VwGH 07.09.2023, Ro 2023/09/0002
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Norm | DMSG 1923 §5 Abs7 |
RS 1 | Eine wissenschaftliche Neubewertung" iSd § 5 Abs. 7 DMSG 1923 ist dann anzunehmen, wenn sich der Stand der Wissenschaft in Bezug auf die Bewertung des geschützten Objektes geändert hat. Es ist zwar das gesamte Objekt einer neuen Prüfung zugänglich (diesbezüglich entspricht die abweichende Ansicht der belangten Behörde nicht dem Gesetz), es ist allerdings gegenüber der Bewertung zum Zeitpunkt der Unterschutzstellung in qualifizierter Weise darzulegen, weshalb im jetzigen Zeitpunkt infolge einer Änderung des Standes der Wissenschaft keine Schutzwürdigkeit mehr vorliegt (arg.: "jede Bedeutung als schützenswertes Denkmal, derentwegen sie unter Denkmalschutz gestellt wurden ..., verloren haben"). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sich die Behörde im Falle eines Antrages auf Aufhebung des Denkmalschutzes gemäß der ausdrücklichen Anordnung des § 5 Abs. 7 DMSG 1923 nur mit Gründen auseinandersetzen muss, die von den Parteien vorgebracht und nachgewiesen werden konnten. Dabei genügen nicht bloße, wenn auch in Form eines Gutachtens erstattete Äußerungen. Eine "wissenschaftliche Neubewertung" iSd § 5 Abs. 7 DMSG 1923 wird nur anzunehmen sein, wenn von den Parteien Erkenntnisse vorgelegt werden bzw. solche offenkundig sind, in denen die Änderung des Standes der Wissenschaft bezogen auf das unter Schutz gestellte Objekt "lege artis" (das heißt, in wissenschaftlicher Arbeitsweise unter Befassung mit der Fachliteratur) nachgewiesen wird. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2008/09/0312 E RS 2 (hier ohne den dritten und vierten Satz) |
Normen | |
RS 2 | Die Wirkungen eines Feststellungsbescheides können sich nur auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides beziehen. Nach Änderung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen steht die Rechtskraft dieses Bescheides der Erlassung eines neuen Bescheides in derselben Angelegenheit nicht entgegen. Die Verbindlichkeit ("Bindungswirkung") eines Feststellungsbescheides besteht nämlich nur innerhalb der "Grenzen der Rechtskraft". Damit geht das "Ende" bzw. die "Durchbrechung" der Feststellungswirkung einher. In einem solchen Fall ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides mit geändertem Inhalt für die Durchbrechung der Feststellungswirkung nicht vorausgesetzt (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/09/0043 E RS 3 |
Normen | AVG §56 DMSG 1923 §2 Abs1 DMSG 1923 §2 Abs1 idF 1990/473 DMSG 1923 §2 Abs2 DMSG 1923 §2 Abs4 idF 1999/I/170 DMSGNov 1999 VwGG §42 Abs2 Z1 VwGVG 2014 §17 VwRallg |
RS 3 | Durch die mit DMSG-Novelle 1999, BGBl. I Nr. 170, erfolgte Einfügung des Abs. 4 in § 2 DMSG 1923 ist die gesetzliche Vermutung des § 2 Abs. 1 DMSG 1923 idF BGBl. Nr. 473/1990 mit Ende 2009 ausgelaufen. Eine Ermächtigung für die Erlassung von Feststellungsbescheiden über das Nichtbestehen eines öffentlichen Interesses an der Erhaltung eines unbeweglichen Denkmals gemäß § 2 Abs. 2 DMSG 1923 besteht somit ex lege nicht mehr. Bisher nach gemäß § 2 Abs. 1 DMSG 1923 erlassene negative Feststellungsbescheide, wonach die Erhaltung eines solchen unbeweglichen Denkmals nicht im öffentlichen Interesse liegt, hatten ihre Bedeutung allein darin, eine Ausnahme von der im § 2 Abs. 1 DMSG 1923 normierten gesetzlichen Vermutung zu bewirken. Daraus folgt, dass bisher nach dieser Bestimmung erlassene negative Feststellungsbescheide durch die Rechtslagenänderung nach Auslaufen der gesetzlichen Vermutung ihre Bedeutung und ihre Rechtswirkungen verloren haben. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/09/0043 E RS 4 |
Normen | AVG §56 DMSG 1923 §1 DMSG 1923 §2 Abs1 idF 1990/473 DMSG 1923 §2 Abs2 idF 1990/473 DMSG 1923 §2 Abs4 idF 1999/I/170 DMSG 1923 §3 DMSG 1923 §6 Abs1 idF 1990/473 DMSG 1923 §6 Abs2 idF 1990/473 DMSGNov 1999 VwGG §42 Abs2 Z1 VwGVG 2014 §17 VwRallg |
RS 4 | Mit Einfügung des § 2 Abs. 4 DMSG 1923 durch die DMSGNov 1999 endete hinsichtlich unbeweglicher Denkmale im Eigentum (u.a.) des Bundes die gesetzliche Vermutung gemäß § 2 Abs. 1 DMSG und damit die Unterschutzstellung kraft gesetzlicher Vermutung mit . Dies gilt nach der genannten Bestimmung ausdrücklich auch für Fälle von Unterschutzstellungen gemäß § 6 Abs. 1 DMSG 1923. Die Feststellung des fehlenden öffentlichen Interesses an der Erhaltung des Denkmals im Jahr 1994 erfolgte im Hinblick auf die damals bestehende gesetzliche Vermutung nach § 2 Abs. 1 DMSG 1923 gemäß § 6 Abs. 2 DMSG 1923, der dafür auf § 2 Abs. 2 DMSG 1923 verweist. Der 1994 erlassene Bescheid zielte insoweit daher lediglich darauf ab, (neben anderen) das hier gegenständliche Gebäude aus der andernfalls fortdauernden Unterschutzstellung kraft gesetzlicher Vermutung auszunehmen. Ein solcher Bescheid konnte infolge Aufhebung der gesetzlichen Vermutung nach dem nicht mehr ergehen. Nach dem Auslaufen der gesetzlichen Vermutung haben daher diese negativen Feststellungsbescheide ihre Bedeutung und ihre Rechtswirkungen verloren. Insofern kam es daher zu einer relevanten Änderung der Rechtslage, sodass die infolge Auslaufens der gesetzlichen Vermutung unwirksam gewordene Bindungswirkung des negativen Feststellungsbescheids aus 1994 einer Unterschutzstellung des Objekts nach §§ 1 und 3 DMSG 1923 im Jahr 2021 nicht (mehr) entgegenstand. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die Revision des Bundesdenkmalamts gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W176 2250108-1/5E, betreffend Teilunterschutzstellung gemäß § 1 Abs. 8 Denkmalschutzgesetz (mitbeteiligte Partei: A B in C, vertreten durch die Dax Wutzlhofer und Partner Rechtsanwälte GmbH in 1030 Wien, Zaunergasse 4-6/8. OG), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Antrag auf Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom erteilte das Bundesdenkmalamt (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde; nunmehr: revisionswerbende Partei) die denkmalbehördliche Bewilligung zur freiwilligen Veräußerung der in Anlage B des Bundesgesetzes über die Errichtung einer Bundesimmobiliengesellschaft (BGBl. Nr. 419/1992) genannten Gebäude durch die Republik Österreich an die BIG-Liegenschaftsverwertungsgesellschaft mbH gemäß § 6 Abs. 1 Denkmalschutzgesetz (DMSG) und stellte unter einem gemäß § 6 Abs. 2 DMSG fest, dass an der Erhaltung der in der einen Bestandteil des Bescheids bildenden Liste angeführten Objekte - darunter das verfahrensgegenständliche Gebäude - kein öffentliches Interesse bestehe.
2 Mit Bescheid vom stellte die revisionswerbende Partei nunmehr fest, dass die Erhaltung des verfahrensgegenständlichen Gebäudes - unter Ausnahme seines Inneren - gemäß §§ 1 und 3 DMSG im Sinne einer Teilunterschutzstellung gemäß § 1 Abs. 8 DMSG im öffentlichen Interesse gelegen sei.
3 Dies wurde - auf das für das Revisionsverfahren Wesentliche zusammengefasst - damit begründet, dass für eine Unterschutzstellung die herrschende Fachmeinung maßgebend sei. Daher könne bei Objekten, hinsichtlich derer rechtskräftig festgestellt worden sei, dass ein öffentliches Interesse an der Erhaltung nicht bestehe, dann, wenn sich diese herrschende Fachmeinung (aus welchen Gründen immer) geändert habe, in einem neuen Verfahren das Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der Erhaltung festgestellt werden. Die nunmehr positive Einschätzung der Denkmalbedeutung des gegenständlichen Objekts sei auf Grund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgt. In Anbetracht des nunmehr so geänderten Tatbestands stehe die materielle Rechtskraft des bisherigen Bescheids der Erlassung eines neuen Bescheids nicht entgegen (Hinweis auf Helfgott, Die Rechtsvorschriften für den Denkmalschutz [1979] 40).
4 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte als nunmehriger Eigentümer dieses Bauwerks Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
5 Das Bundesverwaltungsgericht gab mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis vom der Beschwerde statt und sprach aus, dass der angefochtene Bescheid aufgehoben [im Sinn von: ersatzlos behoben] werde. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für zulässig.
6 Rechtlich begründete das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis zusammengefasst dahingehend, dass die materielle Rechtskraft eines Bescheids einer weiteren Entscheidung in derselben Sache entgegenstehe. Identität der Sache sei gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, der dem Vorbescheid zugrunde gelegen sei, nicht geändert habe. Bei der Beurteilung der Identität der Sache sei in primär rechtlicher Betrachtungsweise festzustellen, ob in den entscheidungsrelevanten Fakten eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Auch wenn aus neuen Forschungsergebnissen eine andere fachliche Beurteilung unverändert gebliebener Tatsachen resultiere und/oder sich die Meinung der Sachverständigen geändert habe, berühre das die Identität der Sache nicht. Nur ein zeitlich, örtlich oder sachlich differentes Geschehen könne als anderer Sachverhalt angesehen werden, nicht auch die neue Beurteilung eines bereits einer Entscheidung zugrunde gelegten, im Vorverfahren bewerteten Sachverhalts. Identität der Rechtslage liege vor, wenn sich seit der Erlassung des Vorbescheids in den die Entscheidung tragenden Normen, in der Rechtslage, auf welche die Behörde den Bescheid gestützt habe, keine wesentliche, also die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheids ermöglichende oder gebietende Modifikation eingetreten sei. Von einer geänderten Rechtslage könne nur gesprochen werden, wenn sich die gesetzlichen Vorschriften, die tragend für die Entscheidung gewesen seien, nachträglich so geändert hätten, dass sie, wären sie schon vorher existent gewesen, eine andere Entscheidung aufgetragen oder ermöglicht hätten.
7 Das öffentliche Interesse an der Erhaltung des gegenständlichen Objekts, das zuvor Kraft gesetzlicher Vermutung unter Denkmalschutz gestanden habe, sei im Zuge von dessen freiwilliger Veräußerung 1994 - so führte das Bundesverwaltungsgericht zur Identität der Rechtslage weiter aus - im Wesentlichen in der gleichen Weise zu prüfen gewesen, wie das Vorliegen eines solchen Erhaltungsinteresses im Rahmen des gegenständlichen Unterschutzstellungsverfahrens. Zwar seien die diesbezüglich maßgeblichen Kriterien erst durch die DMSG-Novelle BGBl. I Nr. 170/1999 in das Gesetz aufgenommen worden. Den Gesetzesmaterialien (Hinweis auf ErläutRV 1769 BlgNR 20. GP 37) sei aber zu entnehmen, dass diese Kriterien in Umsetzung von bereits zuvor bestehender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelt worden seien. Es hätten sich daher keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sich die den Bescheid von 1994 tragenden Normen seither so geändert hätten, dass sie im Fall, dass sie schon im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheids existent gewesen wären, zu einer anderen Beurteilung geführt hätten.
8 Während die belangte Behörde sich darauf stütze, dass sich die herrschende Fachmeinung bezüglich der Wertschätzung des [Spät-]Historismus geändert habe, gehe das Bundesverwaltungsgericht entgegen der Ansicht von Helfgott davon aus, dass dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden könne, er habe die Berücksichtigung der herrschenden Fachmeinung im Rahmen der Beurteilung des öffentlichen Erhaltungsinteresses in einer Weise normiert, dass die allgemeinen Regeln betreffend die materielle Rechtskraft von Bescheiden (denen zufolge es die Identität der Sache nicht berühre, wenn aus neuen Forschungsergebnissen eine andere fachliche Beurteilung unverändert gebliebener Tatsachen resultiere und/oder sich die Meinung der Sachverständigen geändert habe) ihr gegenüber zurücktreten müsse. Auch der Umstand, dass es in der zuletzt genannten Regierungsvorlage heiße, die ausdrückliche Verankerung der Bedachtnahme auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse solle auch „gewissermaßen eine Brücke zu den Fortschritten der einschlägigen Wissenschaften [...] herstellen“, sei kein hinreichend starker Hinweis auf eine derartige Absicht des Gesetzgebers.
9 Gegen die Rechtsauffassung der belangten Behörde spreche überdies, dass es der Gesetzgeber offensichtlich als erforderlich angesehen habe, in der DMSG-Novelle BGBl. Nr. 170/1999 in § 5 Abs. 7 DMSG (betreffend das Denkmalschutzaufhebungsverfahren) die „wissenschaftliche Neubewertung“ als einen Fall zu definieren, in dem die Denkmalbedeutung verloren gehe. Den Gesetzesmaterialien lasse sich nicht entnehmen, dass mit der Einführung dieses Passus bloß einer ohnehin bestehenden allgemeinen Regel im Kontext des Denkmalaufhebungsverfahrens deklarativ Rechnung getragen worden sei.
10 Davon ausgehend kam das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass die Neubewertung des [Spät-]Historismus in der Fachwelt kein Umstand sein könne, der zu einer Durchbrechung der Rechtskraft des Bescheids von 1994 führen könne. Es ließ daher dahingestellt, ob es - wie vom Mitbeteiligten in Abrede gestellt - im fraglichen Zeitraum tatsächlich zu einer solchen Änderung der Wertschätzung des [Spät-]Historismus in den Fachkreisen gekommen sei.
11 Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob in Fällen, in denen sich die herrschende Fachmeinung geändert habe, die Rechtskraft eines Bescheids, in dem das öffentliche Erhaltungsinteresse an einem Objekt verneint worden sei, der Unterschutzstellung durch einen neuen Bescheid entgegenstehe.
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision des Bundesdenkmalamts wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Soweit in der Revisionsbeantwortung ausgeführt wird, die Revision erfülle nicht die gesetzmäßige Voraussetzung der Bezeichnung des verletzten Rechts im Sinn des § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG ist vorweg festzuhalten, dass es bei Amtsrevisionen nicht um die Geltendmachung subjektiver Rechte geht, weshalb im Fall einer Amtsrevision an die Stelle der Angabe des Revisionspunkts die Erklärung über den Umfang der Anfechtung tritt (vgl. etwa ; , Ra 2022/09/0042, u.a.). Indem die revisionswerbende Partei erklärte, das angefochtene Erkenntnis zur Gänze wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit anzufechten, hat sie diesem Erfordernis Genüge getan und erweist sich die Revision zur ordnungsgemäßen Behandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof geeignet.
15 Die Revision ist aus den vom Bundesverwaltungsgericht genannten Gründen zulässig, fehlt es doch an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Rechtsfrage, wiewohl der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit Denkmalschutzaufhebungsverfahren nach § 5 Abs. 7 DMSG bereits wiederholt ausgesprochen hat, dass eine „wissenschaftliche Neubewertung“ dann anzunehmen ist, wenn sich der Stand der Wissenschaft in Bezug auf die Bewertung des geschützten Objektes geändert hat. Zwar ist das gesamte Objekt einer neuen Prüfung zugänglich, es ist allerdings gegenüber der Bewertung zum Zeitpunkt der Unterschutzstellung in qualifizierter Weise darzulegen, weshalb im jetzigen Zeitpunkt infolge einer Änderung des Standes der Wissenschaft keine Schutzwürdigkeit mehr vorliegt. Eine „wissenschaftliche Neubewertung“ im Sinn des § 5 Abs. 7 DMSG ist nur dann anzunehmen, wenn von den Parteien Erkenntnisse vorgelegt werden bzw. solche offenkundig sind, in denen die Änderung des Standes der Wissenschaft bezogen auf das unter Schutz gestellte Objekt lege artis, das heißt in wissenschaftlicher Arbeitsweise und unter Befassung mit der Fachliteratur, nachgewiesen wird (; , 2008/09/0312).
16 Zu einem ohne Unterschutzstellung beendeten Unterschutzstellungsverfahren wurde dies in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bislang nicht ausgesprochen, endet ein solches Verfahren doch im Regelfall mit einer formlosen Verfahrenseinstellung die nicht in Rechtskraft erwächst und nicht mit einer bescheidmäßigen Einstellung des Verfahrens (, mwN).
17 Eine Lösung dieser Frage kann hier jedoch auf sich beruhen.
18 Das Verwaltungsgericht hat zwar zu Recht ausgeführt, dass bei einer relevanten Änderung der Rechtslage die Rechtskraft des ersten Bescheids einer Neubewertung der Sache in einem neuen Bescheid nicht entgegenstehen. Es hat jedoch die Rechtslage insofern verkannt, als es unter diesem Gesichtspunkt darauf abstellte, ob eine Unterschutzstellung unter denselben Voraussetzungen vorzunehmen gewesen wäre. Der zeitlich frühere Bescheid erfolgte jedoch nicht in einem Unterschutzstellungsverfahren, sondern als Ausnahme aus dem kraft gesetzlicher Vermutung bestehenden Denkmalschutz eines im alleinigen Eigentum des Bundes stehenden unbeweglichen Denkmals nach § 6 DMSG.
19 Bei Erlassung des Bescheids im Jahr 1994 lauteten die hier relevanten §§ 2 und 6 Denkmalschutzgesetz, BGBl. Nr. 533/1923, in der Fassung BGBl. Nr. 473/1990, (auszugsweise) wie folgt:
„§ 2. (1) Bei Denkmalen (§ 1 Abs. 1), die sich im alleinigen oder überwiegenden Eigentum des Bundes, eines Landes oder von anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten, Fonds sowie von gesetzlich anerkannten Kirchen oder Religionsgesellschaften einschließlich ihrer Einrichtungen befinden, gilt das öffentliche Interesse an ihrer Erhaltung so lange als gegeben (stehen so lange unter Denkmalschutz), als das Bundesdenkmalamt nicht auf Antrag des Eigentümers oder von Amts wegen (Abs. 2) das Gegenteil festgestellt hat (Unterschutzstellung kraft gesetzlicher Vermutung). Diese gesetzliche Vermutung gilt auch dann, wenn das alleinige oder überwiegende Eigentum im obigen Sinn lediglich durch Miteigentumsanteile einer Mehrzahl der genannten Personen zustande kommt. Die gesetzliche Vermutung gemäß diesem Absatz vermag eine bescheidmäßige Feststellung des Bundesdenkmalamtes gemäß § 1 Abs. 1 letzter Satz hinsichtlich des Vorliegens eines einheitlichen Ganzen von mehreren unbeweglichen oder beweglichen Denkmalen (Ensembles, Sammlungen) nicht zu ersetzen.
(2) Das Bundesdenkmalamt kann auch von Amts wegen feststellen, ob ein öffentliches Interesse an der Erhaltung eines solchen Denkmals tatsächlich gegeben ist.
(3) ...
§ 6. (1) Die freiwillige Veräußerung von Denkmalen, die lediglich kraft gesetzlicher Vermutung unter Denkmalschutz stehen (§ 2 Abs. 1), bedarf der Bewilligung des Bundesdenkmalamtes. Werden derartige Denkmale ohne Bewilligung des Bundesdenkmalamtes freiwillig veräußert, sodaß daran zumindest zur Hälfte Eigentum von nicht in § 2 Abs. 1 erster Satz genannten Personen entsteht, so unterliegen sie nach wie vor den Bestimmungen des § 2 Abs. 1 samt den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen. Soweit die freiwillige Veräußerung durch Gesetz erfolgt, endet diese Fortdauer fünf Jahre nach erfolgtem Eigentumsübergang.
(2) Die Bewilligung zu einer Veräußerung gemäß Abs. 1 darf nur bei gleichzeitiger Namhaftmachung des Erwerbers erteilt werden. Bei Erteilung der Bewilligung zur Veräußerung an eine nicht im § 2 genannte Person ist zugleich festzustellen, ob ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Denkmals besteht.
...“
20 Mit der am in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 170/1999 wurde dem § 2 DMSG folgender vierter Absatz angefügt:
„§ 2. ...
(4) Bei unbeweglichen Denkmalen (einschließlich der gemäß § 1 Abs. 9 mitumfassten Teile) endet die gesetzliche Vermutung gemäß Abs. 1 und damit die Unterschutzstellung bloß kraft gesetzlicher Vermutung mit . Dies gilt auch für Fälle von Unterschutzstellungen gemäß § 6 Abs. 1.“
21 Bei Denkmalen, die nicht bloß kraft gesetzlicher Vermutung oder durch Verordnung unter Denkmalschutz stehen, gilt ein öffentliches Interesse an ihrer Erhaltung gemäß § 3 Abs. 1 DMSG erst dann als gegeben, wenn sein Vorhandensein vom Bundesdenkmalamt durch Bescheid festgestellt worden ist (Unterschutzstellung durch Bescheid).
22 Zu einem insoweit ganz ähnlichen Fall hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Ra 2017/09/0043, bereits das Folgende ausgeführt, und ist das Bundesverwaltungsgericht - wie die revisionswerbende Partei zutreffend aufzeigt - von dieser Rechtsprechung abgewichen:
„13 Der Verwaltungsgerichtshof hat zum VwGVG bereits ausgesprochen, dass auf dem Boden der tragenden Grundsätze des Verfahrensrechts und der Rechtssicherheit über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen grundsätzlich nicht mehr in merito entschieden werden darf. Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens. Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen. Zudem folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung an eine behördliche Entscheidung. Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache über die bereits mit der formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt (vgl. , mwN). ‚Sache‘ einer rechtskräftigen Entscheidung ist dabei stets der im Bescheid enthaltene Ausspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit, die durch den Bescheid ihre Erledigung gefunden hat und zwar auf Grund der Sachlage, wie sie in dem von der Behörde angenommenen maßgebenden Sachverhalt zum Ausdruck kommt und der Rechtslage, auf die sich die Behörde bei ihrem Bescheid gestützt hat (vgl. , mwN).
14 Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist daher vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu prüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt.
15 Mit Bescheid vom wurde ausgesprochen, dass gemäß § 2 Abs. 2 DMSG in der Fassung BGBl. Nr. 473/1990 festgestellt werde, dass ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Volksschulgebäudes in Micheldorf, nicht gegeben sei.
16 Zunächst ist hinsichtlich der Wirkungen eines Feststellungsbescheides festzuhalten, dass diese sich nur auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides beziehen können. Nach Änderung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen steht die Rechtskraft dieses Bescheides der Erlassung eines neuen Bescheides in derselben Angelegenheit nicht entgegen. Die Verbindlichkeit (‚Bindungswirkung‘) eines Feststellungsbescheides besteht nämlich nur innerhalb der ‚Grenzen der Rechtskraft‘. Damit geht das ‚Ende‘ bzw. die ‚Durchbrechung‘ der Feststellungswirkung einher. In einem solchen Fall ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides mit geändertem Inhalt für die Durchbrechung der Feststellungswirkung nicht vorausgesetzt (vgl. zum Ganzen , mwN).
17 Dem zuvor erwähnten negativen Feststellungsbescheid aus dem Jahr 1993 lag jene Rechtsgrundlage zugrunde, wonach seit der Stammfassung des Denkmalschutzgesetzes, BGBl. Nr. 543/1923, gemäß § 2 Abs. 1 DMSG idF BGBl. Nr. 473/1990, bei Denkmalen (§ 1 Abs. 1), die sich im alleinigen oder überwiegenden Eigentum des Bundes, eines Landes oder von anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten, Fonds sowie von gesetzlich anerkannten Kirchen oder Religionsgesellschaften einschließlich ihrer Einrichtungen befinden, das öffentliche Interesse an ihrer Erhaltung so lange als gegeben gilt (stehen so lange unter Denkmalschutz), als das Bundesdenkmalamt nicht auf Antrag des Eigentümers oder von Amts wegen (Abs. 2) das Gegenteil festgestellt hat (Unterschutzstellung kraft gesetzlicher Vermutung).
18 Mit der DMSG-Novelle 1999, BGBl. I Nr. 170, wurde durch die Einfügung des Abs. 4 normiert, dass bei unbeweglichen Denkmalen die gesetzliche Vermutung gemäß Abs. 1 und damit die Unterschutzstellung bloß kraft gesetzlicher Vermutung mit endet.
19 Damit ist die gesetzliche Vermutung seit Ende 2009 ausgelaufen. Eine Ermächtigung für die Erlassung von Feststellungsbescheiden über das Nichtbestehen eines öffentlichen Interesses an der Erhaltung eines unbeweglichen Denkmals gemäß § 2 Abs. 2 DMSG besteht somit ex lege nicht mehr. Bisher nach gemäß § 2 Abs. 1 DMSG erlassene negative Feststellungsbescheide, wonach die Erhaltung eines solchen unbeweglichen Denkmals nicht im öffentlichen Interesse liegt, hatten ihre Bedeutung allein darin, eine Ausnahme von der im § 2 Abs. 1 DSMG normierten gesetzlichen Vermutung zu bewirken.
20 Daraus folgt, dass bisher nach dieser Bestimmung erlassene negative Feststellungsbescheide durch die Rechtslagenänderung nach Auslaufen der gesetzlichen Vermutung ihre Bedeutung und ihre Rechtswirkung verloren haben.“
23 Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall:
24 Mit Einfügung des § 2 Abs. 4 DMSG durch BGBl. I Nr. 170/1999 endete hinsichtlich unbeweglicher Denkmale im Eigentum (u.a.) des Bundes die gesetzliche Vermutung gemäß § 2 Abs. 1 DMSG und damit die Unterschutzstellung kraft gesetzlicher Vermutung mit . Dies gilt nach der genannten Bestimmung ausdrücklich auch für Fälle von Unterschutzstellungen gemäß § 6 Abs. 1 DMSG.
25 Die Feststellung des fehlenden öffentlichen Interesses an der Erhaltung des Denkmals im Jahr 1994 erfolgte im Hinblick auf die damals bestehende gesetzliche Vermutung nach § 2 Abs. 1 DMSG gemäß § 6 Abs. 2 DMSG, der dafür auf § 2 Abs. 2 DMSG verweist. Der 1994 erlassene Bescheid zielte insoweit daher lediglich darauf ab, (neben anderen) das hier gegenständliche Gebäude aus der andernfalls fortdauernden Unterschutzstellung kraft gesetzlicher Vermutung auszunehmen. Ein solcher Bescheid konnte infolge Aufhebung der gesetzlichen Vermutung nach dem nicht mehr ergehen. Nach dem Auslaufen der gesetzlichen Vermutung haben daher diese negativen Feststellungsbescheide ihre Bedeutung und ihre Rechtswirkungen verloren. Insofern kam es daher zu einer relevanten Änderung der Rechtslage, sodass die infolge Auslaufens der gesetzlichen Vermutung unwirksam gewordene Bindungswirkung des negativen Feststellungsbescheids vom einer Unterschutzstellung des Objekts nach §§ 1 und 3 DMSG im Jahr 2021 nicht (mehr) entgegenstand.
26 Indem das Bundesverwaltungsgericht dies verkannte, belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Im fortzusetzenden Verfahren wird daher zu prüfen sein, ob zum Entscheidungszeitpunkt die Voraussetzungen für eine (Teil-)Unterschutzstellung vorliegen.
27 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
28 Der Kostenantrag der revisionswerbenden Partei war abzuweisen, weil nach § 47 Abs. 4 VwGG der Revisionswerber und der Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG in dem hier vorliegenden Fall des Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz hat.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | AVG §56 AVG §68 Abs1 AVG §68 Abs2 DMSG 1923 §1 DMSG 1923 §2 Abs1 DMSG 1923 §2 Abs1 idF 1990/473 DMSG 1923 §2 Abs2 DMSG 1923 §2 Abs2 idF 1990/473 DMSG 1923 §2 Abs4 idF 1999/I/170 DMSG 1923 §3 DMSG 1923 §5 Abs7 DMSG 1923 §6 Abs1 idF 1990/473 DMSG 1923 §6 Abs2 idF 1990/473 DMSGNov 1999 VwGG §42 Abs2 Z1 VwGVG 2014 §17 VwRallg |
Schlagworte | Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Besondere Rechtsgebiete Eintritt und Umfang der Rechtswirkungen von Entscheidungen nach AVG §68 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RO2023090002.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
SAAAF-46750