VwGH 31.10.2017, Ko 2017/03/0004
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Ein vom Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 1 Z 3 B-VG zu entscheidender negativer Kompetenzkonflikt setzt jedenfalls voraus, dass beide in Betracht kommenden Gerichte eine Entscheidung in derselben Sache aus dem Grund der Unzuständigkeit abgelehnt haben, wobei diese Voraussetzung allein durch die Weiterleitung der Akten iSd § 6 AVG noch nicht erfüllt wird (Hnweis B vom , Ko 2015/03/0001). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ko 2014/03/0001 E VwSlg 19121 A/2015 RS 4 |
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RS 2 | Ungeachtet der durch die subsidiäre - sinngemäße - Anwendbarkeit des § 6 AVG auch den Verwaltungsgerichten eröffneten Möglichkeit, Anbringen, zu deren Behandlung sie nicht zuständig sind, an die zuständige Stelle - die auch ein anderes sachlich oder örtlich zuständiges Verwaltungsgericht sein kann - durch verfahrensleitenden Beschluss im Sinne des § 31 Abs 2 VwGVG 2014 weiterzuleiten, ist jedenfalls dann, wenn die Unzuständigkeit eines Verwaltungsgerichts zweifelhaft und nicht offenkundig ist, eine Entscheidung über die Zuständigkeit in der in den Verfahrensgesetzen vorgesehenen Form (Beschluss über die Zurückweisung wegen Unzuständigkeit oder Erkenntnis in der Sache bzw Zurückweisung aus anderen Gründen oder Einstellung unter Bejahung der Zuständigkeit) zu treffen (vgl zu § 6 AVG etwa die Beschlüsse vom , 93/04/0216, und vom , Ro 2014/04/0069). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ko 2015/03/0001 B VwSlg 19052 A/2015 RS 8 |
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RS 3 | Ein verneinender Kompetenzkonflikt zwischen Verwaltungsgerichten setzt voraus, dass die betroffenen Gerichte ihre Zuständigkeit in der gemäß §§ 28 und 31 VwGVG 2014 vorgesehenen Form mit förmlichem Beschluss abgelehnt haben. Gegen derartige Beschlüsse kann - bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art 133 Abs 4 B-VG - auch Revision erhoben werden, sodass die Frage der Zuständigkeit gegebenenfalls im Rahmen des Revisionsverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof bindend beurteilt werden kann (Hinweis B vom , Ko 2015/03/0001). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ko 2015/03/0002 B VwSlg 19156 A/2015 RS 2 |
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RS 4 | Hat das LVwG seine Zuständigkeit nicht in der für Entscheidungen der VwG gemäß §§ 28 und 31 VwGVG 2014 vorgesehenen Form abgelehnt, liegen die Voraussetzungen für einen gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 3 B-VG vom VwGH zur entscheidenden verneinenden Kompetenzkonflikt zwischen VwG nicht vor (vgl. , VwSlg. 19956 A). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger und Dr. Lehofer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über den Antrag des Dipl.-Ing. H S in L, auf Entscheidung eines Kompetenzkonfliktes zwischen dem Bundesverwaltungsgericht und dem Landesverwaltungsgericht Steiermark betreffend eine Angelegenheit nach dem Arbeiterkammergesetz, den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
1 A.a. Mit Bescheid vom wies die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark gemäß § 7 des Arbeiterkammergesetzes 1992 (AKG) iVm § 4 Abs. 1 lit. a und b des Rechtsschutzregulativs dieser Kammer den Antrag der im vorliegenden Kompetenzkonfliktverfahren antragstellenden Partei vom auf Gewährung von Rechtsschutz zur gerichtlichen Durchsetzung seiner vorgebrachten Ansprüche gegen die niederösterreichische Gebietskrankenkasse ab. Diese Entscheidung wurde zusammengefasst damit begründet, dass der von der antragstellenden Partei verlangte Versuch, mittels eines Rekurses gegen den Zurückweisungsbeschluss des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht betreffend eine Klage und eine einstweilige Verfügung gegen die Beendigung der Arbeitsunfähigkeit und gegen die Verweigerung von Krankengeld eine gerichtliche Sachentscheidung erzwingen zu wollen, völlig aussichtslos sei.
2 A.b. Mit Beschluss vom leitete das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) die dagegen erhobene Beschwerde vom samt Anlage gemäß § 17 VwGVG iVm § 6 AVG an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Form eines verfahrensleitenden Beschlusses iSd § 31 Abs. 2 und 3 letzter Satz VwGVG weiter.
3 Das LVwG sei für ein derartiges Anbringen nicht zuständig, weil nach Art. 131 Abs. 2 B-VG das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG bezüglich Rechtssachen und Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt würden, zuständig sei. Nach Art. 10 Abs. 1 Z 11 B-VG falle sowohl die Gesetzgebung als auch die Vollziehung in Angelegenheiten der Kammern für Arbeiter und Angestellte in den Kompetenzbereich des Bundes. Nach "§ 102 Abs. 2 AKG" (gemeint wohl: Art. 102 Abs. 2 B-VG) falle das Arbeiterkammergesetz (AKG) ausdrücklich in den Wirkungsbereich, der unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werde. Nach § 3 Abs. 1 AKG seien die Kammern für Arbeiter und Angestellte sowie die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte Körperschaften des öffentlichen Rechts. Der im gegebenen Fall geforderte Rechtsschutz durch gerichtliche Vertretung gemäß § 7 Abs. 1 AKG falle nach § 4 Abs. 1 AKG in den eigenen Wirkungsbereich der Arbeiterkammer. Der Verfassungsgerichtshof habe in seiner Entscheidung vom , E 923/2014, ausgesprochen, dass das Bundesverfassungsrecht eine Vollzugstätigkeit für den Bund durch andere Rechtsträger nicht schlechthin ausschließe, solche "bundesnahen Organe" seien daher nach den für sie eingerichteten Rechtsgrundlagen der unmittelbaren Bundesverwaltung (und in der Folge der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts) oder der mittelbaren Bundesverwaltung (und damit der Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte) zuzuordnen. Da das AKG sowohl in Gesetzgebung als auch in Vollziehung Bundeskompetenz sei und überdies nach § 91 Abs. 1 AKG die Arbeiterkammer der Aufsicht des Bundesministers für Arbeit und Soziales unterliege, sei vorliegend von einer Zuständigkeit des BVwG auszugehen. Damit sei auf dem Boden der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nach § 6 Abs. 1 AVG diese Beschwerde an das BVwG weiterzuleiten.
4 A.c. Mit Beschluss vom sprach das BVwG nach § 31 iVm § 17 VwGVG und § 6 Abs. 1 AVG aus, dass dieses Verwaltungsgericht zur Behandlung der Beschwerde vom gegen den Bescheid der Arbeiterkammer Steiermark vom unzuständig sei (Spruchpunkt A); die Revision gegen diesen Beschluss wurde für zulässig erklärt (Spruchpunkt B).
5 Begründend wies das BVwG insbesondere darauf hin, dass die Angelegenheiten der Kammer für Arbeit und Angestellte in Art. 102 Abs. 2 B-VG, der die Angelegenheiten aufzähle, die im Rahmen des verfassungsmäßig festgestellten Wirkungsbereiches unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden könnten, nicht aufgezählt sei. Aus § 102 Abs. 2 AKG sei für die unmittelbare Besorgung (Vollziehung) nichts zu gewinnen, da hier nur gesetzgeberische Tätigkeiten im materiellen Sinn angesprochen würden. Auch aus § 91 Abs. 1 AKG und der Aufsichtstätigkeit des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz sei nichts zu gewinnen, weil vorliegend kein Bescheid in Ausübung des Aufsichtsrechts vorliege, weshalb der gegenständliche Sachverhalt nicht mit dem vergleichbar sein könne, der der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom , Ro 2016/10/0004, zugrunde liege. Vielmehr sei die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom , Ra 2015/04/0035, als einschlägig heranzuziehen, woraus sich ergebe, dass in Angelegenheiten, die von Verfassungs wegen nicht "unmittelbar von Bundesbehörden" anstelle des nach Art. 102 Abs. 1 B-VG grundsätzlich vorgesehenen Landeshauptmanns und den diesem unterstellten Landesbehörden besorgt werden dürften, von vornherein keine Besorgung unmittelbar durch Bundesbehörden iSd Art. 131 Abs. 2 erster Satz B-VG vorliegen könne. Nur dann, wenn eine bundesverfassungsrechtliche Ermächtigung für die Besorgung einer Angelegenheit der Bundesvollziehung unmittelbar durch Bundesbehörden bestehe, komme es für das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 131 Abs. 2 erster Satz B-VG, und damit der Zuständigkeit des BVwG, zusätzlich darauf an, ob der Bundesgesetzgeber eine solche Besorgung unmittelbar durch (dem Bundesminister unterstellte) Bundesbehörden auch tatsächlich vorgesehen habe.
6 Die Revision gegen diese Entscheidung würde für zulässig erachtet, weil es bislang an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Zuständigkeit bei einer Konstellation wie der gegebenen nach dem AKG zwischen dem LVwG und dem BVwG fehle.
7 A.d. Mit Beschluss vom wies das BVwG den Antrag der antragstellenden Partei, ihr zur Erhebung einer ordentlichen Revision gegen die besagte Unzuständigkeitsentscheidung des BVwG die Verfahrenshilfe zu bewilligen, gemäß § 61 Abs. 2 VwGG zurück.
8 A.e. Mit am beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Antrag vom 14. August d.J. begehrte die antragstellende Partei den negativen Kompetenzkonflikt zu entscheiden, ob das Landesverwaltungsgericht Steiermark oder das Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung über seine Beschwerde gegen den Bescheid der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark zuständig sei.
9 Das BVwG legte die Verfahrensakten vor und wies darauf hin, dass aus seiner Sicht noch kein negativer Kompetenzkonflikt gegeben sei. Das LVwG gab keine Äußerung ab.
10 B. Der Antrag ist nicht zulässig:
11 B.a. Gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 3 B-VG erkennt der Verwaltungsgerichtshof (unter anderem) über Kompetenzkonflikte zwischen Verwaltungsgerichten. Gemäß § 71 VwGG sind im Verfahren zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen Verwaltungsgerichten die §§ 43 bis 46, 48, 49, 51 und 52 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 (VfGG) sinngemäß anzuwenden.
12 Nach Art. 133 Abs. 1 Z 3 B-VG iVm § 71 VwGG und § 46 Abs. 1 VfGG besteht ein verneinender Kompetenzkonflikt u.a. dann, wenn ein Landesverwaltungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht die Zuständigkeit in derselben Sache verneinen und dies in einem Fall zu Unrecht erfolgt. Ein vom Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 1 Z 3 B-VG zu entscheidender negativer Kompetenzkonflikt setzt jedenfalls voraus, dass beide in Betracht kommenden Gerichte eine Entscheidung in der selben Sache aus dem Grund der Unzuständigkeit abgelehnt haben, wobei diese Voraussetzung allein durch die Weiterleitung der Akten iSd § 6 AVG noch nicht erfüllt wird (; , Ko 2015/03/0001).
13 Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ungeachtet der durch die subsidiäre (sinngemäße) Anwendbarkeit des § 6 AVG auch den Verwaltungsgerichten eröffneten Möglichkeit, Anbringen, zu deren Behandlung sie nicht zuständig sind, an die zuständige Stelle - die auch ein anderes sachlich oder örtlich zuständiges Verwaltungsgericht sein kann - durch verfahrensleitenden Beschluss im Sinne des § 31 Abs. 2 VwGVG weiterzuleiten, jedenfalls dann, wenn eine Unzuständigkeit eines Verwaltungsgerichts zweifelhaft und nicht offenkundig ist, eine Entscheidung über die Zuständigkeit in der in den Verfahrensgesetzen vorgesehenen Form (Beschluss über die Zurückweisung und Unzuständigkeit oder Erkenntnis in der Sache bzw. Zurückweisung aus anderen Gründen oder Einstellung unter Bejahung der Zuständigkeit) zu treffen (vgl. - auch zum Folgenden - , VwSlg. 19052 A, mwH).
14 B.b. Im vorliegenden Fall hat das LVwG zwar mit einem verfahrensleitenden Beschluss das Anbringen des Antragstellers vom - nämlich die gegen den Bescheid der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark erhobene Beschwerde - samt Anlagen nach § 17 VwGVG in Verbindung mit § 6 AVG an das BVwG weitergeleitet. Eine auf dem Boden der aufgezeigten Rechtslage erforderliche förmliche Zurückweisung wegen Unzuständigkeit (bzw. eine andere förmliche Entscheidung über die Zuständigkeit im eben dargestellten Sinn) ist seitens des LVwG aber nicht erfolgt.
15 Nachdem in der Folge das BVwG seine Unzuständigkeit förmlich mit Beschluss vom aussprach, wäre es daher für das Vorliegen eines negativen Kompetenzkonfliktes, der vom Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden ist, erforderlich gewesen, dass das Landesverwaltungsgericht Steiermark nach Rückübermittlung der Akten seitens des BVwG ebenfalls, wenn es seine Zuständigkeit weiter verneinen wollte, darüber mit förmlichem Beschluss zu entscheiden gehabt hätte.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen schon darauf hingewiesen, dass gegen derartige Zurückweisungsbeschlüsse bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG auch Revision erhoben werden könnte, sodass die Frage der Zuständigkeit gegebenenfalls im Rahmen des Revisionsverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof beurteilt werden könnte.
17 Da das LVwG seine Zuständigkeit nicht in der für Entscheidungen der Verwaltungsgerichte gemäß §§ 28 und 31 VwGVG vorgesehenen Form abgelehnt hat, liegen die Voraussetzungen für einen gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 3 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof zur entscheidenden verneinenden Kompetenzkonflikt zwischen Verwaltungsgerichten nicht vor (vgl. , VwSlg. 19956 A).
18 B.c. Der Antrag auf Entscheidung eines Kompetenzkonfliktes zwischen dem Landesverwaltungsgericht Steiermark und dem Bundesverwaltungsgericht war daher als unzulässig zurückzuweisen.
19 Im Sinne der dargestellten Rechtslage (vgl. Rz 15) sind die vom BVwG vorgelegten Akten von diesem an das LVwG rückzuübermitteln.
Wien, am
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Normen | AVG §6; B-VG Art133 Abs1 Z3; VwGG §34 Abs1; VwGG §71; VwGVG 2014 §28; VwGVG 2014 §31 Abs2; VwGVG 2014 §31 Abs3; VwGVG 2014 §31; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2017:KO2017030004.K00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
AAAAF-48778