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VwGH 19.12.2023, Ro 2022/15/0042

VwGH 19.12.2023, Ro 2022/15/0042

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
BAO §206
COVID-19-Gesetz 02te 2020
IO §69 Abs2a
Novellen BGBl2005/I/112 Art9 §1
RS 1
Seinen Anwendungsbereich umschreibt Art. 9 des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 112/2005, in § 1 durch eine demonstrative Aufzählung näher und nennt als erfasste (Natur-)Katastrophen "insbesondere Hochwasser, Erdrutsch, Vermurung und Lawinen". Diese Wortfolge findet sich auch bereits in § 206 BAO. Im Schrifttum werden - angesichts der offenen Definition des Katalogs - als weitere Beispiele Waldbrände und Erdbeben genannt (vgl. Loser/Urtz, ÖStZ 7/2020, 183). Den genannten Naturkatastrophen ist gemeinsam, dass unmittelbar durch ein Naturereignis Schäden mit verheerenden Folgen eintreten, während sich bei der Verbreitung einer Krankheit Schäden erst durch die Interaktion von Menschen zunehmend aufbauen. Zudem führen Krankheitswellen im Allgemeinen nicht dazu, dass Infrastruktur eines Landes an sich physisch unwiederbringlich zerstört, sondern dass vielmehr deren Nutzung erschwert wird. Auf eine pandemische Lage kann auch organisatorisch anders reagiert werden (Online Banking, Home-Office), womit auch die Einhaltung von Zahlungsfristen nicht zwingend gefährdet sein muss. Unabhängig von diesen Wesensunterschieden zeigt allerdings insbesondere die Genese des BGBl. I Nr. 112/2005, dass der Gesetzgeber dieses im Lichte der Hochwasserereignisse 2005 geschaffenen Gesetzespakets pandemische Ereignisse bei der Schaffung der darin vorgesehenen abgabenrechtlichen Erleichterungen nicht vor Augen hatte. Eine Erweiterung von dessen Anwendungsbereich ist - im Gegensatz zu § 69 Abs. 2a IO - durch das 2. Covid-19-Gesetz gerade nicht erfolgt.
Normen
BAO §20
BAO §279 Abs1
B-VG Art130 Abs3
VwRallg
RS 2
Dem BFG kommt gemäß Art. 130 Abs. 3 B-VG insofern eine besondere Position zu, als ihm auch in Ermessensfragen eine volle Kognition eingeräumt ist. Insbesondere wenn im Beschwerdeverfahren eine unrichtige Ermessensentscheidung der Abgabenbehörde geltend gemacht wird, liegt es daher am BFG, zu den diesbezüglichen Ermessensparametern erforderlichenfalls ergänzende Ermittlungen und Feststellungen zu treffen und auf dieser Grundlage im Sinne des § 279 BAO zu entscheiden und das Ermessen gegebenenfalls neu zu üben und zu begründen (vgl. ).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2021/15/0050 B RS 4 (hier nur der erste Satz)
Normen
BAO §20
BAO §279
B-VG Art130 Abs3
VwRallg
RS 3
Die volle Ermessenskognition des BFG bedeutet auch, dass das BFG dieses Ermessen in seinem eigenen Entscheidungszeitpunkt neu zu üben hat und sich nicht auf die Kontrolle der Richtigkeit der seinerzeitigen Ermessensübung des Finanzamts beschränken kann.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2021/15/0093 E RS 3

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger, als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Bamer, über die Revision der A GmbH in G, vertreten durch die Pilz und Partner Wirtschaftstreuhand & Steuerberatung GmbH in 4820 Bad Ischl, Grazer Straße 10/A3, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2100269/2022, betreffend Verspätungszuschlag hinsichtlich Umsatzsteuer Oktober bis Dezember 2021, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die revisionswerbende Gesellschaft war - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) - im Streitjahr 2021 zur vierteljährlichen Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen (UVA) verpflichtet und wurde mit Erinnerungsschreiben des Finanzamts vom an ihre Verpflichtung zur Einreichung der revisionsgegenständlichen UVA 10-12/2021 sowie auf abgaberechtliche Konsequenzen bei Nichteinreichung (u.a. Verspätungszuschlag nach § 135 BAO) hingewiesen.

2 Nachdem die revisionswerbende Gesellschaft die UVA 10-12/2021 daraufhin nicht eingereicht hatte, setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer mit Festsetzungsbescheid vom iHv 9.000 € fest und verhängte einen Verspätungszuschlag iHv 4 % der festgesetzten Umsatzsteuer. Die vorgeschriebene Umsatzsteuer entrichtete die revisionswerbende Gesellschaft - ohne Rechtsmittel zu erheben - am .

3 Gegen den Verspätungszuschlagsbescheid erhob die revisionswerbende Gesellschaft hingegen Beschwerde und beantragte das Unterbleiben einer Beschwerdevorentscheidung sowie die Vorlage der Beschwerde an das BFG gemäß § 262 Abs. 2 BAO. Begründend führte sie aus, dass die Verspätung entschuldbar gewesen sei. Gemäß Art. 9 des BGBl. I Nr. 112/2005 (Abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen) sei von der Festsetzung von Verspätungszuschlägen (§ 135 BAO) abzusehen, wenn eine Verspätung aufgrund von Naturkatastrophen und somit entschuldbar erfolge sowie die versäumte Handlung innerhalb von zwei Monaten nach Eintritt der Naturkatastrophe nachgeholt werde. Die Abgabe sei mittlerweile von Amts wegen festgesetzt und von ihr bezahlt worden; die versäumte Handlung sei damit nachgeholt worden. Die ursprüngliche Verspätung sei Folge einer Naturkatastrophe, nämlich der Corona-Pandemie, aufgrund der es sowohl bei ihr selbst als auch bei dem für die Buchhaltung und fristgerechte Übermittlung der UVA zuständigen Steuerberater zu massiven Ausfällen von Mitarbeitenden durch Infektionen und damit einhergehend zu Quarantänemaßnahmen gekommen sei. Die Corona-Pandemie sei im Rechtsbestand der Republik Österreich als Naturkatastrophe definiert (siehe § 69 Abs. 2a IO); die Verspätung somit eine entschuldbare Fehlleistung.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BFG die vorgelegte Beschwerde ab. Begründend führte es aus, im Revisionsfall sei ausschließlich die Frage der Entschuldbarkeit der Verspätung dem Grunde nach strittig. Nach der Judikatur sei eine Verspätung nicht entschuldbar, wenn die Steuerpflichtigen daran ein Verschulden treffe; bereits leichte Fahrlässigkeit schließe die Entschuldbarkeit aus (Hinweis auf , mwN). Ein Verschulden des Vertreters treffe die vertretene Person (Hinweis auf ). Als leicht fahrlässig gelte ein Verhalten, wenn es auf einem Fehler beruhe, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch mache (Hinweis auf , mwN). Sei die Verspätung entschuldbar, bleibe kein Raum für eine Ermessensübung gemäß § 20 BAO. Diesfalls sei von der Festsetzung eines Verspätungszuschlages abzusehen (Hinweis auf ).

5 Die von der Revisionswerberin ins Treffen geführten „Abgabenrechtlichen Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen“ in Art. 9 des BGBl. I Nr. 112/2005 seien mit in Kraft getreten. Sie seien nach der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2005 zur Vermeidung oder Beseitigung unbilliger Rechtsfolgen beschlossen worden, die als Folge von naturkatastrophenbedingten Fristversäumnissen (bei der Abgabenentrichtung sowie Einreichung von Abgabenerklärungen) eintreten könnten (Hinweis auf Ritz, SWK 26/2005) und sähen u.a. ein antragsbedingtes Absehen von Verspätungszuschlägen vor. In Art. 6 desselben Gesetzes seien Änderungen im Einkommensteuergesetz enthalten gewesen, wobei in § 45 Abs. 5 EStG 1988 im Falle von Katastrophenschäden eine Erstreckung der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuervorauszahlungen bis 31. Oktober (statt bisher 30. September) vorgesehen worden sei [„Ist ein Steuerpflichtiger von Katastrophenschäden (insbesondere Hochwasser-, Erdrutsch-, Vermurungs- und Lawinenschäden) betroffen, kann ein Antrag auf eine Änderung der Vorauszahlung abweichend von Abs. 3 bis zum 31. Oktober gestellt werden.“] Die Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung stellten klar, dass unter den vom Gesetzeswortlaut erwähnten „Katastrophenschäden“ ausschließlich „Naturkatastrophen“ zu verstehen seien. So heiße es darin: „Da die erweiterte Antragsmöglichkeit auf Naturkatastrophenfälle eingeschränkt ist, ist der Antrag nur mit den konkreten Umständen, die das Einkommen des Antragstellers im Zusammenhang mit Naturkatastrophenschäden berühren, zu begründen“ (RV 1065 BlgNR 22. GP, S. 5). Die Diktion und Aufzählung „... Katastrophen (insbesondere Hochwasser, Erdrutsch, Vermurung und Lawinen) ...“ in den „Abgabenrechtliche[n] Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen“ und „... Katastrophenschäden (insbesondere Hochwasser-, Erdrutsch-, Vermurungs- und Lawinenschäden) ...“ in § 45 Abs. 5 EStG 1988, beide eingeführt durch BGBl. I Nr. 112/2005, deckten sich bis auf das ergänzende „...schäden“ in § 45 Abs. 5 EStG 1988, weshalb in beiden Fällen unter Katastrophen ausschließlich Naturkatastrophen zu verstehen seien.

6 Das (deutsche) Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe definiere eine Naturkatastrophe als Naturereignis, das zu einem Schaden führe und nicht mit den Mitteln der alltäglichen Gefahrenabwehr bewältigt werden könne (Hinweis auf: https://www.bbk.bund.de/haredDocs/ Glossareintraege/DE/N/naturkatastrophe.html, abgerufen am ). Demgegenüber seien Pandemien und Epidemien „zwar natürlichen Ursprungs, aber keine Naturkatastrophen“. Eine Epidemie bzw. eine Pandemie (wie Covid-19) sei demnach auch bei weitester Auslegung des Wortlautes keine „Naturkatastrophe“ (Hinweis auf Loser/Urtz, ÖStZ 7/2020, 183), und somit auch keine Naturkatastrophe iSd § 1 „Abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen“, Art 9 BGBl. I Nr. 112/2005.

7 Zum von der Revisionswerberin unter Hinweis auf § 69 Abs. 2a IO vorgebrachten Argument, die Corona-Pandemie sei im Rechtsbestand der Republik Österreich eindeutig als Naturkatastrophe definiert, sei Folgendes auszuführen: § 69 IO regle das Insolvenzeröffnungsverfahren auf Antrag des Schuldners. Mit BGBl. I Nr. 156/2002 sei in dieser Bestimmung zunächst folgender Absatz 2a eingefügt worden:

„Bei einer durch eine Naturkatastrophe (Hochwasser, Lawine, Schneedruck, Erdrutsch, Bergsturz, Orkan, Erdbeben oder ähnliche Katastrophe vergleichbarer Tragweite) eingetretenen Zahlungsunfähigkeit verlängert sich die Frist des Abs. 2 auf 120 Tage“.

8 In den damaligen Gesetzesmaterialen (AB 1286 BlgNR 21. GP, S. 1) sei zu der dadurch verlängerten Antragsfrist Folgendes ausgeführt worden:

„Es wird daher im Interesse von Unternehmern, die von Naturkatastrophen betroffen sind, die 60-Tage-Frist, innerhalb der der Konkursantrag zu stellen ist, auf 120 Tage verlängert, somit verdoppelt. Damit können nicht notwendige Konkursverfahren verhindert werden.

Voraussetzung der verlängerten Konkursantragsfrist ist nicht nur das Vorliegen einer Naturkatastrophe, sondern dass diese die Insolvenz des Schuldners auslöste [...]“.

9 Die Gesetzesmaterialien hätten damit klargestellt, dass Voraussetzung der verlängerten Antragsfrist nicht nur das Vorliegen einer Naturkatastrophe sei, sondern dass diese auch die Insolvenz des Schuldners ausgelöst haben müsse.

10 Durch das 2. COVID-19-Gesetz, BGBl. I Nr. 16/2020, sei unter Art. 22 „Änderung der Insolvenzordnung§ 69 Abs. 2a IO sodann geändert worden und laute nunmehr wie folgt:

„Bei einer durch eine Naturkatastrophe (Hochwasser, Lawine, Schneedruck, Erdrutsch, Bergsturz, Orkan, Erdbeben Epidemie, Pandemie oder ähnliche Katastrophe vergleichbarer Tragweite) eingetretenen Zahlungsunfähigkeit verlängert sich die Frist des Abs. 2 auf 120 Tage“.

11 Den Gesetzmaterialien (Initiativantrag 397/A BlgNR 27. GP, S. 40) sei dazu folgende Begründung zu entnehmen: „Mit der Änderung soll klargestellt werden, dass eine Epidemie und eine Pandemie unter den Begriff der Naturkatastrophe fallen“.

12 Das 2. Covid-19-Gesetz, BGBl. I Nr. 16/2020, enthalte sohin zwar eine Erweiterung des „Naturkatastrophenkatalogs“, allerdings nur für den Bereich des Insolvenzrechts (Art. 22 BGBl. I Nr. 16/2020). Die Änderungen im Insolvenzrecht seien aufgrund von Liquiditätsschwierigkeiten notwendig geworden, welche durch die behördlichen (Zwangs)Maßnahmen im Zuge der COVID-19-Pandemie ausgelöst worden seien, nicht aber durch eine Zerstörung von Produktionsmitteln oder Vorräten, wie das bei einer Naturkatastrophe (z. B. Hochwasser) der Fall gewesen wäre (Hinweise auf Schneider, ÖJZ 11/2020; Vock/Bauer, AVR 2/2020).

13 Eine Erweiterung des Naturkatastrophenbegriffs für das Abgabenverfahren bzw. in Art 9 des BGBl. I Nr. 112/2005 sei hingegen nicht vorgenommen worden, obwohl durch das 2. Covid-19-Gesetz in Art. 13 auch für das Abgabenverfahren umfangreiche Sonderregelungen in Form von Rechtsmittelfristverlängerungen vorgesehen worden seien. Damit habe dem Umstand Rechnung getragen werden sollen, dass die aufgrund von COVID-19 verhängten Maßnahmen die Möglichkeiten der Bevölkerung begrenzten, ihre üblichen Erledigungen durchzuführen, und habe gewährleistet werden sollen, dass Bürgerinnen und Bürgern aufgrund dieser außerordentlichen Situation keine Rechtsschutznachteile durch Versäumung wichtiger Fristen erlitten (Hinweis auf Initiativantrag 397/A 27. GP, S. 31). Für Zahlungsfristen oder Fristen zur Einreichung von Abgabenerklärungen seien allerdings keine Verlängerungen gesetzlich normiert worden.

14 Die unterschiedliche Definition von Naturkatastrophen im Insolvenzrecht lasse sich nach Ansicht des BFG auch dadurch erklären, dass die Fristerstreckung in § 69 Abs. 2a IO ein Verfahren betreffe, zu dem der Schuldner einmalig verpflichtet sei (liege beim Schuldner materielle Insolvenz vor, habe er bei sonstiger Haftung einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen; Hinweis auf Schneider, ZIK 5/2020). Dagegen handle es sich bei der Einreichung von Abgabenerklärungen um eine Dauerverpflichtung, die zu den grundlegenden Obliegenheiten der Abgabepflichtigen gehöre. Für das BFG stelle sich die unterschiedliche Naturkatastrophendefinition als eine im Rahmen des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums liegende, gewollte Differenzierung des Gesetzgebers zwischen Abgaben- und Zivilverfahren (hier: Insolvenzverfahren) dar, die aufgrund des unterschiedlichen Zwecks und der Zielsetzungen der einzelnen Rechtsgebiete rechtsstaatlich unbedenklich sei.

15 Für den Revisionsfall bedeute dies, dass aus abgabenrechtlicher Sicht der Verhängung des Verspätungszuschlages nicht mit der Argumentation, bei der COVID-Pandemie handle es sich um eine Naturkatstrophe, die eine entschuldbare Fehlleistung iSd § 135 BAO darstelle, erfolgreich begegnet werden könne.

16 Zur Vorschreibung eines Verspätungszuschlags dem Grunde nach sei im Revisionsfall Folgendes auszuführen: Es gehöre zur Sorgfaltspflicht eines berufsmäßigen Parteienvertreters, organisatorisch dafür vorzusorgen, dass die gesetzlich vorgesehenen Abgabenerklärungen rechtzeitig und richtig eingereicht würden (Hinweis auf , mwN). Dabei sei an einen gerade aufgrund seiner hohen Fachkompetenz beigezogenen Parteienvertreter, dessen laufende Tätigkeit typischerweise mit Abgabenpflichten (wie Erklärungspflichten und der Selbstberechnung von Abgaben) verbunden sei, ein hoher Maßstab anzulegen (Hinweis auf ). Für einen Parteienvertreter wäre es daher nicht nur zumutbar, sondern geradezu geboten gewesen, auch für Krisenzeiten organisatorische Maßnahmen zu treffen (bspw. Home-Office, mobiles Arbeiten), um trotz coronabedingter Ausfälle von Mitarbeitenden bei der Revisionswerberin und in der Kanzlei den abgabenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, insbesondere, wenn bereits eine Aufforderung der Behörde zur Abgabe der UVA 10-12/2021 übermittelt worden sei. In der Unterlassung der zumutbaren Sorgfalt zur rechtzeitigen Erklärungsabgabe sei daher keine entschuldbare Fehlleistung zu sehen. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags lägen somit dem Grunde nach vor. Da die Höhe des Verspätungszuschlages iHv 4 % der Umsatzsteuer-Zahllast nicht angefochten worden sei, sei auf sie nicht weiter einzugehen.

17 Die Revision ließ das BFG zu, weil zur Frage, ob die Covid-19-Pandemie abgabenrechtlich als Naturkatastrophe iSd § 1 Abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen, BGBl. I Nr. 112/2005, einzustufen sei, womit ein Verschulden nach § 135 BAO bereits dem Grunde nach auszuschließen sei, keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs vorliege.

18 Gegen dieses Erkenntnis des BFG erhob die Revisionswerberin die ordentliche Revision.

19 Das Finanzamt erstattete hierzu keine Revisionsbeantwortung.

20 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

21 Die Revision ist zulässig; sie ist im Ergebnis auch begründet.

22 Mit BGBl. I Nr. 112/2005 wurde ein Bundesgesetz erlassen, mit dem ein Hochwasseropferentschädigungs- und Wiederaufbau-Gesetz 2005 erlassen wurde, das Katastrophenfondsgesetz 1996, das Bundesfinanzgesetz 2005, das Bundesfinanzgesetz 2006, das Umweltförderungsgesetz geändert und zahlreiche abgabenrechtliche Begleitmaßnahmen vorgesehen werden, wobei dessen Art. 9 folgendermaßen lautet:

„Artikel 9

Abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen

§ 1. Werden als Folge von Katastrophen (insbesondere Hochwasser, Erdrutsch, Vermurung und Lawinen) Zahlungsfristen oder Fristen zur Einreichung von Abgabenerklärungen versäumt, so ist auf Antrag des Abgabepflichtigen (§ 77 BAO) von

1. der Festsetzung von

a) Säumniszuschlägen (§ 217 BAO),

b) Verspätungszuschlägen (§ 135 BAO);

2. der Geltendmachung von Terminverlusten (§ 230 Abs. 5 BAO)

abzusehen, wenn spätestens zwei Monate nach Eintritt der Naturkatastrophe die versäumte Handlung nachgeholt oder ein Ansuchen um Zahlungserleichterungen (§ 212 BAO) oder ein Antrag auf Verlängerung der Frist zur Einreichung der Abgabenerklärung eingebracht wird.“

23 Bereits die Überschrift von Art. 9 des BGBl. I Nr. 112/2005 legt unmissverständlich dar, dass die darin vorgesehenen abgabenrechtlichen Sondermaßnahmen für die Opfer von „Naturkatastrophen“ bestimmt sind. In den Gesetzesmaterialien wird dies insofern nochmals verdeutlicht, als darin ausdrücklich von „Erleichterungen bei Steuer(nach)zahlungen, wie die Nichtfestsetzung von Säumniszusch[l]ägen bei naturkatastrophenbedingtem Zahlungsverzug“ gesprochen wird. Hintergrund des Gesetzespakets war, dass „im Jahre 2005 ... österreichweit außergewöhnliche Hochwasser durch dauerhafte Regenfälle verursacht worden“ sind (s dazu 1065 BlgNR 27. GP, S 6 bzw. S 2).

24 Seinen Anwendungsbereich umschreibt Art. 9 leg. cit. in § 1 durch eine demonstrative Aufzählung näher und nennt als erfasste (Natur-)Katastrophen „insbesondere Hochwasser, Erdrutsch, Vermurung und Lawinen“. Diese Wortfolge findet sich auch bereits in § 206 BAO. Im Schrifttum werden - angesichts der offenen Definition des Katalogs - als weitere Beispiele Waldbrände und Erbeben genannt (vgl. Loser/Urtz, ÖStZ 7/2020, 183).

25 Den genannten Naturkatastrophen ist gemeinsam, dass unmittelbar durch ein Naturereignis Schäden mit verheerenden Folgen eintreten, während sich bei der Verbreitung einer Krankheit Schäden erst durch die Interaktion von Menschen zunehmend aufbauen. Zudem führen Krankheitswellen im Allgemeinen nicht dazu, dass Infrastruktur eines Landes an sich physisch unwiederbringlich zerstört, sondern dass vielmehr deren Nutzung erschwert wird. Auf eine pandemische Lage kann auch organisatorisch anders reagiert werden (Online Banking, Home-Office), womit auch die Einhaltung von Zahlungsfristen nicht zwingend gefährdet sein muss.

26 Unabhängig von diesen Wesensunterschieden zeigt allerdings insbesondere die Genese des BGBl. I Nr. 112/2005, dass der Gesetzgeber dieses im Lichte der Hochwasserereignisse 2005 geschaffenen Gesetzespakets pandemische Ereignisse bei der Schaffung der darin vorgesehenen abgabenrechtlichen Erleichterungen nicht vor Augen hatte. Eine Erweiterung von dessen Anwendungsbereich ist - im Gegensatz zu dem von der Revisionswerberin zitierten § 69 Abs. 2a IO - durch das 2. Covid-19-Gesetz gerade nicht erfolgt. Das BFG ist sohin zu Recht davon ausgegangen, dass die „Abgabenrechtlichen Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen“ des Art. 9, BGBl. I Nr. 112/2005, im Revisionsfall nicht anwendbar sind.

27 Allerdings hat das BFG keine ausreichenden Feststellungen getroffen, um beurteilen zu können, ob die verspätete Einreichung der Abgabenerklärung tatsächlich - wie von der revisionswerbenden Gesellschaft vorgebracht - durch „massive“ Ausfälle von Mitarbeitenden aufgrund von Infektionen mit dem Coronavirus und damit einhergehende Quarantänemaßnahmen sowohl bei ihr selbst als auch bei dem für die Buchhaltung und fristgerechte Übermittlung der UVA zuständigen Steuerberater bedingt waren. Diesfalls könnte die Verspätung nämlich bereits unmittelbar in Anwendung des § 135 BAO „entschuldbar“ gewesen sein.

28 Ein pauschaler Hinweis auf die allgemeine Vorsorgepflicht von berufsmäßigen Parteienvertreten kann solche Feststellungen nicht erübrigen, zumal organisatorische Maßnahmen des Parteienvertreters nicht Ausfälle von Mitarbeitenden bei der revisionswerbenden Gesellschaft verhindern oder ausgleichen können und über die Art und Weise des Zusammenwirkens von Steuerberatungskanzlei und Revisionswerberin keine näheren Feststellungen getroffen wurden. Auch kann der Steuerberatungskanzlei nicht einfach retrospektiv - ohne nähere Feststellungen zu den tatsächlichen damaligen Herausforderungen (Anzahl der Mitarbeitenden in Quarantäne, Anzahl der damals vorhandenen mobilen Arbeitsmöglichkeiten) - pauschal der Vorwurf gemacht werden, keine ausreichenden organisatorischen Maßnahmen für Krisenzeiten getroffen zu haben „(bspw. Home-Office, mobiles Arbeiten)“. Die diesbezüglichen organisatorischen Lehren aus der Corona-Pandemie können nämlich nicht im Nachhinein bereits als Prüfmaßstab für die seinerzeitige Krisenfestigkeit der organisatorischen Einrichtung angelegt werden.

29 Im Übrigen weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass dem BFG - unter den Verwaltungsgerichten - gemäß Art. 130 Abs. 3 B-VG insofern eine besondere Position zukommt, als ihm auch in Ermessensfragen volle Kognition eingeräumt ist. Dies bedeutet, dass das BFG dieses Ermessen in seinem eigenen Entscheidungszeitpunkt neu zu üben hat und sich nicht - wie vom BFG offenbar zugrunde gelegt - auf die Kontrolle der Richtigkeit der seinerzeitigen Ermessensübung des Finanzamts beschränken kann (vgl. , sowie , mwN). Insofern muss das BFG - entgegen seiner Annahme - auch die Höhe des Verspätungszuschlags in seinem Erkenntnis eigenständig begründen.

30 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (prävalierender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (Fehlen wesentlicher Feststellungen auf Grund unrichtiger Rechtsansicht) aufzuheben.

31 Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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Normen
BAO §20
BAO §206
BAO §279
BAO §279 Abs1
B-VG Art130 Abs3
COVID-19-Gesetz 02te 2020
IO §69 Abs2a
Novellen BGBl2005/I/112 Art9 §1
VwRallg
Schlagworte
Ermessen VwRallg8
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RO2022150042.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
UAAAF-46732