 4 erstattet werden können. Der EuGH hat hier die Einzahl verwendet und nicht von anderen Mitgliedstaaten gesprochen. Deshalb könnte der EuGH damit den Bestimmungsmitgliedstaat im Auge gehabt haben.
Im Urteil vom in der Rs. C-292/02 (Meiland Azewijn BV), Rn 35, hat der EuGH von einer allgemeinen Regel gesprochen, welche Artikel 7 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates aufstellt, wonach eine verbrauchsteuerpflichtige Ware, die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden ist und sich zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat befindet, in diesem anderen Mitgliedstaat besteuert wird, dass der Steueranspruch somit im Bestimmungsmitgliedstaat der Ware und nicht im Mitgliedstaat der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr entsteht.
Diese Aussage hat auch die Generalanwältin Trstenjak in ihrem Schlussantrag in der Rs. C-230/08 (Dansk Transport og Logistik), Rn 141, übernommen. Sie hat in Rn 146 ihres Schlussantrages die Ansicht vertreten, dass sich dann, wenn Schmuggelwaren nach der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr im Einfuhrmitgliedstaat anschließend zu gewerblichen Zwecken über eine Innengrenze der Gemeinschaft in einen weiteren Mitgliedstaat verbracht werden, die von den verbrauchsteuerpflichtigen Waren ausgehende Gefährdung in diesen nachfolgenden Einfuhrmitgliedstaat verlagere, was eine Verlagerung des Verbrauchsteueranspruches rechtfertige und (Rn 147) zu einer Verlagerung der Steuererhebungszuständigkeit führe. Der damals zu Grunde liegende Sachverhalt des Schmuggels von Zigaretten aus einem Drittland nach Deutschland und die Weiterbeförderung bis zur Entdeckung der Waren in Dänemark kannte lediglich den Einfuhrmitgliedstaat (Deutschland) und den Entdeckungsmitgliedstaat (Dänemark) und keinen Durchfuhrmitgliedstaat. Der EuGH konnte sich in seinem Urteil vom in dieser Rs. C-230/08 (Dansk Transport og Logistic), Rn 114 und 115, deshalb auf die "entweder - oder" Aussage beschränken, wonach zur Erhebung der Verbrauchsteuern der Mitgliedstaat der Entdeckung und Beschlagnahme zuständig ist, wenn die Waren sich dort zu gewerblichen Zwecken befinden, während der Einfuhrmitgliedstaat zuständig bleibt, wenn sich die Waren im Entdeckungs- oder Bestimmungsmitgliedstaat nicht zu gewerblichen Zwecken befinden. Die Aussage der Generalanwältin zur "Verlagerung" könnte allerdings verallgemeinert werden und im Falle der Durchfuhr zu einer mehrfachen Verlagerung bis letztlich zum Entdeckungs- oder zum Bestimmungsmitgliedstaat führen.
Hinsichtlich der derzeit geltenden Rechtslage nach der Richtlinie 2008/118/EG des Rates hätte der Verwaltungsgerichthof keine Bedenken, dass der Verbrauchsteueranspruch im Durchfuhrmitgliedstaat (wie im Beschwerdefall) nicht entstünde. Denn Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates verknüpft das Erfordernis, dass die Waren in einem Mitgliedstaat in Besitz gehalten werden, mit dem Erfordernis, dass die Waren dort zur Lieferung oder Verwendung vorgesehen sind. Damit unterliegen Waren klar und eindeutig der Verbrauchsteuer im Bestimmungsmitgliedstaat, wo sie zur Lieferung oder Verwendung vorgesehen sind, nicht aber im Durchfuhrmitgliedstaat.
Da mit der Richtlinie 2008/118/EWG des Rates nach ihrem ersten Erwägungsgrund weitere Änderungen der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vorgenommen werden müssen, ist nicht eindeutig, ob Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates in dieser Hinsicht eine Änderung der Richtlinie 92/12/EWG des Rates bewirkte oder ob mit dieser Bestimmung lediglich eine gegenüber der Richtlinie 92/12/EWG des Rates klarere und eindeutige Wortwahl ohne inhaltliche Änderung getroffen wurde.
Wien, am
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Normen | 12010E267 AEUV Art267; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art10; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art22 Abs3; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art6 Abs1; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art7 Abs1; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art7 Abs2 idF 31992L0108; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art7 Abs6; 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art9 Abs1; 31992L0108 System-RL ; 32008L0118 Verbrauchsteuer-SystemRL Art33 Abs1; 61995CJ0296 The Queen / Commissioners of Customs and Excise VORAB; 62002CJ0292 Meiland Azewijn VORAB; 62005CJ0005 Joustra VORAB; 62006CJ0374 BATIG VORAB; 62008CC0230 Dansk Transport og Logistik Schlussantrag; 62008CJ0230 Dansk Transport og Logistik VORAB; 62011CJ0663 Scandic Distilleries VORAB; 62012CJ0613 Helm Düngemittel VORAB; TabStG 1995 §27 Abs1; TabStG 1995 §27 Abs2; VwGG §38b; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2014:2012160119.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
GAAAF-49881