VwGH 11.11.2016, Ra 2016/12/0096
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | AVG §52 impl; AVG §69 Abs1; B-VG Art133 Abs4; LDG 1984 §12 Abs1; LDG 1984 §12 Abs3; VwGG §34 Abs1; VwGVG 2014 §32 Abs1 Z2; |
RS 1 | Die im Ruhestandsversetzungsverfahren maßgebende Prognose des weiteren Krankheitsverlaufes zählt nicht zur sachverständigen Tatsachenfeststellung (Befundaufnahme), sondern zum Bereich der sachverständigen Schlussfolgerungen. In diesem Bereich stellen weder ein Irrtum (bei der Prognose der Heilungschancen) des Sachverständigen noch neue Schlussfolgerungen, die auf denselben Tatsachen beruhen, einen Wiederaufnahmegrund dar (vgl. E , 86/12/0196). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Zens und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die außerordentliche Revision der Dipl. Päd. KK in V, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-766/006-2015, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens i.A. Ruhestandsversetzung (vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich belangte Behörde:
Landesschulrat für Niederösterreich), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte wird auf den hg. Beschluss vom , Ra 2015/12/0042, sowie auf das hg. Erkenntnis vom , Ro 2016/12/0007, verwiesen.
2 Die Revisionswerberin steht als Volksschuldirektorin a.D. in einem öffentlich-rechtlichen Ruhestandsverhältnis zum Land Niederösterreich.
3 Sie wurde mit Bescheid des Landesschulrates für Niederösterreich vom gemäß § 12 Abs. 1 und 3 des Landeslehrer-Dienstrechtsgesetzes 1984, BGBl. Nr. 302, mit Ablauf des in den Ruhestand versetzt.
4 Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom (zugestellt am ) als unbegründet abgewiesen.
5 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich stützte sich auf ein amtsärztliches Sachverständigengutachten vom , wonach die Revisionswerberin auf Grund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, ihren Aufgaben als Volksschuldirektorin bzw. Volksschullehrerin nachzukommen. Von einer Wiedererlangung der Dienstfähigkeit in absehbarer Zeit könne nach Maßgabe dieses Gutachtens nicht ausgegangen werden. Ungeachtet des Vorbringens der Revisionswerberin, wonach ein Termin für einen Rehabilitationsaufenthalt bereits bekannt gegeben worden sei, vertrat das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Auffassung, dass dies an der Prognose der Sachverständigen nichts ändere und bereits zwei vorangegangene psychiatrische Rehabilitationsaufenthalte ohne bleibenden Erfolg hinsichtlich einer Besserung des Gesundheitszustandes geblieben seien.
6 Mit dem oben erstzitierten hg. Beschluss vom wurde die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Revisionswerberin mangels Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückgewiesen.
7 Schon zuvor hatte die Revisionswerberin mit Antrag vom die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom abgeschlossenen Verfahrens begehrt. Sie stützte sich auf den Wiederaufnahmegrund des § 32 Abs. 1 Z 2 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013 (im Folgenden: VwGVG). Die behauptetermaßen neu hervorgekommenen Tatsachen stützte die Revisionswerberin auf eine fachärztliche Stellungnahme vom , welche wie folgt lautet:
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"... Name: Revisionswerberin 50.6a Aufn.Nr: 0430/15 Zimmer-Nr: 114 | Aufenthalt vom: Behandler: | Therapiezentrum X bis Dr. S |
Dekurseintrag Arzt
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Eintrag vom: Eingetragen von: | . 17:20 OA Dr. D | Behandler: Dr. S |
Dekurseintrag:
Fachärztliche Stellungnahme (Revisionswerberin, )
Im Rahmen einer beruflichen Belastungssituation kam es 10/2013 zur Entwicklung einer schweren depressiven Episode.
Seit Beginn der Erkrankung befindet sich die Revisionswerberin in fachärztlicher Behandlung. 2014 wurde ein Rehaverfahren in O mit der Orientierung eines Berufswiedereinstieges absolviert. Der Rehabilitationsverlauf gestaltete sich positiv. Mit wurde die Patientin aber gegen ihren Willen pensioniert (§14 Beamtendienstrechtsgesetz).
Aus fachärztlicher Sicht kam es im Längsschnitt zu einer deutlichen Stabilisierung der affektiven Störung und die Patientin scheint voll arbeitsfähig zu sein. Eine Pensionierung würde die Prognose höchstwahrscheinlich verschlechtern.
Aus fachärztlicher Sicht ist die Pensionierung zum jetzigen
Zeitpunkt nicht mehr schlüssig.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Prim. Dr. R
OA Dr. D"
8 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich wies diesen Antrag zunächst mit Beschluss vom im Hinblick auf die Anhängigkeit des Revisionsverfahrens gegen das Erkenntnis vom zurück.
9 Dieser Zurückweisungsbeschluss wurde sodann mit dem eingangs zweitzitierten hg. Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
10 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom wurde der Wiederaufnahmeantrag als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
11 Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich - auszugsweise - Folgendes aus:
"...
Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides eingeholt wurden, sind nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden und können damit nicht als neue Beweismittel Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein (vgl. ; , 99/03/0097; , 2006/12/0043). Nur wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheides feststellt oder wenn ihm solche Daten erst später zur Kenntnis kommen, können diese bzw. die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - wie insbesondere des mangelnden Verschuldens (vgl. ) - als neue Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (vgl. ; , 2002/08/0074; , 2006/11/0147).
Einen Wiederaufnahmegrund können aber nur neue Befundergebnisse, neue konkrete sachverständige Tatsachenfeststellungen in einem Gutachten abgeben und nicht auch ein Irrtum des Sachverständigen (; , 2004/18/0376), d.h. geänderte sachverständige Schlussfolgerungen aus eben den festgestellten Tatsachen, also nicht auch eine Änderung des Gutachtens im engeren Sinn.
Daher liegt kein Wiederaufnahmegrund vor, wenn der bereits im Verfahren bestellte Sachverständige später erklärt, dass ihm bei den Schlussfolgerungen - ohne dass die Voraussetzungen des § 69 Abs 1 Z. 1 AVG vorliegen - Fehler unterlaufen seien und er nunmehr zu anderen Schlussfolgerungen komme. Das gilt auch für den Fall, dass ein anderer (ein im Verfahren nicht vernommener) Gutachter auf dem Boden unveränderter Sachverhaltsgrundlage nunmehr zu anderen Schlüssen kommt als der dem Verwaltungsverfahren beigezogene Sachverständige (vgl. ; , 2003/08/0093; , 2006/12/0043) (siehe Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 RZ 33).
Ein Sachverständigengutachten kann nur insofern neues Beweismittel sein, als es selbst neue Befundtatsachen feststellt oder solche sonst wie hervorgekommenen neuen Tatsachen verwertet. Bloß andere als im Hauptverfahren gezogene sachverständige Schlüsse sind kein Wiederaufnahmegrund.
In der im ‚Dekurseintrag Arzt' vom des Dr. D enthaltenen fachärztlichen Stellungnahme wird festgestellt, dass es aus fachärztlicher Sicht im Längsschnitt zu einer deutlichen Stabilisierung der affektiven Störung bei der Antragstellerin gekommen sei. Diese Feststellung fußt wiederum auf der Tatsache, dass 2014 ein Rehabilitationsverfahren in O mit der Orientierung eines Berufswiedereinstiegs absolviert worden sei und der Annahme, dass dieser Rehabilitationsverlauf sich positiv gestaltet habe. Daraus werden die Schlussfolgerungen gezogen, die Antragstellerin sei voll arbeitsfähig und aus fachärztlicher Sicht die Pensionierung zum Zeitpunkt dieser Stellungnahme nicht mehr schlüssig.
Wenn Dr. D in der fachärztlichen Stellungnahme (‚Dekurseintrag Arzt' vom ) von einem nach seiner Einschätzung so positiven Verlauf des Rehabilitationsaufenthaltes von 2014 ausgeht, der zu einer völligen Arbeitsfähigkeit der Antragstellerin geführt habe, so stellt dies eben eine Schlussfolgerung und keine Befundung dar. Sowohl der Amtsärztin der Bezirkshauptmannschaft Mödling als auch der Fachärztin für Psychiatrie Dr. G war bei der Abfassung ihres Gutachtens vom bzw. des Arztbriefes vom der Verlauf des Rehabilitationsaufenthaltes von 2014 durch den Entlassungsbericht des Lebensresort Ottenschlag vom bekannt und kamen diese bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren jeweils zur Beschreibung eines Zustandsbildes, aus dem eben nicht auf eine Arbeitsfähigkeit der Antragstellerin geschlossen werden konnte.
..."
12 Die Revision sei unzulässig, zumal die vorliegendenfalls relevanten Rechtsfragen durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt seien.
13 Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof, welche sich jedoch aus folgenden Gründen als unzulässig erweist:
14 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Hat das Verwaltungsgericht - wie im gegenständlichen Fall - ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof hingegen nur im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
17 Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liege nach Auffassung der Revision vor, weil das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vorliegendenfalls verkannt habe, dass sich die geltend gemachten neu hervorgekommenen Tatsachen nicht auf das Rehabilitationsverfahren in O, sondern auf eine Besserung des Zustandes der Revisionswerberin im Zuge ihres Aufenthaltes im Therapiezentrum J in der Zeit vom bis bezogen habe. Der diesbezügliche Kuraufenthalt sei im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses im wiederaufzunehmenden Verfahren bereits bewilligt gewesen.
18 Dem ist Folgendes zu erwidern:
19 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat die maßgebliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein nach Verfahrensabschluss erstelltes Sachverständigengutachten den von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Wiederaufnahmegrund verwirklichen kann, zutreffend dargestellt. Insbesondere gilt, dass die im Ruhestandsversetzungsverfahren maßgebende Prognose des weiteren Krankheitsverlaufes nicht zur sachverständigen Tatsachenfeststellung (Befundaufnahme), sondern zum Bereich der sachverständigen Schlussfolgerungen zählt. In diesem Bereich stellen weder ein Irrtum (bei der Prognose der Heilungschancen) des Sachverständigen noch neue Schlussfolgerungen, die auf denselben Tatsachen beruhen, einen Wiederaufnahmegrund dar (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom , 86/12/0196, mit weiteren Hinweisen).
20 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat diese Rechtsprechung im gegenständlichen Fall zutreffend angewendet. Auch wenn die Äußerung im Dekurseintrag des Dr. D, wonach "aus fachärztlicher Sicht die Pensionierung zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr schlüssig" sei, ein Ergebnis des am angetretenen Aufenthaltes der Revisionswerberin im Therapiezentrum J gewesen ist, wird durch die Berufung auf die darauf fußende neue Schlussfolgerung kein Wiederaufnahmegrund dargetan. Der (positive) Verlauf dieses Aufenthaltes stellt nämlich eine neu entstandene und damit keine neu hervorgekommene Tatsache im Verständnis des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG dar. Der von der Revisionswerberin weiters behauptete Umstand, dass der in Rede stehende Aufenthalt im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses im wiederaufgenommenen Verfahren schon bewilligt gewesen sei, wurde von ihr schon in der Beschwerde gegen den dienstbehördlichen Ruhestandsversetzungsbescheid vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich geltend gemacht und von diesem in den Entscheidungsgründen seines Erkenntnisses behandelt.
21 Aus dem Dekurseintrag Dris. D könnte - bei Zutreffen seiner Beurteilung - zwar abgeleitet werden, dass sich die negative Heilungsprognose im amtsärztlichen Gutachten nachträglich als unzutreffend herausgestellt hat. Dies reicht aber nach dem Vorgesagten für die Bewilligung der Wiederaufnahme nicht aus. Keinesfalls ist diesem ärztlichen Schreiben aber zu entnehmen, dass die Sachverhaltsgrundlage für die Gutachtenserstellung durch die Amtsärztin unrichtig oder unvollständig gewesen wäre. Ebenso wenig ergeben sich daraus hinreichend konkrete Hinweise auf eine Änderung dieser Sachverhaltsgrundlage noch vor Erlassung des im wiederaufzunehmenden Verfahren ergangenen Erkenntnisses, also vor Antritt des Therapieaufenthaltes der Revisionswerberin in J am , welche geeignet wäre das vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich einzelfallbezogen erzielte Ergebnis als geradezu unvertretbar erscheinen zu lassen.
22 Aus diesen Gründen war die Revision wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung geeignet und daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am
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Normen | AVG §52 impl; AVG §69 Abs1; B-VG Art133 Abs4; LDG 1984 §12 Abs1; LDG 1984 §12 Abs3; VwGG §34 Abs1; VwGVG 2014 §32 Abs1 Z2; |
Schlagworte | Gutachten neues Wiederaufnahme |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016120096.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-48958