VwGH 13.10.2020, Ra 2019/16/0105
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Die faktische Betriebsschließung ist ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, der einer Maßnahmenbeschwerde zugänglich ist, solange darüber kein schriftlicher Bescheid vorliegt (). Wird ein Bescheid über die faktische Amtshandlung erlassen, dann wird die in der faktischen Amtshandlung liegende individuelle Norm Bestandteil des Bescheides (vgl. Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO3, § 360 Rz 56). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/17/0840 E RS 1 |
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RS 2 | Der Rechtsbehelf der Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dient dem Zweck, eine Lücke im Rechtsschutzsystem zu schließen. Es sollten mit dieser Beschwerde aber nicht Zweigleisigkeiten für die Verfolgung ein und desselben Rechtes geschaffen werden. Was in einem Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, kann daher nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein, wobei die Zulässigkeit dieser Beschwerde insbesondere auch nicht von der (allenfalls längeren) Dauer des sonst zur Rechtsdurchsetzung zur Verfügung stehenden Verwaltungsverfahrens abhängt (vgl. , in diesem Erkenntnis wurde darauf hingewiesen, dass auch dann, wenn die Möglichkeit einer Klage nach Art. 137 B-VG besteht, nicht davon auszugehen ist, dass eine Lücke im Rechtsschutzsystem bestünde, die durch die Zulässigkeit einer Maßnahmenbeschwerde zu schließen wäre; vgl. in diesem Sinn auch , ferner zu einem nach dem UbG vorgesehenen Rechtsmittel an das ordentliche Gericht , und zu einer nach der AbgEO vorgesehenen Vollzugsbeschwerde , alle mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/19/0421 E RS 3 (hier ohne den letzten Halbsatz) |
Normen | |
RS 3 | Solange kein Bescheid gemäß § 56a Abs. 3 GSpG erlassen worden ist, ist eine von der Behörde gemäß § 56a Abs. 1 GSpG verfügte Betriebsschließung als Akt verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzusehen und mit Maßnahmenbeschwerde bekämpfbar. Wurde jedoch ein Betriebsschließungsbescheid erlassen, können die - bereits vorgenommenen - mit der Betriebsschließung zusammenhängenden faktischen Verfügungen nicht mehr mit Maßnahmenbeschwerde bekämpft werden (vgl. , mwN). Ein bereits anhängiges Verfahren über eine Maßnahmenbeschwerde ist in diesem Fall einzustellen (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2019/15/0075 E RS 2 |
Normen | |
RS 4 | Wird ein Bescheid über die faktische Amtshandlung erlassen, dann wird die in der faktischen Amtshandlung liegende individuelle Norm Bestandteil des Bescheides (vgl. ). Auch dann, wenn ein Betriebsschließungsbescheid nach Ablauf der Monatsfrist des § 56a Abs. 3 GSpG erlassen wird, wird die faktische Amtshandlung vom Spruch dieses Bescheides erfasst. Auch ein solcher Betriebsschließungsbescheid, mag er auch rechtswidrig sein, wird rechtlich existent (vgl. ). Die Rechtswidrigkeit des Bescheides kann im Wege der Bescheidbeschwerde geltend gemacht werden (vgl. abermals ). Im hier zu beurteilenden Fall wurde ein Bescheid über die Betriebsschließung erlassen. Auch wenn dieser vom Landesverwaltungsgericht als rechtswidrig aufgehoben wurde, wäre das Maßnahmenbeschwerdeverfahren (soweit die Beschwerde nicht zurückgewiesen wurde) einzustellen gewesen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2019/15/0075 E RS 3 (hier ohne vorletzten und letzten Satz) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Dr. Mairinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der I KG in I, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , LVwG-2018/12/0783-8, betreffend Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Während einer Kontrolle am verfügte ein Kontrollorgan der belangten Behörde im Lokal der revisionswerbenden Partei die teilweise Betriebsschließung gemäß § 56a Abs. 1 Glücksspielgesetz (GSpG).
2 Mit Schriftsatz vom erhob die revisionswerbende Partei eine Maßnahmenbeschwerde wegen der teilweisen Betriebsschließung.
3 Mit Bescheid vom ordnete die Landespolizeidirektion Tirol nachträglich die teilweise Betriebsschließung des Lokals gemäß § 56a Abs. 1 iVm Abs. 3 GSpG ab an (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig erklärte sie die teilweise Betriebsschließung nach Ablauf eines Monats am für aufgehoben (Spruchpunkt II.).
4 Die von der revisionswerbenden Partei gegen den Bescheid vom erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Tirol mit Beschluss vom , LVwG-2018/42/1207-1, als unzulässig zurück.
5 Mit dem angefochtenen Beschluss vom , LVwG-2018/12/0783-8, stellte das Landesverwaltungsgericht Tirol das Maßnahmenbeschwerdeverfahren ein und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das Landesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, durch den (rechtskräftigen) Bescheid vom sei die teilweise Betriebsschließung für den genannten Zeitraum bestätigt worden. Die Rechtmäßigkeit dieses Titelbescheids sei im Maßnahmenbeschwerdeverfahren nicht mehr zu prüfen. Eine Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt verliere, wenn sie durch Bescheid bestätigt werde, ihre Eigenschaft als eigenständig bekämpfbarer Verwaltungsakt. Das Maßnahmenbeschwerdeverfahren sei daher einzustellen.
7 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision (gesondert) vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Die revisionswerbende Partei trägt zur Zulässigkeit ihrer Revision vor, der angefochtene Beschluss stehe im Widerspruch zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Subsidiarität des Maßnahmenbeschwerdeverfahrens zum Bescheidbeschwerdeverfahren. Die revisionswerbende Partei habe ein Rechtsschutzbedürfnis an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Betriebsschließung. Im Bescheidbeschwerdeverfahren sei über die in Beschwerde gezogene Rechtswidrigkeit der Betriebsschließung nicht inhaltlich befunden worden. Das Maßnahmenbeschwerdeverfahren sei daher dafür das einzige Mittel.
12 § 56a Abs. 1 und Abs. 3 GSpG lauten (samt Überschrift):
„Betriebsschließung
§ 56a. (1) Besteht der begründete Verdacht, daß im Rahmen einer betrieblichen Tätigkeit Glücksspiele entgegen den Vorschriften dieses Bundesgesetzes veranstaltet oder durchgeführt werden, und ist mit Grund anzunehmen, daß eine Gefahr der Fortsetzung besteht, so kann die Behörde ohne vorausgegangenes Verfahren, aber nicht ohne vorher zur Einstellung der entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes veranstalteten oder durchgeführten Glücksspiele aufgefordert zu haben, an Ort und Stelle die gänzliche oder teilweise Schließung des Betriebes verfügen. [...]
(3) Über eine Verfügung nach Abs. 1 ist binnen eines Monats ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die Verfügung als aufgehoben gilt. [...]“
13 Die faktische Betriebsschließung ist ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, der einer Maßnahmenbeschwerde zugänglich ist, solange darüber kein schriftlicher Bescheid vorliegt. Wird ein Bescheid über die faktische Amtshandlung erlassen, dann wird die in der faktischen Amtshandlung liegende individuelle Norm Bestandteil des Bescheids (vgl. , mwN).
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass der Rechtsbehelf der Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dem Zweck dient, eine Lücke im Rechtsschutzsystem zu schließen. Mit dieser Beschwerde sollten aber nicht Zweigleisigkeiten für die Verfolgung ein und desselben Rechts geschaffen werden. Was in einem Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, kann daher nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein (vgl. , mwN).
15 Wurde ein Betriebsschließungsbescheid erlassen, können die - bereits vorgenommenen - mit der Betriebsschließung zusammenhängenden faktischen Verfügungen nicht mehr mit Maßnahmenbeschwerde bekämpft werden. Ein bereits anhängiges Verfahren über eine Maßnahmenbeschwerde ist in diesem Fall einzustellen (vgl. ).
16 Auch dann, wenn ein Betriebsschließungsbescheid nach Ablauf der Monatsfrist des § 56a Abs. 3 GSpG erlassen wird, wird die faktische Amtshandlung vom Spruch dieses Bescheids erfasst. Auch ein solcher Betriebsschließungsbescheid, mag er auch rechtswidrig sein, wird rechtlich existent. Die Rechtswidrigkeit des Bescheids kann im Wege der Bescheidbeschwerde geltend gemacht werden (vgl. nochmals , mwN).
17 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung gelingt es der Revision in der Zulässigkeitsbegründung somit nicht, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuwerfen.
18 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückgewiesen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | B-VG Art130 Abs1 Z1 B-VG Art130 Abs1 Z2 B-VG Art130 Abs2 B-VG Art132 Abs1 Z1 B-VG Art132 Abs2 GSpG 1989 §56a GSpG 1989 §56a Abs1 GSpG 1989 §56a Abs3 VwRallg |
Schlagworte | Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019160105.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
ZAAAF-47737