VwGH 28.10.2020, Ra 2020/01/0144
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Nach dem Gesetzeswortlaut des § 26a Z 1 letzter Satz ZustG in der Fassung BGBl. I Nr. 42/2020 gilt die Zustellung (nur) dann nicht als bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Diese Bestimmung entspricht unter anderem § 16 Abs. 5 ZustG über die Folgen der Abwesenheit des Empfängers oder dessen Vertreter iSd § 13 Abs. 3 leg. cit. im Falle der Ersatzzustellung nach § 16 ZustG bzw. § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG über die Folgen der Abwesenheit des Empfängers oder dessen Vertreter iSd § 13 Abs. 3 leg. cit. im Falle der Hinterlegung nach § 17 ZustG. |
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RS 2 | Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH zu § 17 Abs. 3 ZustG wird die durch den dritten Satz dieser Bestimmung normierte Zustellwirkung der Hinterlegung nicht durch die Abwesenheit von der Abgabestelle schlechthin, sondern nur durch eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle ausgeschlossen, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Es ist nicht erforderlich, dass dem Empfänger in den Fällen einer Zustellung durch Hinterlegung stets die volle Frist für die Erhebung eines allfälligen Rechtsmittels zur Verfügung stehen muss (vgl. zuletzt etwa , 0118, Rn. 10, mwN). Der Empfänger einer Sendung, deren Zustellung einen Fristenlauf auslöst, konnte nach der Rechtsprechung des VwGH zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach § 16 ZustG im Sinne des § 16 Abs. 5 ZustG wegen Abwesenheit von der Abgabestelle dann nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen, wenn ihm wegen Abwesenheit von der Abgabestelle am Tag der vorgenommenen Ersatzzustellung die wahrzunehmende Frist nicht mehr ungekürzt oder nahezu ungekürzt zur Verfügung stand (vgl. , Rn. 19, mwN). Diese Rechtsprechung des VwGH zu § 16 Abs. 5 ZustG sowie § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG ist auch auf die Zustellung gemäß § 26a Z 1 letzter Satz ZustG in der Fassung BGBl. I Nr. 42/2020 anzuwenden. |
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RS 3 | Vorliegend hat der Verfahrenshelfer vom Zustellvorgang nur einen Tag nach der Zustellung gemäß § 26a Z 1 erster Satz ZustG in der Fassung BGBl. I Nr. 42/2020, Kenntnis erlangt. Es stand daher die in Ansehung des zugestellten Bestellungsbescheides der Rechtsanwaltskammer Wien wahrzunehmende sechswöchige Revisionsfrist nahezu ungekürzt zur Verfügung. Der Verfahrenshelfer konnte somit trotz seiner "Abwesenheit von der Abgabestelle" rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen (vgl. etwa , mwN, zur Wirksamkeit der Ersatzzustellung gemäß § 16 Abs. 5 ZustG bei Kenntnisnahme des Zustellvorgangs bloß einen Tag nach der Ersatzzustellung). |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/01/0145
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kieslich, über die Revision 1. der U A O und 2. der H A O, beide vertreten durch Mag. Eric Breiteneder, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 5/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zlen. 1. W235 2199475-1/2E und 2. W235 2199471-1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) in der Sache die Anträge der Revisionswerberinnen, beide Staatsangehörige von Somalia, auf Erteilung von Einreisetiteln nach § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
2 Mit Beschluss vom , Ra 2020/01/0144, 0145-3, gewährte der Verwaltungsgerichtshof den Revisionswerberinnen zur Einbringung einer außerordentlichen Revision Verfahrenshilfe, unter anderem im Umfang der Beigebung eines Rechtsanwalts. Die Rechtsanwaltskammer Wien bestellte mit Bescheid vom Rechtsanwalt Mag. Eric Breiteneder zum Verfahrenshelfer. Der Bestellungsbescheid wurde dem Verfahrenshelfer laut Zustellnachweis am zugestellt.
3 Mit Schriftsatz, datiert mit , per WEB-ERV beim Verwaltungsgericht am , um 00:01:21 Uhr eingelangt, erhoben die Revisionswerberinnen vorliegende außerordentliche Revision. Darin wurde zur Rechtzeitigkeit der Revision vorgebracht, dass der Bescheid der Rechtsanwaltskammer Wien über die Bestellung zum Verfahrenshelfer samt Ausfertigung des angefochtenen Erkenntnisses dem Verfahrenshelfer am zugestellt worden sei.
4 In der auf den Verspätungsvorhalt vom erstatteten Stellungnahme vom brachten die Revisionswerberinnen vor, die Revision sei am , um 23:59:06 Uhr, mittels Web-ERV versendet und beim Verwaltungsgericht am , um 01:21 Uhr (richtig: 00:01:21 Uhr), laut Web-ERV „Zusammenfassung“ eingelangt. Die Behauptung der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses an den Verfahrenshelfer am in der Revisionsschrift sei unzutreffend. Während des sogenannten „Corona log downs“ habe sich die einzige Sekretärin in der Kanzlei des Verfahrenshelfers in Kurzarbeit und daher nicht jeden Tag am Kanzleistandort befunden. Ebenso habe der Verfahrenshelfer von zuhause aus gearbeitet. Der Briefkasten am Kanzleistandort sei vom bis nicht regelmäßig entleert worden. Am Morgen des habe der Verfahrenshelfer die Kanzleiräumlichkeiten aufgesucht. Im Briefkasten habe sich unter anderem der Bestellungsbescheid der Rechtsanwaltskammer Wien samt dem angefochtenen Erkenntnis befunden. Zumal nicht klar erkennbar gewesen sei, wann das Dokument in den Briefkasten gelegt worden sei, habe der Verfahrenshelfer die Zustellung mit datiert. Am habe sich jedoch niemand an der Abgabestelle befunden. Tatsächlich habe der Verfahrenshelfer erst am von den zugestellten Dokumenten und deren Zustellung Kenntnis erlangt. Nachdem die Rückkehr des Verfahrenshelfers an die Abgabestelle (Kanzleistandort) erst am erfolgt sei, sei die Zustellung gemäß § 26a Z 1 letzter Satz ZustG erst mit dem der Rückkehr folgenden Tag, sohin mit , wirksam. Die Revisionsfrist habe daher tatsächlich am geendet.
5 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist, Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes oder Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen oder denen die Einwendung der entschiedenen Sache oder der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Hat die Partei innerhalb der Revisionsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, beginnt gemäß § 26 Abs. 3 erster Satz VwGG die sechswöchige Revisionsfrist (§ 26 Abs. 1 erster Satz) mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen.
7 Gemäß § 19 Abs. 2 zweiter Satz BVwGG gelten Schriftsätze, die im elektronischen Verkehr oder im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebracht worden sind, mit dem Tag ihrer Einbringung als eingebracht, und zwar auch dann, wenn sie nach dem Ende der Amtsstunden eingebracht wurden.
8 Die zum Zeitpunkt der Zustellung des Bestellungsbescheides der Rechtsanwaltskammer Wien geltende Bestimmung des § 26a Z 1 Zustellgesetz (ZustG) in der Fassung BGBl. I Nr. 42/2020 lautete:
„Zustellrechtliche Begleitmaßnahmen zu COVID-19
§ 26a. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gelten für die Zustellung mit Zustellnachweis der von Gerichten bzw. von Verwaltungsbehörden zu übermittelnden Dokumente sowie die durch die Gerichte bzw. die Verwaltungsbehörden vorzunehmende Zustellung von Dokumenten ausländischer Behörden (§ 1) folgende Erleichterungen:
1. Das Dokument wird dem Empfänger zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird; die Zustellung gilt in diesem Zeitpunkt als bewirkt. Soweit dies ohne Gefährdung der Gesundheit des Zustellers möglich ist, ist der Empfänger durch schriftliche, mündliche oder telefonische Mitteilung an ihn selbst oder an Personen, von denen angenommen werden kann, dass sie mit dem Empfänger in Verbindung treten können, von der Zustellung zu verständigen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.“
9 Nach dem Gesetzeswortlaut des § 26a Z 1 letzter Satz ZustG gilt die Zustellung (nur) dann nicht als bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Diese Bestimmung entspricht unter anderem § 16 Abs. 5 ZustG über die Folgen der Abwesenheit des Empfängers oder dessen Vertreter iSd § 13 Abs. 3 leg. cit. im Falle der Ersatzzustellung nach § 16 ZustG bzw. § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG über die Folgen der Abwesenheit des Empfängers oder dessen Vertreter iSd § 13 Abs. 3 leg. cit. im Falle der Hinterlegung nach § 17 ZustG.
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 17 Abs. 3 ZustG wird die durch den dritten Satz dieser Bestimmung normierte Zustellwirkung der Hinterlegung nicht durch die Abwesenheit von der Abgabestelle schlechthin, sondern nur durch eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle ausgeschlossen, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Es ist nicht erforderlich, dass dem Empfänger in den Fällen einer Zustellung durch Hinterlegung stets die volle Frist für die Erhebung eines allfälligen Rechtsmittels zur Verfügung stehen muss (vgl. zuletzt etwa , 0118, Rn. 10, mwN).
11 Der Empfänger einer Sendung, deren Zustellung einen Fristenlauf auslöst, konnte nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach § 16 ZustG im Sinne des § 16 Abs. 5 ZustG wegen Abwesenheit von der Abgabestelle dann nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen, wenn ihm wegen Abwesenheit von der Abgabestelle am Tag der vorgenommenen Ersatzzustellung die wahrzunehmende Frist nicht mehr ungekürzt oder nahezu ungekürzt zur Verfügung stand (vgl. , Rn. 19, mwN).
12 Diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 16 Abs. 5 ZustG sowie § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG ist auch auf die Zustellung gemäß § 26a Z 1 letzter Satz ZustG in der Fassung BGBl. I Nr. 42/2020 anzuwenden.
13 Vorliegend hat der Verfahrenshelfer laut Zustellnachweis und dem Vorbringen zur Rechtzeitigkeit der Revision in der Stellungnahme vom zum Verspätungsvorhalt am vom Zustellvorgang am , somit nur einen Tag nach der Zustellung gemäß § 26a Z 1 erster Satz ZustG, Kenntnis erlangt. Es stand daher die in Ansehung des zugestellten Bestellungsbescheides der Rechtsanwaltskammer Wien wahrzunehmende sechswöchige Revisionsfrist nahezu ungekürzt zur Verfügung. Der Verfahrenshelfer konnte somit trotz seiner „Abwesenheit von der Abgabestelle“ rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen (vgl. etwa , mwN, zur Wirksamkeit der Ersatzzustellung gemäß § 16 Abs. 5 ZustG bei Kenntnisnahme des Zustellvorgangs bloß einen Tag nach der Ersatzzustellung). Die Zustellung des Bestellungsbescheides gilt deshalb gemäß § 26a Z 1 erster Satz ZustellG mit als bewirkt. Die sechswöchige Revisionsfrist endete demgemäß am .
14 Die vorliegende, erst am eingebrachte Revision erweist sich daher als verspätet.
15 Die Revision war sohin wegen Versäumung der Revisionsfrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | VwGG §26 Abs1 VwGG §26 Abs3 VwGG §34 Abs1 ZustG §13 Abs3 ZustG §16 ZustG §16 Abs5 ZustG §17 ZustG §17 Abs3 ZustG §26a Z1 idF 2020/I/042 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010144.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAF-47814