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VwGH 07.09.2020, Ra 2020/19/0212

VwGH 07.09.2020, Ra 2020/19/0212

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssatz


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Normen
VwGG §26 Abs1
VwGG §26 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwRallg
RS 1
Die Sonderregelung des § 26 Abs. 3 VwGG über den Beginn der Revisionsfrist ist nur dann anzuwenden, wenn die Partei die Bewilligung der Verfahrenshilfe - nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Bestimmung - (rechtzeitig) innerhalb der Revisionsfrist beantragt hat. Ein verspätet gestellter Verfahrenshilfeantrag löst mithin keinen neuerlichen Lauf der Revisionsfrist aus und hat zur Folge, dass die Revision außerhalb der dem Revisionswerber zur Verfügung stehenden Frist eingebracht wird (Hinweis B vom , 2007/05/0131).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2014/20/0066 B RS 1

Entscheidungstext

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

Ra 2020/19/0213

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Anträge 1. der O, geboren 2001, und 2. des J, geboren 2003, beide vertreten durch Mag. Hubertus P. Weben, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Museumstraße 5/2, den gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zlen. 1. I421 2217433-1/20E und 2. I421 2217437-1/21E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), erhobenen Revisionen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird den Anträgen stattgegeben.

Begründung

1 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht - im Beschwerdeverfahren - die Anträge der aus Nigeria stammenden Revisionswerber auf internationalen Schutz ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, mit denen jeweils ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden ist. Begründend wird u.a. vorgebracht, den Revisionswerbern drohe im Fall ihrer Abschiebung nach Nigeria eine Verletzung ihrer Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK.

3 Gemäß § 30 Abs. 1 erster Satz VwGG hat die Revision keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 30 Abs. 2 erster Satz VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat sich zu diesen Anträgen innerhalb der gesetzten Frist nicht geäußert.

5 Ausgehend davon ist nicht zu erkennen, dass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwingende oder zumindest überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen, weshalb den Anträgen stattzugeben war.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Beschluss

Entscheidungsdatum:

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

Ra 2020/19/0213

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über den Antrag 1. der O V O, und 2. des J A O, beide vertreten durch Mag. Hubertus P. Weben, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Museumstraße 5/2, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , 1) I421 2217433-1/20E und 2) I421 2217437-1/21E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG und in den Revisionssachen gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht in der Sache die Anträge der Revisionswerber auf internationalen Schutz ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2 Dieses Erkenntnis wurden den Revisionswerbern nach dem Vorbringen in der Revision bzw. nach den im Verfahrensakt einliegenden Nachweisen am (Zweitrevisionswerber) bzw.  (Erstrevisionswerberin) zugestellt.

3 Mit dem - von einem Rechtsanwalt eingebrachten - Schriftsatz vom , beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt am selben Tag, beantragten die Revisionswerber die Bewilligung der Verfahrenshilfe für die außerordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis. Mit hg. Beschluss vom , Ra 2020/19/0212 bis 0213-3, bewilligte der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 61 VwGG den Revisionswerbern die Verfahrenshilfe, die auch die Beigebung eines Rechtsanwaltes umfasste.

4 Mit Schriftsatz vom erhoben die Antragsteller, vertreten durch den bestellten Verfahrenshelfer, die vorliegende (außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

5 Die Revision bringt zu ihrer Rechtzeitigkeit vor, das angefochtene Erkenntnis sei den Revisionswerbern am (bzw. ) zugestellt worden. Die sechswöchige Revisionsfrist sei vor Inkrafttreten des COVID-19-VwBG am noch nicht abgelaufen und nach dessen § 1 bis  unterbrochen gewesen und habe erst am neu zu laufen begonnen. Der Verfahrenshilfeantrag sei daher innerhalb der Revisionsfrist eingebracht worden. Auf Grund der Bewilligung der Verfahrenshilfe habe die Revisionsfrist gemäß § 26 Abs. 3 VwGG mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes am zu laufen begonnen, sodass die vorliegende Revision rechtzeitig sei.

6 Über Vorhalt der Verspätung durch den Verwaltungsgerichtshof (Hinweis auf ) stellten die Revisionswerber mit Schriftsatz vom den gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist.

7 Begründend bringen sie darin vor, auch ein Rechtsirrtum könne einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wenn lediglich ein minderer Grad des Versehens vorliege. Im vorliegenden Fall sei der Rechtsirrtum nicht die Folge von Sorglosigkeit des mit der Einbringung des Verfahrenshilfeantrages beauftragten Rechtsanwaltes, sondern der zum damaligen Zeitpunkt unklaren Rechtslage. Es habe noch keine Rechtsprechung zu der - keineswegs trivialen - Rechtsfrage bestanden, ob die Revisionsfrist durch das Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz (COVID-19-VwBG), BGBl. I Nr. 16/2020, unterbrochen oder lediglich gehemmt werde. Erläuterungen zu dieser Frage enthalte dieses Gesetz nicht. Die Auffassung, die Revisionsfrist wäre durch das COVID-19-VwBG unterbrochen worden, sei (aus näher dargelegten Gründen) zumindest vertretbar gewesen. Auch der Verwaltungsgerichtshof sei zum damaligen Zeitpunkt offensichtlich davon ausgegangen, dass die Verfahrenshilfeanträge rechtzeitig gewesen seien, weil er mit Beschluss vom die Verfahrenshilfe bewilligt und mit Beschluss vom der in der Folge eingebrachten Revision die aufschiebende Wirkung zuerkannt habe.

Zur Rechtzeitigkeit der Revision

8 Gemäß § 26 Abs. 1 VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes (Revisionsfrist) sechs Wochen. Sie beginnt gemäß Z 1 leg. cit. in den Fällen des Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG dann, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber nur mündlich verkündet wurde, jedoch mit dem Tag der Verkündung. Hat die Partei innerhalb der Revisionsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt (§ 61), so beginnt gemäß Abs. 3 leg. cit. für sie die Revisionsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen.

9 Für die Rechtzeitigkeit der gegenständlichen Revision kommt es entscheidungswesentlich darauf an, ob die Revisionsfrist durch das COVID-19-VwBG unterbrochen oder lediglich gehemmt wurde.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom , Ra 2020/11/0098, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass die Erhebung der Revision an den Verwaltungsgerichtshof (in einem Fall wie dem diesem Beschluss zu Grunde liegenden) nicht in einem bei diesem bereits anhängigen Verfahren erfolgt, sodass die Fristunterbrechung des § 1 COVID-19-VwBG schon aus diesem Grund nicht zur Anwendung gelangt. Vielmehr ist die Revisionsfrist als Frist für einen „verfahrenseinleitenden“ Antrag im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 1 iVm. § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG anzusehen und nach dieser Bestimmung daher für die dort genannte Dauer nur gehemmt worden (vgl. auch ; , Ra 2020/05/0149; , Ra 2020/06/0135; , Ra 2020/06/0137; , Ra 2020/10/0084; , Ra 2020/18/0227; , Ra 2019/19/0548).

11 Für den Revisionsfall bedeutet dies, dass die Revisionsfrist am (Zweitrevisionswerber) bzw. am (Erstrevisionswerberin), somit vor Inkrafttreten des COVID-19-VwBG am , zu laufen begann.

12 Ausgehend vom Beginn der Revisionsfrist hätte die sechswöchige Frist des § 26 Abs. 1 VwGG mit Ablauf des (Dienstag) (Zweitrevisionswerber) bzw. (Donnerstag) (Erstrevisionswerberin) geendet. Unter Hinzurechnung der 40-tägigen Fristenhemmung hat die Revisionsfrist daher hinsichtlich des Zweitrevisionswerbers - unter Berücksichtigung des § 33 Abs. 2 AVG, weil das Fristende auf Sonntag, den , fiel - mit Ablauf des (Montag) bzw. hinsichtlich der Erstrevisionswerberin mit Ablauf des (Dienstag) geendet.

13 Die Revisionswerber haben die Bewilligung der Verfahrenshilfe erst mit Schriftsatz vom , somit nach Ablauf der Revisionsfrist, beantragt.

14 Die Sonderregelung des § 26 Abs. 3 VwGG über den Beginn der Revisionsfrist ist nur dann anzuwenden, wenn die Partei die Bewilligung der Verfahrenshilfe - nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Bestimmung - (rechtzeitig) innerhalb der Revisionsfrist beantragt hat. Ein verspätet gestellter Verfahrenshilfeantrag löst mithin keinen neuerlichen Lauf der Revisionsfrist aus und hat zur Folge, dass die Revision außerhalb der dem Revisionswerber zur Verfügung stehenden Frist eingebracht wird (vgl. , mwN; , Ra 2017/16/0060).

15 Im Hinblick darauf erweist sich die mit Schriftsatz vom eingebrachte Revision wegen Versäumung der sechswöchigen Frist des § 26 Abs. 1 VwGG als verspätet.

16 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Zum Wiedereinsetzungsantrag

17 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

18 Nach der ständigen hg. Rechtsprechung kann - wie die Antragsteller zunächst zutreffend vorbringen - auch mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen, welches eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann. Wird ein solcher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Partei an der Unkenntnis der Rechtslage bzw. am Rechtsirrtum ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden trifft (vgl. , mwN; vgl. auch ).

19 Der Begriff des minderen Grads des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. An berufliche rechtskundige Parteienvertreter ist dabei ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige Personen (vgl. , mwN).

20 Daher stellt nach der ständigen hg. Rechtsprechung etwa auch die Unkenntnis einer neuen Gesetzeslage durch einen beruflichen Parteienvertreter in der Regel keinen minderen Grad des Versehens (im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG) dar, weil vor allem eine rezente Änderung der Rechtslage besondere Aufmerksamkeit verdient (vgl. , mwN).

21 Den Antragstellern, welche ihre Verfahrenshilfeanträge durch einen Rechtsanwalt eingebracht haben, ist zwar zuzugestehen, dass zum Zeitpunkt der Beantragung von Verfahrenshilfe noch keine hg. Rechtsprechung dazu vorlag, ob die Frist zur Einbringung einer Revision (welche die Rechtswirkungen des § 26 Abs. 3 VwGG auslösen kann) im Sinn des § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG „unterbrochen“ oder im Sinn des § 2 Abs. 1 leg. cit. „gehemmt“ ist, doch lässt dieser Umstand auf dem Boden der dargestellten Judikatur für sich noch nicht auf einen bloß minderen Grad des Versehens schließen. Vielmehr hätte der Parteienvertreter die eine bloße Fristenhemmung anordnende Bestimmung des § 2 Abs. 1 leg. cit. nicht außer Acht lassen dürfen (vgl. ; , Ra 2020/07/0062; , Ra 2020/10/0063; , Ra 2020/02/0169).

22 Da das den antragstellenden Revisionswerbern anzulastende Verschulden ihres Parteienvertreters somit den minderen Grad des Versehens übersteigt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
MRK Art2
MRK Art3
VwGG §30 Abs2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190212.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
LAAAF-48060