VwGH 17.05.2023, Ro 2023/13/0008
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Norm | BAO §303 Abs1 litb |
RS 1 | Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wieder aufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" bezieht sich damit auf den Wissensstand (insbesondere auf Grund der Abgabenerklärungen und der Beilagen) des jeweiligen Veranlagungsjahres. Entscheidend ist, ob der abgabenfestsetzenden Stelle alle rechtserheblichen Sachverhaltselemente bekannt waren (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 2007/15/0045). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2011/15/0106 E RS 1 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Wien 12/13/14 Purkersdorf in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7104661/2020, betreffend u.a. Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2016 (mitbeteiligte Partei: DI Dr. S in N, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die mitbeteiligte Partei reichte am ihre Einkommensteuererklärung 2016 elektronisch über FinanzOnline ein. Am übermittelte sie dem Finanzamt ein Konvolut an Beilagen per Post, das dort am einlangte. Die Veranlagung der Einkommensteuer 2016 erfolgte erklärungsgemäß.
2 Am erließ das Finanzamt nach einer Außenprüfung einen Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO betreffend Einkommensteuer 2016 und einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2016.
3 Gegen diese Bescheide erhob der Mitbeteiligte fristgerecht Beschwerde, in der - soweit für das Revisionsverfahren relevant - vorgebracht wurde, dass der Mitbeteiligte sämtliche Umstände, die im Prüfbericht, auf den der Wiederaufnahmebescheid verwiesen habe, als neu hervorgekommene Tatsachen angesehen worden seien, bereits im Schreiben vom vollständig offengelegt habe und somit kein Wiederaufnahmegrund gegeben sei. Es wurde ein Antrag auf Unterbleiben einer Beschwerdevorentscheidung gestellt.
4 Im Vorlagebericht des Finanzamtes wurde ausgeführt, dass am die Freigabe des Einkommensteuerbescheides 2016 durch Mitarbeiter der betrieblichen Veranlagung (BV-Team) des zuständigen Finanzamtes erfolgt sei. Am sei der Bescheid betreffend Einkommensteuer 2016 nach Nachtverarbeitung erstellt und elektronisch dem steuerlichen Vertreter des Mitbeteiligten zugestellt worden. Im Zuge einer 2019 für die Jahre 2015 bis 2017 begonnenen Außenprüfung sei vom Finanzamt die Herkunft hoher abgeflossener Beträge hinterfragt worden. In diesem Zusammenhang habe die steuerliche Vertretung auf ein mit datiertes und mit selbem Datum beim Finanzamt eingebrachtes Schreiben verwiesen, in dem alles offengelegt worden sei.
Die steuerliche Vertretung habe das mit datierte Schreiben am selben Tag im Finanzzentrum in Wien eingebracht, welches in weiterer Folge am gescannt und am vom Infocenter an das zuständige BV-Team des zuständigen Finanzamtes als EVZ-Antrag 2018 zugeordnet worden sei. Dem elektronischen Einkommensteuer-Verfahren 2016 seien das Schreiben vom und die darin dargelegten Sachverhalte samt Beilagen nicht zugeordnet und daher im Einkommensteuerverfahren 2016 am bei Freigabe des Bescheides vom nicht bekannt gewesen.
5 Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid nach Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Folge und hob den Bescheid ersatzlos auf. Die Beschwerde gegen den Sachbescheid wurde als gegenstandslos erklärt. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges stellte das Bundesfinanzgericht - soweit für das Revisionsverfahren relevant - folgenden Sachverhalt fest: Die Einkommensteuererklärung 2016 des Mitbeteiligten sei von der steuerlichen Vertretung am elektronisch über FinanzOnline beim sachlich und örtlich zuständigen Finanzamt eingereicht worden. Als Begleitschreiben zur Einkommensteuererklärung 2016 sei ein an das sachlich und örtlich zuständige Finanzamt adressiertes Schreiben vom samt Beilagen im Umfang von 135 Seiten im Postweg übermittelt worden. Dieses Schreiben vom enthalte im Betreff neben Namen und Steuernummer des Mitbeteiligten die unmissverständliche Zuordnung „Steuererklärung 2016“. Das Schreiben habe diverse Unterlagen enthalten, die eine vollständige Offenlegung der für die Einkommensteuer 2016 relevanten Tatsachen darstellten. Es sei am der Post zur Beförderung übergeben worden und am - und somit am selben Tag wie die elektronisch über FinanzOnline übermittelte Einkommensteuererklärung 2016 - bei der Finanzbehörde eingelangt. Das Begleitschreiben zur Einkommensteuererklärung 2016 sei in der gemeinsamen Einlaufstelle der Finanzämter Wien (Infocenter) am - und somit zwei Tage nach seinem Einlangen am - eingescannt worden. Das Begleitschreiben sei von der gemeinsamen Einlaufstelle der Finanzämter Wien (Infocenter) an das für die Einkommensteuerveranlagung 2016 zuständige Team der betrieblichen Veranlagung (des sachlich und örtlich zuständigen Finanzamtes) weitergeleitet worden und sei nach der Darstellung der belangten Behörde erst zwei weitere Tage später, nämlich am , für die dortigen Bediensteten am Bildschirm ersichtlich gewesen. Das Begleitschreiben zur Einkommensteuererklärung 2016 vom samt Beilagen sei von einem Mitarbeiter der betrieblichen Veranlagung im elektronischen Ordner des Jahres 2018 abgelegt worden. Aufgrund des Begleitschreibens zur Einkommensteuererklärung 2016 sei die Erlassung eines Einkommensteuervorauszahlungsbescheides 2018 mit dem Betrag 0 € erfolgt. Die Rekonstruktion des Ablaufes der Vorgänge bis zur Erlassung des Einkommensteuerbescheides 2016 mit Datum anhand der Datenbankeinträge zeige, dass die am elektronisch eingereichte Einkommensteuererklärung 2016 am selben Tag als Teil einer „gruppenweisen Freigabe“ mit anderen am selben Tag (von anderen Abgabepflichtigen) eingebrachten Einkommensteuererklärungen freigegeben worden sei. Nach der Darstellung der belangten Behörde habe es keine Vorbescheidkontrolle durch Mitarbeiter des BV-Teams gegeben, weshalb keine Bearbeitungsschritte gesetzt worden seien, weil sich der Fall nicht auf der Bearbeitungsliste befunden habe. Ein am vom Bearbeitungsprogramm automatisch generierter Fehlercode mit der Nummer 18060 („Eingabe zu überprüfen Spruchbetrag ungewöhnlich hoch“) sei dahingehend erledigt worden, dass eine „Beharrung“ veranlasst worden sei. Am sei die neuerliche Freigabe des Einkommensteuerbescheides 2016 erfolgt. Der unter Zugrundelegung der am elektronisch eingereichten Einkommensteuererklärung 2016 am erlassene und elektronisch (Databox) an den Mitbeteiligten zu Handen der steuerlichen Vertretung zugestellte Einkommensteuerbescheid 2016 weise in der Amtssignatur die Zeitangabe 22:19 Uhr und 54 Sekunden (Mitteleuropäische Sommerzeit) auf.
6 Eine eigene Beweiswürdigung enthält das angefochtene Erkenntnis nicht; derartige Erwägungen finden sich teilweise disloziert in der rechtlichen Beurteilung. In dieser führte das Bundesfinanzgericht aus, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes befinde sich ein Schriftsatz ab Einlangen in der Einlaufstelle in der Sphäre der Behörde, die sich der Einlaufstelle bediene, was auch dann gelte, wenn es sich um eine gemeinsame Einlaufstelle mehrerer Behörden handle. Die Unterlassung der (rechtzeitigen) Weiterleitung des Schriftsatzes von der Einlaufstelle an die jeweils zuständige Stelle stelle einen behördlichen Fehler dar. Demnach sei jedenfalls davon auszugehen, dass sich das Begleitschreiben zur Einkommensteuererklärung 2016 samt Beilagen am in der Sphäre der belangten Behörde befunden habe. Die Unterlassung einer rechtzeitigen Weiterleitung des Schriftsatzes von der Einlaufstelle an die zuständige Stelle müsse jedenfalls der Sphäre der belangten Behörde zugerechnet werden, auch wenn die Verzögerung der Weiterleitung des Begleitschreibens zur Einkommensteuererklärung 2016 an das für die Einkommensteuerveranlagung zuständige Team der betrieblichen Veranlagung bis zum dortigen Einlangen auf behördeninterne Probleme, wie insbesondere die allgemein bekannten personellen Engpässe in den Finanzämtern, zurückzuführen sein dürfte. Es sei erwiesen, dass das am per Post eingelangte Begleitschreiben zur Einkommensteuer 2016 erst zwei Tage später, nämlich am im Infocenter des Finanzamtes Wien 8/16/17 (= gemeinsame Einlaufstelle der Finanzämter Wien) gescannt und an die abgabenfestsetzende Stelle im zuständigen Finanzamt Wien weitergeleitet worden sei. Fakt sei, dass es für die Darstellung der belangten Behörde, wonach das Begleitschreiben zur Einkommensteuererklärung 2016 samt Beilagen im Umfang von 135 Seiten der abgabenfestsetzenden Stelle erst am zugegangen wäre, weder eine erfolgreiche Beweisführung noch eine plausible Glaubhaftmachung gebe, sodass das Bestehen der faktischen Möglichkeit eines Zugriffs auf die gescannten Unterlagen durch die abgabenfestsetzende Stelle ab der am erfolgten Weiterleitung durch das Infocenter weitaus wahrscheinlicher erscheine. Es lägen nämlich keine nachprüfbaren Erklärungen zum Sachverhalt vor, die zur gerechtfertigten Schlussfolgerung führen könnten, dass das Konvolut nach der Durchführung des Scanvorganges am in der Sphäre des Infocenters verblieben sei und erst durch einen am übernächsten Tag vollzogenen Bearbeitungsschritt an die abgabenfestsetzende Stelle weitergeleitet worden wäre. In diesem Kontext bedürfe es zweifellos einer Unterscheidung zwischen dem Bestehen der Möglichkeit einer Einsichtnahme in die betreffenden Unterlagen ab dem und der tatsächlichen Durchführung einer solchen Einsichtnahme erst am . Die Abwägung der sachverhaltsmäßig relevanten Aspekte führe zur Annahme, dass für das zuständige BV-Team als abgabenfestsetzende Stelle höchstwahrscheinlich bereits vor der endgültigen Freigabe des Einkommensteuerbescheides 2016 am die Möglichkeit eines Zugriffes auf das Begleitschreiben zur Einkommensteuererklärung 2016 und somit die Möglichkeit einer Kenntnisnahme des Inhaltes bestanden habe. Am sei die (endgültige) Freigabe des Einkommensteuerbescheides 2016 erfolgt, welcher in der Amtssignatur das Datum und die Zeitangabe 22:19 Uhr und 54 Sekunden (Mitteleuropäische Sommerzeit) aufweise. Die erstmalige Freigabe des Einkommensteuerbescheides 2016 durch einen Organwalter sei definitiv sogleich am erfolgt. Erwiesen sei, dass am die abermalige Freigabe des Einkommensteuerbescheides 2016 erfolgt sei, nachdem ein am vom Bearbeitungsprogramm automatisch generierter Fehlercode mit „Beharrung“ erledigt worden sei, was de facto ein Ignorieren des Fehlercodes bedeute. Es bestehe kein Zweifel daran, dass der Fehlercode nicht zum Anlass genommen worden sei, die Angaben in der elektronisch eingereichten Einkommensteuererklärung 2016 einer näheren Prüfung zu unterziehen. Die Erforderlichkeit einer Bearbeitung sei für einen durchschnittlich kompetenten Organwalter auch bei einer bloß oberflächlichen Befassung mit den Angaben in der Einkommensteuererklärung 2016 erkennbar gewesen. Nach den bestehenden Dienst- und Organisationsvorschriften sei eine Bearbeitung bzw. Prüfung eindeutig geboten gewesen.
7 Auch wenn man der Erklärung des Finanzamtes folgen und von einer Zugriffsmöglichkeit auf das Begleitschreiben zur Einkommensteuererklärung 2016 erst ab dem ausgehen würde, bliebe die Nichtreaktion auf den Fehlercode völlig unverständlich. Nicht weniger bemerkenswert als die Eliminierung des Fehlercodes durch „Beharrung“ ohne nähere Befassung mit den Angaben in der Einkommensteuererklärung 2016 erscheine die Zuordnung des Begleitschreibens samt Beilagen im Umfang von 135 Seiten zur Einkommensteuervorauszahlung 2018. Die Umstände sprächen dafür, dass jener Organwalter, welcher nach Eliminierung des am angezeigten Fehlercodes durch „Beharrung“ am die Freigabe des Einkommensteuerbescheides 2016 veranlasst habe und am das Begleitschreiben zur Einkommensteuererklärung 2016 im elektronischen Akt des Jahres 2018 abgelegt habe, sich auf jeden Fall zumindest nach der Freigabe des Einkommensteuerbescheides 2016 mit dem Inhalt des Begleitschreibens auseinandergesetzt haben müsse. Zusammenfassend sei festzustellen, dass nicht als erwiesen angenommen werden könne, dass die abgabenfestsetzende Stelle erst nach Erlassung des am freigegebenen Einkommensteuerbescheides 2016 vom die Möglichkeit gehabt habe, von der Existenz des Begleitschreibens zur Einkommensteuererklärung 2016 vom Kenntnis zu nehmen.
8 Die Revision ließ das Bundesfinanzgericht mit der Begründung zu, dass „keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einem unmittelbar vergleichbaren Sachverhalt vorliegt“.
9 Gegen Spruchpunkt I dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende Amtsrevision, die zunächst anführt, spätere Ermittlungen hätten ergeben, dass das Einscannen der Unterlagen erst am erfolgt sei. Zur Zulässigkeit bringt die Revision vor, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln anhand des Wissenstands der abgabenfestsetzenden Stelle zu beurteilen; die abgabenfestsetzende Stelle sei das zuständige BV-Team gewesen. Tatsächlich und nachweisbar durch die elektronische Protokollierung des Vorganges sei das Scanning des Schriftstückes samt Beilagen durch das Infocenter am erfolgt und sei dieser Eingang automatisiert um 6:56:13 an das Verfahren in der Direktbearbeitung weitergeleitet worden. Das Schreiben sei für die abgabenfestsetzende Stelle frühestens am 6. Oktober um 6:56:13 einsehbar gewesen. Das Bundesfinanzgericht gehe aktenwidrig davon aus, dass das in Rede stehende Schriftstück bereits am für die abgabenfestsetzende Stelle abrufbar und ersichtlich gewesen wäre, obwohl das Finanzamt im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht entsprechende Beweismittel dafür vorgelegt habe, dass das Schriftstück erst am ersichtlich gewesen sei.
10 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 Das Bundesfinanzgericht begründet sein Erkenntnis im Wesentlichen damit, dass das Finanzamt nicht habe plausibel machen können, dass das eingescannte Schriftstück erst am für das BV-Team ersichtlich gewesen sei.
13 Wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, muss die Begründung eines Erkenntnisses erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen es die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Die Begründung muss dabei in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (vgl. ).
14 Diesen Anforderungen entspricht das angefochtene Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes nicht.
15 Im Akt des Bundesfinanzgerichts befindet sich ein E-Mail-Verkehr zwischen dem Finanzamt und einem Mitarbeiter der IT-Sektion des BMF, in dem Letzterer erklärt, dass der Bescheid bereits erstellt worden sei, bevor das Schriftstück gescannt worden sei. Das E-Mail lautet wörtlich:
„Was uns jedoch aufgefallen ist, ist dass der Bescheid am 5.10. freigegeben worden ist und am 6.10. um 00:19 (=22:19:54+2:00) verarbeitet wurde. Das bedeutet, dass der Bescheid schon erstellt war, als der Scan durchgeführt wurde.“
Zudem wird dort angeführt, dass das Schriftstück erst ab dem BV-Team angezeigt worden sei und vermutlich - da es sich dabei um einen Freitag gehandelt habe - das BV-Team den Eingang erst am tatsächlich gesehen habe. Darüber hinaus findet sich in diesen E-Mails ein Auszug aus den Bearbeitungsstationen zum Vorauszahlungsbescheid 2018, bei dem unter anderem bei der Art der Bearbeitung Folgendes angeführt ist: „, Bearbeiter: gescannt“.
16 Weiters liegt im Verwaltungsakt ein Auszug aus einer Datenbank, der nach dem Vorlagebericht unter „Änderungshistorie des Schreibens vom (VK Eingang)“ auch dem Bundesfinanzgericht vorgelegt wurde, aus dem sich ergibt, dass die Sendung erst am ca. 6:56 an das BV-Team weitergeleitet wurde.
17 Mit diesen vorgelegten Dokumenten hat sich das Bundesfinanzgericht in seinen Erwägungen nicht auseinandergesetzt. Die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung, wonach die Weiterleitung durch das Infocenter am erfolgt sei, sind aktenwidrig. Wenn das Bundesfinanzgericht trotz des Auszuges aus der Datenbank, aus dem die erfolgte Weiterleitung durch das Infocenter erst am ersichtlich war und der E-Mails aus der IT-Sektion des BMF keine ausreichenden Belege für eine Erkennbarkeit für das BV-Team erst am erblickt hat, hätte es begründen müssen, aus welchem Grund diese Unterlagen nicht geeignet sind, einen Nachweis über die Behauptung des Finanzamtes zu bringen. Wieso das Bundesfinanzgericht annimmt, dass die Unterlagen für die abgabenfestsetzende Stelle bereits am auf ihrem Bildschirm ersichtlich gewesen sein müssten, ist mangels Feststellungen dazu nicht nachvollziehbar. Im gesamten Erwägungsteil des Erkenntnisses finden sich weder ausreichende Feststellungen noch eine Auseinandersetzung mit den vorgelegten Dokumenten oder eine nachprüfbare Begründung, auf Basis welchen Vorbringens und welcher Unterlagen das Bundesfinanzgericht davon ausgegangen ist, dass das BV-Team bereits vor dem Zugriff auf das Schreiben gehabt haben musste, obwohl die Weiterleitung durch das Infocenter wie durch das Finanzamt im Verfahren mehrfach vorgebracht und durch entsprechende Dokumente belegt wurde, erst am erfolgt ist.
18 Indem das Bundesfinanzgericht die vorgelegten Unterlagen in seinen Erwägungen nicht berücksichtigt, verwehrt es dem Verwaltungsgerichtshof die inhaltliche Prüfung des Erkenntnisses.
19 Wenn die Revisionsbeantwortung dazu einwendet, dass es nicht darauf ankomme, ob dem BV-Team das Schreiben erst am in der Früh angezeigt worden sei, weil die Zustellung des Bescheides in der Databox des Mitbeteiligten erst am um 22:19:54 erfolgt sei, ist darauf zu verweisen, dass der Zustellzeitpunkt offenbar strittig ist. Die Finanzverwaltung geht laut Akt des Bundesfinanzgerichts von einer Zustellung am um 00:19:54 aus. Das Bundesfinanzgericht hat weder Feststellungen zum Zustellzeitpunkt getroffen, noch sich mit den sich widersprechenden Vorbringen des Finanzamtes und dem von dem Mitbeteiligten vorgelegten Gutachten auseinandergesetzt. Auch diesbezüglich ist dem Verwaltungsgerichtshof eine Überprüfung des Erkenntnisses verwehrt.
20 Das Bundesfinanzgericht führt in seinem Erkenntnis weiters aus, dass die Unterlassung einer rechtzeitigen Weiterleitung des Schriftsatzes von der Einlaufstelle an die zuständige Stelle jedenfalls der Sphäre der belangten Behörde zugerechnet werden müsse.
21 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln (§ 303 Abs. 1 lit. b BAO) nur aus der Sicht der jeweiligen Verfahren derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln bezieht sich damit auf den Wissensstand (auf Grund der Abgabenerklärungen und ihrer Beilagen) des jeweiligen Veranlagungsjahres. Entscheidend ist, ob der abgabenfestsetzenden Stelle alle rechtserheblichen Sachverhaltselemente bekannt waren (vgl. ).
22 Die abgabenfestsetzende Stelle ist das zuständige Betriebsveranlagungsteam und nicht das Infocenter oder die „Scanningstraße“.
23 Wenn das Bundesfinanzgericht wiederholt auf - nicht zur Wiederaufnahme ergangene - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verweist, wonach sich ein Schriftstück ab Einlangen in der Sphäre des Finanzamtes befindet und die nicht rechtzeitige Weiterleitung eines Schriftstückes an die zuständige Stelle einen Fehler des Finanzamtes darstellt, erschließt sich daraus nicht, welche Auswirkung dies für den Zeitpunkt der Kenntnis der abgabenfestsetzenden Stelle von den strittigen Tatsachen im wiederaufzunehmenden Verfahren hat.
24 Ebenso wenig erschließt sich der Begründungswert jener Ausführungen des Bundesfinanzgerichts, wonach das Finanzamt selbst unter der Annahme, dass es tatsächlich erst nach Erlassung des Bescheides Kenntnis von den strittigen Tatsachen erlangt hätte, zeitnahe eine Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2016 gemäß § 299 BAO hätte verfügen können. Für die Beurteilung des Wissenstandes des Finanzamtes zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides spielt es keine Rolle, ob es sofort nach Kenntnis der Tatsachen eine Aufhebung gemäß § 299 BAO oder erst später eine Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO verfügt. Ebenso wenig ist relevant, ob sich der zuständige Finanzbeamte bei der „Beharrung“ der Freigabe am an die finanzinternen Vorgaben gehalten hat.
25 Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob mit der strittigen Eingabe vom aufgrund des missverständlichen Anschreibens überhaupt eine wirksame Offenlegung für das Jahr 2016 erfolgt ist.
26 Das Bundesfinanzgericht hat nach dem Gesagten sein Erkenntnis mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG im angefochtenen Umfang aufzuheben war.
Wien, am
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Norm | BAO §303 Abs1 litb |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RO2023130008.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-46757