VwGH 18.05.2020, Ra 2020/16/0035
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | ZollRDG 1994 §83 31992R2913 ZK 1992 Art239 |
RS 1 | Das Billigkeitsverfahren (Art. 239 des Zollkodex (Verordnung Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom ) iVm § 83 ZollR-DG in der Fassung vor dem AbgÄG 2015) dient nicht der Überprüfung der Richtigkeit der Abgabenfestsetzung oder Mitteilung der buchmäßigen Erfassung (vgl. auch ; und ; ; und ). |
Norm | ZollRDG 1994 §83 |
RS 2 | Ein Erlass der Einfuhrumsatzsteuer nach § 83 ZollR-DG erfordert, dass der Wirtschaftsteilnehmer in gutem Glauben gehandelt hat und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass sein Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (vgl. ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr.Thoma als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision der L R GmbH in S, vertreten durch die Stögerer Preisinger Rechtsanwälte OG in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 76/2/23, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/1200077/2015, betreffend Erlass von Einfuhrumsatzsteuer (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Zollamt Feldkirch Wolfurt), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht im Instanzenzug einen Antrag der revisionswerbenden Gesellschaft mbH (Revisionswerberin) auf Erlass von Einfuhrumsatzsteuer ab und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
2 Zwischen Dezember 2005 und März 2006 seien von der H GmbH, Z, Schweiz, aus Großbritannien ausgeführte Gemeinschaftswaren in die Schweiz verbracht, dort jedoch nicht verzollt worden. Die D AG mit Sitz in G, Schweiz, habe von der H GmbH den Auftrag erhalten, Versendungen dieser Waren im Rahmen innergemeinschaftlicher Lieferungen nach Großbritannien zu bestimmten Empfangsorten für verschiedene außerhalb Großbritanniens (in Dänemark, Litauen, Portugal und Spanien) ansässige Empfänger durchzuführen und auch den Transport dorthin zu organisieren. Über Auftrag der H GmbH seien die Waren von der D AG in das externe Versandverfahren mit der Bestimmungsstelle S, Schweiz, überführt worden. Die D AG mit der Niederlassung in S habe im Namen der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin beim Zollamt Feldkirch Wolfurt die Überführung dieser Waren in den zoll- und steuerrechtlichen freien Verkehr mit anschließender steuerbefreiender Lieferung (Verfahrenscode 42) beantragt. Dabei sei die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin als indirekte Vertreterin der Empfänger aufgetreten. Sämtliche Unterlagen (Frachtpapiere, Rechnungen) seien vom Sitz der D AG in G nach S übermittelt worden.
3 Aus diesen Unterlagen sei ersichtlich gewesen, dass es sich um aus Großbritannien ausgeführte Gemeinschaftswaren gehandelt habe, die zuvor keiner Einfuhrverzollung (in der Schweiz) unterzogen worden waren. Laut Fakturen und Frachtbriefen seien die Waren nicht für Zwecke der in den Zollanmeldungen als Empfänger ausgewiesenen Unternehmen, aber auch nicht zu deren Verfügung, sondern zu in Großbritannien ansässigen Speditionen gebracht worden, welche nicht die tatsächlichen Erwerber gewesen seien.
4 Zu den von der Rechtsvorgängerin indirekt vertretenen Warenempfängern habe es keinen Kontakt gegeben; es sei lediglich deren UID-Nr. auf Stufe 2 überprüft worden.
5 Mit Eingabe vom habe die Revisionswerberin den Erlass der auf diese Waren entfallenden Einfuhrumsatzsteuer beantragt, deren nachträgliche buchmäßige Erfassung ihr mit vier näher zitierten Bescheiden mitgeteilt worden sei.
6 Die Abweisung dieses Antrags im Instanzenzug begründete das Bundesfinanzgericht damit, der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin sei offensichtliche Fahrlässigkeit vorzuwerfen, welche einen Erlass nach § 83 ZollR-DG iVm Art. 239 Zollkodex (außer im Fall einer - im Revisionsfall nach näherer Begründung des Bundesfinanzgerichts jedoch nicht vorliegenden - Gefährdung der Existenz der Revisionswerberin) ausschließe.
7 Dazu hielt das Bundesfinanzgericht fest, die D AG hätte auf Grund der ihr bereits vorliegenden Unterlagen erkennen können, dass die Waren nicht aus einem Drittland gekommen, sondern aus Großbritannien in die Schweiz befördert worden seien. Die D AG, welche die Waren wenige Tage nach deren Eintreffen in der Schweiz ohne Einfuhrverzollung zu ihrer Niederlassung in S (im Versandverfahren) angewiesen habe, habe den Transport der Waren nach Großbritannien organisiert. In ihren Frachtdokumenten seien als Empfänger britische Speditionen und in Großbritannien liegende Auslieferungsorte angegeben gewesen, obwohl in den Zollanmeldungen als Empfänger portugiesische, spanische, dänische und lettische Empfänger bestimmt gewesen seien. Allein der ungewöhnliche Transportweg (die für außerhalb Großbritanniens ansässige Empfänger bestimmten Gemeinschaftswaren seien von Großbritannien mittels Kleintransporter auf dem Landweg oder im Flugverkehr nach Z zur H GmbH befördert und dann auf dem Landweg von der H GmbH nach Großbritannien transportiert worden) hätte Zweifel erwecken müssen.
8 Dem Einwand, das Zollamt hätte entsprechende Erkenntnisse über die H GmbH der Revisionswerberin zur Kenntnis bringen müssen, hielt das Bundesfinanzgericht entgegen, dass damals noch kein Ermittlungsbericht der deutschen Behörden betreffend die H GmbH vorgelegen sei und der Verdacht des Zollbeamten Ende Jänner 2006 vorwiegend hinsichtlich Produktpiraterie bestanden habe.
9 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.
10 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden; er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Die Zulässigkeit ihrer Revision begründet die Revisionswerberin unter Punkt II.2. des Revisionsschriftsatzes.
13 Die unter Punkt II.2.1. des Revisionsschriftsatzes aufgeworfenen Fragen, ob die Einfuhrumsatzsteuer, deren Erlass beantragt worden war, überhaupt entstanden sei, stellen sich im Revisionsfall nicht, denn das Billigkeitsverfahren (Art. 239 des Zollkodex [Verordnung Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom ] iVm § 83 ZollR-DG in der Fassung vor dem AbgÄG 2015) dient nicht der Überprüfung der Richtigkeit der Abgabenfestsetzung oder Mitteilung der buchmäßigen Erfassung (vgl. auch ; und ; ; und ).
14 Unter Punkt II.2.2. des Revisionsschriftsatzes begründet die Revisionswerberin die Zulässigkeit ihrer Revision damit, es fehle eine konkrete Rechtsprechung, welche konkrete Kenntnis dem Abgabepflichtigen zu welchem Zeitpunkt zugeordnet werden müsse. „Bis dato“ sei es ausreichend gewesen, „die UID Nummern in der zweiten Abfragestufe“ zu überprüfen und die Verbringung der Ware in den anderen Mitgliedstaat nachzuweisen. Die Überprüfung der Warenströme habe nicht zur Verpflichtung des Spediteurs gehört.
15 Demgegenüber hat das Bundesfinanzgericht nicht eine Pflicht zur Überprüfung der Warenströme angenommen, sondern der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin vorgeworfen, die ihr aus den ihr vorliegenden Unterlagen offensichtliche Ungewöhnlichkeit der Warenbewegung und den Widerspruch der Angaben über den jeweiligen Empfänger in den Frachtpapieren einerseits und in den Zollanmeldungen andererseits nicht hinterfragt zu haben. Im Zusammenhang mit der Feststellung, dass keinerlei Kontakt zwischen der Rechtsvorgängerin und den von ihr (angeblich) vertretenen Empfängern in den verschiedenen Mitgliedstaaten bestanden habe, ist die vom Bundesfinanzgericht angenommene offensichtliche Fahrlässigkeit nicht von vorneherein ausgeschlossen. Denn ein Erlass der Einfuhrumsatzsteuer nach § 83 ZollR-DG erfordert, dass der Wirtschaftsteilnehmer in gutem Glauben gehandelt hat und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass sein Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (vgl. ).
16 Eine grundsätzliche Rechtsfrage zu dieser über den Einzelfall nicht hinausgehenden Beurteilung zeigt die Revisionswerberin damit nicht auf.
17 Unter Punkt II.2.3. des Revisionsschriftsatzes führt die Revisionswerberin ins Treffen, es wäre ihr nicht möglich gewesen, die direkte Stellvertretung in Anspruch zu nehmen. Weshalb es der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin nicht möglich gewesen wäre, als direkte Vertreterin der Empfänger aufzutreten, welche dann allerdings jeweils eine ihnen in Österreich erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer hätten verwenden müssen, zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Dass eine Verfahrensvereinfachung (hier in Form einer „Sonder-UID“) allgemein nicht auch für direkte Vertreter eingerichtet war, führt nicht zu einem besonderen Fall iSd § 83 ZollR-DG idF vor dem AbgÄG 2015.
18 Soweit die Revisionswerberin unter Punkt II.2.4. des Revisionsschriftsatzes die Beweiswürdigung bekämpft, übersieht sie zunächst, dass im Revisionsfall nicht die dort hervorgehobene Bestimmung des AVG anzuwenden war, sondern die Verfahrensvorschriften des Zollrechts einschließlich der BAO.
19 Unter Punkt II.2.4.1 des Revisionsschriftsatzes bekämpft die Revisionswerberin die Auslegung eines Schreibens des Zollamtes. Die vertretbare Auslegung eines Schriftstückes wirft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf (vgl. ; und ). Welcher konkrete Inhalt (Text) des Schreibens zwingende zu welcher anderen Auslegung als der durch das Bundesfinanzgericht hätte führen müssen, legt die Revisionswerberin nicht dar.
20 Mit den unter Punkt II.2.4 bis II.2.6 weiters angesprochenen Fragen, das Bundesfinanzgericht hätte auch das Verhalten der Zollbehörde berücksichtigen müssen, und dem allgemein erhobenen Vorwurf, die Verwicklung der H GmbH in einen Umsatzsteuerkarusellbetrug sei bereits bekannt gewesen, spricht die Revisionswerberin die objektive Voraussetzung für einen Erlass an (vgl. etwa ), vernachlässigt aber, dass das Bundesfinanzgericht den begehrten Erlass wegen offensichtlicher Fahrlässigkeit, somit wegen Fehlens der subjektiven Voraussetzung verneint hat.
21 Insgesamt zeigt die Revisionswerberin somit nicht auf, dass die Revision von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhinge.
22 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | ZollRDG 1994 §83 31992R2913 ZK 1992 Art239 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020160035.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAF-48003