VwGH 01.10.2018, Ro 2016/04/0046
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z73 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z74 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §53 Abs1 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §70 Abs1 Z20 ElWOG 2010 §7 Abs1 Z76 |
RS 1 | Das NÖ ElWG 2005 definiert - ebenso wie das ElWOG 2010 - weder den Begriff des Verteilernetzes noch jenen des Netzes, sondern setzt diese als bekannt voraus. § 2 Abs. 1 Z 73 NÖ ElWG 2005 (ebenso wie das ElWOG 2010) versteht unter einem Verteilernetzbetreiber eine Person, die für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Verteilernetzes für ein bestimmtes Gebiet verantwortlich ist. Dabei ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 74 leg. cit. unter der "Verteilung" der Transport elektrischer Energie zu verstehen, wobei der Verkauf definitionsgemäß nicht mitumfasst ist (argum.: "mit Ausnahme der Versorgung"). Mit anderen Worten ist unter dem Betreiben eines Verteilernetzes die Errichtung bzw. Aufrechterhaltung der für die Deckung der Stromnachfrage in einem bestimmten Gebiet notwendigen technischen Infrastruktur zu verstehen. |
Normen | ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z73 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §75 Abs4 Z1 32009L0072 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art2 |
RS 2 | Die Begriffsbestimmung des "Verteilernetzbetreibers" in § 2 Abs. 1 Z 73 NÖ ElWG 2005 stimmt mit der Definition der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie, die gemäß § 75 Abs. 4 Z 1 NÖ ElWG 2005 mit diesem Gesetz umgesetzt werden sollte, wörtlich überein. Diese Begriffsbestimmung war bereits in der Richtlinie 2003/54/EG normiert. |
Normen | ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z73 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z74 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §53 Abs1 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §70 Abs1 Z20 ElWOG 2010 §7 Abs1 Z76 32003L0054 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art2 32009L0072 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art2 62006CJ0439 citiworks VORAB |
RS 3 | Da die Definition betreffend das Verteilernetz in der Richtlinie 2009/72/EG (Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie) mit jener der Richtlinie 2003/54/EG (Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie "alt") wörtlich übereinstimmt, ist davon auszugehen, dass die Auslegung des EuGH ( citiworks AG, C-439/06) auch zur Interpretation der Definition des Verteilernetzes vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage maßgeblich ist. Der EuGH geht zusammengefasst davon aus, dass die Richtlinie Netze weder aufgrund ihrer Größe noch wegen des Stromverbrauchs von ihrem Anwendungsbereich ausnimmt. Weiters macht es dieser Auslegung zufolge für die Anwendung der Richtlinie keinen Unterschied, ob der Netzbetreiber hauptsächlich als Verteilernetzbetreiber tätig ist, bzw. ob er das Netz als Haupt- oder Nebenzweck betreibt. Da der EuGH, ohne ausdrücklich zu dem Kriterium des Bestehens des Netzes auf einem abgegrenzten Gebiet Stellung zu nehmen, das dort verfahrensgegenständliche "Flughafennetz" als Verteilernetz qualifiziert, weshalb es dem Regime der Richtlinie zu unterstellen sei, ist implizit auch klargestellt, dass der Umstand der Versorgung (bloß) eines abgeschlossenen Betriebsgeländes per se der Anwendung der Richtlinie nicht entgegensteht. Auch geht daraus hervor, dass der Umstand, dass der Netzbetreiber die an seinem Netz angeschlossenen Kunden mit Strom versorgt, die Qualifikation als Verteilernetz nicht hindert. Da das NÖ ElWG 2005 der Umsetzung der Richtlinie dienen soll, ist - bei gebotener richtlinienkonformer Auslegung - davon auszugehen, dass es sich bei dem hier zu beurteilenden Netz des Grundeigentümers ungeachtet seiner Größe und Reichweite betreffend (nur) ein abgegrenztes Gebiet um ein Verteilernetz im Sinne der elektrizitätsrechtlichen Bestimmungen handelt, weil der Grundeigentümer ein eigenes Netz in einem bestimmten Gebiet unterhält, das der Stromversorgung der Pächter als Kunden dient. Auch der Umstand, dass der Grundeigentümer mit der Verteilung des Stroms keinen betrieblichen Hauptzweck verfolgt, sondern damit einer sich aus den Pachtverträgen ergebenden Nebenverpflichtung nachkommt, hindert nicht die Subsumtion des Sachverhalts als Betrieb eines Verteilernetzes. |
Normen | ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z73 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z74 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §53 Abs1 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §70 Abs1 Z20 ElWOG 2010 §7 Abs1 Z76 32009L0072 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL 32009L0072 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art2 62006CJ0439 citiworks VORAB |
RS 4 | Die Entflechtung des Netzbetriebes von der Erzeugung und Versorgung soll der Erreichung des Zieles der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie betreffend die Förderung des Wettbewerbs auf dem Strommarkt dienen (vgl. Erwägungsgrund 8 und 9 der Richtlinie 2009/72/EG). Dies lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass eine Person, die Strom auch verkauft, nicht zugleich - wenn auch vielleicht unerlaubterweise - die Aufgabe des Verteilernetzbetreibers wahrnehmen kann. Auch der EuGH hat in seinem Urteil "citiworks AG" in dem Umstand, dass der Netzbetreiber die Kunden mit Strom versorgte, keinen Grund gesehen, das dort untersuchte Netz vom Begriff des Verteilernetzes auszunehmen. |
Normen | ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z73 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §53 Abs1 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §70 Abs1 Z20 ElWOG 1998 §7 Z26 ElWOG 2010 §7 Abs1 Z76 62006CJ0439 citiworks VORAB |
RS 5 | Nach herrschender Meinung im Schrifttum galten sogenannte Verbrauchsstätten als nicht verteilernetzkonzessionspflichtig, wobei § 7 Z 26 ElWOG 1998 in seiner Stammfassung die Verbrauchsstätte als "ein oder mehrere zusammenhängende, im Eigentum oder in der Verfügungsgewalt eines Endverbrauchers stehende Betriebsgelände, für das oder die ein Endverbraucher elektrische Energie bezieht und über ein eigenes Netz zu Selbstkosten verteilt", definiert hat (vgl. Hauer in Hauer/Oberndorfer, ElWOG-Kommentar (2007), § 26 Rn 4, mwN). Das geltende ElWOG 2010 und das NÖ ElWG 2005 kennen jeweils den Begriff der Verbrauchsstätte nicht mehr. Auch normieren diese Gesetze keine ausdrückliche Abgrenzung des Begriffes des Verteilernetzes zu netzartigen Leitungskonfigurationen in Großimmobilien wie Hotel, Wohnhausanlagen, Messegeländen, Einkaufszentren und ähnlichen Betriebsgeländen, in denen der Immobilieneigentümer seinen Einmietern Elektrizität über seine eigenen Leitungen zur Verfügung stellt (ua sog "Arealversorger") (vgl. Hauer in Hauer/Oberndorfer, ElWOG (2007) § 26 Rz 4). Es stellt sich aus diesem Grund die Frage, ob mit dem Wegfall dieses Begriffs, der mit der Novelle des ElWOG 2000 im Zuge der Marktöffnung des Strommarktes entfallen ist, eine Änderung der Konzessionsrechtslage eingetreten ist. Es wurde (auch) für die österreichische Rechtslage vertreten, dass der Pflichtenkatalog der Netzbetreiber, die in erster Linie nichtdiskriminierendes Verhalten und geregelte Preise im Rahmen des Netzzuganges zu gewährleisten haben, für sogenannte öffentliche Netze gelte, neben welchen aber auch "private Netze" existieren würden, die vom Regime des Netzzugangs ausgenommen seien (vgl. die Darstellung bei Rabl, EuGH citiworks: Wann ist ein Netz ein (privates) Netz? in ecolex 2008, 698 ff, mwN). Dieser Rechtsansicht kann vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH ( citiworks AG, C-439/06) nicht beigetreten werden. |
Normen | ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z73 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §53 Abs1 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §70 Abs1 Z20 ElWOG 2010 §7 Abs1 Z76 32003L0054 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art2 32009L0072 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art2 |
RS 6 | Da das NÖ ElWG 2005 und das ElWOG 2010 jeweils ausdrücklich die Umsetzung der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie bezwecken, kann der Argumentation, der Gesetzgeber habe ungeachtet der Abschaffung der Ausnahmeregelung betreffend Verbrauchsstätten einen - vom Verständnis der Richtlinie abweichenden - Verteilernetzbegriff aufrecht erhalten wollen, nicht gefolgt werden. |
Normen | 32009L0072 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art28 32009L0072 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art44 Abs1 62006CJ0439 citiworks VORAB 62017CC0262 Solvay Chimica Italia Schlussantrag |
RS 7 | Als Reaktion auf die aus dem Urteil des EuGH "cityworks AG" resultierende Besorgnis, dass Betreiber von Verteilernetzen der in diesem Urteil in Rede stehenden Art durch die Voraussetzungen der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie zu sehr belastet würden, wurde das Konzept der "geschlossenen Verteilernetze" in diese Richtlinie aufgenommen. Solche Netze können nach Art. 28 dieser Richtlinie von bestimmten Verpflichtungen ausgenommen werden (siehe dazu die Schlussanträge des Generalanwalts Evgeni Tanchev vom in den verbundenen Rechtssachen C-262/17, C-263/17 und C-273/17, Solvay Chimica Italia SpA u.a. Rn 3f). Auch "geschlossene Verteilernetze" sind aber - ebenso wie "isolierte Kleinstnetze" - von der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie erfasst. |
Normen | ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z13 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §53 Abs1 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §70 Abs1 Z2 |
RS 8 | Der Begriff des Endverbrauchers knüpft am Eigenverbrauch von Energie an, weshalb auch Energie verbrauchende Elektrizitätsunternehmen darunter fallen würden (Hinweis ). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsansicht mag der Grundeigentümer hinsichtlich des Teiles der Energie, die er für den Eigenbedarf bezieht, als Endverbraucher anzusehen sein. Im Umfang der von den Pächtern über das Netz des Grundeigentümers zum Zweck der eigenen Stromversorgung bezogenen Energie liegt kein Eigenverbrauch des Grundeigentümers vor, sodass er in diesem Umfang auch nicht als Endverbraucher anzusehen ist. (Hier: Dem Revisionswerber wurde zur Last gelegt, er habe als Eigentümer eines bestimmt bezeichneten Grundstückes eine Übertretung des NÖ ElWG 2005 zu verantworten, weil er einen Teil seines Grundstückes an Dritte verpachtet habe, die verpflichtet worden seien, elektrischen Strom vom Revisionswerber zu einem bestimmten Preis zu beziehen, den dieser selbst für einen halb so hohen Preis kaufe, wobei der Revisionswerber auf Eigengrund ein Verteilernetz inklusive Messeinrichtungen errichtet habe und dieses in Gewinnabsicht betreibe, ohne über eine elektrizitätsrechtliche Konzession zu verfügen. Die festgestellte Tätigkeit des Revisionswerbers ist als Betreiben eines Verteilernetzes im Sinne des § 53 Abs. 1 NÖ ElWG 2005 anzusehen). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, den Hofrat Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision des J F in H, vertreten durch die Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-S-695/001-2016, betreffend Übertretung des NÖ Elektrizitätswesengesetzes 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Tulln), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Der Revisionswerber ist Alleineigentümer eines an einem Badesee gelegenen Grundstücks mit einer Fläche von 129.189 m². Die an den See angrenzenden Flächen sind in Lose unterteilt, welche zur gärtnerischen Nutzung verpachtet werden.
2 2. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe als Eigentümer eines bestimmt bezeichneten Grundstückes eine Übertretung des NÖ Elektrizitätswesengesetzes 2005 (NÖ ElWG 2005) zu verantworten, weil er einen Teil seines Grundstückes an Dritte verpachtet habe, die verpflichtet worden seien, elektrischen Strom vom Revisionswerber zu einem Preis von € 0,38/kWh zu beziehen, den dieser selbst für € 0,19/kWh kaufe, wobei der Revisionswerber auf Eigengrund ein Verteilernetz inklusive Messeinrichtungen errichtet habe und dieses in Gewinnabsicht betreibe, ohne über eine elektrizitätsrechtliche Konzession zu verfügen. Aus diesem Grund wurde über den Revisionswerber gemäß § 70 Abs. 1 Z 20 iVm § 53 Abs. 1 NÖ ElWG 2005 eine Geldstrafe in Höhe von € 2.000,00 (Ersatzfreiheitsstrafe 72 Stunden) verhängt.
3 3. Das Verwaltungsgericht gab der Beschwerde des Revisionswerbers insofern Folge, als es die von der belangten Behörde festgesetzte Geldstrafe auf € 500,00 (Ersatzfreiheitsstrafe 18 Stunden) herabsetzte. Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt.
4 Über den bereits eingangs vorangestellten Sachverhalt hinaus stellte das Verwaltungsgericht fest, in den Pachtverträgen sei ausgeführt, dass jedem Pächter ein Stromanschluss zur Verfügung stehe. Der Stromzähler und alle Zuleitungen seien Eigentum des Verpächters und dürften nicht verändert werden. Die Kosten für den verbrauchten Strom würden laut Zählerstand an den Pächter weiterverrechnet und würden derzeit für Strom € 0,38/kWh (davon € 0,19 für die Leitungserrichtung und Zählergebühr) betragen. Die Abrechnung erfolge mit den Pächtern im Wesentlichen so, dass der verrechnete Betrag gerade kostendeckend sei.
5 Die Zuleitung des Stroms auf das Grundstück erfolge über den Haupttrafo, der bereits im Jahr 1985 auf der Liegenschaft errichtet worden sei und den die N GmbH dem Revisionswerber übergeben habe. Es seien ein Hauptzähler und im Bereich der Zuleitungen jeweils Subzähler zur Ermittlung des Verbrauchs der einzelnen Pächter installiert. Der Revisionswerber habe für den Strombezug einen Energieliefervertrag abgeschlossen.
6 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, es sei zu prüfen, ob der Tatbestand des Betreibens eines Verteilernetzes erfüllt sei bzw. ob ein Ausnahmetatbestand zutreffe. Der Revisionswerber verteile den Strom an die einzelnen Lose und sei Eigentümer der Zuleitung und der Stromkästen. Dass sämtliche Lose auf einem Grundstück liegen würden, hindere nicht die Qualifikation desselben als ein bestimmtes Gebiet. Der Revisionswerber sei vertraglich verpflichtet, den Losen einen Stromanschluss bereit zu stellen. Den Pächtern sei dadurch das freie Wahlrecht betreffend den Stromanbieter genommen. Es stehe damit fest, dass der Revisionswerber ein Verteilernetz betreibe, ohne über die erforderliche Konzession zu verfügen, sodass der von der belangten Behörde angezogene Straftatbestand erfüllt sei.
7 Hinsichtlich der Höhe der verhängten Strafe gelangte das Verwaltungsgericht nach Abwägung der Strafzumessungsgründe zu der Ansicht, dass mit einer geringeren Strafe als der von der belangten Behörde verhängten Geldstrafe das Auslangen gefunden werden könne.
8 Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem bloßen Verweis auf Art. 133 Abs. 4 B-VG.
9 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
10 Die belangte Behörde beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.
4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 4.1. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit - ergänzend zu der Begründung des Verwaltungsgerichts - vor, es liege keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Auslegung des Begriffs „Verteilernetz“ vor. Insbesondere sei die rechtliche Beurteilung der Weiterleitung von Strom durch einen Endverbraucher an andere Endverbraucher und auch die Frage, ab welcher Gebietsgröße von einem „Verteilernetz“ auszugehen sei, ungeklärt. Diesen Rechtsfragen komme über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung zu.
12 4.2. Die Revision ist im Sinne dieses Vorbringens zulässig. Sie ist jedoch im Ergebnis nicht berechtigt.
13 4.3. Zur Rechtslage:
14 4.3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des NÖ Elektrizitätswesengesetzes 2005 (NÖ ElWG 2005), LGBl. 7800-5 idF LGBl. Nr. 94/2015, lauten auszugsweise:
„Hauptstück I
Allgemeine Bestimmungen
§ 1
Geltungsbereich, Ziele
(1) Dieses Gesetz regelt die Erzeugung, Übertragung, Verteilung von und Versorgung mit elektrischer Energie in Niederösterreich.
(2) Dieses Gesetz findet nicht in Angelegenheiten Anwendung, die nach Art. 10 B-VG oder nach besonderen bundesverfassungsrechtlichen Bestimmungen in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sind. Soweit durch Bestimmungen dieses Gesetzes der Zuständigkeitsbereich des Bundes berührt wird, sind sie so auszulegen, dass sich keine über die Zuständigkeit des Landes hinausgehende rechtliche Wirkung ergibt.
(3) Ziel dieses Gesetzes ist es,
1. der Bevölkerung und der Wirtschaft elektrische Energie umweltfreundlich, kostengünstig, ausreichend, sicher und in hoher Qualität zur Verfügung zu stellen,
2. eine Marktorganisation für die Elektrizitätswirtschaft gemäß dem EU-Primärrecht und den Grundsätzen des Elektrizitätsbinnenmarktes gemäß der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie zu schaffen,
(...)
§ 2
Begriffsbestimmungen, Verweisungen
(1) Im Sinne dieses Gesetzes bezeichnet der Ausdruck
(...)
13. ‚Endverbraucher‘: eine natürliche oder juristische Person oder eine eingetragene Personengesellschaft, die elektrische Energie für den Eigenverbrauch kauft;
(...)
37. ‚Kunde‘: Endverbraucher, Stromhändler oder Elektrizitätsunternehmen, die elektrische Energie kaufen;
(...)
71. ‚Versorger‘: eine natürliche oder juristische Person oder eine eingetragene Personengesellschaft, die die Versorgung wahrnimmt;
72. ‚Versorgung‘: den Verkauf einschließlich des Weiterverkaufs von elektrischer Energie an Kunden;
73. ‚Verteilernetzbetreiber‘: eine natürliche oder juristische Person oder eine eingetragene Personengesellschaft, die verantwortlich ist für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Verteilernetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen sowie für die Sicherstellung der langfristigen Fähigkeit des Netzes, eine angemessene Nachfrage nach Verteilung von elektrischer Energie zu befriedigen;
74. ‚Verteilung‘: den Transport von elektrischer Energie über Hoch-, Mittel- oder Niederspannungsverteilernetze zum Zwecke der Belieferung von Kunden mit elektrischer Energie, jedoch mit Ausnahme der Versorgung;
(...)
Abschnitt 2
Verteilernetze
§ 53
Elektrizitätswirtschaftliche Konzession, Allgemeine Voraussetzungen für die Konzessionserteilung
(1) Der Betrieb eines Verteilernetzes bedarf einer elektrizitätswirtschaftlichen Konzession.
(...)
§ 70
Strafbestimmungen
(1) Eine Verwaltungsübertretung, die von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 25.000 €, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen ist, begeht, wer, sofern sich aus den Absätzen 2 oder 3 nichts anderes ergibt,
(...)
20. ein Verteilernetz ohne elektrizitätsrechtliche Konzession betreibt (§ 53 Abs. 1),
(...)
§ 75
Schlussbestimmungen, Geschlechtsspezifische Bezeichnungen, Umgesetzte EU-Richtlinien
(...)
(4) Durch dieses Gesetz werden folgende Richtlinien der Europäischen Union umgesetzt:
1. Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. L 211 vom , S. 55ff, soweit diese nicht durch das ElWOG 2010 umgesetzt wird,
(...) “
15 4.3.2. § 2 Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz 2010, BGBl. I Nr. 110/2010 idF BGBl. Nr. 174/2013, (ElWOG 2010) lautet auszugsweise:
„Bezugnahme auf Unionsrecht
§ 2
Durch dieses Bundesgesetz werden, unter Berücksichtigung der Verordnung 2009/713/EG zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, ABl. Nr. L 211 vom S. 1,
1. die Richtlinie 2009/72/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. Nr. L 211 vom S. 55, (Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie),
(...) umgesetzt sowie
(...)
Begriffsbestimmungen
§ 7. (Grundsatzbestimmung)
(1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes bezeichnet der Ausdruck
(...)
76. ‚Verteilernetzbetreiber‘ eine natürliche oder juristische Person oder eingetragene Personengesellschaft, die verantwortlich ist für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Verteilernetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen sowie für die Sicherstellung der langfristigen Fähigkeit des Netzes, eine angemessene Nachfrage nach Verteilung von Elektrizität zu befriedigen;
77. ‚Verteilung‘ den Transport von Elektrizität über Hoch-, Mittel- oder Niederspannungs-Verteilernetze zum Zwecke der Belieferung von Kunden, jedoch mit Ausnahme der Versorgung;
(...)“
4.3.3. Die Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie) lautet in ihren Erwägungsgründen und Bestimmungen auszugsweise:
„(...)
(30) Wo im Interesse der optimalen Effizienz integrierter Energieversorgung ein geschlossenes Verteilernetz betrieben wird und besondere Betriebsnormen erforderlich sind oder ein geschlossenes Verteilernetz in erster Linie für die Zwecke des Netzeigentümers betrieben wird, sollte die Möglichkeit bestehen, den Verteilernetzbetreiber von Verpflichtungen zu befreien, die bei ihm - aufgrund der besonderen Art der Beziehung zwischen dem Verteilernetzbetreiber und den Netzbenutzern - einen unnötigen Verwaltungsaufwand verursachen würden. Bei Industrie- oder Gewerbegebieten oder Gebieten, in denen Leistungen gemeinsam genutzt werden, wie Bahnhofsgebäuden, Flughäfen, Krankenhäusern, großen Campingplätzen mit integrierten Anlagen oder Standorten der Chemieindustrie können aufgrund der besonderen Art der Betriebsabläufe geschlossene Verteilernetze bestehen.
(...)
KAPITEL I GEGENSTAND, ANWENDUNGSBEREICH UND BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
Artikel 1
Gegenstand und Anwendungsbereich
Mit dieser Richtlinie werden gemeinsame Vorschriften für die Elektrizitätserzeugung, -übertragung, -verteilung und -versorgung sowie Vorschriften im Bereich des Verbraucherschutzes erlassen, um in der Gemeinschaft für die Verbesserung und Integration von durch Wettbewerb geprägte Strommärkte zu sorgen. Sie regelt die Organisation und Funktionsweise des Elektrizitätssektors, den freien Marktzugang, die Kriterien und Verfahren für Ausschreibungen und die Vergabe von Genehmigungen sowie den Betrieb der Netze. Darüber hinaus werden in der Richtlinie die Verpflichtungen zur Gewährleistung der Grundversorgung und die Rechte der Stromverbraucher festgelegt und die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften klargestellt.
Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
(...)
5. ‚Verteilung‘ den Transport von Elektrizität mit hoher, mittlerer oder niedriger Spannung über Verteilernetze zum Zwecke der Belieferung von Kunden, jedoch mit Ausnahme der Versorgung;
6. ‚Verteilernetzbetreiber‘ eine natürliche oder juristische Person, die verantwortlich ist für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Verteilernetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen sowie für die Sicherstellung der langfristigen Fähigkeit des Netzes, eine angemessene Nachfrage nach Verteilung von Elektrizität zu decken;
(...)
27. ‚isoliertes Kleinstnetz‘ ein Netz mit einem Verbrauch von weniger als 500 GWh im Jahr 1996, das nicht mit anderen Netzen verbunden ist;
(...)
Artikel 28
Geschlossene Verteilernetze
(1) Die Mitgliedstaaten können veranlassen, dass ein Netz, mit dem in einem geographisch begrenzten Industrie- oder Gewerbegebiet oder Gebiet, in dem Leistungen gemeinsam genutzt werden, Strom verteilt wird, wobei - unbeschadet des Absatzes 4 - keine Haushaltskunden versorgt werden, von den nationalen Regulierungsbehörden oder sonstigen zuständigen Behörden als geschlossenes Netz eingestuft wird, wenn
a) die Tätigkeiten oder Produktionsverfahren der Benutzer dieses Netzes aus konkreten technischen oder sicherheitstechnischen Gründen verknüpft sind, oder
b) mit dem Netz in erster Linie Strom an den Netzeigentümer oder -betreiber oder an mit diesen verbundene Unternehmen verteilt wird.
(...)
Artikel 44
Ausnahmeregelungen
(1) Die Mitgliedstaaten, die nach Inkrafttreten dieser Richtlinie nachweisen können, dass sich für den Betrieb ihrer kleinen, isolierten Netze erhebliche Probleme ergeben, können Ausnahmeregelungen zu den einschlägigen Bestimmungen der Kapitel IV, VI, VII und VIII sowie des Kapitels III im Falle von isolierten Kleinstnetzen, soweit die Umrüstung, Modernisierung und Erweiterung bestehender Kapazität betroffen ist, beantragen, die ihnen von der Kommission gewährt werden können. Vor einer entsprechenden Entscheidung unterrichtet die Kommission die Mitgliedstaaten über diese Anträge unter Wahrung der Vertraulichkeit. Die Entscheidung wird im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.
(...)“
4.3.4. Art. 2 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG lautete auszugsweise:
„Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
(...)
5. ‚Verteilung‘ den Transport von Elektrizität mit hoher, mittlerer oder niedriger Spannung über Verteilernetze zum Zwecke der Belieferung von Kunden, jedoch mit Ausnahme der Versorgung;
6. ‚Verteilernetzbetreiber‘ eine natürliche oder juristische Person, die verantwortlich ist für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Verteilernetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen sowie für die Sicherstellung der langfristigen Fähigkeit des Netzes, eine angemessene Nachfrage nach Verteilung von Elektrizität zu decken;
(...)“
16 4.4. Die Revision wendet sich gegen die Subsumtion des festgestellten Verhaltens des Revisionswerbers unter den Tatbestand des § 70 Abs. 1 Z 20 NÖ ElWG 2005 betreffend das Betreiben eines Verteilernetzes ohne elektrizitätsrechtliche Konzession.
17 Aus den Begriffsbestimmungen des § 2 NÖ ElWG 2005 betreffend „Versorgung“, „Verteilernetzbetreiber“ und „Verteilung“ ergebe sich, dass „Verteilung“ den Transport an die Kunden mit Ausnahme des Verkaufs an diese umfasse. Es sei daher unschlüssig, wenn dem Revisionswerber angelastet werde, er würde Strom an die Pächter verkaufen, und ihm gleichzeitig vorzuwerfen, er betreibe ein Verteilernetz. Der Revisionswerber sei Endverbraucher, der selbst Strom aus dem Verteilernetz beziehe. Er sei daher nicht Betreiber, sondern vielmehr Nutzer eines Verteilernetzes. Es erfolge bloß ein Weitertransport von einem Endverbraucher zum anderen - nämlich den Pächtern -, was nicht als Betrieb eines Netzes angesehen werden könne. Die Situation sei keine andere als in Wohnhäusern mit Mietwohnungen oder in Einkaufszentren. Solche innerhalb eines sehr eng abgegrenzten Gebietes installierte Netze seien auch aufgrund einer historischen Interpretation des NÖ ElWG 2005 nicht konzessionspflichtig, weil - wie in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage der Stammfassung im Zusammenhang mit § 7 Z 26 ElWOG 1998 angemerkt sei - die Abgabe von Strom im Rahmen von Tätigkeiten, die nicht primär auf die Versorgung Dritter gerichtet seien, keiner Konzession bedürfe.
18 Zudem sei für den Verteilernetzbetreiber die Absicht, ein bestimmtes Gebiet zu versorgen, von zentraler Bedeutung. Der Revisionswerber habe zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, ein Verteilernetz zu betreiben oder sonstige Versorgungsleistungen zu übernehmen.
19 4.5. Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob das vom Revisionswerber betriebene Netz unter den Begriff des Verteilernetzes im Sinne der angewendeten Norm zu subsumieren ist.
20 4.5.1. Das NÖ Elektrizitätswesengesetzes 2005 (NÖ ElWG 2005) definiert - ebenso wie das Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz 2010 (ElWOG 2010) - weder den Begriff des Verteilernetzes noch jenen des Netzes, sondern setzt diese als bekannt voraus.
21 § 2 Abs. 1 Z 73 NÖ ElWG 2005 (ebenso wie das ElWOG 2010) versteht unter einem Verteilernetzbetreiber eine Person, die für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Verteilernetzes für ein bestimmtes Gebiet verantwortlich ist. Dabei ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 74 leg.cit. unter der „Verteilung“ der Transport elektrischer Energie zu verstehen, wobei der Verkauf definitionsgemäß nicht mitumfasst ist (argum.: „mit Ausnahme der Versorgung“). Mit anderen Worten ist unter dem Betreiben eines Verteilernetzes die Errichtung bzw. Aufrechterhaltung der für die Deckung der Stromnachfrage in einem bestimmten Gebiet notwendigen technischen Infrastruktur zu verstehen.
22 Die Begriffsbestimmung des „Verteilernetzbetreibers“ in § 2 Abs. 1 Z 73 NÖ ElWG 2005 stimmt mit der Definition der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie, die gemäß § 75 Abs. 4 Z 1 NÖ ElWG 2005 mit diesem Gesetz umgesetzt werden sollte, wörtlich überein. Diese Begriffsbestimmung war bereits in der Richtlinie 2003/54/EG normiert.
23 4.5.2. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom , C-439/06, „citiworks AG“, zu der Vorlagefrage Stellung genommen, ob Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Bestimmung entgegensteht, nach der bestimmte Betreiber von Energieversorgungsnetzen von der Verpflichtung, Dritten freien Netzzugang zu gewähren, ausgenommen sind, weil sich diese Netze auf einem zusammengehörenden Betriebsgebiet befinden und überwiegend dem Transport von Energie innerhalb des eigenen Unternehmens und zu verbundenen Unternehmen dienen. Der EuGH führt dort aus, dass zur Beantwortung der Vorlagefrage Art. 20 der Richtlinie 2003/54/EG im Licht der Ziele und Bestimmungen dieser Richtlinie auszulegen sei, um festzustellen, ob das im Ausgangsverfahren fragliche Netz in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie falle.
24 In seiner Begründung hält der EuGH unter anderem fest:
„(...)
48 Was erstens die Natur der Übertragungs- und der Verteilernetze im Sinne der Richtlinie 2003/54 und die über diese Netze übertragene Strommenge angeht, ist festzustellen, dass allein das Kriterium der Spannung dieses Stroms für die Unterscheidung zwischen Übertragung und Verteilung maßgeblich ist.
49 Nach Art. 2 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2003/54 betrifft nämlich ein Übertragungsnetz Elektrizität mit sehr hoher und hoher Spannung, während ein Verteilernetz Elektrizität mit hoher, mittlerer oder niedriger Spannung transportiert. Der Stromverbrauch wird in der Richtlinie 2003/54 nur zur Definition der Begriffe ‚kleines, isoliertes Netz‘ und ‚isoliertes Kleinstnetz‘ herangezogen, bei denen Ausnahmen von bestimmten in der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen gewährt werden. Der Gemeinschaftsgesetzgeber wollte also nicht bestimmte Übertragungs- oder Verteilernetze aufgrund ihrer Größe oder ihres Stromverbrauchs vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/54 ausnehmen.
50 § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG grenzt die Netze, die in seinen Anwendungsbereich fallen, nicht nach ihrem Stromverbrauch ab. Denn diese Bestimmung erfasst Netze, ‚die sich auf einem ... räumlich zusammengehörenden Betriebsgebiet befinden sowie überwiegend dem Transport von Energie innerhalb des eigenen Unternehmens oder zu ... verbundenen [Unternehmen] dienen‘.
51 Zweitens bestimmt die Richtlinie 2003/54 hinsichtlich des Betriebs und des Zwecks der Übertragungs- und der Verteilernetze für beide Arten von Netzen, dass die Elektrizität zum Zweck der Belieferung mit Ausnahme der Versorgung selbst transportiert wird und dass der Betreiber verantwortlich ist für den Betrieb, die Wartung und den Ausbau des Netzes in einem bestimmten Gebiet, um die langfristige Leistungsfähigkeit des Netzes sicherzustellen.
52 Im Übrigen verlangt Art. 13 der Richtlinie 2003/54, dass die Eigentümer von Verteilernetzen oder die für diese Verantwortlichen Verteilernetzbetreiber benennen. Weder aus dieser noch aus einer anderen Bestimmung der Richtlinie 2003/54 geht hervor, dass nur die Unternehmen freien Netzzugang zu gewähren haben, die hauptsächlich als Verteilernetzbetreiber tätig sind.
53 Insoweit lässt sich § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG nichts dafür entnehmen, dass es für die Abgrenzung der Netze, die in seinen Anwendungsbereich fallen, eine Rolle spielt, ob der Betreiber das Energieversorgungsnetz als Haupt- oder als Nebenzweck betreibt.
54 Aus der Vorlageentscheidung und den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen geht hervor, dass aus dem im Ausgangsverfahren fraglichen Netz FLH selbst und 93 weitere auf dem Gelände des Flughafens Leipzig/Halle angesiedelte Unternehmen mit Elektrizität versorgt werden. Dieses Netz hatte im Jahr 2004 einen Verbrauch von 22 200 MWh, wovon 3 800 MWh auf andere Unternehmen als FLH entfielen. Nach der Vorlageentscheidung wurde der Anteil dieser Unternehmen am Verbrauch für das Jahr 2007 auf 8 000 MWh prognostiziert. Daraus ergibt sich, dass FLH kein Übertragungsnetz betreibt, da nicht Elektrizität mit sehr hoher und hoher Spannung transportiert wird, sondern ein Netz, das dem Transport von Elektrizität zum Zweck der Belieferung von Kunden dient und als Verteilernetz im Sinne von Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2003/54 einzustufen ist. (...)“
25 Da die Definition betreffend das Verteilernetz in der Richtlinie 2009/72/EG (Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie) mit jener der Richtlinie 2003/54/EG (Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie „alt“) wörtlich übereinstimmt, ist davon auszugehen, dass diese Auslegung des EuGH auch zur Interpretation der Definition des Verteilernetzes vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage maßgeblich ist.
26 Der EuGH geht damit zusammengefasst davon aus, dass die Richtlinie Netze weder aufgrund ihrer Größe noch wegen des Stromverbrauchs von ihrem Anwendungsbereich ausnimmt. Weiters macht es dieser Auslegung zufolge für die Anwendung der Richtlinie keinen Unterschied, ob der Netzbetreiber hauptsächlich als Verteilernetzbetreiber tätig ist, bzw. ob er das Netz als Haupt- oder Nebenzweck betreibt. Da der EuGH, ohne ausdrücklich zu dem Kriterium des Bestehens des Netzes auf einem abgegrenzten Gebiet Stellung zu nehmen, das dort verfahrensgegenständliche „Flughafennetz“ als Verteilernetz qualifiziert, weshalb es dem Regime der Richtlinie zu unterstellen sei, ist implizit auch klargestellt, dass der Umstand der Versorgung (bloß) eines abgeschlossenen Betriebsgeländes per se der Anwendung der Richtlinie nicht entgegensteht. Auch geht daraus hervor, dass der Umstand, dass der Netzbetreiber die an seinem Netz angeschlossenen Kunden mit Strom versorgt, die Qualifikation als Verteilernetz nicht hindert.
27 4.5.4. Für den verfahrensgegenständlichen Sachverhalt folgt aus dem oben Gesagten:
28 Da das NÖ ElWG 2005 der Umsetzung der Richtlinie dienen soll, ist - bei gebotener richtlinienkonformer Auslegung - davon auszugehen, dass es sich bei dem Netz des Revisionswerbers ungeachtet seiner Größe und Reichweite betreffend (nur) ein abgegrenztes Gebiet um ein Verteilernetz im Sinne der elektrizitätsrechtlichen Bestimmungen handelt, weil der Revisionswerber ein eigenes Netz in einem bestimmten Gebiet unterhält, das der Stromversorgung der Pächter als Kunden dient. Auch der Umstand, dass der Revisionswerber mit der Verteilung des Stroms keinen betrieblichen Hauptzweck verfolgt, sondern damit einer sich aus den Pachtverträgen ergebenden Nebenverpflichtung nachkommt, hindert nicht die Subsumtion des Sachverhalts als Betrieb eines Verteilernetzes.
29 4.5.5. Die Argumentation der Revision, es könne sich nicht um ein Verteilernetz handeln, weil der Revisionswerber den Strom an die Pächter verrechne und damit die „Versorgung“ prästiere, die jedoch explizit von der „Verteilung“ ausgenommen sei, ändert an dieser Schlussfolgerung nichts. Die Entflechtung des Netzbetriebes von der Erzeugung und Versorgung soll der Erreichung des Zieles der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie betreffend die Förderung des Wettbewerbs auf dem Strommarkt dienen (vgl. Erwägungsgrund 8 und 9 der Richtlinie 2009/72/EG). Dies lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass eine Person, die Strom auch verkauft, nicht zugleich - wenn auch vielleicht unerlaubterweise - die Aufgabe des Verteilernetzbetreibers im Sinne der oben dargestellten Definition wahrnehmen kann. Auch der EuGH hat in seinem Urteil „citiworks AG“ - wie bereits oben erwähnt - in dem Umstand, dass der Netzbetreiber die Kunden mit Strom versorgte, keinen Grund gesehen, das dort untersuchte Netz vom Begriff des Verteilernetzes auszunehmen.
30 4.5.6. Insofern die Revision die frühere nationale Rechtslage und eine gebotene historische Interpretation ins Treffen führt, ist ihr darin zuzustimmen, dass nach herrschender Meinung im Schrifttum sogenannte Verbrauchsstätten als nicht verteilernetzkonzessionspflichtig galten, wobei § 7 Z 26 ElWOG 1998 in seiner Stammfassung die Verbrauchsstätte als „ein oder mehrere zusammenhängende, im Eigentum oder in der Verfügungsgewalt eines Endverbrauchers stehende Betriebsgelände, für das oder die ein Endverbraucher elektrische Energie bezieht und über ein eigenes Netz zu Selbstkosten verteilt“, definiert hat (vgl. Hauer in Hauer/Oberndorfer, ElWOG-Kommentar [2007], § 26 Rn 4, mwN).
31 Das geltende ElWOG 2010 und das NÖ ElWG 2005 kennen jeweils den Begriff der Verbrauchsstätte nicht mehr. Auch normieren diese Gesetze keine ausdrückliche Abgrenzung des Begriffes des Verteilernetzes zu netzartigen Leitungskonfigurationen in Großimmobilien wie Hotel, Wohnhausanlagen, Messegeländen, Einkaufszentren und ähnlichen Betriebsgeländen, in denen der Immobilieneigentümer seinen Einmietern Elektrizität über seine eigenen Leitungen zur Verfügung stellt (ua sog „Arealversorger“) (vgl. Hauer in Hauer/Oberndorfer, ElWOG [2007] § 26 Rz 4). Es stellt sich aus diesem Grund die Frage, ob mit dem Wegfall dieses Begriffs, der mit der Novelle des ElWOG 2000 im Zuge der Marktöffnung des Strommarktes entfallen ist, eine Änderung der Konzessionsrechtslage eingetreten ist.
32 Es wurde (auch) für die österreichische Rechtslage vertreten, dass der Pflichtenkatalog der Netzbetreiber, die in erster Linie nichtdiskriminierendes Verhalten und geregelte Preise im Rahmen des Netzzuganges zu gewährleisten haben, für sogenannte öffentliche Netze gelte, neben welchen aber auch „private Netze“ existieren würden, die vom Regime des Netzzugangs ausgenommen seien (vgl. die Darstellung bei Rabl, EuGH citiworks: Wann ist ein Netz ein (privates) Netz? in ecolex 2008, 698 ff, mwN).
33 Dieser Rechtsansicht kann vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtsprechung des EuGH nicht beigetreten werden.
34 Da das NÖ ElWG 2005 und das ElWOG 2010 jeweils ausdrücklich die Umsetzung der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie bezwecken, kann der Argumentation, der Gesetzgeber habe ungeachtet der Abschaffung der Ausnahmeregelung betreffend Verbrauchsstätten einen - vom Verständnis der Richtlinie abweichenden - Verteilernetzbegriff aufrecht erhalten wollen, nicht gefolgt werden. Eine Interpretation im Sinne der Revision verbietet die gebotene richtlinienkonforme Auslegung.
35 Als Reaktion auf die aus dem Urteil des EuGH, “cityworks AG“ resultierende Besorgnis, dass Betreiber von Verteilernetzen der in diesem Urteil in Rede stehenden Art durch die Voraussetzungen der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie zu sehr belastet würden, wurde das Konzept der „geschlossenen Verteilernetze“ in diese Richtlinie aufgenommen. Solche Netze können nach Art. 28 dieser Richtlinie von bestimmten Verpflichtungen ausgenommen werden (siehe dazu die Schlussanträge des Generalanwalts Evgeni Tanchev vom in den verbundenen Rechtssachen C-262/17, C-263/17 und C-273/17, Solvay Chimica Italia SpA u.a. Rn 3f).
Auch „geschlossene Verteilernetze“ sind aber - ebenso wie „isolierte Kleinstnetze“ - von der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie erfasst. Eine auf die Anlage des Revisionswerbers anwendbare Ausnahmebestimmung existiert nicht.
36 4.5.7. Die Revision bringt vor, es könne sich beim Revisionswerber nicht um einen Verteilernetzbetreiber handeln, weil dieser im Gegenteil selbst Endverbraucher sei, der Strom aus dem Verteilernetz der N-GmbH beziehe, um diesen zu verbrauchen. Dem ist zu entgegnen, dass der Oberste Gerichtshof (OGH) in dem von der Revision ins Treffen geführten Urteil vom , 8 Ob 7/13g, sich mit der Frage, ob ein Elektrizitätsunternehmen als Endverbraucher angesehen werden kann, befasste und dies auch bejahte. Der Begriff des Endverbrauchers - so der OGH - knüpfe am Eigenverbrauch von Energie an, weshalb auch Energie verbrauchende Elektrizitätsunternehmen darunter fallen würden. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsansicht mag der Revisionswerber hinsichtlich des Teiles der Energie, die er für den Eigenbedarf bezieht, als Endverbraucher anzusehen sein. Im Umfang der von den Pächtern über das Netz des Revisionswerbers zum Zweck der eigenen Stromversorgung bezogenen Energie liegt gerade kein Eigenverbrauch des Revisionswerbers vor, sodass er in diesem Umfang auch nicht als Endverbraucher anzusehen ist.
37 4.6. Zusammenfassend ergibt sich, dass die festgestellte Tätigkeit des Revisionswerbers als Betreiben eines Verteilernetzes im Sinne des § 53 Abs. 1 NÖ ElWG 2005 anzusehen ist. Mangels anwendbarer Ausnahmebestimmung ist der Sachverhalt zu Recht dem Tatbestand § 70 Abs. 1 Z 20 NÖ ElWG 2005 unterstellt worden.
38 Die Revision erweist sich daher als unbegründet.
39 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
Wien, am
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Normen | ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z13 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z73 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §2 Abs1 Z74 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §53 Abs1 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §70 Abs1 Z2 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §70 Abs1 Z20 ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §75 Abs4 Z1 ElWOG 1998 §7 Z26 ElWOG 2010 §7 Abs1 Z76 32003L0054 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art2 32009L0072 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL 32009L0072 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art2 32009L0072 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art28 32009L0072 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art44 Abs1 62006CJ0439 citiworks VORAB 62017CC0262 Solvay Chimica Italia Schlussantrag |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2018:RO2016040046.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAF-48084