VwGH 12.06.2020, Ra 2017/16/0139
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | 31992R2913 ZK 1992 Art239 62007CJ0204 CAS / Kommission 62009CJ0494 Bolton Alimentari / Agenzia delle Dogane VORAB 62009CJ0506 Portugal / Transnautica 62017CJ0574 Kommission / Combaro 62017CJ0589 Prenatal VORAB |
RS 1 | Art. 239 ZK stellt nach der Rechtsprechung des EuGH eine allgemeine Billigkeitsklausel dar, die eine außergewöhnliche Situation erfassen soll, in der sich der Anmelder möglicherweise im Vergleich zu anderen, die gleiche Tätigkeit ausübenden Wirtschaftsteilnehmern befindet (vgl. etwa C-506/09P, Portugal/Transnautica, Rn. 65, und , Bolton Alimentari SpA, Rn. 60), und die zum Erlass von Einfuhrabgaben führt, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind, wenn nämlich ein besonderer Fall gegeben ist und keine offensichtliche Fahrlässigkeit oder betrügerische Absicht seitens des Abgabepflichtigen vorliegt (vgl. etwa ; , Prenatal SA, Rn. 37; C-574/17P, Kommission/Combaro SA, Rn. 45; C-204/07P, C.A.S. SpA/Kommission, Rn. 86). Diese beiden Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (vgl. ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Dr. Mairinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision der N GmbH & Co KG in F (Deutschland), vertreten durch Dr. Johann Eder und Dr. Stefan Knaus, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Giselakai 45, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7200206/2013, betreffend Erlass von Eingangsabgaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Zollamt Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die revisionswerbende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheiden vom wies das Zollamt Wien die Anträge der Revisionswerberin auf Erlass der Eingangsabgaben, deren nachträgliche buchmäßige Erfassung das (damalige) Hauptzollamt Wien der Revisionswerberin mit Bescheiden vom mitgeteilt hatte, ab, wogegen die Revisionswerberin jeweils Berufung erhob.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die als Beschwerden behandelten Berufungen ab und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 Am seien näher angeführte Waren beim Zollamt Vyskov für die Revisionswerberin als Hauptverpflichtete in das (externe gemeinsame) Versandverfahren überführt worden. Die Ladung sei mit Raumverschluss gesichert worden, die Frist zur Wiedergestellung bei der Bestimmungszollstelle Wien sei mit festgesetzt worden. Warenführer sei die P. s.r.o. gewesen, Fahrer des LKW, in welchem die Waren geladen waren, sei AV gewesen. AV habe sich am in Wien bei der Spedition J gemeldet und dem Disponenten MK die Zoll- und Frachtpapiere vorgelegt, welche die Hinweise „Achtung Zollgut Entladung und Entfernen der Zollplomben nur nach Vorführung bei der Bestimmungszollstelle“ sowie „Zollgut T1 Ware und Versandschein sind dem zuständigen Zollamt sofort zu gestellen“ enthalten hätten. Nach deren Überprüfung habe der Disponent MK die Spedition K mit der Umladung beauftragt und den Weitertransport organisiert. AV sei aufgefordert worden zur Entladerampe 3 zu fahren. Nach Entfernen der Zollplombe durch einen der anwesenden Lagerarbeiter habe SG von der Spedition K den LKW entladen und die Warenübernahme bestätigt.
4 Vom Disponent MK hätte aufgrund der eingesehenen Dokumente die Erkenntnis erwartet werden müssen, dass es sich um ein Versandverfahren handle und folglich ohne Mitwirkung der Zollbehörde keine Umladung durchgeführt werden dürfe. Überdies hätte der Spedition J als „zugelassener Empfänger“ die Bedeutung der ordnungsgemäßen Durchführung von Versandverfahren bekannt sein müssen. SG habe es ebenfalls verabsäumt, die erforderliche Sorgfalt walten zu lassen. MK und SG seien als Beteiligte iSd Art. 899 Abs. 3 ZK-DVO zu betrachten.
5 Als Hauptverpflichtete sei die Revisionswerberin gegenüber den Zollbehörden für den ordnungsgemäßen Ablauf der Vorgänge im Rahmen des Versandverfahrens verantwortlich und habe gleichsam eine Garantenstellung. Auf eigenes Verschulden des Hauptverpflichteten komme es dabei nicht an. Die Einhebung der Abgaben von der Revisionswerberin wäre nur dann unbillig, wenn die eingegangene Haftung für eine Situation herhalten müsste, die außerhalb des normalen Geschäftsrisikos liege. Im Revisionsfall handle es sich jedoch um Fehler im Zusammenhang mit der Abwicklung des Versandverfahrens, für die jeder Hauptverpflichtete gleichermaßen einstehen müsse. Leicht vermeidbare Übertretungen einfacher Vorschriften durch Zollspediteure gehörten zweifellos zum eingegangenen Risiko eines Hauptverpflichteten. Die eingewandte Insolvenz der Beteiligten begründe per se keinesfalls einen Billigkeitsfall, weil diese ein im Wirtschaftsleben immanentes Risiko darstelle. Eine außergewöhnliche Situation iSd Art. 905 ZK-DVO liege nicht vor.
6 Die dagegen erhobene Revision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.
7 Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein (§ 36 VwGG); das Zollamt Wien brachte mit Schriftsatz vom eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Revision ein.
8 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden; er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Art. 239 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom , (Zollkodex - ZK) lautet:
„Artikel 239
(1) Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle
- werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;
- ergeben sich aus den Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.“
11 Gemäß Art. 899 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 253 vom , (Zollkodex-Durchführungsverordnung - ZK-DVO) obliegt die Entscheidung über einen Antrag nach Art. 239 ZK - von hier nicht interessierenden Fällen der Befassung der Kommission nach Art. 905 ZK-DVO abgesehen - der Zollbehörde, wenn es sich um besondere Fälle handelt, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Art. 899 Abs. 3 ZK-DVO legt fest, wer als Beteiligter anzusehen ist.
12 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob eine grobe Fahrlässigkeit von anderen zur Erfüllung der Zollförmlichkeit tätigen Personen der Revisionswerberin zuzurechnen sei und damit einem Erlass der gegenständlichen Abgaben entgegenstehe. In diesem Zusammenhang sei zudem noch nicht geklärt, wer als Beteiligter iSd Art. 899 ZK-DVO anzusehen sei.
13 Art. 239 ZK stellt nach der Rechtsprechung des EuGH eine allgemeine Billigkeitsklausel dar, die eine außergewöhnliche Situation erfassen soll, in der sich der Anmelder möglicherweise im Vergleich zu anderen, die gleiche Tätigkeit ausübenden Wirtschaftsteilnehmern befindet (vgl. etwa C-506/09P, Portugal/Transnáutica, Rn. 65, und , Bolton Alimentari SpA, Rn. 60), und die zum Erlass von Einfuhrabgaben führt, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind, wenn nämlich ein besonderer Fall gegeben ist und keine offensichtliche Fahrlässigkeit oder betrügerische Absicht seitens des Abgabepflichtigen vorliegt (vgl. etwa ; , Prenatal SA, Rn. 37; C-574/17P, Kommission/Combaro SA, Rn. 45; C-204/07P, C.A.S. SpA/Kommission, Rn. 86). Diese beiden Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (vgl. ).
14 Das Bundesfinanzgericht stützt sich im angefochtenen Erkenntnis - worauf das Zollamt in der Revisionsbeantwortung zutreffend hinweist - auch darauf, dass kein besonderer Fall iSd Art. 239 ZK vorliege, sondern ein Fall des normalen Geschäftsrisikos eines Hauptverpflichteten. Ist eine der beiden Voraussetzungen des Art. 239 ZK nicht erfüllt, muss die andere Voraussetzung nicht mehr geprüft werden. Die in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgeworfenen Fragen zur offensichtlichen Fahrlässigkeit eines Beteiligten einschließlich der Verfahrensfragen zu den diesbezüglichen Sachverhaltsfeststellungen stellen sich im Revisionsfall somit nicht.
15 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
16 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Normen | 31992R2913 ZK 1992 Art239 62007CJ0204 CAS / Kommission 62009CJ0494 Bolton Alimentari / Agenzia delle Dogane VORAB 62009CJ0506 Portugal / Transnautica 62017CJ0574 Kommission / Combaro 62017CJ0589 Prenatal VORAB |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017160139.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-47126