VwGH 21.11.2017, Ra 2017/16/0161
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | 31992R2913 ZK 1992 Art220 Abs2 62006CJ0173 Agrover VORAB 62014CJ0007 Wünsche Handelsgesellschaft International / Kommission |
RS 1 | Nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex wird von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung von Einfuhrabgaben abgesehen, wenn drei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich - dass die Abgaben wegen eines Irrtums der zuständigen Behörden nicht erhoben worden sind, - dass deren Irrtum von einem gutgläubigen Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte und - dass dieser alle für seine Zollerklärung geltenden Bestimmungen beachtet hat (vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa Wünsche Handelsgesellschaft International m.b.H. & Co KG, C-7/14p, Rn. 55, und Agrover Srl., C-173/06, Rn. 30). Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen kumulativ diese drei Voraussetzungen erfüllt sein, damit sich der Einführer mit Erfolg auf ein berechtigtes Vertrauen nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK berufen und ihm somit die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme von der Nacherhebung (nachträglichen buchmäßigen Erfassung) zugutekommen kann (vgl. ). |
Norm | 31992R2913 ZK 1992 Art220 Abs2 |
RS 2 | Ein Irrtum iSd Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK kann auch in der falschen Rechtsanwendung bestehen, wenn eine Anmeldung alle notwendigen und zutreffenden Angaben, aber eine unzutreffende Warennummer (Unterposition der Kombinierten Nomenklatur) enthält, somit erkennbar unschlüssig ist und dennoch angenommen wird (vgl. auch Alexander in Witte, Zollkodex6 (2013) Rz. 14 zu Art. 220). |
Norm | 31992R2913 ZK 1992 Art220 Abs2 |
RS 3 | Ein Irrtum der Zollbehörde kann auch in einer von der Zollbehörde erteilten unrichtigen Auskunft bestehen, welche die Zollbehörde nicht wie verbindliche Zolltarifauskünfte (VZTA) bindet (vgl. Alexander in Witte, Zollkodex6 (2013), Rz. 20 zu Art. 220). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, in der Revisionssache des Zollamtes Feldkirch Wolfurt gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/5200082/2013, betreffend Einfuhrabgaben und Abgabenerhöhung, (mitbeteiligte Partei: E Handelsges.m.b.H. in A) den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom teilte das Zollamt Feldkirch Wolfurt der mitbeteiligten Gesellschaft m.b.H. (Mitbeteiligten) einen gemäß Art. 220 Abs. 1 des Zollkodex (ZK) nachträglich buchmäßig erfassten Betrag an im Zeitraum vom bis zum entstandenen Einfuhrabgaben (Zoll) gemäß Art. 221 Abs. 1 ZK mit und schrieb der Mitbeteiligten gemäß § 108 Abs. 1 ZollR-DG eine Abgabenerhöhung vor.
2 Die Mitbeteiligte habe im genannten Zeitraum mit näher angeführten Anmeldungen (durch ihren jeweiligen direkten Vertreter) Waren zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet und dabei teilweise unrichtige Warennummern angegeben, weshalb damals die Einfuhrabgaben (Zoll) mit Beträgen auf Grundlage eines Zollsatzes von 6,3 % anstatt richtig 12 % buchmäßig erfasst worden seien. Der Unterschiedsbetrag sei gemäß Art. 220 Abs. 1 ZK nachträglich buchmäßig zu erfassen gewesen.
3 Die mit Schriftsatz vom dagegen erhobene Berufung der Mitbeteiligten wies das Zollamt mit Berufungsvorentscheidung vom ab.
4 Mit Schriftsatz vom erhob die Mitbeteiligte dagegen eine Beschwerde an den (damaligen) unabhängigen Finanzsenat.
5 Das gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG für die Weiterführung des Verfahrens zuständige Bundesfinanzgericht entschied mit dem angefochtenen Erkenntnis über diese Beschwerde und berechnete die Einfuhrabgaben sowie die Abgabenerhöhung neu und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
6 Nach Schilderung des Verwaltungsgeschehens hielt das Bundesfinanzgericht fest, das Zollamt habe als Ergebnis einer nachträglichen Prüfung von Zollanmeldungen der Mitbeteiligten mit Bescheid vom den Zoll erstattet, weil es festgestellt habe, dass für Zeltdächer, sogenannte „covers“, entsprechende verbindliche Zolltarifauskünfte (VZTA) existierten und diese Waren danach in die Warennummer 6307 1999 99 einzureihen wären. Diesem Bescheid sei gleichzeitig eine Tarifierungsliste betreffend alle von der Mitbeteiligten eingeführten Zelte und Pavillons sowie Teile davon unter Anführung der diesbezüglich bestehenden verbindlichen Zolltarifauskünfte beigefügt worden.
7 Die Mitbeteiligte habe auf Grund dieser Prüfungsfeststellung ihre Einreihungspraxis geändert und in der Folge bis März 2012 in insgesamt 159 Zollanmeldungen zur Überführung in den freien Verkehr Zeltdächer unter der Warennummer 6307 9099 99 (Zollsatz 6,3 %) angemeldet.
8 Im Zuge einer Außenprüfung im Jahr 2012 sei diese Einreihung angezweifelt worden. Das habe die Mitbeteiligte veranlasst, eine verbindliche Zolltarifauskunft einzuholen, welche eine Einreihung in die Warennummer 6306 1200 00 (Zollsatz 12 %) ergeben habe.
9 Die in Rede stehenden Waren seien zwar entsprechend der verbindlichen Zolltarifauskunft vom unter die Warennummer 6306 1200 00 (Zollsatz 12 %) einzureihen. Strittig sei allerdings, ob die im maßgeblichen Zeitraum wegen Einreihung in die unrichtige KN-Position 6307 unerhoben gebliebenen Zollbeträge nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK nacherhoben werden durften.
10 In den im Revisionsfall zu beurteilenden Einfuhrfällen habe die Mitbeteiligte die Einreihung in die KN-Position 6307 deshalb vorgenommen, weil ihr im Zuge einer nachträglichen Überprüfung von Zollanmeldungen vom Zollamt ein Tarifierungsblatt übergeben worden sei, in dem als zutreffende KN-Position für Zeltdächer („Covers“) diese Tarifposition praktisch vorgegeben worden sei. Daher liege ein aktiver Irrtum der Zollbehörde vor. Dieser Irrtum habe im Revisionsfall von der Mitbeteiligten nicht erkannt werden können.
11 Die nachträgliche buchmäßige Erfassung der Einfuhrabgaben habe daher - mit Ausnahme einer näher angeführten Anmeldung, für welche zu Unrecht ein Präferenzzollsatz für eine Ware chinesischen Ursprungs in Anspruch genommen worden sei - zu unterbleiben gehabt.
12 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Zollamtes Feldkirch Wolfurt legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.
13 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
14 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat er die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 Gemäß Art. 201 Abs. 1 Buchst. a der im Revisionsfall noch anzuwendenden Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom , (im Folgenden: Zollkodex - ZK) entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt wird.
16 Gemäß Art. 217 ZK ist jeder einer Zollschuld entsprechende Einfuhrabgabenbetrag unmittelbar bei Vorliegen der erforderlichen Angaben von den Zollbehörden zu berechnen und in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen einzutragen (buchmäßige Erfassung). Art. 218 und 219 ZK sehen Fristen vor, innerhalb derer die buchmäßige Erfassung zu erfolgen hat.
17 Ist der einer Zollschuld entsprechende Abgabenbetrag nicht nach den Art. 218 und 219 ZK buchmäßig erfasst oder mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden, so hat gemäß Art. 220 Abs. 1 ZK die buchmäßige Erfassung des zu erhebenden Betrages oder des nachzuerhebenden Restbetrages innerhalb von zwei Tagen nach dem Tag zu erfolgen, an dem die Zollbehörden diesen Umstand feststellen und in der Lage sind, den gesetzlich geschuldeten Betrag zu berechnen sowie den Zollschuldner zu bestimmen (nachträgliche buchmäßige Erfassung).
18 Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK lautet:
„(2) Außer in den Fällen gemäß Art. 217 Abs. 1 Unterabsätze 2 und 3 erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn
...
b) der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vom Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat. Wird der Präferenzstatus einer Ware .....“
19 Nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex wird somit von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung von Einfuhrabgaben abgesehen, wenn drei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich
- dass die Abgaben wegen eines Irrtums der zuständigen Behörden nicht erhoben worden sind,
- dass deren Irrtum von einem gutgläubigen Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte und
- dass dieser alle für seine Zollerklärung geltenden Bestimmungen beachtet hat (vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa Wünsche Handelsgesellschaft International m.b.H. & Co KG, C-7/14p, Rn. 55, und Agrover Srl., C-173/06, Rn. 30).
20 Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen kumulativ diese drei Voraussetzungen erfüllt sein, damit sich der Einführer mit Erfolg auf ein berechtigtes Vertrauen nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK berufen und ihm somit die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme von der Nacherhebung (nachträglichen buchmäßigen Erfassung) zugutekommen kann (vgl. ).
21 Das Bundesfinanzgericht hat begründet, warum es die erste der nach der angeführten Rechtsprechung des EuGH und des VwGH kumulativ erforderlichen drei Voraussetzungen, das Vorliegen eines (aktiven) Irrtums der Zollbehörde, als erfüllt gesehen hat.
22 Das revisionswerbende Zollamt spricht in der Begründung der Zulässigkeit seiner Revision die erste der drei genannten Voraussetzungen an und trägt zusammengefasst vor, im Revisionsfall liege deshalb kein aktiver Irrtum der Zollbehörde vor, weil auf Grund näher angeführter rechtlicher Überlegungen dem Zollamt eine Einreihung in die unrichtige Position 6307 der Kombinierten Nomenklatur jedenfalls denkbar und möglich erschienen sei. Damit weiche das angefochtene Erkenntnis auch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, nämlich vom Erkenntnis vom , 2013/16/0234, ab.
23 Ein Irrtum iSd Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK kann auch in der falschen Rechtsanwendung bestehen, wenn eine Anmeldung alle notwendigen und zutreffenden Angaben, aber eine unzutreffende Warennummer (Unterposition der Kombinierten Nomenklatur) enthält, somit erkennbar unschlüssig ist und dennoch angenommen wird (vgl. auch Alexander in Witte, Zollkodex6 (2013) Rz. 14 zu Art. 220).
24 Mit dem vom revisionswerbenden Zollamt für sich in Anspruch genommenen Erkenntnis vom , 2013/16/0234, hat der Verwaltungsgerichtshof einen Irrtum der Zollbehörde deshalb ausgeschlossen, weil in jenem Fall dem Zollamt bei der Annahme der Anmeldungen die Sachverhaltselemente der Zubereitungsart und der Zusammensetzung des vom damaligen Mitbeteiligten angemeldeten Aprikosenpürees unbekannt waren und ohne diese Kenntnis eine Einreihung der damals in Rede stehenden Ware in die letztlich unrichtige Position der KN denkbar gewesen ist.
25 Welche Sachverhaltselemente dem Zollamt im vorliegenden Revisionsfall unbekannt gewesen wären und dass das Zollamt auf Grund der Unkenntnis solcher Sachverhaltselemente die Einreihung in die unrichtige Position der KN hätte vornehmen können, zeigt das revisionswerbende Zollamt in den Zulässigkeitsgründen (§ 28 Abs. 3 VwGG) nicht auf, wenn es lediglich eine rechtliche Argumentation breit darlegt, welche die Einreihung der Waren in eine unzutreffende Position der KN begründen könnte.
26 Das vom Zollamt für sich in Anspruch genommene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom ist daher insoweit nicht einschlägig, weshalb das Zollamt dem Bundesfinanzgericht ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in Betreff dieses Erkenntnisses nicht mit Erfolg vorwerfen kann.
27 Das revisionswerbende Zollamt wirft zu dem vom Bundesfinanzgericht herangezogenen sog. Tarifierungsblatt, das der Mitbeteiligten übergeben worden sei, ein, bei diesem handle es sich weder um einen amtlichen Tarifentscheid noch um ein Fachgutachten der zuständigen Behörde. Dem ist entgegen zu halten, dass ein Irrtum der Zollbehörde auch in einer von der Zollbehörde erteilten unrichtigen Auskunft bestehen kann, welche die Zollbehörde nicht wie verbindlich Zolltarifauskünfte (VZTA) binden (vgl. Alexander in Witte, aaO, Rz. 20 zu Art. 220).
28 Das Zollamt zeigt somit keine Rechtsfrage auf, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
29 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am
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Normen | 31992R2913 ZK 1992 Art220 Abs2 62006CJ0173 Agrover VORAB 62014CJ0007 Wünsche Handelsgesellschaft International / Kommission |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017160161.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
AAAAF-49361