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VwGH 28.10.2020, Ro 2020/16/0035

VwGH 28.10.2020, Ro 2020/16/0035

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssatz


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Norm
VwGG §30 Abs2
RS 1
Nichtstattgebung - Familienbeihilfe - Auch bei Amtsrevisionen ist die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 und 5 VwGG zulässig. Als "unverhältnismäßiger Nachteil für den Revisionswerber" ist dabei eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von der Amtspartei zu vertretenden öffentlichen Interessen als Folge einer Umsetzung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses in die Wirklichkeit zu verstehen. Insoweit treten diese öffentlichen Interessen im Falle einer Amtsrevision bei der vorzunehmenden Interessenabwägung an die Stelle jener Interessenlage, die sonst bei einem "privaten" Revisionswerber als Interesse an dem Aufschub des sofortigen Vollzugs der angefochtenen Entscheidung in die Abwägung einfließt (vgl. ; , Ro 2017/10/0032). Ein solcher "unverhältnismäßiger Nachteil" wird mit dem Vorbringen, dass im Falle einer Abweisung der Beschwerde im noch anhängigen Beschwerdeverfahren die Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge von der Mitbeteiligten wieder zurückbezahlt werden müssten, nicht dargetan.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des Finanzamts Wien 8/16/17 in 1030 Wien, Marxergasse 4, der gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RE/7100002/2020 (neu protokolliert zu RV/7103706/2020), betreffend Familienbeihilfe (mitbeteiligte Partei: J, vertreten durch Mag. Maria-Christina Breitenecker, Dr. Christine Kolbitsch und Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwälte in 1020 Wien, Taborstraße 10/2), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 und 5 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

1 Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof ab Vorlage der Revision auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist § 30 Abs. 2 VwGG sinngemäß anzuwenden (§ 30 Abs. 5 VwGG).

2 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch bei Amtsrevisionen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 und 5 VwGG zulässig. Als „unverhältnismäßiger Nachteil für den Revisionswerber“ ist dabei eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von der Amtspartei zu vertretenden öffentlichen Interessen als Folge einer Umsetzung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses in die Wirklichkeit zu verstehen. Insoweit treten diese öffentlichen Interessen im Falle einer Amtsrevision bei der vorzunehmenden Interessenabwägung an die Stelle jener Interessenlage, die sonst bei einem „privaten“ Revisionswerber als Interesse an dem Aufschub des sofortigen Vollzugs der angefochtenen Entscheidung in die Abwägung einfließt (vgl. ; , Ro 2017/10/0032).

3 Ein solcher „unverhältnismäßiger Nachteil“ wird mit dem Vorbringen, dass im Falle einer Abweisung der Beschwerde im noch anhängigen Beschwerdeverfahren die Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge von der Mitbeteiligten wieder zurückbezahlt werden müssten, nicht dargetan.

4 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zu prüfen (vgl.  bis 0028, mwN). Mit dem Vorbringen, das Bundesfinanzgericht habe die im angefochtenen Beschluss getroffenen Anweisungen nicht zu Recht erteilt, wird somit ein „unverhältnismäßiger Nachteil“ nicht aufgezeigt.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Beschluss

Entscheidungsdatum:

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofräte Mag. Straßegger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Österreich in Wien, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , RE/7100002/2020 (neu protokolliert zu RV/7103706/2020), betreffend Familienbeihilfe (mitbeteiligte Partei: J D in F [Portugal], vertreten durch Mag. Maria-Christina Breitenecker, Dr. Christine Kolbitsch und Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwälte in 1020 Wien, Taborstraße 10/2), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Bundesfinanzgericht in unmittelbarer Anwendung des Unionsrechts eine einstweilige Anordnung („vorläufige Entscheidung“) betreffend u.a. die Auszahlung von Familienbeihilfe an die Mitbeteiligte erlassen. Zugleich hat das Bundesfinanzgericht mit gesondertem Beschluss dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Artikel 267 AEUV mehrere Fragen - von deren Beantwortung der Anspruch der Mitbeteiligten auf Familienleistungen abhängt - mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Im angefochtenen Beschluss hat das Bundesfinanzgericht mit Verweis auf das Vorabentscheidungsverfahren festgehalten, dass mit dem Urteil des EuGH die vorläufige Entscheidung „obsolet“ werde.

3 Der EuGH hat die ihm vom BFG vorgelegten Fragen mit Urteil vom , C-372/20, QY, beantwortet.

4 Mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom wurde das Finanzamt in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG aufgefordert bekanntzugeben, welches rechtliches Interesse an einer Sachentscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof besteht.

5 Mit Schriftsatz vom gab das Finanzamt bekannt, dass weiterhin ein rechtliches Interesse an einer Sachentscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof bestehe, weil der nicht sämtliche in der Revision aufgezeigten Rechtsfrage ausreichend geklärt habe.

6 Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist die Revision mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde.

7 § 33 Abs. 1 VwGG ist nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall wegen Gegenstandslosigkeit liegt insbesondere auch dann vor, wenn der Revisionswerber kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat (vgl. etwa , mwN).

8 Das Bundesfinanzgericht hat im angefochtenen Beschluss ausgesprochen, dass die vorläufige Entscheidung mit dem Urteil des EuGH (Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens) „obsolet“ werde. Damit hat es zum Ausdruck gebracht, dass die Rechtswirkungen des Beschlusses lediglich vorläufiger Natur sind (vgl. dazu auch , Rn 57, zur vorläufigen Wirkung des angefochtenen Beschlusses). Mit dem Ergehen des hat der angefochtene Beschluss seine (materielle) Wirksamkeit verloren und ist damit gegenstandslos geworden.

9 Es ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes, in einer Revisionssache zu entscheiden, wenn der Entscheidung nach der Sachlage keine Bedeutung mehr zukommt und letztlich bloß eine Entscheidung über theoretische Rechtsfragen ergehen könnte. Dies gilt auch dann, wenn die einem Revisionsfall zugrundeliegende Rechtsfrage für künftige Verwaltungsverfahren bzw. verwaltungsgerichtliche Verfahren von Interesse sein könnte (vgl. erneut ; , Ra 2017/20/0494, jeweils mwN).

10 Einer Entscheidung über die Amtsrevision käme im vorliegenden Fall keine praktische Bedeutung mehr zu; zur Klärung theoretischer Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof nach dem Gesagten allerdings nicht berufen.

11 Zufolge des Wegfalles des rechtlichen Interesses der revisionswerbenden Partei an einer Sachentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes war die vorliegende Revision - in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG - als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Norm
VwGG §30 Abs2
Schlagworte
Unverhältnismäßiger Nachteil
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020160035.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
WAAAF-48214