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VwGH 31.05.2017, Ra 2017/22/0064

VwGH 31.05.2017, Ra 2017/22/0064

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
RS 1
Die Beurteilung, ob ein im Sinn des § 71 Abs 1 Z 1 AVG bzw des § 33 Abs 1 VwGVG 2014 unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden zur Versäumnis geführt hat, also die Qualifikation des Verschuldensgrades, unterliegt - als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Abwägung - grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl ).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2016/03/0026 B RS 1
Normen
RS 2
Der Rechtsanwalt muss gegenüber seinen Mitarbeitern (auch den juristischen) der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht nachkommen (vgl B , Ra 2014/18/0006).
Normen
RS 3
Für die richtige Beachtung der Rechtsmittelfrist ist grundsätzlich immer der Rechtsanwalt selbst verantwortlich (vgl. E , 2003/12/0166). Im Hinblick auf die Bedeutung für die Wahrung der Rechtsmittelfrist besteht in Bezug auf das Zustelldatum eine besondere Prüfpflicht (vgl. B , Ra 2016/05/0015).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lorenz, in der Revisionssache des M B E in W, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW-151/071/14187/2016- 8, VGW-151/V/071/15488/2016, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 1. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) vom wurde der Antrag des Revisionswerbers, eines tunesischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Studierender" nach § 64 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.

2 2. Mit dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom wurde die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers gemäß § 7 Abs. 4 in Verbindung mit § 31 VwGVG als verspätet zurückgewiesen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 1 und 4 VwGVG wurde ebenso abgewiesen wie der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.

3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Rechtsmittelfrist gegen den bekämpften Bescheid der Behörde mit Ablauf des geendet habe. Der Revisionswerber habe seine Beschwerde am eingebracht. Nachdem das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber die offensichtliche Verspätung seines Rechtsmittels zur Kenntnis gebracht hatte, habe dieser mit Schriftsatz vom einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.

4 Unter Heranziehung des im Verwaltungsakt aufliegenden, als unbedenklich erachteten Rückscheins begründete das Verwaltungsgericht die Verspätung des am eingebrachten Rechtsmittels.

5 Zum Wiedereinsetzungsantrag führte das Verwaltungsgericht Folgendes aus: Der Rechtsvertreter des Revisionswerbers, der sich eines Rechtsanwaltsanwärters als Hilfskraft bedient habe, habe zwar den Rechenvorgang hinsichtlich der Beschwerdefrist kontrolliert, nicht jedoch das Zustelldatum des Bescheides selbst. Er habe den Rechtsanwaltsanwärter aufgefordert, Akteneinsicht zu nehmen, es sei aber nicht kontrolliert worden, ob dieser Auftrag ordnungsgemäß ausgeführt worden sei. Dass die Akteneinsicht erst am "vermeintlich letzten Tag der Beschwerdefrist" erfolgt sei, sei jedenfalls sorgfaltswidrig, weil das genaue Zustelldatum noch nicht bekannt gewesen sei. Der Umstand, dass der Rechtsanwaltsanwärter zwischendurch auf Urlaub gewesen sei, könne den Rechtsvertreter nicht entlasten, zumal er selbst Akteneinsicht nehmen oder eine andere Hilfskraft damit beauftragen hätte können. Der Rechtsanwaltsanwärter habe im Beschwerdeschriftsatz zwar das richtige Zustelldatum angegeben, aber keine Neuberechnung der Frist vorgenommen. Schließlich erachtete es das Verwaltungsgericht als unerklärlich, warum die Beschwerde erst an dem - nach den eigenen Berechnungen - letzten Tag der Frist eingebracht worden sei, obwohl der Rechtsvertreter angegeben habe, es sei Usus, Fristen aus Gründen der Vorsicht einen Tag vor dem eigentlichen Ablauf ins Fristenbuch einzutragen.

6 Das Zusammentreffen mehrerer Ungenauigkeiten und Schlampigkeiten lasse - so das Verwaltungsgericht - darauf schließen, dass es sich bei dem Rechtsanwaltsanwärter nicht um einen sehr verlässlichen Mitarbeiter handle und dementsprechend dessen Tätigkeit einer strengeren Kontrolle durch den Rechtsvertreter bedurft hätte. Mangels (insbesondere) Kontrolle der Vornahme der rechtzeitigen Akteneinsicht und mangels Überprüfung des Zustelldatums auf dem Rückschein könne das Verhalten des Rechtsvertreters nicht als bloß leicht fahrlässig angesehen werden. Die Versäumung der Beschwerdefrist beruhe somit nicht auf einem unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis im Sinn des § 33 VwGVG.

7 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8 4. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 5. Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, es liege keine Rechtsprechung zur Frage vor, ob beim Zusammentreffen mehrerer Ungenauigkeiten bei Bearbeitung eines Falles von einem "einmaligen Versehen" ausgegangen werden könne, das die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertige.

12 6. Die Beurteilung, ob ein im Sinn des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG bzw. des § 33 Abs. 1 VwGVG unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden zur Versäumnis geführt hat, also die Qualifikation des Verschuldensgrades, unterliegt - als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Abwägung - grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2016/03/0026, mwN).

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2014/22/0092, mwN). Der Rechtsanwalt muss gegenüber seinen Mitarbeitern (auch den juristischen) der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht nachkommen (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2014/18/0006, mwN). Für die richtige Beachtung der Rechtsmittelfrist ist grundsätzlich immer der Rechtsanwalt selbst verantwortlich (siehe das hg. Erkenntnis vom , 2003/12/0166). Im Hinblick auf die Bedeutung für die Wahrung der Rechtsmittelfrist besteht in Bezug auf das Zustelldatum eine besondere Prüfpflicht (siehe den hg. Beschluss vom , Ra 2016/05/0015, mwN).

14 7. Vorliegend wird weder aufgezeigt noch ist ersichtlich, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, wonach der Rechtsanwalt fallbezogen dem strengen Sorgfaltsmaßstab nicht gerecht geworden sei, unvertretbar wäre, zumal auch nicht dargelegt wird, dass eine Kontrolle der rechtzeitigen Durchführung der angeordneten Akteneinsicht bzw. der vom Rechtsanwalt ins Treffen geführten Eintragung ins Fristenbuch einen Tag vor dem eigentlichen Ablauf der Frist erfolgt wäre (vgl. zur Überwachungspflicht auch gegenüber Rechtsanwaltsanwärtern den hg. Beschluss vom , Ra 2015/04/0098, mwN). Das Verwaltungsgericht hat sich bei seiner Entscheidung an den vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Grundsätzen orientiert.

15 8. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

16 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen. 17 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte

gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017220064.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
AAAAF-49442