VwGH 19.09.2017, Ra 2017/20/0102
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | VwGG §46 Abs1; |
RS 1 | Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Solche Vorgänge sind etwa die Kuvertierung, die Beschriftung eines Kuverts oder die Postaufgabe, also manipulative Tätigkeiten. Eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Parteienvertreter nicht zuzumuten, will man seine Sorgfaltspflicht nicht überspannen (vgl. zum Ganzen B vom , 2007/19/1063, sowie jene vom , Ra 2016/02/0100 bis 0112, und vom , Ra 2016/10/0071). Dies gilt auch für rein manipulative Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Versendung auf elektronischem Weg (vgl. B vom , Ra 2015/19/0155). |
Normen | AVG §71 Abs1 Z1; VwGG §46 Abs1; |
RS 2 | Wenn im Wiedereinsetzungsantrag in keiner Weise dargelegt wird, ob irgendwelche Kontrolleinrichtungen vorgesehen sind oder ob jemals eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgte, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Ein Parteienvertreter hat nämlich durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Fehlt es an einem diesbezüglichen Vorbringen, liegt jedenfalls kein bloß minderer Grad des Versehens vor. Daher sind bereits mangels einer Darlegung eines wirksamen Kontrollsystems die Voraussetzungen für die Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages nicht erfüllt (vgl. zum Ganzen das E , 2005/16/0258; ferner etwa den B vom , 2012/06/0001). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2013/05/0115 B RS 1 |
Normen | ABGB §1332; VwGG §46 Abs1; |
RS 3 | Mit dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag, der Rechtsanwalt habe - wie auch sonst üblich - nach Ablauf der Frist nachgefragt, ob seiner Anweisung, den Schriftsatz bis spätestens 15.00 im Weg des ERV beim BVwG einzubringen, Folge geleistet worden sei, wird nicht dargelegt, dass er ein wirksames Kontrollsystem eingerichtet hat. Die bloße Nachfrage nach Ablauf einer einzuhaltenden Frist ist nämlich von vornherein nicht - und daher schon gar nicht: mit größtmöglicher Zuverlässigkeit - geeignet sicherzustellen, dass eine Frist trotz der notwendigen manipulativen Vorgänge gewahrt werden kann, weshalb nicht von einem bloß minderen Grad des Versehens auszugehen ist. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, in den Rechtssachen des Antrages auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist und der Revision der A in W, vertreten durch Mag. Johannes Frank, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr. Karl-Lueger-Platz 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. I418 2147399-1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz der aus Tunesien stammenden Revisionswerberin gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 55 und § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin nach Tunesien zulässig sei, gewährte gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise und erkannte der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die von der Revisionswerberin dagegen erhobene Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht als unbegründet abgewiesen. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom wurde der Revisionswerberin über ihren Antrag die Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision bewilligt und (ua.) die Beigebung eines Rechtsanwalts gewährt. Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien bestellte daraufhin mit Bescheid vom den nunmehr einschreitenden Rechtsanwalt zum Verfahrenshelfer. Dieser Bescheid wurde dem Rechtsanwalt auf dem Postweg am (Montag) zugestellt. Der letzte Tag der sechswöchigen Frist zur Erhebung der Revision gemäß § 26 Abs. 1 und 3 VwGG war somit Montag, der .
4 Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom erhob die Revisionswerberin, vertreten durch den Verfahrenshelfer, mit Schriftsatz vom die außerordentliche Revision. Diese wurde zwar am letzten Tag der sechswöchigen Frist mittels elektronischem Rechtsverkehr (ERV) dem Bundesverwaltungsgericht übersendet, jedoch erfolgte dies (erst) um 17.58 Uhr dieses Tages und somit nach Ablauf der Amtsstunden des Bundesverwaltungsgerichts. Diese sind gemäß § 20 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichts (GO-BVwG, abrufbar unter
https://www.bvwg.gv.at/amtstafel/sonstige_veroeffentlichungen.htm l) an jedem Arbeitstag, mit Ausnahme des Karfreitages, des 24. und des 31. Dezember, von 8.00 bis 15.00 Uhr festgesetzt. Die Revision gilt sohin gemäß § 20 Abs. 6 GO-BVwG erst mit Beginn der Amtsstunden des nächsten Arbeitstages, im gegenständlichen Fall am Dienstag, den , als eingebracht.
5 Der Revisionswerberin wurde vom Verwaltungsgerichtshof die Gelegenheit eingeräumt, zu diesen Umständen Stellung zu nehmen. Daraufhin stellte sie - unter Nachholung der versäumten Prozesshandlung - den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist.
Dazu wird vorgebracht, dass der Verfahrenshelfer nach Erhalt des Bescheides über die Bestellung die Frist berechnet und kalendiert habe. Er habe den Revisionsschriftsatz zuletzt am Vormittag des Korrektur gelesen und sodann seine langjährige und zuverlässige Kanzleikraft angewiesen, den Schriftsatz bis spätestens 15.00 Uhr im Weg des ERV beim Bundesverwaltungsgericht einzubringen. Die Kanzleibedienstete sei seit 2008 in der Kanzlei tätig, sei bestens geschult und habe sich stets durch ihre vorbildhafte Umsicht und Zuverlässigkeit ausgezeichnet. Aus einem nicht mehr feststellbaren Grund habe sie jedoch die Frist übersehen und den Schriftsatz erst um 17.58 Uhr übersendet. Der Verfahrenshelfer habe sich - wie auch sonst üblich - am nächsten Tag persönlich durch Nachfrage vergewissert, ob der Schriftsatz rechtzeitig eingebracht worden sei. Die Kanzleikraft habe seine Nachfrage bejaht, weshalb der Verfahrenshelfer davon ausgegangen sei, dass der Schriftsatz entsprechend seinen Anweisungen eingebracht worden sei. Solch ein Versehen sei der Kanzleibediensteten bislang noch nie unterlaufen.
In der angeschlossenen Erklärung an Eides statt führte die Kanzleibedienstete aus, sie habe die Anweisung erhalten, den Revisionsschriftsatz bis 15.00 Uhr einzubringen. Sie führe diese Anweisungen üblicherweise auch ordnungsgemäß und rasch aus. Sie könne sich aber nicht mehr daran erinnern, warum sie den Schriftsatz erst gegen Dienstschluss übermittelt habe. Sie gehe davon aus, dass dies auf die an diesem Tag erhöhte Arbeitsbelastung zurückzuführen sei.
6 Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
7 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei gleichzuhalten. Das Versehen eines Kanzleiangestellten eines Rechtsanwaltes ist dem Rechtsanwalt - und damit der Partei - dann als Verschulden anzulasten, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleiangestellten verletzt hat.
Ein berufsmäßiger Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen, etwa die fristgerechte Einbringung von Rechtsmitteln oder von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, gesichert erscheint. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Was der Wiedereinsetzungswerber in Erfüllung seiner nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht vorgenommen hat, hat er im Wiedereinsetzungsantrag substantiiert zu behaupten.
Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Solche Vorgänge sind etwa die Kuvertierung, die Beschriftung eines Kuverts oder die Postaufgabe, also manipulative Tätigkeiten. Eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Parteienvertreter nicht zuzumuten, will man seine Sorgfaltspflicht nicht überspannen (vgl. zum Ganzen etwa den hg. Beschluss vom , 2007/19/1063, sowie jene vom , Ra 2016/02/0100 bis 0112, und vom , Ra 2016/10/0071). Dies gilt auch für rein manipulative Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Versendung auf elektronischem Weg (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2015/19/0155).
8 Wenn allerdings in keiner Weise dargelegt wird, ob jemals eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgte bzw. wie das diesbezügliche Kontrollsystem eingerichtet ist, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Fehlt es an einem diesbezüglichen Vorbringen, liegt jedenfalls kein bloß minderer Grad des Versehens vor. Daher sind bereits mangels einer Darlegung eines wirksamen Kontrollsystems die Voraussetzungen für die Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages nicht erfüllt (vgl. dazu nochmals den bereits erwähnten Beschluss vom , mwN).
Mit dem Vorbringen, der Rechtsanwalt habe - wie auch sonst üblich - nach Ablauf der Frist nachgefragt, ob seiner Anweisung Folge geleistet worden sei, wird nicht dargelegt, dass er ein Kontrollsystem eingerichtet hat, das den genannten Anforderungen gerecht wird. Die bloße Nachfrage nach Ablauf einer einzuhaltenden Frist ist nämlich von vornherein nicht - und daher schon gar nicht: mit größtmöglicher Zuverlässigkeit - geeignet sicherzustellen, dass eine Frist trotz der notwendigen manipulativen Vorgänge gewahrt werden kann, weshalb nicht von einem bloß minderen Grad des Versehens auszugehen ist.
9 Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war somit gemäß § 46 Abs. 1 VwGG keine Folge zu geben.
10 Zur Zurückweisung der Revision:
Gemäß § 26 Abs. 1 VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes sechs Wochen. Hat die Partei innerhalb der Revisionsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe (§ 61 VwGG) beantragt, so beginnt für sie - im Fall der Bewilligung derselben - gemäß § 26 Abs. 3 erster Satz VwGG die Revisionsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen.
11 Der letzte Tag der gemäß § 26 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG einzuhaltenden Frist für die Einbringung der Revision war im gegenständlichen Fall der . Nach dem oben Gesagten galt die Revision erst am als eingebracht.
12 Demnach war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017200102.L00 |
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Fundstelle(n):
WAAAF-49426