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VwGH 20.09.2023, Ro 2023/13/0012

VwGH 20.09.2023, Ro 2023/13/0012

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AbgÄG 2022
BAO §2 lita Z2
BAO §240 Abs3
BAO §241a
DBAbk Großbritannien 1970 Art23
VwRallg
RS 1
Bei einem Antrag auf "Rückerstattung" entrichteter Quellensteuern auf Grund von Bestimmungen eines Doppelbesteuerungsabkommens handelt es sich um "Erstattungen" iSd § 2 lit. a Z 2 BAO oder "Rückzahlungen" (auch § 240 Abs. 3 BAO bezeichnet dies als "Rückzahlung" des zu Unrecht einbehaltenen Betrags; vgl. zur Heranziehung dieser Bestimmung im Zusammenhang mit Doppelbesteuerungsabkommen z.B. ; vgl. dazu auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum AbgÄG 2022, 1534 BlgNR 27. GP 37: bislang verfahrensrechtliche Antragsgrundlage § 240 Abs. 3 BAO). Derartige Rückzahlungen oder Erstattungen sind nach § 241a BAO zurückzuzahlen, wenn sie ohne Rechtsgrund erlangt wurden.
Normen
BAO §241a
DBAbk Großbritannien 1970 Art23
EStG 1988 §33 Abs3
FamLAG 1967 §26
VwRallg
RS 2
Die Erläuterungen zu § 241a BAO (983/A 26. GP 52 f) verweisen insbesondere auf § 26 FamLAG 1967. Jener Bestimmung liegt zu Grunde, dass die Familienbeihilfe (wie auch der Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs. 3 EStG 1988) nicht mit Bescheid zuerkannt wird; es erfolgt lediglich eine Mitteilung. Eine spätere Aberkennung der Familienbeihilfe erfordert daher keine Durchbrechung der Rechtskraft eines Bescheides; die Mitteilung steht einer Rückforderung nicht entgegen. Wird hingegen die "Erstattung" oder "Rückzahlung" ("Rückerstattung" gemäß Art. 23 DBAbk Großbritannien 1970) der einbehaltenen Kapitalertragsteuer begehrt, so ist darüber mittels Bescheid zu entscheiden. Liegt ein derartiger Bescheid vor, so steht dieser einer Rückforderung des entsprechenden Betrages nach § 241a BAO schon deswegen entgegen, weil diese Rückzahlung oder Erstattung nicht ohne Rechtsgrund erfolgte.
Normen
BAO §241a
DBAbk Großbritannien 1970 Art23
RS 3
Es kann nicht abgeleitet werden, dass die Bestimmung des § 241a BAO von der Notwendigkeit, eine Abgabenfestsetzung vorzunehmen, entbinden könnte. In einem Fall, in dem die Festsetzung der Abgabe erforderlich ist, kann demnach eine Rückforderung nicht nach § 241a BAO geltend gemacht werden. Da über den Rückerstattungsanspruch (Art. 23 DBAbk Großbritannien 1970) durch Bescheid zu entscheiden ist, ist (solange der Antrag auf Rückerstattung nicht zurückgezogen wird, sodass eine Festsetzung nicht mehr erfolgen könnte) die Bestimmung des § 241a BAO nicht anwendbar. (Hier brachte die mitbeteiligte Partei aufgrund des DBAbk Großbritannien 1970 Anträge auf Kapitalertragsteuer-Rückerstattung ein. Diese Anträge wurden vom Finanzamt durch Überweisung des beantragten Erstattungsbetrages erledigt, ohne dazu einen Bescheid zu erlassen.)

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamts für Großbetriebe in 1030 Wien, Radetzkystraße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7101097/2022, betreffend Rückforderung gemäß § 241a BAO (Rückerstattung von Kapitalertragsteuer im Jahr 2012) (mitbeteiligte Partei: S plc in L, Vereinigtes Königreich, vertreten durch die Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Sterngasse 13), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei ist eine in Großbritannien ansässige Tochtergesellschaft einer kanadischen Gesellschaft; sie betreibt Bankgeschäfte. Im Jahr 2011 erwarb sie Anteile an österreichischen, börsenotierten Aktiengesellschaften. Im Jahr 2012 brachte sie aufgrund des Abkommens zwischen der Republik Österreich und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerumgehung bei den Steuern vom Einkommen (DBA-GB) Anträge auf Kapitalertragsteuer-Rückerstattung ein. Diese Anträge wurden vom Finanzamt durch Überweisung des beantragten Erstattungsbetrages erledigt, ohne dazu einen Bescheid zu erlassen.

2 Mit Prüfungsauftrag vom begann das Finanzamt bei der mitbeteiligten Partei eine Außenprüfung gemäß § 147 BAO betreffend „Anträge auf Rückerstattung der Österreichischen Abzugsteuer“ im Jahr 2011. Im Prüfungsbericht vom wurde u.a. ausgeführt, die Außenprüfung sei abgebrochen worden, weil die mitbeteiligte Partei in Österreich keiner gesetzlich geregelten Buchführungs- oder Aufzeichnungspflicht unterliege. Auf Grund der abgabenbehördlichen Prüfung ergäben sich keine Änderungen der Besteuerungsgrundlagen.

3 Mit Bescheiden vom sprach das Finanzamt aus, dass die mit Überweisungen vom und vom erfolgte Erstattung von Kapitalertragsteuer 2011 „gemäß § 205 BAO“ zu Unrecht erfolgt sei. Dieser Betrag sei gemäß § 241a BAO in näher genannter Höhe binnen einem Monat ab Bekanntgabe der Bescheide zurückzuzahlen.

4 In der Begründung führte das Finanzamt jeweils aus, die mitbeteiligte Partei habe Anträge auf Erstattung der österreichischen Abzugsteuer (Kapitalertragsteuer) für 2011 im Sinne des DBA-GB gestellt. Die mitbeteiligte Partei habe Dividenden aufgrund von Beteiligungen an verschiedenen österreichischen Aktiengesellschaften erhalten. Von den ausschüttenden Aktiengesellschaften seien im Zusammenhang mit diesen Dividenden Kapitalertragsteuer einbehalten und an das Finanzamt abgeführt worden. Die mitbeteiligte Partei habe die Rückzahlung dieser Abzugsteuer beantragt. Die beantragten Beträge seien jeweils ausbezahlt worden. Im Zuge einer nachträglichen Überprüfung habe sich ergeben, dass die Einlieferung der Aktien auf dem Depot der mitbeteiligten Partei jeweils erst nach den Dividendenstichtagen („Ex-Tagen“) erfolgt sei, sodass kein wirtschaftliches Eigentum nachgewiesen worden sei. Die Abzugsteuer sei daher zu Unrecht an die mitbeteiligte Partei gezahlt worden, sodass diese gemäß § 241a BAO rückgefordert werde.

5 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diese Bescheide Beschwerde.

6 Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies das Finanzamt diese Beschwerde als unbegründet ab.

7 Die mitbeteiligte Partei beantragte die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht.

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und hob die Rückforderungsbescheide ersatzlos auf. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

9 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, das Finanzamt habe den Anträgen der mitbeteiligten Partei gemäß ihrer früheren Verwaltungspraxis durch Auszahlung des gesamten Rückerstattungsbetrages faktisch entsprochen; ein Bescheid sei nicht erlassen worden. Die Rückerstattungsbeträge seien vom Finanzamt im Jahr 2012 auf das Konto der mitbeteiligten Partei überwiesen worden. Im Mai 2017 sei bei der mitbeteiligten Partei eine Außenprüfung gemäß § 147 BAO begonnen worden, die die „Erstattung der österreichischen Abzugssteuer - KESt 2011“ zum Gegenstand gehabt habe; Prüfungszeitraum sei das Jahr 2011 gewesen. Mit dem Prüfungsauftrag sei ein schriftlicher Vorhalt an die mitbeteiligte Partei gerichtet worden, die im Jahr 2011 getätigten Wertpapiergeschäfte im Detail darzulegen und nachzuweisen. Mit Schreiben vom sei die Vorhaltsbeantwortung samt Vorlage von Belegen erfolgt. Ohne weitere, nach außen wirksame Prüfungshandlung sei mit dem Bericht vom November 2018 die Außenprüfung mit dem Hinweis beendet worden, dass die Erstattungsverfahren noch nicht mit einem die Sache erledigenden Bescheid abgeschlossen worden seien.

10 Grundsätzlich seien Parteienanträge von der Verwaltungsbehörde mit Bescheid zu erledigen. Nur in bestimmten Ausnahmefällen könne Anträgen durch Vornahme des begehrten Realaktes entsprochen werden. Diese Anwendungsfälle seien in der Regel ausdrücklich im Gesetz normiert (z.B. § 13 FLAG betreffend Gewährung der Familienbeihilfe; § 47 AlVG betreffend Zuerkennung von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe).

11 Nach einhelliger Meinung seien aber Steuerrückerstattungsanträge in jedem Fall, also auch bei vollinhaltlicher Stattgabe, von der Behörde mit Bescheid zu erledigen. Der Rückerstattungsanspruch des Steuerpflichtigen sei die Umkehrung des Abgabenanspruches der Abgabenbehörde, somit ein negativer Abgabenanspruch. Erst durch die Bescheiderlassung entstehe der konkretisierte Abgabenzahlungsanspruch und werde diese Schuld fällig. Erst mit dem normativen Abspruch über den Rückerstattungsantrag durch Bescheid entstehe der erfüllbare Abgabenerstattungszahlungsanspruch des Steuerpflichtigen; die Behörde entspreche damit ihrer Entscheidungspflicht.

12 Ohne Bescheiderlassung bleibe der Antrag unerledigt. Es liege, ohne dass jemals Verjährung eintreten würde, eine durchsetzbare Verletzung der Entscheidungspflicht der Behörde vor.

13 Der gesetzwidrige Realakt der Auszahlung des beantragten Abgabenerstattungsbetrages sei nicht als Bescheid zu qualifizieren, weil in dieser Handlungsweise weder eine mündliche noch eine schriftliche Erledigung zu erblicken sei, die einen normativen Abspruch über den gestellten Antrag gegenüber einem bezeichneten Antragsteller darstelle.

14 Gemäß Artikel 10 Abs. 1 DBA-GB dürfen Dividenden, die eine im Vereinigten Königreich ansässige Person von einer in Österreich ansässigen Gesellschaft bezieht, im Vereinigten Königreich besteuert werden. Diese Dividenden dürfen auch in Österreich nach österreichischem Recht besteuert werden. Die Steuer dürfe aber 5 vom Hundert des Bruttobetrages der Dividenden nicht übersteigen, wenn der nutzungsberechtigte Empfänger eine Gesellschaft sei, die unmittelbar oder mittelbar mindestens 25 vom Hundert der Stimmrechte der die Dividenden zahlenden Gesellschaft kontrolliere, in allen anderen Fällen 15 vom Hundert des Bruttobetrages der Dividenden.

15 Übersteige die von Dividenden an der Quelle abgezogene Steuer den Steuerbetrag, der nach Artikel 10 erhoben werden dürfe, so werde nach Art. 23 DBA-GB der übersteigende Steuerbetrag über Antrag rückerstattet.

16 Die betreffenden Aktien seien von der mitbeteiligten Partei jeweils erst nach dem Tag des Beschlusses der Hauptversammlung über die Gewinnverteilung gekauft worden; sie sei daher nicht Zurechnungssubjekt der kapitalertragsteuerpflichtigen Dividendenausschüttungen gewesen. Die beantragten Erstattungsbeträge seien vom Finanzamt daher nicht nur rechtsgrundlos (ohne Bescheiderlassung), sondern auch ohne Bestehen eines materiell-rechtlichen Erstattungsanspruches im Jahr 2012 an die mitbeteiligte Partei ausgezahlt worden.

17 Der Rückforderungsanspruch sei eine Abgabe im Sinne der BAO. Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliege der Verjährung. Das Recht auf Rückforderung zu Unrecht zuerkannter Erstattungen verjähre nach § 207 Abs. 4 BAO in fünf Jahren. Da die Auszahlungen an die mitbeteiligte Partei im Jahr 2012 erfolgt seien, würde - selbst im Falle einer rückwirkenden Anwendung des § 241a BAO - grundsätzlich mit die Verjährung des Rückforderungsanspruches eintreten. Es bestehe kein Hinweis darauf, dass die hier vorliegenden KESt-Erstattungen den Tatbestand einer Abgabenhinterziehung erfüllten; die verlängerte Verjährungsfrist von 10 Jahren komme daher nicht zur Anwendung.

18 Die Außenprüfung, die im Mai 2017 begonnen worden sei, habe unstrittig die Prüfung der bescheidmäßig noch unerledigten KESt-Rückerstattungsanträge zum Gegenstand gehabt. Außer einem Vorhalt sei eine weitere Prüfungshandlung oder sonstige Amtshandlung im Zusammenhang mit den KESt-Erstattungen nicht feststellbar. Der Bericht vom enthalte nur Sachverhalte, die der Abgabenbehörde bereits vor Beginn dieser Prüfung zweifelsfrei bekannt gewesen seien: Die mitbeteiligte Partei habe auf Grund von Aktienkäufen 2011 Dividenden erhalten, von denen die Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt worden sei.

19 Da der Abgabenbehörde ein Rückforderungsanspruch erst durch § 241a BAO mit dem Inkrafttreten dieser Bestimmung () zugestanden sei, sei es denkunmöglich, dass eine von ihr vor diesem Zeitpunkt vorgenommene Amtshandlung auf die Geltendmachung dieser Abgabe habe gerichtet sein können. Der negative Abgabenanspruch betreffend Erstattung sei ein anderer Abgabenanspruch als der Abgabenrückforderungsanspruch gemäß § 241a BAO. Die Prüfung eines KESt-Erstattungsanspruches sei daher auch nicht mittelbar auf die Geltendmachung des Rückforderungsanspruches gerichtet.

20 In jenen Fällen, in denen KESt-Erstattungen rechtskonform mittels Bescheid erledigt worden seien, könne kein Rückforderungsanspruch gemäß § 241a BAO entstehen; ein Rückforderungsanspruch würde erst dann entstehen, wenn der Erstattungsbescheid aufgehoben oder abgeändert würde, wofür die Tatbestandsvoraussetzungen etwa nach § 299 BAO oder § 303 BAO vorliegen müssten.

21 Im Rahmen der Außenprüfung sei im Übrigen im Jahr 2018 gar keine Amtshandlung gesetzt worden, die auf die Geltendmachung (irgend) eines Abgabenanspruches gerichtet gewesen sei. Der Bericht im Jahr 2018 sei lediglich als amtlicher Einstellungsbericht zu qualifizieren; es handle sich dabei gerade um das Gegenteil einer Verfolgungshandlung iSd § 209 Abs. 1 BAO.

22 Selbst bei rückwirkender Anwendung der Bestimmung des § 241a BAO sei sohin wegen Eintritts der Verjährung eine Rückforderung der rechtsgrundlosen KESt-Erstattungen nicht zulässig. Die fünfjährige Verjährungsfrist habe mit Ablauf des geendet. Selbst wenn die 2017 vorgenommene Amtshandlung betreffend die KESt-Erstattungen mittelbar als auf den künftigen Rückforderungsanspruch gerichtet beurteilt würde, liege jedenfalls im Jahr 2018 keine Amtshandlung vor, die geeignet gewesen wäre, die Verjährungsfrist um ein weiteres Jahr zu verlängern. Die im November 2019 erlassenen Rückforderungsbescheide seien daher wegen Verjährung der geltend gemachten Rückforderungsansprüche rechtswidrig.

23 Die Norm des § 241a BAO sei am in Kraft getreten. Es handle sich hiebei um materielles Recht, keine Verfahrensbestimmung. Auch bei den - in den Gesetzesmaterialien als Vorbild genannten - Bestimmungen des § 26 FLAG sowie § 37 dAO handle es sich um materielles Recht. Mangels einer ausdrücklichen Rückwirkungsanordnung sei diese Bestimmung nicht auf Sachverhalte rechtsgrundloser Rückzahlungen oder Erstattungen anzuwenden, die sich vor dem Inkrafttreten ereignet haben.

24 Würde § 241a BAO rückwirkend angewendet, würden jene Steuerpflichtigen, die von der Abgabenbehörde durch ihre langjährig geübte Verwaltungspraxis rechtswidrig behandelt worden seien, schlechter gestellt als jene, über deren Anträge gesetzeskonform ein Bescheid erlassen worden sei. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, den Nachteil dieser rechtswidrigen Verwaltungsübung auf diese Steuerpflichtigen zu überwälzen. Bei der Anwendung des § 241a BAO dürfen diese Steuerpflichtigen nicht schlechter gestellt werden, als wenn sie pflichtgemäß behandelt worden wären und die Behörde die erforderlichen Bescheide erlassen hätte.

25 Hätte der Gesetzgeber eine Rückwirkung des § 241a BAO gewollt, hätte er diese rückwirkende Gesetzesanwendung an die erforderlichen Voraussetzungen des Vorliegens eines Wiederaufnahmegrundes oder Aufhebungsgrundes für diese Fälle geknüpft. Dadurch wäre in sachlicher Weise gewährleistet, dass die Steuerpflichtigen gleich behandelt würden, unabhängig davon, ob ihnen entsprechend der Verwaltungsübung der Erstattungsbescheid vorenthalten worden sei oder sie pflichtgemäß einen solchen von der Behörde erhalten hätten.

26 Es sei nicht unverständlich, dass Abgabepflichtige eine derartig langjährige Verwaltungsübung einer faktischen Antragsstattgabe akzeptiert und auf den Bestand dieser faktischen Disposition vertraut hätten. Dieses Vertrauen sei auch darin gelegen, dass sie dem faktischen Verhalten der Abgabenbehörde die gleiche rechtliche Bedeutung zugemessen hätten wie einer gesetzeskonformen Absprache über den Rückzahlungsantrag. Ein sachlicher Grund, in dieses Vertrauen schrankenlos rückwirkend einzugreifen, sei nicht erkennbar.

27 Eine verfassungskonforme Auslegung des § 241a BAO gebiete daher, dass eine rückwirkende Gesetzesanwendung auf Sachverhalte vor dem in Kraft treten dieser Norm nicht rechtmäßig sei.

28 Da zu den Rechtsfragen der Verjährung und der rückwirkenden Anwendung der Rückforderung gemäß § 241a BAO keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehe, sei die Revision zuzulassen gewesen.

29 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamts.

30 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

31 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

32 Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2020, BGBl. I. Nr. 91/2019, wurde die Bundesabgabenordnung u.a. dahin geändert, dass die Bestimmung des § 241a BAO eingefügt wurde. Diese lautete in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2020:

„§ 241a. Wer Rückzahlungen oder Erstattungen aufgrund abgabenrechtlicher Vorschriften ohne Rechtsgrund erlangt hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.“

33 Weiters wurde mit dem Abgabenänderungsgesetz 2020 § 2 BAO durch Einfügung einer lit. d ergänzt. Demnach sind auf Angelegenheiten der Rückforderungen (§ 241a BAO) die Bestimmungen der BAO, soweit sie hierauf nicht unmittelbar anwendbar sind und nicht anderes bestimmt ist, sinngemäß anzuwenden. Gesonderte Bestimmungen zum Inkrafttreten dieser Änderungen enthält das Abgabenänderungsgesetz nicht.

34 In den Erläuterungen zum Initiativantrag (983/A 26. GP 52 f; insoweit gleichlautend mit den Erläuterungen zum Ministerialentwurf zu einem Abgabenbetrugsbekämpfungsgesetz 2020, 150/ME 26. GP 28) wurde dazu ausgeführt:

„Die BAO enthält, anders als § 37 Abs. 2 der deutschen Abgabenordnung oder auch § 26 FLAG, derzeit keinen expliziten Titel zur Rückforderung zu Unrecht bzw. rechtsgrundlos erlangter Leistungen im Rahmen von Rückzahlungen der Abgabenbehörden. In der vorgeschlagenen Bestimmung soll daher entsprechend der Judikatur des VwGH (vgl. insbesondere ) eine Möglichkeit zur Rückforderung mittels Bescheid geschaffen werden.“

35 Mit dem Gesetz BGBl. I Nr. 228/2021, wurde § 3 Abs. 1 BAO geändert (Ergänzung des Verweises auch auf § 2 lit. d BAO). Demnach sind Abgaben im Sinne der BAO u.a. auch die in § 2 lit. d BAO angeführten Ansprüche (Rückforderungen). Auch dieses Gesetz enthält insoweit keine Bestimmungen zum Inkrafttreten. In den Erläuterungen zum Initiativantrag (2082/A 27. GP 2) wurde dazu ausgeführt, die vorgeschlagene Änderung diene der Beseitigung eines Redaktionsversehens.

36 Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2022, BGBl. I Nr. 108, entfiel in § 241a die Wortfolge „aufgrund abgabenrechtlicher Vorschriften“. Auch zu dieser Änderung liegt keine gesonderte Bestimmung zum Inkrafttreten vor. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1534 BlgNR 27. GP) wurde dazu ausgeführt:

„Die Änderung dient der Klarstellung, zumal in der Literatur auf die Widersprüchlichkeit des Wortlautes hingewiesen worden ist. Dies ändert nichts an der Grundintention der Vorschrift, einen abgabenverfahrensrechtlichen Titel für die Rückforderung rechtsgrundlos erlangter Rückzahlungen oder Erstattungen zu bilden.“

37 Bei einem Antrag auf „Rückerstattung“ entrichteter Quellensteuern auf Grund von Bestimmungen eines Doppelbesteuerungsabkommens handelt es sich um „Erstattungen“ iSd § 2 lit. a Z 2 BAO (vgl. z.B. Ritz/Koran, BAO7, § 2 Tz 2; vgl. weiters zur unterschiedlichen Terminologie Ritz/Koran, aaO, § 240a Tz 8 ff) oder „Rückzahlungen“ (vgl. - auch zu terminologischen Mängeln - StollBAO-Kommentar, § 2, 28 f; auch § 240 Abs. 3 BAO bezeichnet dies als „Rückzahlung“ des zu Unrecht einbehaltenen Betrags; vgl. zur Heranziehung dieser Bestimmung im Zusammenhang mit Doppelbesteuerungsabkommen z.B. ; vgl. dazu auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Abgabenänderungsgesetz 2022, 1534 BlgNR 27. GP 37: bislang verfahrensrechtliche Antragsgrundlage § 240 Abs. 3 BAO).

38 Derartige Rückzahlungen oder Erstattungen sind nach § 241a BAO zurückzuzahlen, wenn sie ohne Rechtsgrund erlangt wurden.

39 Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu § 241a BAO verweisen insbesondere auf § 26 FLAG. Jener Bestimmung liegt zu Grunde, dass die Familienbeihilfe (wie auch der Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs. 3 EStG 1988) nicht mit Bescheid zuerkannt wird; es erfolgt lediglich eine Mitteilung. Eine spätere Aberkennung der Familienbeihilfe erfordert daher keine Durchbrechung der Rechtskraft eines Bescheides; die Mitteilung steht einer Rückforderung nicht entgegen (vgl. Wanke in Lenneis/WankeFLAG², § 26 Tz 3, mwN).

40 Wird hingegen - wie hier - die „Erstattung“ oder „Rückzahlung“ („Rückerstattung“ gemäß Art. 23 DBA-GB) der einbehaltenen Kapitalertragsteuer begehrt, so ist darüber unbestritten mittels Bescheid zu entscheiden. Liegt ein derartiger Bescheid vor, so steht dieser einer Rückforderung des entsprechenden Betrages nach § 241a BAO schon deswegen entgegen, weil diese Rückzahlung oder Erstattung nicht ohne Rechtsgrund erfolgte.

41 Wenn in der Literatur dazu darauf verwiesen wird, § 241a BAO „dürfte [...] eine Reaktion auf jahrelange Gesetzesverletzungen des Finanzamts [... betreffend] Kapitalertragsteuer-Erstattungen“ (vgl. Ritz/Koran, aaO, § 241a Tz 8, mwN), gewesen sein, so wird dies aber in den Gesetzesmaterialien nicht angeführt. Es kann daher daraus nicht abgeleitet werden, dass diese Regelung auf einen Fall anwendbar wäre, in dem eine gebotene Festsetzung der (negativen) Abgabe unterlassen wurde.

42 Soweit in den Gesetzesmaterialien aber auf die Bestimmung des § 37 Abs. 2 deutsche Abgabenordnung verwiesen wird, so ist zunächst nicht ohne Weiteres erkennbar, wie eine konkrete Bestimmung einer in vielen Einzelheiten abweichenden Verfahrensordnung in die BAO eingeordnet werden kann. Es wird aber auch zu jener Bestimmung (u.a., im Einzelnen ist vieles strittig) vertreten, dass die Frage, ob ein Steueranspruch materiell nicht bestanden hat und ob deshalb die Leistung ohne rechtlichen Grund erbracht worden ist, nur im Verfahren über die Festsetzung des Steueranspruchs geklärt werden kann (vgl. z.B. Ratschow in Klein/Orlopp, Ababenordnung16, § 37 Rz 58).

43 Es kann daher nicht abgeleitet werden, dass die Bestimmung des § 241a BAO von der Notwendigkeit, eine Abgabenfestsetzung vorzunehmen, entbinden könnte. In einem Fall, in dem die Festsetzung der Abgabe erforderlich ist, kann demnach eine Rückforderung nicht nach § 241a BAO geltend gemacht werden. Da über den Rückerstattungsanspruch - unbestritten - durch Bescheid zu entscheiden ist, ist (solange der Antrag von der mitbeteiligten Partei nicht zurückgezogen wird, sodass eine Festsetzung nicht mehr erfolgen könnte) die Bestimmung des § 241a BAO nicht anwendbar. Ob und unter welchen - allenfalls analog anzuwendenden - Voraussetzungen (vgl. etwa zur gesetzlich geregelten Gutschrift von Forschungsprämien ohne Festsetzung § 108c Abs. 4 EStG 1988) im vorliegenden Fall eine Abgabenfestsetzung noch rechtmäßig ist, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu klären.

44 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

45 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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AbgÄG 2022
BAO §2 lita Z2
BAO §240 Abs3
BAO §241a
DBAbk Großbritannien 1970 Art23
EStG 1988 §33 Abs3
FamLAG 1967 §26
VwRallg
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RO2023130012.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAF-46759