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VwGH 27.03.2024, Ro 2023/13/0018

VwGH 27.03.2024, Ro 2023/13/0018

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
KStG 1988 §7
KStG 1988 §9 Abs1 idF 2004/I/057
RS 1
Mit der Abweichung von § 7 KStG 1988 ist das Abgehen vom Prinzip der Individualbesteuerung gemeint (vgl. die ErläutRV zum StRefG 2005, 451 BlgNR 22. GP 15, sowie z.B. Vock in Quantschnigg/Renner/Schellmann/Stöger/Vock, KStG-Kommentar, Wien 2014, § 9 Tz 53). Gewinne und Verluste von Mutter- und Tochtergesellschaften können durch Bildung einer Unternehmensgruppe miteinander ausgeglichen und die Steuerbelastung kann damit verringert werden (vgl. z.B. Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2, 2).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2011/13/0008 E VwSlg 8959 F/2014 RS 2
Normen
12010E049 AEUV Art49
12010E054 AEUV Art54
62020CJ0538 Finanzamt W VORAB
62022CJ0340 Cofidis VORAB
RS 2
Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist mit der Niederlassungsfreiheit, die Art. 49 AEUV den Staatsangehörigen der Europäischen Union zuerkennt, gemäß Art. 54 AEUV für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft, eine Zweigniederlassung oder eine Agentur auszuüben (vgl. W, C-538/20, mwN).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ro 2021/13/0020 B RS 2
Normen
12010E049 AEUV Art49
12010E054 AEUV Art54
62022CJ0340 Cofidis VORAB
RS 3
Da Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, darf diese freie Wahl nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden. Die Freiheit, die geeignete Rechtsform für die Ausübung von Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat zu wählen, hat insbesondere zum Ziel, es den Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat zu ermöglichen, eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen, um ihre Tätigkeiten dort unter den gleichen Bedingungen auszuüben, wie sie für Tochtergesellschaften gelten. Als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung der in Art. 49 AEUV garantierten Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. z.B. Cofidis, C-340/22, Rn. 37 ff).
Normen
12010E049 AEUV Art49
12010E054 AEUV Art54
62022CJ0340 Cofidis VORAB
RS 4
Eine Ungleichbehandlung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts gegenüber einem innerstaatlichen Sachverhalt ist nur dann mit den Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn sie entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. Cofidis, C-340/22, Rn. 48).
Normen
EURallg
KStG 1988 §9
KStG 1988 §9 Abs1
KStG 1988 §9 Abs3
12010E049 AEUV Art49
12010E054 AEUV Art54
62018CJ0749 B u. a. VORAB
RS 5
Eine Ergebnissaldierung stellt für die betreffenden Gesellschaften eine Steuervergünstigung dar. Durch einen Ausgleich zwischen den positiven und negativen Ergebnissen der einbezogenen Gesellschaften und die Konsolidierung dieser Ergebnisse beim Gruppenträger verschafft das System der Gruppenbesteuerung den betroffenen Gesellschaften einen Liquiditätsvorteil (vgl. - zu einem System der "steuerlichen Integration" in Luxemburg - B u.a., C-749/18, Rn. 23). Die österreichische Regelung begründet - vergleichbar der in jener Entscheidung zu beurteilenden Rechtslage in Luxemburg - eine Ungleichbehandlung zwischen Muttergesellschaften mit Sitz in Österreich, die mittels Gruppenbildung die positiven Ergebnisse ihrer gewinnbringenden Tochtergesellschaften durch die Verluste ihrer defizitären Tochtergesellschaften ausgleichen können, einerseits und Muttergesellschaften (mit Tochtergesellschaften in Österreich), deren Sitz sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet und die auch keine Betriebsstätte (Zweigstelle) in Österreich haben, anderseits (vgl. insoweit EuGH B u.a., Rn. 25). Da die freie Wahl der geeigneten Rechtsform für die Ausübung von Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden darf, ist es ohne Belang, dass die Gründung einer für die bestehenden Tochtergesellschaften die Rolle der Muttergesellschaft übernehmenden Betriebsstätte in Österreich es ermöglicht hätte, die steuerliche Integration der Ergebnisse der Tochtergesellschaften zu erreichen (vgl. neuerlich EuGH B u.a., Rn. 30). Da die österreichische Regelung insoweit grenzüberschreitende Sachverhalte gegenüber rein innerstaatlichen Sachverhalten steuerlich benachteiligt, liegt eine grundsätzlich verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vor (vgl. wiederum EuGH B u.a., Rn. 31). Die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt ist unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels zu prüfen (vgl. neuerlich EuGH B u.a., Rn. 33). Auch nach der österreichischen Rechtslage ist Ziel der Regelung die Ermöglichung der steuerlichen Konsolidierung der Ergebnisse der Tochtergesellschaften in Österreich. Dieses Ziel lässt sich ebenso gut bei Gruppen mit gebietsansässigen Muttergesellschaften wie bei solchen mit gebietsfremden Muttergesellschaften erreichen (vgl. wiederum EuGH B u.a., Rn. 34 ff).
Normen
KStG 1988 §10 Abs3
KStG 1988 §9
KStG 1988 §9 Abs1
12010E049 AEUV Art49
12010E054 AEUV Art54
62007CJ0418 Papillon VORAB
62013CJ0039 SCA Group Holding VORAB
62017CJ0028 NN VORAB
62022CJ0340 Cofidis VORAB
RS 6
Nach der Rechtsprechung des EuGH kann die Notwendigkeit, die Kohärenz einer Steuerregelung zu gewährleisten, eine Beschränkung der Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten rechtfertigen. Eine solche Rechtfertigung greift aber nur dann, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung besteht (vgl. Cofidis, C-340/22, Rn. 55). Insbesondere kann ein derartiger Zusammenhang zwischen der Möglichkeit der Verlustübertragung unter den Gesellschaften eines Konzerns einerseits und der steuerlichen Neutralisierung bestimmter Transaktionen zwischen diesen Gesellschaften (insbesondere "Rückstellungen" für Wertverluste bei Beteiligungen) anderseits bestehen. Die Neutralisierung derartiger Transaktionen kann zum Ziel haben, eine doppelte Berücksichtigung von Verlusten zu verhindern und damit die Kohärenz des Steuersystems zu wahren (vgl. SCA Group Holding u.a., C-39/13 u.a., Rn. 34). Wird die Beteiligung nach einer allgemeinen Regelung (und nicht durch Sonderbestimmungen zur Neutralisierung bestimmter Transaktionen) "freigestellt" (keine Berücksichtigung der "Vorteile aus einer Beteiligung"), besteht kein derartiger unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gewährung des mit der Bildung einer steuerlichen Einheit verknüpften steuerlichen Vorteils und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung (vgl. neuerlich EuGH SCA Group u.a., Rn. 40). Nach der österreichischen Rechtslage besteht aber keine derartige allgemeine Befreiungsregel für inländische Beteiligungen (vgl. hingegen für internationale Schachtelbeteiligungen § 10 Abs. 3 KStG 1988; vgl. dazu auch ). Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH müssen die Mitgliedstaaten zudem verhindern können, dass Verluste (grenzüberschreitend) doppelt berücksichtigt werden (vgl. NN, C-28/17, Rn. 42 und 45).
Normen
KStG 1988 §9
KStG 1988 §9 Abs1
KStG 1988 §9 Abs3
12010E049 AEUV Art49
12010E054 AEUV Art54
62007CJ0418 Papillon VORAB
62017CJ0028 NN VORAB
RS 7
Nationale Regelungen dürfen nicht über das hinaus gehen, was zur Erreichung des Ziels der Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung erforderlich ist; das Ziel darf nicht auch durch Maßnahmen zu erreichen sein, die die Niederlassungsfreiheit weniger stark beschränken (vgl. NN, C-28/17, Rn. 49 ff, , Papillon, Rn. 52 ff). Eine Ungleichbehandlung des grenzüberschreitenden Sachverhalts muss im Hinblick auf ihr Ziel daher verhältnismäßig sein.
Normen
EURallg
KStG 1988 §9 Abs1
KStG 1988 §9 Abs3
12010E049 AEUV Art49
12010E054 AEUV Art54
RS 8
Das Erfordernis der Zweigniederlassung (samt Zurechnung der Beteiligung an diese; § 9 Abs. 3 KStG 1988) geht über das hinaus, was erforderlich ist, um das Ziel der Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung zu erreichen, und stellt damit eine verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar.
Normen
EURallg
KStG 1988 §9 Abs3
12010E049 AEUV Art49
12010E054 AEUV Art54
RS 9
Belastendes nationales Recht, das in einer konkreten Konstellation im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, wird für diese Konstellation verdrängt. Nationales Recht bleibt insoweit unangewendet, als ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht gegeben ist. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale gesetzliche Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht. Die Verdrängung erreicht dabei bloß jenes Ausmaß, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/15/0064).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2011/15/0070 E VwSlg 8674 F/2011 RS 6
Normen
EURallg
KStG 1988 §9 Abs3
12010E049 AEUV Art49
12010E054 AEUV Art54
RS 10
Lässt das Unionsrecht für eine bestimmte Konstellation mehrere Lösungen zu, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, innerhalb des vom Unionsrecht vorgegebenen Rahmens eine nationale Regelung zu normieren. Solange der Gesetzgeber diese Entscheidung nicht getroffen hat, insbesondere weil er die Unionsrechtswidrigkeit gar nicht erkannt hat, und soweit dem Unionsrecht - wie dies bei den Grundfreiheiten der Fall ist - unmittelbare Anwendbarkeit zukommt, muss der Rechtsanwender eine "bereinigte Rechtslage" zur Anwendung bringen. Bestehen mehrere gleichwertige unionsrechtskonforme Lösungen, hat der Rechtsanwender nicht ein freies Wahlrecht, sondern hat jene Lösung zur Anwendung zu bringen, mit welcher materiell am wenigsten in das nationale Recht eingegriffen wird. Soweit als möglich ist die normative Anordnung des nationalen Gesetzgebers aufrechtzuerhalten (vgl. Zorn, Die Verdrängungswirkung des primären Unionsrechts gegenüber belastendem nationalem Recht - am Beispiel der Besteuerung von Portfoliodividenden, in BMF/JKU-Linz (Hrsg), Einkommensteuer - Körperschaftsteuer - Steuerpolitik, Gedenkschrift für Peter Quantschnigg (2010) 557, 560ff); ebenso in RdW 2011/177, 171, 175ff; sowie RdW 2009, 171, 172).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2011/15/0070 E VwSlg 8674 F/2011 RS 7 (hier nur die letzten beiden Sätze)
Normen
KStG 1988 §9
KStG 1988 §9 Abs1
KStG 1988 §9 Abs3
62018CJ0749 B u. a. VORAB
RS 11
Die Ermittlung des Ergebnisses bei Gruppenträger und Gruppenmitglied insbesondere betreffend Vorgruppen- und Außergruppenverluste ist unterschiedlich geregelt. Eine Vermischung der Gruppenmitglieds- und Gruppenträgerfunktion hat zu unterbleiben. Eine Zurechnung der Einkünfte an eine Schwestergesellschaft sieht das österreichische Recht (anders als das der Entscheidung des B u.a., C-749/18, vgl. dort Rn. 16, noch nicht zugrunde liegende novellierte Recht in Luxemburg: "integrierende Tochtergesellschaft") nicht vor.
Normen
EURallg
KStG 1988 §9
KStG 1988 §9 Abs1
KStG 1988 §9 Abs3
12010E049 AEUV Art49
12010E054 AEUV Art54
RS 12
Zweck der Gruppenbesteuerung ist insbesondere das Zusammenfassen (Summierung oder Saldierung) der steuerlichen Ergebnisse finanziell verbundener Körperschaften bei einem Gruppenträger ohne Verschmelzungen. Damit werden die Gruppenmitglieder steuerlich für Zwecke der Gruppenbesteuerung im Ergebnis ähnlich wie Betriebsstätten des Gruppenträgers behandelt. Den unionsrechtlichen Vorgaben zur Gruppenbesteuerung kann im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion mit dem materiell geringsten Eingriff dadurch entsprochen werden, dass die ausländische Muttergesellschaft als Gruppenträgerin festgestellt wird und für Zwecke der Zusammenrechnung der Ergebnisse der Gruppenmitglieder im Rahmen der Gruppenbesteuerung unter Einhaltung der Vorgaben des § 9 KStG 1988 (insbesondere betreffend Vor- und Außergruppenverluste) die unmittelbaren österreichischen Tochtergesellschaften wie österreichische Betriebsstätten der Gruppenträgerin behandelt werden. (hier: in Deutschland ansässige Muttergesellschaft ohne Zweigniederlassung in Österreich)

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamts Österreich (Dienststelle Wien 1/23) in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7100758/2023, betreffend Feststellung einer Unternehmensgruppe (mitbeteiligte Parteien: 1. B B Gesellschaft mbH in B (Deutschland); 2. B GmbH in T, und 3. B E GmbH in S, alle vertreten durch die ARTUS Steuerberatung GmbH & Co KG in 1010 Wien, Stubenring 24), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Zum bisherigen Verfahrensgeschehen ist eingangs auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2022/13/0015, zu verweisen.

2 Daraus ist hervorzuheben, dass die (nunmehrige) erstmitbeteiligte Partei (die BB GmbH), eine in Deutschland ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Feststellung einer Unternehmensgruppe gemäß § 9 Abs. 8 KStG 1988 ab dem Veranlagungsjahr 2017 beantragte. Gruppenträger solle die erstmitbeteiligte Partei sein, Gruppenmitglieder die zweit- und drittmitbeteiligten Parteien (B GmbH und BE GmbH), zwei in Österreich ansässige Gesellschaften mit beschränkter Haftung.

3 Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag ab.

4 Die mitbeteiligten Parteien erhoben gegen diesen Bescheid Beschwerde.

5 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Die mitbeteiligten Parteien beantragten, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.

6 In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht wurde erörtert, dass eine horizontale Verlustverrechnung angestrebt werde; es solle kein „Ergebnis nach Deutschland transferiert“ werden. Für den Fall, dass es zu einer Zurechnung zu einer der inländischen Gesellschaften komme solle, wurde die Zurechnung an die B GmbH beantragt.

7 Mit Erkenntnis vom gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und änderte den angefochtenen Bescheid ab.

8 Mit dem eingangs erwähnten Erkenntnis vom hob der Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidung des Bundesfinanzgerichts wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes auf.

9 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis (nunmehr gerichtet an alle mitbeteiligten Parteien) gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde neuerlich Folge. Es änderte den angefochtenen Bescheid (neuerlich) dahin ab, dass der Antrag auf Feststellung der Unternehmensgruppe mit der erstmitbeteiligten Partei als Gruppenträgerin und den inländischen Gesellschaften BE GmbH und B GmbH als Gruppenmitglieder, in folgender Form stattgebend erledigt werde: Der B GmbH Partei komme die „steuerliche Funktion der Gruppenträgerin in dem Sinne zu, dass ihr das gesamte inländische Gruppeneinkommen, das sich aus den steuerlichen Einzelergebnissen der inländischen Gruppengesellschaften ergibt, zugerechnet wird. Die Funktion der [erstmitbeteiligten Partei] als Muttergesellschaft der inländischen Tochtergesellschaften beschränkt sich auf jene eines Referenzobjekts für die inländische horizontale Ergebniszurechnung.“

10 Das Bundesfinanzgericht sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

11 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die erstmitbeteiligte Partei sei eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland. Der Geschäftsgegenstand liege in der Bündelung und einheitlichen Leitung der Auslandsaktivitäten des Familienunternehmens B. Die B Gruppe sei international tätig, verfüge über etwa 40 weltweit verstreute Gesellschaften, die allesamt unter der deutschen erstmitbeteiligten Partei gebündelt seien. In Österreich verfüge die erstmitbeteiligte Partei über keinen von der Hauptniederlassung räumlich abgesonderten und organisatorisch weitgehend verselbständigten Gesellschaftsteil, der unter eigener Leitung tätig sei und fortlaufend im Namen der erstmitbeteiligten Partei handeln dürfe.

12 Die erstmitbeteiligte Partei sei unmittelbar am Stammkapital und an den Stimmrechten der B GmbH (zu 99,8%) und der BE GmbH (zu 100%) beteiligt. Die B GmbH und die BE GmbH hätten sowohl Sitz als auch Ort ihrer Geschäftsleitung in Österreich; sie seien in Österreich operativ tätig. Sowohl die erstmitbeteiligte Partei als auch ihre beiden inländischen Tochtergesellschaften hätten ihren Bilanzstichtag jeweils am 31. Dezember.

13 Bei der B GmbH seien im relevanten Zeitpunkt keine Vor- oder Außengruppenverluste vorgelegen; es bestehe somit aus diesem Grund keinerlei Verrechnungsmöglichkeit.

14 Bei der beantragten Gruppenträgerin handle es sich weder um eine unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft, noch um eine beschränkt steuerpflichtige Gesellschaft mit einer inländischen Zweigniederlassung. Im vorliegenden Fall mangle es nicht nur an der Erfüllung der Formalvoraussetzung der Eintragung im Firmenbuch, sondern bereits an der Existenz einer inländischen Zweigniederlassung und Betriebsstätte. Im Übrigen seien die in § 9 KStG 1988 statuierten Erfordernisse aber erfüllt.

15 Die in § 9 Abs. 3 KStG 1988 normierte Einschränkung der Gruppenbildung, die den im vorliegenden Fall beantragten Ergebnisausgleich zweier inländischer Tochtergesellschaften der nicht gebietsansässigen erstmitbeteiligten Partei ohne inländische Zweigniederlassung nicht gestatte, sei eine unionsrechtlich grundsätzlich verbotene Einschränkung der Niederlassungsfreiheit. Bezogen auf das Ziel, allen oder einem Teil der Gesellschaften einen Ergebnisausgleich zu ermöglichen, sei ein grenzüberschreitender Sachverhalt mit einem rein innerstaatlichen Sachverhalt vergleichbar. Es seien auch keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses ersichtlich, die die Beschränkung rechtfertigen könnten; derartige Gründe seien von den Parteien trotz Aufforderung durch das Bundesfinanzgericht nicht dargelegt worden. Eine unionsrechtskonforme Lösung des vorliegenden Falls führe weder zu einer Verschiebung oder zum Verlust des Steueranspruchs und auch nicht zu einer doppelten Verlustberücksichtigung. Im Hinblick auf die umfassende Amtshilfe mit Deutschland sei es der österreichischen Finanzverwaltung auch leicht möglich, die Besteuerung der inländischen Einkünfte sicherzustellen.

16 Die Niederlassungsfreiheit stehe somit dem von § 9 Abs. 3 KStG 1988 beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaften auferlegten Erfordernis der inländischen Zweigniederlassung entgegen.

17 Im Sinne der geltungserhaltenden Reduktion des nationalen Rechts läge der gelindeste Eingriff darin, bloß das von § 9 Abs. 3 KStG 1988 statuierte Kriterium der Zweigniederlassung auszublenden. In diesem Fall würden die erzielten inländischen steuerlichen Einzelergebnisse der erstmitbeteiligten Partei als Gruppenträgerin zugerechnet. Bei dieser vertikalen Zurechnung des Gruppenergebnisses an die deutsche Muttergesellschaft könnten sich aber allenfalls aus DBA-rechtlichen Gründen Probleme hinsichtlich des österreichischen Besteuerungsrechts ergeben. Insbesondere könnten sich auch Schwierigkeiten in der technischen Durchführung der Besteuerung auftun.

18 Aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Einfachheit biete sich für den vorliegenden Fall die Lösung an, die Funktion der gebietsfremden erstmitbeteiligten Partei auf jene eines bloßen Referenzobjekts für die Möglichkeit zur Teilnahme an der Gruppe zu beschränken, ihr aber nicht die Einzelergebnisse der Gruppenmitglieder zuzurechnen. Stattdessen solle die Zurechnung der Ergebnisse zu einem inländischen Gruppenmitglied erfolgen. Eine derartige Lösung entspreche am ehesten den Wertungsentscheidungen und dem System des verdrängten nationalen Rechts. Eine derartige Vorgehensweise verlange auch nicht die Schaffung oder Fingierung einer eigenen Betriebsstätte. Bei der gesetzlich vorgeschriebenen Ergebniszurechnung zum Gruppenträger handle es sich auch um eine rein technische und letztendlich willkürliche Entscheidung des Gesetzgebers; die Zurechnung zu einem beliebigen Gruppenmitglied führe zum selben steuerlichen Ergebnis. Die Besteuerung der inländischen Ergebnisse bleibe auch bei der horizontalen Zurechnung gesichert.

19 Als praktikabel werde dazu ein den Gruppengesellschaften eingeräumtes Wahlrecht erachtet, eine inländische Gesellschaft zu bestimmen, die gegenüber der Finanzverwaltung die eigentliche steuerliche Funktion des Gruppenträgers übernehme, der somit die steuerlichen Ergebnisse zugerechnet würden und bei der die Steuer erhoben werde. Im vorliegenden Fall sei die Zurechnung zur B GmbH beantragt worden.

20 Das Bundesfinanzgericht weise somit der B GmbH die steuerliche Funktion des Gruppenträgers in dem Sinne zu, dass ihr das gesamte inländische Gruppeneinkommen, das sich aus den steuerlichen Einzelergebnissen der inländischen Gruppengesellschaften ergebe, zugerechnet werde. Die Funktion der erstmitbeteiligten Partei als Muttergesellschaft der inländischen Tochtergesellschaften werde auf jene eines Referenzobjekts für die inländische horizontale Ergebniszurechnung beschränkt.

21 Klarstellend sei darauf hinzuweisen, dass auf Ebene eines Gruppenträgers vorliegende Vorgruppenverluste oder Außergruppenverluste grundsätzlich mit dem Gruppenergebnis verrechenbar wären. Da bei der B GmbH derartige Vor- oder Außergruppenverluste nicht vorlägen, habe eine Befassung mit diesem Aspekt im vorliegenden Fall hintangehalten werden können.

22 Der Europäische Gerichtshof habe sich den zugrunde liegenden Fragen zwar bereits gewidmet, es liege bislang aber keine höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu vor, die die speziellen Ausgestaltungen des österreichischen Gruppenbesteuerungssystems betreffe. Insbesondere sei nicht geklärt worden, wie eine konkrete unionsrechtskonforme Umsetzung vorzunehmen sei. Es sei daher die Revision für zulässig zu erklären gewesen.

23 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision des Finanzamts. Das Finanzamt macht - auch zur Zulässigkeit der Revision - geltend, die nationale Regelung sei nicht unionsrechtswidrig. Durch das Betriebsstättenerfordernis solle der gebotene Zusammenhang zwischen Gruppenbesteuerung und Steuerhängigkeit der betreffenden Gruppenbeteiligung gewahrt bleiben. Damit sei die Berücksichtigung von Teilwertabschreibungen ausgeschlossen; dieses Abzugsverbot trage dem Grundsatz der Einmalverwertung von Verlusten inländischer Gruppenmitglieder innerhalb der Unternehmensgruppe Rechnung. Bei späterer Veräußerung der Beteiligung an den inländischen Gruppenmitgliedern bleibe das inländische Besteuerungsrecht aufrecht. Durch das Erfordernis der Zurechnung der Beteiligung an den Gruppenmitgliedern zur inländischen Betriebsstätte eines beschränkt steuerpflichtigen Gruppenträgers werde eine Gleichbehandlung mit unbeschränkt steuerpflichtigen Gruppenträgern hergestellt. Die vom Bundesfinanzgericht herangezogenen Urteile des Europäischen Gerichtshofs könnten nicht auf die österreichische Rechtslage übertragen werden. Sowohl nach der niederländischen als auch der luxemburgischen Rechtslage seien Beteiligungen an anderen Körperschaften im Körperschaftsteuerrecht (ab bestimmten Beteiligungshöhen) generell steuerneutral. Damit bestehe ein wesentlicher Unterschied zum österreichischen Recht, nach dem Teilwertabschreibungen und Veräußerungsverluste aus Beteiligungen an inländischen Gruppenmitgliedern ausdrücklich nur innerhalb der Unternehmensgruppe zur Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung von der Steuerwirksamkeit ausgeschlossen seien; im Übrigen seien derartige Wertveränderungen generell steuerwirksam. Bei einem unbeschränkt steuerpflichtigen Gruppenträger sei stets sichergestellt, dass der Vorteil der Verlustverrechnung innerhalb der Unternehmensgruppe mit dem Nachteil des Ausschlusses der steuerlichen Wirksamkeit von Teilwertabschreibungen auf die Beteiligung an Gruppenmitgliedern untrennbar verbunden sei. Beim beschränkt steuerpflichtigen Gruppenträger ohne Inlandsbezug sei diese Verknüpfung hingegen nicht sichergestellt. Damit befinde sich aber ein beschränkt steuerpflichtiger Gruppenträger, bei dem die Beteiligungen an inländischen Gruppenmitgliedern keiner inländischen Zweigniederlassung zuzurechnen seien, nicht in einer vergleichbaren Situation mit einem unbeschränkt steuerpflichtigen Gruppenträger. Sollte hingegen eine objektiv vergleichbare Situation angenommen werden, lasse sich die einschränkende Regelung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses rechtfertigen. Das Erfordernis der inländischen Zweigniederlassung (Betriebsstätte) solle eine doppelte Verlustberücksichtigung innerhalb der Unternehmensgruppe verhindern. Es solle damit die Kohärenz der Gruppenbesteuerungsregelung gewahrt werden. Die Einschränkung sei auch verhältnismäßig. Schließlich wird zum Ausmaß der Verdrängungswirkung geltend gemacht, das Vorgehen des Bundesfinanzgerichts führe zu einer Vermischung der Gruppenmitglieds- und Gruppenträgerfunktion. Zu berücksichtigen sei, dass insbesondere Verlustvorträge eines Gruppenmitglieds anders behandelt würden als Verlustvorträge eines Gruppenträgers. Sehe man das Erfordernis der Zweigniederlassung als durch das Unionsrecht verdrängt an, hätte sich das Bundesfinanzgericht darauf beschränken müssen, dem Gruppenantrag stattzugeben und die Eigenschaft der erstmitbeteiligten Partei als Gruppenträgerin festzustellen.

24 Die erstmitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht. Darin wird das Revisionsvorbringen bestritten. Zum Ausmaß der Verdrängungswirkung wird ausgeführt, nach Ansicht der mitbeteiligten Parteien ziele der Spruch des Bundesfinanzgerichts lediglich darauf ab, dem Gruppenmitglied die dem Gruppenträger zugeeignete Funktion der Ergebnissaldierung und Besteuerung des Gruppenergebnisses zuzuweisen. Eine Vollübertragung der Funktion eines Gruppenträgers inklusive Anwendung der besonderen Ergebnisermittlungsvorschriften des Gruppenträgers auf das Gruppenmitglied wäre überschießend und auch nicht mit der gelinden Verdrängungswirkung des Unionsrechts vereinbar. Im konkreten Fall hätte aber auch eine Vollübertragung auf sämtliche Wirkungen eines Gruppenträgers keine Auswirkung, da bei der B GmbH keine Vor- oder Außengruppenverluste vorlägen und daher keine diesbezügliche Verrechnungsmöglichkeit bestehe. Der Ansicht des Finanzamts, dem Gruppenantrag sei stattzugeben und die Eigenschaft der erstmitbeteiligten Partei als Gruppenträgerin sei festzustellen, werde von den mitbeteiligten Parteien nicht entgegengetreten, da dies ihrem Antrag auf Bildung einer Unternehmensgruppe entspreche.

25 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

26 Die Revision ist zulässig und begründet.

27 Gemäß § 9 Abs. 1 KStG 1988 (in der Fassung ab dem Steuerreformgesetz 2005, BGBl. I Nr. 57/2004) können - abweichend von § 7 KStG 1988 - finanziell verbundene Körperschaften nach Maßgabe des § 9 Abs. 8 KStG 1988 eine Unternehmensgruppe bilden. Dabei wird das steuerlich maßgebende Ergebnis des jeweiligen Gruppenmitglieds dem steuerlich maßgebenden Ergebnis des beteiligten Gruppenmitglieds bzw. Gruppenträgers jenes Wirtschaftsjahres zugerechnet, in das der Bilanzstichtag des Wirtschaftsjahres des Gruppenmitgliedes fällt.

28 Mit der Abweichung von § 7 KStG 1988 ist das Abgehen vom Prinzip der Individualbesteuerung gemeint. Gewinne und Verluste von Mutter- und Tochtergesellschaften können durch Bildung einer Unternehmensgruppe miteinander ausgeglichen werden, wodurch sich die Steuerbelastung verringern kann (vgl. , mwN).

29 Gruppenträger können gemäß § 9 Abs. 3 KStG 1988 u.a. beschränkt steuerpflichtige in der Anlage 2 zum Einkommensteuergesetz 1988 in der jeweils geltenden Fassung genannte, den von den „Teilstrichen 1 bis 4“ umfassten inländischen Rechtsformen vergleichbare Gesellschaften sein, wenn sie mit einer Zweigniederlassung im Firmenbuch eingetragen sind und die Beteiligung an den Gruppenmitgliedern der Zweigniederlassung zuzurechnen ist.

30 Die erstmitbeteiligte Partei (BB GmbH) ist eine Gesellschaft deutschen Rechts mit der Bezeichnung „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“; es handelt sich sohin um eine in der Anlage 2 zum Einkommensteuergesetz 1988 genannte Gesellschaft (Anlage 2 Z 1 lit. f zum EStG 1988); sie ist unstrittig mit den in § 9 Abs. 3 Teilstriche 1 bis 3 KStG 1988 (ein weiterer Teilstrich wurde mit dem Abgabenänderungsgesetz 2014, BGBl. I Nr. 13, gestrichen) genannten Rechtsformen vergleichbar (insbesondere mit unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften). Eine Zweigniederlassung ist in Österreich allerdings unbestritten nicht eingetragen (und besteht auch tatsächlich nicht), sodass diese Voraussetzung nach dem nationalen Recht nicht erfüllt ist.

31 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist mit der in den Art. 49 und 54 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben. Da Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, darf diese freie Wahl nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden. Die Freiheit, die geeignete Rechtsform für die Ausübung von Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat zu wählen, hat insbesondere zum Ziel, es den Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat zu ermöglichen, eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen, um ihre Tätigkeiten dort unter den gleichen Bedingungen auszuüben, wie sie für Tochtergesellschaften gelten. Als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung der in Art. 49 AEUV garantierten Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. z.B.  CofidisC-340/22, Rn. 37 ff).

32 Eine Ungleichbehandlung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts gegenüber einem innerstaatlichen Sachverhalt ist nur dann mit den Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn sie entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. neuerlich EuGH Cofidis, Rn. 48).

33 Zentrale Rechtsfolge der Bildung einer Unternehmensgruppe ist das Zusammenfassen der steuerlichen Ergebnisse finanziell verbundener Körperschaften bei einem Gruppenträger ohne Verschmelzungen. Die Summierung oder Saldierung der steuerlichen Ergebnisse der Mitgliedskörperschaften bei der an der Spitze der Gruppe stehenden Körperschaft führt zur Besteuerung im Wege der Veranlagung nach den allgemeinen Grundsätzen des Körperschaftsteuerrechts. Das Konzept der Gruppenbesteuerung geht von einer Ergebnisvereinigung zweier unmittelbar verbundener Körperschaften aus, die in vertikaler Hinsicht weitere Ergebnisvereinigungen zum nächst höheren Körperschaftsverbund unter Mitnahme der in der unteren Verbindung gewonnenen Ergebnisse einschließen, bis die Ergebnisse beim Gruppenträger vereinigt werden. Neben einer vertikalen Verknüpfung mehrerer verbundener Körperschaften ist auch eine Mehrheit von horizontalen Verbindungen dahingehend möglich, dass ein Gruppenträger oder ein Gruppenmitglied mit mehreren verbundenen Tochterkörperschaften eine Ergebnisvereinigung anstrebt (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Steuerreformgesetz 2005, 451 BlgNR 22. GP 14 f). Auch zwischen in- und ausländischen Unternehmen kann eine Gruppe gebildet werden. Demnach können ausländische Verluste (nicht aber Gewinne) durch die inländische Gruppenmutter verwertet werden, woraus sich ein „massiver Anreiz, Konzernleitungen mit ihren Forschungseinrichtungen und Know-How-Centern nach Österreich zu holen“ ergeben soll (vgl. 451 BlgNR 22. GP 6). Weiterer „Eckwert“ des Gruppenbesteuerungskonzepts war die Möglichkeit der Abschreibung des mit den Anschaffungskosten bezahlten „Good Will“ (vgl. neuerlich 451 BlgNR 22. GP 6 f). Teilwertabschreibungen auf eine Beteiligung innerhalb der Gruppe sollen hingegen steuerneutral sein, weil Verluste unmittelbar bei der Gruppenmutter berücksichtigt werden (vgl. wiederum 451 BlgNR 22. GP 7).

34 Eine Ergebnissaldierung stellt für die betreffenden Gesellschaften eine Steuervergünstigung dar. Durch einen Ausgleich zwischen den positiven und negativen Ergebnissen der einbezogenen Gesellschaften und die Konsolidierung dieser Ergebnisse beim Gruppenträger verschafft das System der Gruppenbesteuerung den betroffenen Gesellschaften einen Liquiditätsvorteil (vgl. - zu einem System der „steuerlichen Integration“ in Luxemburg - B u.a.C-749/18, Rn. 23).

35 Die österreichische Regelung begründet - vergleichbar der in jener Entscheidung zu beurteilenden Rechtslage in Luxemburg - eine Ungleichbehandlung zwischen Muttergesellschaften mit Sitz in Österreich, die mittels Gruppenbildung die positiven Ergebnisse ihrer gewinnbringenden Tochtergesellschaften durch die Verluste ihrer defizitären Tochtergesellschaften ausgleichen können, einerseits und Muttergesellschaften (mit Tochtergesellschaften in Österreich), deren Sitz sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet und die auch keine Betriebsstätte (Zweigstelle) in Österreich haben, anderseits (vgl. insoweit EuGH B u.a., Rn. 25).

36 Da die freie Wahl der geeigneten Rechtsform für die Ausübung von Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden darf, ist es ohne Belang, dass die Gründung einer für die bestehenden Tochtergesellschaften die Rolle der Muttergesellschaft übernehmenden Betriebsstätte in Österreich es ermöglicht hätte, die steuerliche Integration der Ergebnisse der Tochtergesellschaften zu erreichen (vgl. neuerlich EuGH B u.a., Rn. 30).

37 Da die österreichische Regelung insoweit grenzüberschreitende Sachverhalte gegenüber rein innerstaatlichen Sachverhalten steuerlich benachteiligt, liegt eine grundsätzlich verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vor (vgl. wiederum EuGH B u.a., Rn. 31).

38 Die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt ist unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels zu prüfen (vgl. neuerlich EuGH B u.a., Rn. 33).

39 Auch nach der österreichischen Rechtslage ist Ziel der Regelung die Ermöglichung der steuerlichen Konsolidierung der Ergebnisse der Tochtergesellschaften in Österreich. Dieses Ziel lässt sich ebenso gut bei Gruppen mit gebietsansässigen Muttergesellschaften wie bei solchen mit gebietsfremden Muttergesellschaften erreichen (vgl. wiederum EuGH B u.a., Rn. 34 ff).

40 Nach der Rechtsprechung des EuGH kann die Notwendigkeit, die Kohärenz einer Steuerregelung zu gewährleisten, eine Beschränkung der Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten rechtfertigen. Eine solche Rechtfertigung greift aber nur dann, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung besteht (vgl. EuGH Cofidis, Rn. 55).

41 Insbesondere kann - wie vom Finanzamt geltend gemacht - ein derartiger Zusammenhang zwischen der Möglichkeit der Verlustübertragung unter den Gesellschaften eines Konzerns einerseits und der steuerlichen Neutralisierung bestimmter Transaktionen zwischen diesen Gesellschaften (insbesondere „Rückstellungen“ für Wertverluste bei Beteiligungen) anderseits bestehen. Die Neutralisierung derartiger Transaktionen kann zum Ziel haben, eine doppelte Berücksichtigung von Verlusten zu verhindern und damit die Kohärenz des Steuersystems zu wahren (vgl.  SCA Group Holding u.a., C-39/13 u.a., Rn. 34).

42 Wird - wie nach der niederländischen Regelung - die Beteiligung nach einer allgemeinen Regelung (und nicht durch Sonderbestimmungen zur Neutralisierung bestimmter Transaktionen) „freigestellt“ (keine Berücksichtigung der „Vorteile aus einer Beteiligung“), besteht kein derartiger unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gewährung des mit der Bildung einer steuerlichen Einheit verknüpften steuerlichen Vorteils und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung (vgl. neuerlich EuGH SCA Group u.a., Rn. 40).

43 Nach der österreichischen Rechtslage besteht aber keine derartige allgemeine Befreiungsregel für inländische Beteiligungen (vgl. hingegen für internationale Schachtelbeteiligungen § 10 Abs. 3 KStG 1988; vgl. dazu auch ). Wenn dazu die Amtsrevision insbesondere auf das Urteil des Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache Papillon () verweist, so ist zu bemerken, dass in derartigen Fällen dieser Rechtfertigungsgrund allenfalls greifen könnte. Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH müssen die Mitgliedstaaten zudem verhindern können, dass Verluste (grenzüberschreitend) doppelt berücksichtigt werden (vgl.  NN, C-28/17, Rn. 42 und 45).

44 Im vorliegenden Fall sind Verluste aus der Betätigung der österreichischen Tochtergesellschaften im Rahmen der Besteuerung ihrer Einkünfte in Österreich zu erfassen. Die damit eintretende Verringerung des Wertes der Beteiligung an diesen Gesellschaften wäre im vorliegenden Fall - wenn das deutsche Recht dies zulässt - hingegen bei der Muttergesellschaft in Deutschland zu berücksichtigen. Eine doppelte Berücksichtigung dieses Verlustes könnte einen ungerechtfertigten Vorteil gewähren (vgl. neuerlich EuGH NN, Rn. 48), was nach den Erläuternden Bemerkungen gerade die hier strittige Voraussetzung (Zweigstelle, im Sinne einer Betriebsstätte in Österreich, der auch die Beteiligung zuzurechnen ist) verhindern soll.

45 Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH dürfen aber nationale Regelungen nicht über das hinaus gehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; das Ziel darf nicht auch durch Maßnahmen zu erreichen sein, die die Niederlassungsfreiheit weniger stark beschränken (vgl. wiederum EuGH NN, Rn. 49 ff, Papillon, Rn. 52 ff). Eine Ungleichbehandlung des grenzüberschreitenden Sachverhalts muss im Hinblick auf ihr Ziel daher verhältnismäßig sein.

46 Im Revisionsfall ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das Bundesfinanzgericht keine Feststellungen zur deutschen Rechtslage getroffen hat, weshalb nicht geklärt ist, ob die Erstmitbeteiligte nach deutschem Recht überhaupt eine Teilwertabschreibung auf ihre österreichischen Tochtergesellschaften vornehmen könnte. Wäre dies nicht der Fall, bestünde keine Gefahr einer doppelten Berücksichtigung des Verlustes. Selbst wenn aber eine Teilwertabschreibung nach deutscher Rechtslage grundsätzlich zulässig ist, könnte eine doppelte Verlustberücksichtigung durch weniger beschränkende Maßnahmen verhindert werden, wie etwa durch eine gesetzliche Regelung, die im konkreten Fall der Vornahme einer Teilwertabschreibung die doppelte Verlustverwertung verhindert.

47 Es ist daher davon auszugehen, dass das Erfordernis der Zweigniederlassung (samt Zurechnung der Beteiligung an diese) über das hinausgeht, was erforderlich ist, um das Ziel der Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung zu erreichen, und damit eine verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt.

48 Belastendes nationales Recht, das in einer konkreten Konstellation im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, wird für diese Konstellation verdrängt. Nationales Recht bleibt insoweit unangewendet, als ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht gegeben ist. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale gesetzliche Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht. Die Verdrängung erreicht dabei bloß jenes Ausmaß, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen (vgl. , mwN).

49 Bestehen mehrere unionsrechtskonforme Lösungen, hat der Rechtsanwender nicht ein freies Wahlrecht, sondern hat jene Lösung zur Anwendung zu bringen, mit welcher materiell am wenigsten in das nationale Recht eingegriffen wird. Soweit als möglich ist die normative Anordnung des nationalen Gesetzgebers aufrechtzuerhalten (vgl. neuerlich , mwN).

50 Das Bundesfinanzgericht hat einer der beiden österreichischen Tochtergesellschaften die Funktion eines Gruppenträgers zugewiesen. Eine solche Vorgehensweise ist aber schon deshalb nicht statthaft, weil die Ermittlung des Ergebnisses (wie die Amtsrevision und die Revisionsbeantwortung übereinstimmend zutreffend darlegen) bei Gruppenträger und Gruppenmitglied insbesondere betreffend Vorgruppen- und Außergruppenverluste unterschiedlich geregelt ist (vgl. auch Reiter, taxlex 2022, 270 ff). Der Umstand, dass sich im hier vorliegenden konkreten Einzelfall diese unterschiedliche Regelung deswegen nicht auswirkt, weil Vorgruppen- und Außengruppenverluste nicht vorliegen, kann bei allgemeiner Betrachtung dieser Rechtsfrage nicht entscheidend sein. Eine Vermischung der Gruppenmitglieds- und Gruppenträgerfunktion hat - wie die Amtsrevision zutreffend geltend macht - zu unterbleiben. Eine Zurechnung der Einkünfte an eine Schwestergesellschaft sieht das österreichische Recht (anders als das der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache B u.a., vgl. dort Rn. 16, noch nicht zugrunde liegende novellierte Recht in Luxemburg: „integrierende Tochtergesellschaft“) nicht vor.

51 Zweck der Gruppenbesteuerung ist - wie bereits dargelegt - insbesondere das Zusammenfassen (Summierung oder Saldierung) der steuerlichen Ergebnisse finanziell verbundener Körperschaften bei einem Gruppenträger ohne Verschmelzungen. Damit werden die Gruppenmitglieder steuerlich für Zwecke der Gruppenbesteuerung im Ergebnis ähnlich wie Betriebsstätten des Gruppenträgers behandelt. Den unionsrechtlichen Vorgaben zur Gruppenbesteuerung kann im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion mit dem materiell geringsten Eingriff dadurch entsprochen werden, dass die ausländische Muttergesellschaft als Gruppenträgerin festgestellt wird und für Zwecke der Zusammenrechnung der Ergebnisse der Gruppenmitglieder im Rahmen der Gruppenbesteuerung unter Einhaltung der Vorgaben des § 9 KStG 1988 (insbesondere betreffend Vor- und Außengruppenverluste) die unmittelbaren österreichischen Tochtergesellschaften wie österreichische Betriebsstätten der Gruppenträgerin behandelt werden.

52 Der von der Erstmitbeteiligten gestellte Antrag auf Bildung einer Gruppe mit ihren inländischen Tochtergesellschaften kann daher so verstanden werden, dass sie im Ergebnis beantragt, als Gruppenträgerin festgestellt zu werden und die inländischen Gruppenmitglieder für die Zusammenrechnung der Ergebnisse für Zwecke der Gruppenbesteuerung und in deren Grenzen als ihre Betriebsstätten zu behandeln.

53 Demnach ist aber der erstmitbeteiligten Partei - wie von ihr beantragt - die Funktion der Gruppenträgerin zuzuerkennen, den zweit- und drittmitbeteiligten Parteien hingegen jene von Gruppenmitgliedern, wobei auch festzustellen ist, dass diese Gruppenmitglieder für Zwecke der Gruppenbesteuerung unter Einhaltung der Vorgaben des § 9 KStG 1988 wie Betriebsstätten behandelt werden.

54 Die Besteuerung des Gruppenergebnisses wird sodann beim Gruppenträger zu erfolgen haben, wobei das Besteuerungsrecht der zusammengefassten Ergebnisse der österreichischen Tochtergesellschaften schon deswegen Österreich zusteht, weil sie - für Zwecke der Gruppenbesteuerung - als inländische Betriebsstätten der Gruppenträgerin anzusehen sind. Verlustüberhänge aus dem Gesamtergebnis der österreichischen Gruppenmitglieder stellen einen vortragsfähigen Verlust des ausländischen Gruppenträgers dar.

55 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
EURallg
KStG 1988 §10 Abs3
KStG 1988 §7
KStG 1988 §9
KStG 1988 §9 Abs1
KStG 1988 §9 Abs1 idF 2004/I/057
KStG 1988 §9 Abs3
12010E049 AEUV Art49
12010E054 AEUV Art54
62007CJ0418 Papillon VORAB
62013CJ0039 SCA Group Holding VORAB
62017CJ0028 NN VORAB
62018CJ0749 B u. a. VORAB
62020CJ0538 Finanzamt W VORAB
62022CJ0340 Cofidis VORAB
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RO2023130018.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
ZAAAF-46765