VwGH 21.09.2017, Ra 2017/22/0035
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Einem entsprechenden Vorbringen des Antragstellers (bzw. vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen) kann die Eignung zukommen, damit - entgegen einem negativen Gutachten des AMS - die Erfüllung der Voraussetzungen des § 24 AuslBG darzulegen (vgl E , 2013/22/0200; E , 2012/22/0176; E , 2008/22/0850, 0851; E , 2008/21/0618). Die Niederlassungsbehörde (bzw. nunmehr auch das VwG) muss sich mit einem derartigen Vorbringen auseinandersetzen und dieses - ebenso wie das Gutachten des AMS - in seine Beweiswürdigung einbeziehen. Die abschließende Entscheidung kommt der Niederlassungsbehörde zu, die die Schlüssigkeit des Gutachtens des AMS zu überprüfen hat (vgl. E , 2008/22/0030). Eine grundsätzliche Verpflichtung, in jedem Fall ein weiteres Gutachten des AMS einzuholen, wenn das vorliegende Gutachten als unschlüssig erachtet wird, besteht nicht (und stünde auch in Widerspruch zu der dem Antragsteller durch die hg. Rechtsprechung eingeräumten Möglichkeit der Entkräftung bzw. Widerlegung eines Gutachtens). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/22/0027 B RS 1 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, in der Revisionssache des Bundesministers für Inneres gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW-151/032/13364/2016-16, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:
Landeshauptmann von Wien; mitbeteiligte Partei: S Y, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfer Gasse 7-11/2), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein türkischer Staatsangehöriger, verfügte zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende und stellte am einen Verlängerungsantrag verbunden mit einem Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte" (selbständige Schlüsselkraft) gemäß § 41 Abs. 2 Z 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
2 Der Landeshauptmann von Wien ersuchte die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien (AMS) um Erstattung eines Gutachtens gemäß § 24 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG). Das AMS führte in seiner Stellungnahme vom aus, dass die Verrichtung einer selbständigen Erwerbstätigkeit durch den Mitbeteiligten anhand der "evidenten Fakten" nicht zu erkennen sei und die Funktionen des Mitbeteiligen als handelsrechtlicher Geschäftsführer und Gesellschafter der A. GmbH im Firmenbuch gelöscht worden seien. Mit Eingabe vom bestritt der Mitbeteiligte diese Angaben. In einem weiteren Gutachten vom führte das AMS aus, dem Betreiben der Gewerbe "Maler und Anstreicher verbunden mit Lackierer, Vergolder und Staffierer; Schilderherstellung und Statisch nicht belangreiche Demontage und Entfernung von dauerhaft mit dem Mauerwerk verbundenen Gegenständen" durch die A. GmbH, als deren alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer und Gesellschafter der Mitbeteiligte fungiere, komme nach Anhörung des Ausländerausschusses des Landesdirektoriums des AMS kein gesamtwirtschaftlicher Nutzen gemäß § 24 AuslBG zu. Die nicht belegten finanziellen Aufwendungen im Konnex mit der Errichtung der Gesellschaft stellten keinen maßgeblichen Einsatz monetärer Mittel dar. Die Beschäftigung von Arbeitskräften sei anhand der Aktenlage nicht zu erkennen. Der Mitbeteiligte sei daher nicht als selbständige Schlüsselkraft gemäß § 24 AuslBG zu qualifizieren.
3 Der Landeshauptmann von Wien wies mit Bescheid vom , ohne dem Mitbeteiligten die Möglichkeit einer Stellungnahme zu dem Gutachten vom eingeräumt zu haben, den Zweckänderungsantrag des Mitbeteiligten gemäß § 41 Abs. 4 NAG iVm § 24 AuslBG mit der Begründung ab, dass der Mitbeteiligte keine selbständige Schlüsselkraft sei.
4 In der dagegen erhobenen Beschwerde führte der Mitbeteiligte - soweit für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof relevant - aus, dass ihm unerklärlich sei, weshalb das AMS ausführe, dass ein Nachweis über die Beschäftigung von Arbeitskräften nicht erbracht worden sei, obwohl zum Zeitpunkt der Einholung des angeführten Gutachtens etwa siebzehn Mitarbeiter beschäftigt gewesen und auch noch aktuell beschäftigt seien.
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten statt und erteilte ihm gemäß § 41 Abs. 2 Z 4 NAG iVm § 24 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) den beantragten Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten (Spruchpunkt II.). Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.
6 Begründend stellte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen fest, der Mitbeteiligte sei alleiniger Gesellschafter der A. GmbH, die in der Branche "Maler, Anstreicher und Entrümpelung" tätig sei. Die Gesellschaft sei Ende 2013 gegründet worden und habe sich seither einen stabilen Kundenstock erworben. Im Jahr 2014 habe die A. GmbH einen Jahresumsatz von ca. EUR 300.000,- und im Jahr 2015 von ca. EUR 500.000,- erwirtschaftet; für das Jahr 2016 sei ein Jahresumsatz von EUR 300.000,- zu erwarten. Bei der A. GmbH seien - neben dem Mitbeteiligten als Geschäftsführer - zwei Personen ständig beschäftigt. Ansonsten würden Personen je nach Auftragslage beschäftigt und wieder gekündigt werden. Die Entlohnung erfolge kollektivvertraglich. Der Mitbeteiligte könne die Unternehmenstätigkeit der A. GmbH vom Ausland aus nicht ausüben.
7 In Bezug auf das negative Gutachten des AMS führte das Verwaltungsgericht aus, dass sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herausgestellt hätte, dass bei der A. GmbH durchschnittlich etwa fünfzehn Personen vollbeschäftigt gewesen seien, wobei für das Jahr 2016 sogar eine etwas höherere Beschäftigtenzahl zu erwarten sei.
8 In seiner Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht aus, dass sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt im Wesentlichen aus den übereinstimmenden Aussagen des Mitbeteiligten und des Bilanzbuchhalters der A. GmbH in der durchgeführten mündlichen Verhandlung - zu der die belangte Behörde nicht erschienen sei - und den vorgelegten Unterlagen des Mitbeteiligten ergebe. Aus den Saldenlisten seien die entsprechenden Lohnkosten ersichtlich, welche eine Beschäftigung von durchschnittlich ca. fünfzehn Mitarbeitern nachvollziehbar machen würden.
9 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Verwaltungsgericht, dass angesichts des Ausmaßes der geschaffenen Arbeitsplätze und der konstanten Zukunftsprognose für die A. GmbH davon auszugehen sei, dass die Tätigkeit des Mitbeteiligten als Geschäftsführer dieser Gesellschaft einen für die Beurteilung nach § 24 AuslBG relevanten gesamtwirtschaftlichen Nutzen darstelle.
10 Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei.
11 Gegen Spruchpunkt II. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Bundesministers für Inneres.
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. In den gemäß § 28 Abs. 3 VwGG bei einer außerordentlichen Revision gesondert vorzubringenden Gründen ist konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2016/02/0249, mwN).
13 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht habe durch Unterlassen der Prüfung der besonderen Erteilungsvoraussetzungen die Rechtslage verkannt. Die Prüfung der besonderen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 41 habe durch Einholen einer Stellungnahme des AMS vor Erteilung eines Aufenthaltstitels zu erfolgen. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fänden sich keine Hinweise darauf, dass ohne Vorliegen eines aktuellen Gutachtens bzw. trotz Vorliegen eines negativen Gutachtens ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" erteilt werden könnte. Das Verwaltungsgericht müsse auf Basis der aktuellen Sachlage entscheiden, wozu auch eine aktuelle arbeitsmarktrechtliche Einschätzung durch das AMS zähle. Die Relevanz dieses Verfahrensmangels zeige sich darin, dass die A. GmbH zum Entscheidungszeitpunkt lediglich fünf Arbeitnehmer bei der Gebietskrankenkasse gemeldet hätte. Mit Hilfe eines Gutachtens wäre klargestellt worden, dass der Mitbeteiligte nicht über die Voraussetzungen des § 24 AuslBG verfüge.
14 Mit diesem Vorbringen wird jedoch keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Beschluss vom , Ra 2017/22/0027, festgehalten, dass einem entsprechenden Vorbringen des Antragstellers (bzw. vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen) die Eignung zukommen kann, damit - entgegen einem negativen Gutachten des AMS - die Erfüllung der Voraussetzungen des § 24 AuslBG darzulegen. Die Niederlassungsbehörde (bzw. das Verwaltungsgericht) muss sich mit einem derartigen Vorbringen auseinandersetzen und dieses - ebenso wie das Gutachten des AMS - in seine Beweiswürdigung einbeziehen. Die abschließende Entscheidung kommt der Niederlassungsbehörde (bzw. dem Verwaltungsgericht) zu, die die Schlüssigkeit des Gutachtens des AMS zu überprüfen hat (vgl. das Erkenntnis vom , 2008/22/0030). Eine grundsätzliche Verpflichtung, in jedem Fall ein weiteres Gutachten des AMS einzuholen, wenn das vorliegende Gutachten als unschlüssig erachtet wird, besteht nicht (und stünde auch in Widerspruch zu der dem Antragsteller durch die hg. Rechtsprechung eingeräumten Möglichkeit der Entkräftung bzw. Widerlegung eines Gutachtens (vgl. neuerlich den zitierten Beschluss Ra 2017/22/0027)).
16 Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht dadurch, dass es das vorliegende Gutachten des AMS einer eigenständigen Bewertung unterzogen und ohne Einholung eines weiteren Gutachtens eine abweichende Beurteilung vorgenommen hat, die Rechtslage nicht verkannt.
17 Soweit sich der Revisionswerber mit seinem Vorbringen der Sache nach gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes wendet, ist auf Folgendes hinzuweisen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat - auch im Zusammenhang mit der Beurteilung des Vorliegens eines gesamtwirtschaftlichen Nutzens im Sinn des § 24 AuslBG - bereits festgehalten, dass er als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt, bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. den angeführten Beschluss Ra 2017/22/0027).
18 Der Revisionswerber vermag weder eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes noch der (auf den übereinstimmenden Aussagen des Mitbeteiligten und eines Zeugen sowie auf unbestrittenen Unterlagen basierenden) Auffassung, wonach hinsichtlich der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen von einem gesamtwirtschaftlichen Nutzen der Erwerbstätigkeit des Mitbeteiligten auszugehen sei, aufzuzeigen (siehe zur Maßgeblichkeit eines Vorbringens betreffend die Beschäftigung von fünfzehn Mitarbeitern das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0388).
19 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | freie Beweiswürdigung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017220035.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
ZAAAF-49438