VwGH 09.02.2021, Ra 2020/02/0203
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Der Indizienbeweis ist im Verwaltungsstrafverfahren nicht ausgeschlossen (vgl. ). Die Möglichkeit der direkten Beweisführung schließt diesen aus (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/02/0220 B RS 2 |
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RS 2 | Der mit § 45 Abs. 2 AVG normierte Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet, dass die Behörde bei der Beweiswürdigung nicht an feste Beweisregeln gebunden ist, sondern den Wert der aufgenommenen Beweise nach bestem Wissen und Gewissen nach deren innerem Wahrheitsgehalt zu beurteilen hat. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2019/14/0434 B RS 1 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des P in P, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in 6780 Schruns, Gerichtsweg 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom , LVwG-1-114/2020-R17, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bludenz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom wurde der Revisionswerber - unter anderem und soweit in diesem Verfahren relevant - schuldig erkannt, er habe sich am gegen 02:08 Uhr an einem näher bezeichneten Ort nach Aufforderung eines besonders geschulten Organs der Bundespolizei geweigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl er im Verdacht gestanden sei, ein Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 5 Abs. 2 2. Satz Z 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. b StVO begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von € 1.800,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 15 Tage und 7 Stunden) verhängt wurde.
2 Als Begründung gab die Behörde zusammengefasst an, der Revisionswerber habe während der Wartezeit vor der Messung mit dem Alkomaten Schnee gegessen, was eine Verweigerung der Alkoholmessung darstelle.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Das Verwaltungsgericht stellte im Wesentlichen fest, dass dem Revisionswerber von den Polizeibeamten mitgeteilt worden sei, dass er vor der Messung nichts essen, trinken, rauchen und auch sonst nichts zu sich nehmen dürfe, er dürfe auch keinen Schnee essen. Vor der Alkomatmessung sei eine 15-minütige Wartezeit einzuhalten. In dieser Zeit habe der Revisionswerber gefragt, ob er ein Glas Wasser erhalte, um sich den Mund auszuspülen, was von den Beamten verneint worden sei. Nach etwa der Hälfte der Wartezeit habe der Revisionswerber in den Schnee gegriffen und die Hand voller Schnee mit der Handinnenfläche zum Mund geführt. Er habe den Schnee in den Mund genommen. Der gesamte Vollbart des Revisionswerbers sei weiß vom Schnee gewesen.
5 Korrespondierend zu diesen Feststellungen führte das Verwaltungsgericht in der Beweiswürdigung aus, dass strittig sei, ob der Revisionswerber Schnee in den Mund genommen habe. Der Revisionswerber habe dazu vorgebracht, er habe zum Zeitpunkt der Kontrolle eine blutende Wunde an einer Hand gehabt, welche er in den Mund genommen habe. Mit dem Schnee habe er lediglich etwaiges Blut von seinem Mund bzw. von seinem Bart abgewischt. Den Schnee gegessen habe er jedoch nicht. Zu dieser strittigen Frage seien vom Verwaltungsgericht einige Personen (darunter die einschreitenden Polizeibeamten, andere Zeugen und der Revisionswerber selbst) einvernommen worden. Keiner der befragten Zeugen habe gesehen, wie sich der Revisionswerber Schnee in den Mund gesteckt habe. Dies, weil es dunkel gewesen sei und der Revisionswerber die Hand vor dem Mund gehabt habe. Lediglich ein Zeuge, der in einer Entfernung von 15 bis 20 Metern gestanden sei, habe gesehen, dass sich der Revisionswerber mit dem Schnee ausschließlich den Mund abgewischt habe. Diese Aussage werde vom Verwaltungsgericht jedoch als unglaubhaft erachtet. Es sei dunkel gewesen, es habe geschneit und der Revisionswerber habe die Hand vor dem Mund gehabt. Es sei undenkbar, dass dieser Zeuge unter diesen Umständen erkannt habe, ob der Revisionswerber sich etwas in den Mund gesteckt oder den Mund lediglich abgewischt habe. Auch der Umstand, dass der Revisionswerber gleich auf die Äußerung der Polizisten, dies sei zu unterlassen, reagiert habe (laut dem Vorbringen des Revisionswerbers hätte er andernfalls bei vollem Mund nicht so schnell reagieren bzw. antworten können), lasse nicht darauf schließen, dass er keinen Schnee im Mund gehabt hätte. Es könne als bekannt vorausgesetzt werden, dass Schnee im Mund zu Wasser schmelze. Das Schlucken von Wasser (eventuell einer kleinen Menge) bedürfe keiner langen Zeitspanne. Es ließe sich dadurch auch eine (rasche) Antwort des Revisionswerbers auf die Äußerung der Polizisten erklären. Aus dem gesamten festgestellten Verhalten des Revisionswerbers (der Revisionswerber hätte sich zunächst im Fahrzeug versteckt, er hätte seine Wunde bei der Kontrolle nicht erwähnt und aus seinen Erstangaben) sowie aus den Schilderungen der vernommenen Zeugen, stehe für das Verwaltungsgericht fest, dass der Revisionswerber Schnee in den Mund genommen habe. Die vom Revisionswerber gesetzten Handlungen - der Griff in den Schnee, dass Führen der Hand zum Mund, seine Erstangaben, der Umstand, dass er um Wasser gebeten habe und die vom Gericht als Schutzbehauptung gewertete Rechtfertigung, wonach sich der Revisionswerber nur den Bart habe reinigen wollen - würden keinen anderen Schluss zulassen, als dass der Revisionswerber Schnee in den Mund genommen habe. Es gebe keine andere denkmögliche Erklärung für das Verhalten des Revisionswerbers. Dass die Polizeibeamten nicht in den Mund des Revisionswerbers geblickt hätten, sei irrelevant. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Schnee im Mund unverzüglich zu Wasser schmelze und deshalb im Mund nicht in Form von Schnee sichtbar sei.
6 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, dass das gesetzte Verhalten des Revisionswerbers eine Verweigerung der Durchführung eines Alkoholtestes darstelle. Durch das In-den-Mund-nehmen von Schnee habe er ein Verhalten gesetzt, durch das das Messergebnis hätte verfälscht werden können. Der Revisionswerber sei ausdrücklich darüber belehrt worden.
7 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhalts.
8 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Abweisung der Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, dass das Verwaltungsgericht einen Beweisantrag übergangen habe, dass die Beweiswürdigung unvertretbar sei sowie, dass das Essen von Schnee das Ergebnis der Alkomatmessung nicht verfälsche und keine Weigerung darstelle.
10 Die Revision ist zulässig und begründet.
11 Der im Verwaltungsstrafverfahren geltende Grundsatz „in dubio pro reo“ kommt in jenen Fällen zur Anwendung, in denen im Wege des Beweisverfahrens und anschließender freier Würdigung der Beweise beim entscheidenden Organ (hier: Verwaltungsgericht) nicht mit Sicherheit die Überzeugung von der Richtigkeit des Tatvorwurfes erzeugt werden konnte. Wenn nach Durchführung aller Beweise trotz eingehender Beweiswürdigung somit Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten verbleiben, hat nach dem genannten Grundsatz ein Freispruch zu erfolgen (vgl. ).
12 Der Indizienbeweis ist im Verwaltungsstrafverfahren dann ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit der direkten Beweisführung besteht (vgl. ).
13 § 45 Abs. 2 AVG - welcher gemäß § 38 VwGVG bzw. wiederum § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren vor dem Verwaltungsgericht anzuwenden ist - normiert den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, wonach die Behörde bzw. iVm § 17 VwGVG das Verwaltungsgericht bei der Beweiswürdigung nicht an feste Beweisregeln gebunden ist, sondern den Wert der aufgenommenen Beweise nach bestem Wissen und Gewissen nach deren innerem Wahrheitsgehalt zu beurteilen hat (vgl. , mwN).
14 Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, dass der in der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. , mwN).
15 Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa , mwN).
16 Eine solche unvertretbare Beweiswürdigung ist dem Verwaltungsgericht unterlaufen.
17 Das Verwaltungsgericht führt in seiner Beweiswürdigung zur Frage, ob der Revisionswerber Schnee in den Mund genommen habe, aus, dass keiner der befragten Zeugen gesehen hätte, wie sich der Revisionswerber Schnee in den Mund gesteckt habe. Lediglich ein Zeuge hätte gesehen, wie sich der Revisionswerber den Mund abgewischt hätte, dies sei jedoch nicht glaubwürdig. Die Feststellung, dass der Revisionswerber Schnee gegessen habe, würde sich (dennoch) aus seinen Handlungen und aus seinem (sonstigen) Verhalten ergeben. Diese würden keinen anderen Schluss zulassen, als dass der Revisionswerber Schnee in den Mund genommen habe.
Die Handlungen und das Verhalten des Revisionswerbers, aus welchen das Verwaltungsgericht schließt, dass der Revisionswerber Schnee in den Mund genommen habe, vermögen jedoch weder einzeln für sich betrachtet noch in ihrer Gesamtheit die Feststellung, der Revisionswerber habe Schnee in den Mund genommen, zu tragen. Es gibt keinen direkten Beweis in diese Richtung. Die den unmittelbaren Beweisergebnissen entgegenstehende Feststellung beruht daher auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung, die sich in diesem Punkt als nicht vertretbar erweist.
Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG aufzuheben.
18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in dem in der Verordnung vorgesehenen Pauschalbetrag bereits berücksichtigt ist.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Beweise Beweismittel Indizienbeweise indirekter Beweis freie Beweiswürdigung |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020020203.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAF-47835