VwGH 19.12.2023, Ro 2023/15/0019
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | BAO §308 Abs1 VwRallg |
RS 1 | Ein Zurückweisungsbescheid ist dann rechtmäßig, wenn zur Zeit seiner Erlassung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht bewilligt war, weil die Rechtmäßigkeit eines Bescheides grundsätzlich nach der Sachlage und Rechtslage zur Zeit seiner Erlassung zu beurteilen ist. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 89/05/0235 E RS 3 (hier: Zurückweisung von Vorlageanträgen als nicht fristgerecht) |
Normen | |
RS 2 | Wird die Wiedereinsetzung bewilligt, so tritt das Verfahren gemäß § 310 Abs. 3 erster Satz BAO in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat. Diese Bestimmung bewirkt, dass alle nach Ablauf der versäumten (aber durch die Wiedereinsetzung restituierten) Frist und in Konsequenz der stattgefundenen Versäumung ergangenen Bescheide mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt ihrer Erlassung vernichtet werden. (hier: Der Beschluss des BFG, mit welchem die Vorlageanträge des Wiedereinsetzungswerbers als nicht fristgerecht zurückgewiesen wurden, tritt daher im Falle der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ex lege außer Kraft.) |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2023/15/0089
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ro 2023/15/0020 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Bamer, über die Revision des G Y in F, vertreten durch Dr. Heinrich Balas, Steuerberater in 1040 Wien, Operngasse 18/12A-16, 1. gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2100178/2023, betreffend Zurückweisung von Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, 2. gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , RV/2100180/2023, betreffend Zurückweisung von Vorlageanträgen, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene, zur Zl. RV/2100178/2023 ergangene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen - soweit sie sich gegen den zur Zl. RV/2100180/2023 ergangenen Beschluss richtet - wird die Revision als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Das Finanzamt setzte gegenüber dem Revisionswerber, der Gesellschafter einer insolventen GmbH war, mit Bescheiden vom Kapitalertragsteuer für die Jahre 2011 bis 2017 fest.
2 Eine gegen die Festsetzungsbescheide erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. Die Beschwerdevorentscheidung wurde dem steuerlichen Vertreter des Revisionswerbers am zugestellt.
3 Am brachte der steuerliche Vertreter des Revisionswerbers beim Finanzamt einen Antrag wie folgt ein:
„Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
[...]
Wegen: Bescheide vom und BVE vom zugestellt
[...]
Sehr geehrte Damen und Herren!
Namens und [A]uftrags meiner randvermerkten Mandantschaft stelle ich unter Berufung auf § 88 WTGB, als ausgewiesener Vertreter in steuerlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten,
den Antrag auf Wiedereinsetzung in de[n] vorigen Stand
zur Einbringung einer Fristerstreckung zur Abgabe eines Vorlageantrags gegen die oben bezeichneten Bescheide des Finanzamts Österreich Dienstelle 67.
Zur Begründung führe ich wie folgt aus:
Die BVE betreffen[d] der eingebrachten Beschwerde gegen die bezeichn[e]ten Bescheid[e] wurde am in meiner Kanzlei zugestellt. Die Frist zur Einreichung eines Vorlageantrags bzw. einer Fristverlängerung ist sohin am abgelaufen.
Ich konnte diese Frist nicht einhalten, da meine Mutter am verstorben ist. Mein Vater ist aus diesem Grund (nach 60 Jahren Partnerschaft) seelisch am Boden zerstört und bedurfte an Unterstützung. Dieser [U]ms[ta]nd war für mich unvorhergesehen und daher habe ich auf die Frist vergessen.
Ich beantrage daher der Wiedereinsetzung statt zu geben. Gleichzeitig beantrage ich die Erstreckung der Frist zur Einbringung eines Vorlageantrags bis zum “
4 Am (durch den Revisionswerber) und am (durch den steuerlichen Vertreter des Revisionswerbers) wurden sodann Anträge auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt.
5 Das Finanzamt wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Bescheid vom ab, wogegen der steuerliche Vertreter des Revisionswerbers mit Schriftsatz vom Beschwerde erhob.
6 Mit dem angefochtenen, zur Zl. RV/2100178/2023 ergangenen Erkenntnis, in dem eine Revision für zulässig erklärt wurde, wies das Bundesfinanzgericht (BFG) den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und führte zur Begründung aus, im Fall der Versäumung einer Frist habe der Antragsteller spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachzuholen (§ 308 Abs. 3 letzter Satz BAO).
7 Der Revisionsweber habe die Frist für den Vorlageantrag versäumt und mit dem Wiedereinsetzungsantrag - anstelle des Vorlageantrags - einen Antrag auf Fristverlängerung für den Vorlageantrag eingebracht.
8 Werde im Fall der Versäumung einer Frist nicht spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachgeholt, liege ein (nicht verbesserungsfähiger) Mangel der Erfüllung der gesetzlichen Erfordernisse des § 308 BAO vor. Da der Vorlageantrag „nicht spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachgeholt wurde“, seien nicht alle gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei daher zurückzuweisen.
9 Mit dem ebenfalls angefochtenen, zur Zl. RV/2100180/2023 ergangenen Beschluss, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, wies das BFG die Vorlageanträge des Revisionswerbers vom und vom als nicht fristgerecht zurück.
10 Gegen das zur Zahl RV/2100178/2023 ergangene Erkenntnis und gegen den zur Zahl RV/2100180/2023 ergangenen Beschluss wendet sich die gegenständliche - teils ordentliche und teils außerordentliche - Revision.
11 Das Finanzamt hat zur ordentlichen Revision - trotz Aufforderung hierzu - keine Revisionsbeantwortung erstattet.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 1. Zur ordentlichen Revision (Erkenntnis RV/2100178/2023, Ro 2023/15/0019)
14 § 308 Abs. 1 BAO idF BGBl. I Nr. 2013 lautet auszugsweise:
„§ 308. (1) Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
[...]
(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses bei der Behörde (Abgabenbehörde oder Verwaltungsgericht), bei der die Frist wahrzunehmen war bzw. bei der die Verhandlung stattfinden sollte, eingebracht werden. [...] Im Fall der Versäumung einer Frist hat der Antragsteller spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachzuholen.“
15 Gemäß § 309a BAO idF BGBl. I Nr. 14/2013 hat der Wiedereinsetzungsantrag die Bezeichnung der versäumten Frist oder der versäumten mündlichen Verhandlung, die Bezeichnung des unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses (§ 308 Abs. 1), die Angaben, die zur Beurteilung des fehlenden groben Verschuldens an der Fristversäumung oder der Versäumung der mündlichen Verhandlung notwendig sind sowie die Angaben, die zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrags notwendig sind, zu enthalten.
16 Der Revisionswerber hat beim Finanzamt einen „Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einbringung einer Fristerstreckung zur Abgabe eines Vorlageantrages“ gestellt. Im Betreff des Antrages führte er die in Beschwerde gezogenen Festsetzungsbescheide vom und die im Beschwerdeverfahren ergangene Beschwerdevorentscheidung vom an. Er führte aus, die Beschwerdevorentscheidung sei ihm am zugestellt worden und die Frist für die Einreichung eines Vorlageantrages bzw. einer Fristverlängerung (gemeint wohl: für die Einbringung eines Vorlageantrages) sei am abgelaufen. Als unvorhergesehenes Ereignis bezeichnete er den am erfolgten Tod seiner Mutter und die dadurch erforderliche Unterstützung seines seelisch am Boden zerstörten Vaters, die ihn an der Einhaltung der Frist gehindert habe.
17 Der streitgegenständliche Antrag enthält alle Angaben, die ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 309a BAO zu enthalten hat. Vom Revisionswerber wurde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erbringung einer Fristerstreckung zur Abgabe eines Vorlageantrages beantragt. Gleichzeitig hat er einen Antrag auf „Erstreckung der Frist zur Einbringung eines Vorlageantrages bis zum “ gestellt, womit die versäumte Handlung nachgeholt worden ist. Der vom BFG angenommene (nicht verbesserungsfähige) Mangel liegt somit nicht vor, weshalb sich das angefochtene Erkenntnis als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet erweist.
18 2. Zur a.o. Revision (Beschluss RV/2100180/2023, Ra 2023/15/0089)
19 Soweit sich die revisionswerbende Partei, mit der Begründung, die Zulässigkeit des Wiedersetzungsantrages sei gegeben gewesen, weshalb die Frist für den Vorlageantrag eingehalten worden sei, gegen den zur Zl. RV/2100180/2023 ergangenen Zurückweisungsbeschluss wendet, ist ihr zu entgegnen, dass die Rechtmäßigkeit eines Bescheides grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zur Zeit seiner Erlassung zu beurteilen ist. Der Zurückweisungsbescheid ist somit dann rechtmäßig, wenn zur Zeit seiner Erlassung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht bewilligt war.
20 Wird die Wiedereinsetzung später bewilligt, so tritt das Verfahren gemäß § 310 Abs. 3 erster Satz BAO in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat. Diese Bestimmung bewirkt, dass alle nach Ablauf der versäumten (aber durch die Wiedereinsetzung restituierten) Frist und in Konsequenz der stattgefundenen Versäumung ergangenen Bescheide mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt ihrer Erlassung vernichtet werden. Der zur Zl. RV/2100180/2023 ergangenen Zurückweisungsbeschluss tritt daher im Falle der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ex lege außer Kraft (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 310 Rz 2, mwN). Durch die Zurückweisung des Vorlageantrages wurde der Revisionswerber demnach in keinem Recht verletzt.
21 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass das zur Zl. RV/2100178/2023 ergangene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben und die Revision im Übrigen - soweit sie sich gegen den zur Zl. RV/2100180/2023 ergangenen Beschluss richtet - gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
22 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RO2023150019.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-46774