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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.02.2025, RV/7101758/2024

Bindung an ein schlüssiges Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice ohne weitere Untersuchung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Regina Vogt in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Nikolsdorfer Gasse 7-11 Tür 15, 1050 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab August 2017, SVNr. ***1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.), geb. am tt.mm.1973, beantragte am durch ihren gerichtlichen Erwachsenenvertreter den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe rückwirkend ab August 2017.

Am beantragte sie mit dem Formular Beih 100 die Familienbeihilfe.

Mit Schreiben vom teilte der Vertreter über Anfrage der belangten Behörde mit, dass die Bf. im Zeitraum August 2017 bis August 2020 Rehabilitationsgeld bezogen habe. Weiters wurden die Gerichtsbeschlüsse betr. Bestellung und Verlängerung der Bestellung des Erwachsenenvertreters vorgelegt.

Mit Bescheid (B1) vom wurde der Antrag vom auf Gewährung von Familienbeihilfe "ab August 2017" abgewiesen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid (B2) vom wurde weiters der Antrag vom auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab August 2017 abgewiesen.

Die Begründung des verfahrensgegenständlichen Abweisungsbescheides lautete wie folgt:

Sie haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn Sie voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sind. Die Erwerbsunfähigkeit muss vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Bei Ihnen trifft dies nicht zu (§ 6Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967). Gemäß der Bescheinigung des Sozialministeriumservice vom konnte für Sie(rückwirkend) kein Grad der Behinderung oder eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt werden.

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom Beschwerde erhoben. Wie dem Gutachten zu entnehmen sei, sei die Bf. nicht in der Lage, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Es sei davon auszugehen, dass die tatsächliche Behinderung vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei. Die Bf. habe keine Ausbildung gemacht und sei nicht in den Arbeitsmarkt integriert gewesen.

Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde verwies darauf, dass im Gutachten vom weder ein Grad der Behinderung festgestellt noch das Vorliegen einer dauernden Erwerbsunfähigkeit bescheinigt worden sei. Durch Einbringung der Beschwerde zum Abweisungsbescheid auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung sei ein weiteres Gutachten angefordert worden. Die Bf. sei jedoch zum festgesetzten Untersuchungstermin nicht erschienen. Es sei daher keine weitere Gutachtenerstellung erfolgt und die getroffenen Feststellungen vom Erstgutachten blieben unverändert.

Die Bf. stellte am einen Vorlageantrag, in dem sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte.

Begründend führte sie bzw. ihr Erwachsenenvertreter folgendes aus:

Da Frau ***2*** laut Versicherungsdatenauszug nur eine ganz kurze Beschäftigung aufweist, sie auch Pflegegeld bezieht und nie im Arbeitsmarkt integriert war, ist davon auszugehen, dass Frau ***2*** bereits vor dem 21. Lebensjahr dauererwerbsunfähig war. Zudem erfolgte aucheine persönliche Untersuchung und hat Frau ***2*** den Termin beim Bundessozialamt auch wahrgenommen. Weshalb die Ärztin weder einen Grad der Behinderung festgestellt, noch das Vorliegen einer dauernden Erwerbsunfähigkeit bescheinigt hat, ist nicht nachvollziehbar. Frau ***2*** bezieht seit Jahren eine Pension und Pflegegeld seitens der PVA, gerade weil sie zu keinem Zeitpunkt arbeitsfähig war.

Beweis: Beizuschaffende Gutachten PVA, weitere Beweise Vorbehalten

Auf Grund der psychischen Erkrankung von Frau ***2*** ist diese auch nicht in der Lage regelmäßige Untersuchungstermine wahrzunehmen.

Der belangten Behörde wurde mit Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom aufgetragen, eine neuerliche Untersuchung der Bf. beim Bundessozialamt zu veranlassen.

Eine Vertreterin der belangten Behörde teilte der Richterin telefonisch mit, dass allfällige neue Befunde lt. Sozialministeriumservice bereits mit der Anforderung mitzuschicken seien.

Der Erwachsenenvertreter wurde daher in der Folge ersucht, allfällige neue, relevante Befunde dem Bundesfinanzgericht zu übermitteln.

Der Erwachsenenvertreter teilte der Richterin mit E-Mail vom folgendes mit:

"Leider gibt es für mich gar keine Möglichkeit, aktuelle Gutachten vorzulegen, ich habe beim Bezirksgericht ***3*** nachgefragt (Frau ***2*** war mehrere Wochen "untergebracht"), aber die haben nur - nicht protokollierte- mündliche Gutachten. Sie war dann auch nachher noch einige Male beim Psychiater, das war es, ich habe aber keinerlei Gutachten."

Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde mit Schreiben vom (postalisch eingelangt beim Bundesfinanzgericht am ) zurückgezogen.

Die belangte Behörde teilte dem Bundesfinanzgericht mit Schreiben vom mit, dass es lt. vom Sozialministeriumservice übermittelter Metadaten zu keiner neuen Begutachtung gekommen sei, da mangels Befundvorlage keine Zuordnung zu einem bestimmten Arzt habe vorgenommen werden können.

Eine Abfrage der erkennenden Richterin in der Datenbank der Österreichischen Sozialversicherung ergab, dass die Bf. von bis Rehabilitationsgeld bezog sowie seit bis laufend eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bezieht.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf.) wurde am tt.mm.1973 geboren.

Sie vollendete das 21. Lebensjahr am tt.mm.1994.

Von bis bezog sie Rehabilitationsgeld.

Seit bis laufend bezieht sie eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit.

Im Zuge der Antragstellung wurde die Bf. beim Sozialministeriumservice untersucht. Im Gutachten vom wurde keine dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt. Ein Grad der Behinderung konnte mangels Befunden nicht festgestellt werden.

Zu einer weiteren für den angesetzten Untersuchung ist die Bf. nicht erscheinen.

Im Zuge des Beschwerdeverfahrens wurden keine Befunde vorgelegt.

2. Beweiswürdigung

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt.

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967i.V.m. § 8 Abs. 5 FLAG 1967 haben volljährige Personen Anspruch auf Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wenn sie wegen einer auf Grund vor dem 21. Lebensjahr eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich den Lebensunterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist die Frage, ob diese Voraussetzung zutrifft ausschließlich durch ein medizinisches Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice zu beantworten.

Das Bundesfinanzgericht ist an dieses Gutachten gebunden und darf es nur hinsichtlich seiner Schlüssigkeit prüfen. Eine andere Art der Beweisführung ist nicht zulässig (vgl. dazu z.B. ).

Insbesondere kommt z.B. Bekundungen naher Angehöriger oder anderer Personen, mögen sie auch über fachärztliche Kenntnisse verfügen, über den Gesundheitszustand Beweiskraft zu ().

Unter diesem Gesichtspunkt ist daher die Vermutung des Erwachsenenvertreters, die Bf. müsse schon vor dem 21. Lebensjahr dauererwerbsunfähig gewesen sein, irrelevant.

Für Begünstigungsvorschriften ist der Antragsteller/die Antragstellerin beweispflichtig (vgl. z.B. )

Weitere Unterlagen, die eine neuerliche Untersuchung beim Sozialministeriumservice als zweckdienlich erscheinen hätten lassen, da sie zu einer möglicherweise anderen Beurteilung des Gesundheitszustandes und damit der Frage der dauernden Erwerbsunfähigkeit der Bf. geführt hätten, wurden von der Bf. nicht vorgelegt.

Das Bundesfinanzgericht hat daher gem. § 8 Abs.6 FLAG 1967 davon auszugehen, dass, so wie im Gutachten vom festgestellt, keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Gemäß § 6 Abs.1 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) haben minderjährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

Gemäß § 6 Abs.2 lit.d FLAG i.V.n. § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe (Eigenanspruch), wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs.1 lit.a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst Unterhalt zu verschaffen und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Gemäß § 8 Abs.5 FLAG gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs.6 FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Die Anträge auf Gewährung von Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe sind trotz der gegenseitigen Abhängigkeit bei volljährigen Kindern verfahrensrechtlich gesehen getrennte Anträge, die auch in getrennten Bescheiden erledigt werden können.

Verfahrensrechtlich gesehen wurde im gegenständlichen Fall über den Anspruch auf den Grundbetrag bereits durch Abweisung des Antrages auf Gewährung von Familienbeihilfe mit Bescheid vom rechtskräftig entschieden.

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe überhaupt zusteht (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2 § 8 Rz 5).

Volljährigen Kindern steht daher der Erhöhungsbetrag nur zu, wenn auch Anspruch auf den Grundbetrag wegen voraussichtlicher dauernder Erwerbsunfähigkeit besteht.

Wenn aber bereits rechtskräftig entschieden wurde, dass der Bf. der Grundbetrag an Familienbeihilfe nicht zusteht, kann auch kein Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung zuerkannt werden.

Selbst wenn das Verfahren zum Grundbetrag noch nicht rechtskräftig abgeschlossen wäre, ist aufgrund der Aktenlage und im Hinblick auf die o.a. maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen auszuführen:

Unabdingbare Voraussetzung für die Zuerkennung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wäre ein ärztliches Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice, das der Beschwerdeführerin den Eintritt einer Behinderung vor dem 21. Lebensjahr attestiert, die zu dauernder Erwerbsunfähigkeit führt. Ein solches Gutachten liegt unzweifelhaft nicht vor. Aus dem Sachverhalt ergeben sich keine Umstände, die an der Schlüssigkeit des Gutachtens vom zweifeln lassen. Es ist nachvollziehbar, dass mangels entsprechender Befunde keine Aussage über das Auftreten einer Behinderung oder Krankheit vor dem 21. Lebensjahr getroffen werden konnte.

Die Bf. ist zu einem weiteren Untersuchungstermin, an dem allfällige Befunde vorgelegt hätten werden können, nicht erschienen. Die Zuerkennung von Rehabilitationsgeld durch die ÖGK und von einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit durch die Pensionsversicherungsanstalt lassen vielmehr darauf schließen, dass die Bf. jeweils im Vorfeld durch diese Institutionen als arbeitsfähig eingestuft worden war (vgl. z.B. hinsichtl. der Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension)

Insbesondere wurden auch im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht keine weiteren Befunde vorgelegt, die eine neuerliche Untersuchung der Bf. beim Sozialministeriumservice im Hinblick auf eine andere Beurteilung als bisher erforderlich gemacht hätten.

Das Bundesfinanzgericht hat daher im Hinblick auf den gegenständlichen Sachverhalt und die darauf anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen des FLAG 1967 davon auszugehen, dass keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt und daher der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe nicht zusteht.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da das gegenständliche Erkenntnis hinsichtlich der Bindung der Abgabenbehörden an Gutachten des Sozialministeriumservice nicht von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, war die (ordentliche) Revision auszuschließen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2025:RV.7101758.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
YAAAF-48718