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VwGH 22.01.2025, Ra 2023/13/0034

VwGH 22.01.2025, Ra 2023/13/0034

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
BAO §115 Abs1
BAO §167 Abs2
BAO §207 Abs2
FinStrG §33
FinStrG §8 Abs1
FinStrG §98 Abs3
RS 1
Die Abgabenbehörde ist nicht daran gehindert, im Abgabenverfahren - ohne dass es einer finanzstrafbehördlichen oder gerichtlichen Entscheidung bedarf - festzustellen, dass Abgaben im Sinne des § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO hinterzogen sind. Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt konkrete und nachprüfbare Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Dabei ist vor allem in Rechnung zu stellen, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer objektiven Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz als Schuldform erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn - in nachprüfbarer Weise - auch der Vorsatz feststeht. Vorsätzlich handelt, wer ein Tatbild mit Wissen und Wollen verwirklicht. Vorsätzliches Handeln beruht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen (vgl. etwa ).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ro 2015/15/0027 E RS 5
Normen
BAO §115 Abs1
BAO §167 Abs2
BAO §207 Abs2
FinStrG §33
FinStrG §8 Abs1
RS 2
Die Erfüllung des objektiven Tatbestands der Abgabenhinterziehung entbindet das BFG nicht davon, seine Erwägungen offenzulegen, wieso es vom Vorliegen eines Vorsatzes, etwa aufgrund welchen nach außen in Erscheinung tretenden Verhaltens des Täters ausgegangen ist. Dass die Kenntnis über das grundsätzliche Bestehen einer Steuerpflicht der bezogenen Einkünfte bei einer intellektuell durchschnittlich begabten Person vorausgesetzt werden könne, reicht als einzige Erwägung ohne konkrete Bezugnahme auf den Täter nicht aus.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lukacic-Marinkovic, über die Revision des KR P in W, vertreten durch die Fidi Unger Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Bartensteingasse 16/6, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7100077/2013, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2002, Einkommensteuer 2002 und Umsatzsteuer 2002, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber war im revisionsgegenständlichen Zeitraum als gewerblicher Immobilienmakler tätig.

2 Das Finanzamt nahm nach einer Außenprüfung die Verfahren für die Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2002 wieder auf und erließ neue Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide.

3 Der Revisionswerber erhob dagegen fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde).

4 Das Bundesfinanzgericht wies die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Wiederaufnahme betreffend Einkommensteuer 2002 und Umsatzsteuer 2002 richtete, als unbegründet ab und gab der Beschwerde gegen die Sachbescheide teilweise Folge.

5 Zur Wiederaufnahme führte es aus, dass die Verjährungsfrist für das Jahr 2002 für hinterzogene Abgaben aufgrund der Übergangsvorschrift des § 323 Abs. 27 BAO sieben Jahre betragen habe. Damit die Verjährungsfrist für hinterzogene Abgaben zur Anwendung gelange, bedürfe es weder der Einleitung eines Finanzstrafverfahrens noch eines rechtskräftigen Schuldspruchs in einem Finanzstrafverfahren. Einer Abgabenhinterziehung mache sich schuldig, wer vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirke. Im Revisionsfall habe der Revisionswerber ein näher bezeichnetes ausländisches Bankkonto im Rahmen der Einreichung seiner Abgabenerklärungen nicht offengelegt bzw. habe er die entsprechenden Kontoeingänge nicht erklärt, wozu er aber verpflichtet gewesen wäre. Darüber hinaus habe er in seiner Steuererklärung ihm gutgeschriebene Bankzinsen aus Australien und aus Liechtenstein nicht angeführt. Allein schon dadurch habe er die gebotene Offenlegungspflicht verletzt und eine Abgabenverkürzung bewirkt, womit der objektive Tatbestand der Abgabenhinterziehung erfüllt sei.

6 Die subjektive Tatseite verlange ein vorsätzliches Handeln, dass jemand ein Tatbild mit Wissen und Wollen verwirkliche. Vorsätzlich handle, wer einen Sachverhalt verwirklichen wolle, der einem gesetzlichen Tatbild entspreche. Ein bedingter Vorsatz liege dabei dann vor, wenn der Täter die Verwirklichung ernstlich für möglich halte und sich mit ihr abfinde. Nach den getroffenen Feststellungen habe der Revisionswerber Einnahmen aus seiner gewerblichen Tätigkeit bzw. aus erhaltenen Zinsgutschriften nicht offengelegt und die auf diese Einkünfte entfallende Einkommensteuer und Umsatzsteuer verkürzt. Zumal die Kenntnis über das grundsätzliche Bestehen einer Steuerpflicht der bezogenen Einkünfte bei einer intellektuell durchschnittlich begabten Person vorausgesetzt werden könne, könne aus den gegenständlich vorliegenden objektiven Umständen auf die subjektive Komponente geschlossen werden und derart von zumindest bedingtem Vorsatz ausgegangen werden. Es sei somit von hinterzogenen Abgaben auszugehen, weshalb die siebenjährige Verjährungsfrist zur Anwendung gelange. Im Revisionsfall hätten in den Jahren ab 2009 jeweils zahlreiche Verlängerungshandlungen vorgelegen. Diese wurden vom Bundesfinanzgericht in der Folge dargestellt. Die Verjährungsfrist für die Umsatzsteuer sei für die Monate Jänner bis November bereits abgelaufen; nur der Monat Dezember sei noch nicht verjährt.

7 Die verfügte Wiederaufnahme sei somit hinsichtlich Einkommensteuer 2002 (vollumfassend) zurecht erfolgt. Hinsichtlich Umsatzsteuer sei die Wiederaufnahme (nur) hinsichtlich Dezember 2002 rechtmäßig gewesen.

8 Zu den Sachbescheiden führte das Bundesfinanzgericht näher aus, weshalb es davon ausgehe, dass die Einzahlungen auf das ausländische Konto R aus nicht versteuerten Einnahmen stammten. Hinsichtlich der Betriebsausgaben für eine Subprovision gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit unter anderem ausführt, das Bundesfinanzgericht sei zu Unrecht von einer 7-jährigen Verjährungsfrist ausgegangen, weil es dem Revisionswerber Abgabenhinterziehung unterstellt habe, ohne dass dafür eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare Feststellungen vorgelegen hätten. Der lapidare Hinweis auf eine allgemein bekannte Steuerpflicht, woraus auf die subjektive Komponente der Tat geschlossen werden könne, würde bei konsequenter Fortsetzung dieses Denkansatzes bedeuten, dass bei allgemeiner Kenntnis des Bestehens einer Steuerpflicht auf zumindest bedingten Vorsatz geschlossen werden könne. Dies würde aber bedeuten, dass bei jeder intellektuell durchschnittlich begabten Person die subjektive Tatseite zur Abgabenhinterziehung jedenfalls als erfüllt anzusehen sei. Damit wäre die Bestimmung des § 207 Abs. 2 BAO ad absurdum geführt. Auch die Schlussfolgerung des Bundesfinanzgerichts, wonach von der objektiven Tatseite auf die subjektive Tatseite geschlossen werden könne, widerspreche den klaren Prüfungsvorgaben der Rechtsprechung.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:

11 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

12 Nach § 207 Abs. 1 BAO unterliegt das Recht, eine Abgabe festzusetzen, nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung. Nach § 207 Abs. 2 BAO beträgt die Verjährungsfrist u. a. bei der Einkommensteuer fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, betrug die Verjährungsfrist für den Revisionszeitraum gemäß § 207 Abs. 2 Satz 2 BAO iVm § 323 Abs. 27 BAO sieben Jahre.

13 Eine Abgabenhinterziehung begeht, wer vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt. Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet (vgl. ).

14 Die Abgabenbehörde ist nicht daran gehindert, im Abgabenverfahren - ohne dass es einer finanzstrafbehördlichen oder gerichtlichen Entscheidung bedarf - festzustellen, dass Abgaben im Sinne des § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO hinterzogen sind. Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt konkrete und nachprüfbare Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Dabei ist vor allem in Rechnung zu stellen, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer objektiven Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz als Schuldform erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn - in nachprüfbarer Weise - auch der Vorsatz feststeht. Vorsätzlich handelt, wer ein Tatbild mit Wissen und Wollen verwirklicht. Vorsätzliches Handeln beruht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen (vgl. ; , Ra 2019/13/0091; , Ro 2021/13/0019; jeweils mwN).

15 Das angefochtene Erkenntnis enthält zwar Feststellungen zum objektiven Tatbestand der Abgabenhinterziehung, es enthält aber keine Sachverhaltsfeststellungen und auch keine beweiswürdigenden Erwägungen zur entscheidenden Frage des Vorsatzes. Auch die Feststellungen und beweiswürdigenden Erwägungen bei den Sachbescheiden betreffen nur die objektive Abgabenhinterziehung und die Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers, nicht jedoch den angenommenen Vorsatz.

16 Die Aussage, dass aus den gegenständlich vorliegenden objektiven Umständen auf die subjektive Komponente geschlossen werden, kann für sich genommen keine Feststellungen bzw. beweiswürdigenden Erwägungen ersetzen. Die Erfüllung des objektiven Tatbestands entbindet das Bundesfinanzgericht nicht davon, seine Erwägungen offenzulegen, wieso es vom Vorliegen eines Vorsatzes, etwa aufgrund welchen nach außen in Erscheinung tretenden Verhaltens des Revisionswerbers ausgegangen ist. Dass die Kenntnis über das grundsätzliche Bestehen einer Steuerpflicht der bezogenen Einkünfte bei einer intellektuell durchschnittlich begabten Person vorausgesetzt werden könne, reicht als einzige Erwägung ohne konkrete Bezugnahme auf den Revisionswerber nicht aus. Ob etwa die Ausführungen des Bundesfinanzgerichts in den beweiswürdigenden Überlegungen zu den Sachbescheiden hinsichtlich der Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers (zB zur Barzahlung oder der Vernichtung der Sparbücher) in die Beurteilung des Bundesfinanzgerichts zum Vorliegen des Vorsatzes eingeflossen sind, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht erkennbar.

17 Dieser Begründungsmangel ist für die Frage der Wiederaufnahme des Verfahrens entscheidungsrelevant. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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Normen
BAO §115 Abs1
BAO §167 Abs2
BAO §207 Abs2
FinStrG §33
FinStrG §8 Abs1
FinStrG §98 Abs3
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2025:RA2023130034.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
ZAAAF-48667