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VwGH 09.12.2020, Ra 2020/08/0158

VwGH 09.12.2020, Ra 2020/08/0158

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssatz


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Norm
ASVG §4 Abs2
RS 1
Bei einfachen manuellen Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten, die in Bezug auf die Art der Arbeitsausführung und auf die Verwertbarkeit keinen ins Gewicht fallenden Gestaltungsspielraum des Dienstnehmers erlauben, kann bei einer Integration des Beschäftigten in den Betrieb des Beschäftigers - in Ermangelung gegenläufiger Anhaltspunkte - das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses in persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG ohne weitwendige Untersuchungen vorausgesetzt werden (vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/08/0089, mwN). Spricht also die Vermutung für ein Dienstverhältnis, dann muss die dies bestreitende Partei ein ausreichend substanziiertes Vorbringen erstatten, aus dem man anderes ableiten könnte.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2011/08/0130 E RS 1

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Strohmayer und die Hofrätin Dr. Julcher sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der W GmbH in B, vertreten durch Mag. Gabriele Buchegger, Rechtsanwältin in 4490 St. Florian/Linz, Am Seisberg 32c, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W229 2227336-1/4E, betreffend Beitragszuschlag nach § 113 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - in Bestätigung eines Bescheides der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse - die revisionswerbende Partei als Dienstgeberin gemäß § 113 Abs. 1 und Abs. 2 ASVG zur Zahlung eines Beitragszuschlags von € 1.400,--. Das BVwG sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, die revisionswerbende Partei habe es unterlassen, zwei am auf einer von ihr betriebenen Baustelle bei der Verlegung von Fliesen betretene Dienstnehmer vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger zur Pflichtversicherung anzumelden. Die beiden Fliesenleger seien bei ihrer Tätigkeit auf der Baustelle den Kontrollen und Weisungen des Vorarbeiters (Poliers) der revisionswerbenden Partei unterlegen. Sie hätten bloß ihre Arbeitskraft zur Verfügung gestellt. Ein individualisiertes und konkretisiertes Werk sei von ihnen nicht geschuldet gewesen. Letztlich habe es sich um einfache manuelle Tätigkeiten gehandelt, die von den Fliesenlegern in Eingliederung in den Betrieb der revisionswerbenden Partei erbracht worden seien.

6 Die Revision wendet sich unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit gegen das Vorliegen von Beschäftigungsverhältnissen nach § 4 Abs. 2 ASVG und bringt vor, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob „bei Fliesenlegerarbeiten ein Dienstverhältnis oder ein Werkvertrag“ vorliege.

7 Entgegen diesem Vorbringen besteht eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Abgrenzung zwischen Dienstvertrag und Werkvertrag. Danach kommt es zur Unterscheidung entscheidend darauf an, ob sich jemand auf gewisse Zeit zur Dienstleistung für einen anderen (den Dienstgeber) verpflichtet. In diesem Fall liegt ein Dienstvertrag vor. Wird die Herstellung eines Werkes gegen Entgelt übernommen, wobei es sich um eine im Vertrag individualisierte und konkretisierte Leistung, also eine in sich geschlossene Einheit handelt, liegt ein Werkvertrag vor. Dagegen kommt es beim Dienstvertrag primär auf die rechtlich begründete Verfügungsmacht des Dienstgebers über die Arbeitskraft des Dienstnehmers, also auf die Bereitschaft des Dienstnehmers zur Erbringung von Dienstleistungen für eine bestimmte Zeit, an. Der Werkvertrag begründet in der Regel ein Zielschuldverhältnis. Die Verpflichtung besteht darin, die genau umrissene Leistung - in der Regel bis zu einem bestimmten Termin - zu erbringen. Mit der Erbringung der Leistung endet das Vertragsverhältnis. Das Interesse des Bestellers und die Vertragsverpflichtung des Werkunternehmers sind lediglich auf das Endprodukt als solches gerichtet (vgl. etwa , mwN). Von dieser Rechtsprechung ist das BVwG im vorliegenden Fall ausgegangen. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen, denen die Revision nicht konkret entgegen tritt, ist seine Beurteilung, dass Dienstverträge vorgelegen seien, nicht zu beanstanden.

8 Die Entscheidung über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG ist das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Gesamtabwägung der maßgeblich für bzw. gegen das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sprechenden Umstände und Merkmale. Wurde diese auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen, so ist eine solche einzelfallbezogene Beurteilung im Allgemeinen nicht revisibel. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht diese Gesamtabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa ).

9 Es entspricht weiters der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei einfachen manuellen Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten, die in Bezug auf die Art der Arbeitsausführung und auf die Verwertbarkeit keinen ins Gewicht fallenden Gestaltungsspielraum des Dienstnehmers erlauben, bei einer Integration des Beschäftigten in den Betrieb des Beschäftigers - in Ermangelung gegenläufiger Anhaltspunkte - das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses in persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG ohne weitwendige Untersuchungen vorausgesetzt werden kann. Spricht die Vermutung in diesem Sinn für ein Dienstverhältnis, dann muss die bestreitende Partei ein ausreichend substanziiertes Vorbringen erstatten, aus dem man anderes ableiten könnte (vgl. , mwN). Das BVwG ist im vorliegenden Fall im Sinn dieser Rechtsprechung davon ausgegangen, dass das Vorliegen von Beschäftigungsverhältnissen nach § 4 Abs. 2 ASVG zu bejahen sei. Eine Unvertretbarkeit dieser Beurteilung vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

10 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Norm
ASVG §4 Abs2
Schlagworte
Dienstnehmer Begriff Persönliche Abhängigkeit
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020080158.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAF-47906