VwGH 19.12.2023, Ro 2022/15/0035
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | UStG 1994 §3 |
RS 1 | Ein Reihengeschäft liegt nur dann vor, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen, welche dadurch erfüllt werden, dass der erste Unternehmer dem letzten Abnehmer in der Reihe unmittelbar die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft (vgl. z.B. Ruppe/Achatz, UStG4, § 3 Tz 53). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2009/13/0195 E VwSlg 8871 F/2013 RS 2 |
Norm | UStG 1994 §3 Abs8 |
RS 2 | Mangels einer Sonderregelung in der hier anzuwendenden Fassung des UStG 1994 müssen die Rechtsfolgen für Reihengeschäfte (seit 1997) aus den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes abgeleitet werden. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei Lieferungen in der Reihe gedanklich um mehrere Lieferungen handelt, die als nacheinander erfolgt anzusehen sind, auch wenn sie nur zu einer einzigen Bewegung von Gegenständen führen. Der Ort der einzelnen Umsätze muss jeweils für sich bestimmt werden und nur für einen Umsatz in der Reihe kann der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 8 UStG 1994 bestimmt werden; üblicherweise wird diese Lieferung als die "bewegte Lieferung" oder "Transportlieferung" bezeichnet, die anderen Lieferungen als "ruhende Lieferungen" (vgl. Ruppe/Achatz, UStG4, § 3 Rz 54; Bürgler in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG-ON2, § 3 Rz 222; Scheiner/Kolacny/Caganek, Kommentar zur Mehrwertsteuer, § 3 Abs. 8 Anm. 33) |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2013/15/0114 E RS 2 (hier ohne den ersten Satz) |
Normen | UStG 1994 Anh Art1 Abs2 62004CJ0245 EMAG Handel Eder VORAB |
RS 3 | Bei einem Reihengeschäft mit einer Warenbewegung in einen anderen Mitgliedstaat kann nur die bewegte Lieferung eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung sein. Der Ort der ruhenden Lieferungen befindet sich entweder im Mitgliedstaat des Beginns oder im Mitgliedstaat der Ankunft der Beförderung oder Versendung, je nachdem, ob die bewegte Lieferung vor oder nach einer solchen Lieferung stattfindet (vgl. , EMAG Handel Eder, Rn 51). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2013/15/0114 E RS 3 |
Normen | |
RS 4 | Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ro 2018/15/0011, ausgesprochen hat, ist zur Beantwortung der Frage, welcher der beiden Lieferungen die innergemeinschaftliche Beförderung zuzuordnen ist, insbesondere zu klären, zu welchem Zeitpunkt die zweite Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, zugunsten des Endabnehmers stattgefunden hat. Falls die zweite Übertragung dieser Befähigung vor der innergemeinschaftlichen Beförderung stattfand, kann diese nicht der Erstlieferung an den Ersterwerber zugeordnet werden (vgl. , Toridas, Rn. 36; , Arex, Rn. 70). Es kommt insoweit also auf den Zeitpunkt an, zu dem die Voraussetzungen in Bezug auf die innergemeinschaftliche Beförderung einerseits und die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, jeweils erfüllt sind (vgl. EuGH Arex, Rn. 74). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ro 2018/15/0004 E RS 1 (hier ohne den letzten Satz) |
Norm | UStG 1994 §3 |
RS 5 | Ein Reihengeschäft liegt nur vor, wenn eine einzige Warenbewegung zu mehreren Lieferungen desselben Gegenstandes führt. |
Entscheidungstext
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Bamer, über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Graz-Stadt in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorfstraße 14-18, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2100649/2018, betreffend Umsatzsteuer 2012 und 2013 sowie die Festsetzung von ersten Säumniszuschlägen (mitbeteiligte Partei: A AG in B [Schweiz], vertreten durch die Schindler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Kohlmarkt 8-10/Eing. Wallnerstr. 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 In Bezug auf die mitbeteiligte Partei, eine AG mit Sitz in der Schweiz, die mit Computern handelt, wurde eine Außenprüfung durchgeführt.
2 Im Anschluss an die Prüfung erließ das Finanzamt Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2012 und 2013, gegen welche die Mitbeteiligte Beschwerde erhob.
3 Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung ab, woraufhin die Mitbeteiligte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (BFG) beantragte.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss hob das BFG die im Anschluss an die Außenprüfung ergangenen Umsatzsteuerbescheide samt Säumniszuschlägen gemäß § 278 Abs. 1 lit. b BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde auf.
5 Die von der Mitbeteiligten gehandelten Waren würden mittels eines mehrstufigen Vertriebssystems verkauft. Die Waren würden von Produzenten aus Drittländern und aus Mitgliedstaaten der EU bezogen. Gegenstand des Verfahrens seien nur die von Produzenten aus Mitgliedstaaten bezogenen Waren.
6 Kunden (große Elektrofachhändler und Unternehmer) bestellten die Waren bei Vertriebsgesellschaften, die dem Konzern der Mitbeteiligten angehörten und in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig seien, die Vertriebsgesellschaften bestellten bei der Mitbeteiligten und die Mitbeteiligte bei den Produzenten. Die Waren würden ausnahmslos auf Bestellung der Kunden (zum Teil nach deren Vorgaben) produziert und an die, bereits zum Zeitpunkt der Produktion feststehenden Kunden geliefert. Die Kunden seien den Produzenten bekannt, sie wüssten, für wen sie produzierten und dass die Waren an diese Kunden gingen.
7 Die Waren würden umsatzsteuerlich an die Mitbeteiligte geliefert, die unter ihrer österreichischen UID-Nummer auftrete. Die Mitbeteiligte liefere die Waren an die Vertriebsgesellschaften und die Vertriebsgesellschaften lieferten diese an die Kunden. Es gebe also in der Regel vier beteiligte Unternehmer und drei Lieferungen, wobei die Lieferung an die Endabnehmer der Ware nicht verfahrensrelevant sei. Es sei aber davon auszugehen, dass es sich hierbei um Nichtunternehmer handle und die finale Umsatzbesteuerung in den einzelnen Mitgliedstaaten der Endabnehmer stattfinde.
8 Die Mitbeteiligte habe die Lieferung der Waren vom Produzenten in das österreichische Speditionslager als eigenständige erste Lieferung behandelt und in Österreich innergemeinschaftliche Erwerbe erklärt und den Vorsteuerabzug geltend gemacht. Die Lieferung vom in Österreich gelegenen Speditionslager an die Kunden sei von der Mitbeteiligten als eigenständige zweite Lieferung behandelt worden. In diesem Zusammenhang habe die Mitbeteiligte Inlandslieferungen, steuerfreie Ausfuhrlieferungen, innergemeinschaftliche Lieferungen, Dreiecksgeschäfte mit der Mitbeteiligten als Lieferant, den Vertriebsgesellschaften als Erwerber und deren Kunden als Empfänger der Waren, und Dreiecksgeschäfte mit der Mitbeteiligten als Erwerberin erklärt.
9 Im Rahmen der Außenprüfung sei der vorliegende Sachverhalt aufgrund der vorgelegten Belege, Unterlagen und Verträge neu bewertet und das Vorliegen getrennter Warenlieferungen (Lieferung des Produzenten an die Mitbeteiligte ins Speditionslager, getrennte Weiterlieferung der Mitbeteiligten aus dem Lager) nicht anerkannt worden, weil Österreich nicht das Bestimmungsland der Waren sei und eine einheitliche (Reihen)Lieferung (wenn auch mit Zwischenstopp im Logistiklager in Österreich) vorgelegen sei.
10 Die Waren würden durch die Spedition vom Produzenten bis zum Kunden transportiert. Die Aufträge für den Transport erteile die Mitbeteiligte, die den Transport auch bezahle. Im Rahmen der Außenprüfung sei festgestellt worden, dass die Waren vom jeweiligen Ursprungsland (Sitz des Produzenten) nach Österreich zum dortigen Lager des Spediteurs transportiert würden, wo die Waren ausgeladen, umetikettiert, zwischengelagert und auf die jeweiligen Kunden aufgeteilt würden. Wie bei der Außenprüfung weiter festgestellt worden sei, erfolge der Weitertransport an die Kunden nach der von der Mitbeteiligten vorgegebenen Reihenfolge und Verpackung und in dem von der Mitbeteiligten vorgegebenen Zustand der Ware.
11 In der Beschwerde habe die Mitbeteiligte hierzu u.a. vorgebracht, es lägen zwei jeweils getrennt zuordenbare Warenbewegungen vor, nämlich zunächst die Warenbewegung vom Ursprungsland (vom Produzenten) nach Österreich in das Lager des Spediteurs und später die zweite Warenbewegung vom Lager des Spediteurs zu den Endabnehmern. Die im Lager des Spediteurs in Österreich durchgeführten Tätigkeiten gingen deutlich über ein bloßes Umladen der Waren hinaus, sodass jedenfalls von einer Beendigung des ersten Transportes in Österreich auszugehen sei. Das Finanzamt habe im Vorlagebericht auf den Vertrag zwischen der Mitbeteiligten und dem Speditionsunternehmen vom hingewiesen, in dem u.a. festgelegt sei, dass die Spedition ihre Dienstleistungen nach den Anweisungen der Mitbeteiligten erbringe (Punkt 4); die Spedition habe ihre Leistungen derart zu organisieren, dass die Waren in der/dem von der Mitbeteiligten vorgegebenen Reihenfolge/Verpackung/Zustand beim Kunden ankommen. Beauftragung und Bezahlung sämtlicher Transporte seien durch die Mitbeteiligte erfolgt.
12 Es stehe sohin fest, dass die Waren vom Produzenten in ein Speditionslager nach Österreich und von diesem Speditionslager aus zum Kunden transportiert worden seien, wobei für den Transport nach Österreich einerseits und für den Transport aus Österreich zum Kunden andererseits jeweils andere Frachtführer tätig sein konnten.
13 Die bisherige Vorgangsweise der Mitbeteiligten, dass zwei getrennte Warenlieferungen (bzw. Warenbewegungen) vom Produzenten zur Mitbeteiligten in das Lager in Österreich und sodann von der Mitbeteiligten aus dem Lager zu den Kunden vorlägen, sei nach Ansicht des BFG nicht anzuerkennen, weil Österreich nicht das Bestimmungsland sei und eine einheitliche Lieferung vorliege. Der Produzent stelle die Ware in transportgerechter Verpackung bereit; vereinbarungsgemäß gingen bereits mit der Bereitstellung der Ware die Gefahr des Verlustes und die Kosten auf die Mitbeteiligte über. Sobald die Ware beim Produzenten abholbereit sei, müsse die Mitbeteiligte sie ehestmöglich abholen, da im Produzentenlager keine längere Lagerung für die Mitbeteiligte erfolgen könne. Damit sei auch die Beförderung in das Lager in Österreich erforderlich, wo die nötigen Schritte zur logistischen Aufbereitung und zweckmäßigen Weiterbeförderung der Ware gesetzt würden.
14 In rechtlicher Hinsicht bewirke die Unterbrechung der Beförderung im Lager in Österreich nicht, dass zwei selbständige Lieferungen vorlägen, weil der Abnehmer der Ware zu Beginn des Transportes feststehe und ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung der Waren und ihrer Beförderung gegeben sei.
15 Aufgrund dieser Feststellungen sei von Reihenlieferungen mit (in der Regel) vier beteiligten Unternehmen auszugehen, wobei die Waren direkt vom ersten Unternehmer (dem Produzenten) zu den von Beginn an feststehenden Kunden geliefert worden seien. Den Transportauftrag für diese Lieferungen habe die Mitbeteiligte als zweite Lieferantin in der Reihe erteilt.
16 Wichtig für die Beurteilung der Reihenlieferungen sei, dass zwischen den Produzenten der Waren und der Mitbeteiligten als Incoterm regelmäßig die Klausel „EXW“ (Ex Works) vereinbart worden sei, die bewirke, dass Gefahr und Kosten auf den Käufer (hier die Mitbeteiligte) übergingen, wenn der Produzent die Ware abholbereit zur Verfügung stelle. Im Konzern der Mitbeteiligten sei hingegen - für das Verhältnis der Mitbeteiligten zu den Vertriebsgesellschaften und für das Verhältnis der Vertriebsgesellschaften zu den Kunden - regelmäßig die Klausel „CIP“ (Carriage and Insurance Paid To) vereinbart worden. Wenn die Klausel „CIP“ zur Anwendung gelange, erfolge der Gefahrenübergang auf den Käufer (hier Vertriebsgesellschaften und deren Kunden) bereits mit der Übergabe der Waren an den beauftragten Frachtführer, also schon vor dem Beginn der Beförderung/Versendung. Um dieses Risiko abzudecken, sei eine Versicherung abzuschließen, was im Konzern der Mitbeteiligten auch erfolge.
17 Da der Übergang der Verfügungsmacht und der Gefahrtragung in der Regel mit Übergabe der Waren an den Frachtführer stattfinde, erfolge die Rechnungslegung aller Konzerngesellschaften bis an die Kunden unmittelbar vor Transportbeginn. Die Verfügungsmacht über die Waren und die Gefahr seien demnach bereits bei Übergabe der Waren an den Frachtführer auf die Kunden der Mitbeteiligten übergegangen.
18 Der EuGH habe zwar nicht die Ansicht der Generalanwältin übernommen, die in den Schlussanträgen in der Rechtssache C-401/18, Herst, den Gefahrenübergang für relevant erachtet habe. Nach Ansicht des BFG sei aber dennoch die Gefahrtragung einer der im Rahmen der Gesamtumstände zu berücksichtigenden Umstände.
19 Durch die Bescheidänderungen nach der abgabenbehördlichen Prüfung sei es - aufgrund der Verwendung der österreichischen UID-Nummer durch die Mitbeteiligte - zur Besteuerung eines weiteren innergemeinschaftlichen Erwerbs nach Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 („Sicherungsbesteuerung“) in Millionenhöhe gekommen, weil Prüferin und Finanzamt davon ausgegangen seien, die Mitbeteiligte habe innergemeinschaftliche Erwerbe im jeweiligen Bestimmungsland der Waren, dort wo der Transport der Waren an die Kunden geendet habe, bewirkt.
20 Das Finanzamt habe aufgrund des Umstandes, dass die Mitbeteiligte den Transport der Waren veranlasst habe, die erste Lieferung als die bewegte Lieferung gewertet. Dieser Umstand schließe aber nicht aus, dass es sich bei der Lieferung der Mitbeteiligten an ihre Abnehmer um die bewegte Lieferung handle, weil der Gegenstand der Lieferung nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 8 UStG 1994 durch den Lieferer oder den Abnehmer befördert oder versendet werden müsse. Die Mitbeteiligte sei für den Transport verantwortlich, weshalb die bewegte Lieferung an oder durch sie erfolgen könne.
21 Im Revisionsfall seien die Abnehmer der Waren zu Beginn der Produktion bzw. vor der Beförderung bereits festgestanden. Wie sich aus der vertraglichen Gestaltung und der Verrechnung im Konzern ergebe, habe die Mitbeteiligte die Waren an konzernzugehörige Vertriebsgesellschaften verkauft. Von den Vertriebsgesellschaften seien die Waren, noch bevor sie die Grenze des ersten Mitgliedstaates überschritten hätten, an ihre Kunden weiterverkauft worden. Die Produzenten hätten der Mitbeteiligten die Waren „Ex Works“ zur Abholung bereitgestellt, wohingegen sowohl zwischen der Mitbeteiligten und den Vertriebsgesellschaften als auch zwischen den Vertriebsgesellschaften und deren Kunden „CIP“ als Lieferkondition vereinbart worden sei. Die Waren seien noch vor der Abholung beim Produzenten von der Mitbeteiligten an die Vertriebsgesellschaften und von diesen an ihre Kunden weiterverkauft worden. Der Weiterverkauf an die Kunden setze die Verfügungsmacht der Vertriebsgesellschaften über die Waren voraus. Die Vertriebsgesellschaften seien daher die Ersterwerber der Waren im Bestimmungsland, weil die zweite Lieferung, die Lieferung an sie, als bewegte Lieferung zu werten sei.
22 Bei einer Würdigung der Gesamtumstände und bei Befolgung des Grundsatzes der Neutralität der Umsatzsteuer in der Unternehmerkette, sei der Revisionsfall so zu beurteilen, dass in Fällen der Verwendung der Klausel „CIP“ die Lieferung der Mitbeteiligten an die Vertriebsgesellschaften die bewegte Lieferung sei. Die Mitbeteiligte habe in Bezug auf diese Lieferungen in Österreich weder einen innergemeinschaftlichen Erwerb noch einen fiktiven innergemeinschaftlichen Erwerb im Rahmen einer Sicherungsbesteuerung (Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994) bewirkt.
23 Um die Sache hinsichtlich der Bemessungsgrundlagen entscheiden zu können, seien ergänzende Ermittlungen notwendig, weil die Mitbeteiligte erstmals im Beschwerdeverfahren umfangreiches Vorbringen dahingehend erstattet habe, dass nicht die erste Lieferung im Reihengeschäft die bewegte Lieferung sein könne. Das Finanzamt habe stets die erste Lieferung als die bewegte Lieferung gewertet und keine Ermittlungen dahingehend vorgenommen, „bei welchen Lieferbeziehungen konkret aufgrund der vorliegenden Gesamtumstände und Verwendung des Incoterms CIP tatsächlich die zweite Lieferung als die bewegte Lieferung zu werten ist bzw. die Verschaffung der Verfügungsmacht bereits vor der Beförderung aus dem Produzentenmitgliedstaat übergegangen ist“.
24 Die Aufhebung der Bescheide unter Zurückverweisung diene der Verfahrensbeschleunigung und entspreche dem Gebot der angemessenen Verfahrensdauer. Dem BFG fehlten die Ressourcen für die umfangreichen Ermittlungen, weshalb diese vom Finanzamt durchzuführen seien.
25 Eine Revision erklärte das BFG für zulässig, weil der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht eindeutig zu entnehmen sei, ob die im vorliegenden Revisionsfall festgestellten Gesamtumstände ausreichten, um die zweite Lieferung als die bewegte Lieferung zu werten.
26 Die gegen diesen Beschluss gerichtete Revision des Finanzamtes erachtet die Revision insbesondere auch deshalb für zulässig, weil ungeklärt sei, ob die Verwendung des Incoterms „CIP“ das letztlich ausschlaggebende Kriterium dafür sein könne, eine von der Lieferung an den Transportverantwortlichen abweichende Zuordnung der Warenbewegung zur Lieferung durch den Transportverantwortlichen vorzunehmen. Überdies fehle es an Rechtsprechung zur Frage, ob in einem Reihengeschäft mit mehr als drei Beteiligten - im revisionsgegenständlichen Fall mit vier Beteiligten - die Lieferung an den letzten Abnehmer eine ruhende Lieferung im Bestimmungsland sein könne, wenn dem letzten Abnehmer - aufgrund der Vereinbarung eines bestimmten Incoterms - die umsatzsteuerliche Verfügungsmacht bereits vor Beginn der Beförderung ab Abgangsort verschafft worden sei.
27 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
28 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
29 Ein Reihengeschäft liegt vor, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschießen und diese Geschäfte dadurch erfüllt werden, dass der erste Unternehmer dem letzten Abnehmer in der Reihe unmittelbar die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft (vgl. ).
30 Gemäß § 3 Abs. 7 UStG 1994 wird eine Lieferung dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet.
31 Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer oder den Abnehmer befördert oder versendet, so gilt die Lieferung nach § 3 Abs. 8 UStG 1994 dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Versenden liegt vor, wenn der Gegenstand durch einen Frachtführer oder Verfrachter befördert oder eine solche Beförderung durch einen Spediteur besorgt wird. Die Versendung beginnt mit der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur, Frachtführer oder Verfrachter.
32 Bei Lieferungen in der Reihe handelt es sich gedanklich um mehrere Lieferungen, die als nacheinander erfolgt anzusehen sind, auch wenn sie nur zu einer einzigen Bewegung von Gegenständen führen. Der Ort der einzelnen Umsätze muss jeweils für sich bestimmt werden; nur für einen Umsatz in der Reihe kann der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 8 UStG 1994 bestimmt werden; diese Lieferung wird üblicherweise als die „bewegte Lieferung“ bezeichnet, die anderen Lieferungen als „ruhende Lieferungen“ (vgl. , mwN).
33 Bei einem Reihengeschäft mit einer Warenbewegung in einen anderen Mitgliedstaat kann nur die bewegte Lieferung eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung sein. Der Ort der ruhenden Lieferung befindet sich entweder im Mitgliedstaat des Beginns oder im Mitgliedstaat der Ankunft der Beförderung oder Versendung, je nachdem, ob die bewegte Lieferung vor oder nach einer solchen Lieferung stattfindet (vgl. neuerlich , mit Hinweis auf EMAG Handel Eder, C-245/04, Rn. 51).
34 Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnissen vom , Ro 2018/15/0011, und Ro 2018/15/0004, bereits - zur auch hier anwendbaren Rechtslage vor dem Steuerreformgesetz 2020, BGBl. I Nr. 103/2019, mit dem in § 3 Abs. 15 UStG 1994 eine neue Sonderregelung für Reihengeschäfte eingeführt worden ist - ausgesprochen hat, ist zur Beantwortung der Frage, welcher der beiden Lieferungen die innergemeinschaftliche Beförderung zuzuordnen ist, insbesondere zu klären, zu welchem Zeitpunkt die zweite Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, zugunsten des Endabnehmers stattgefunden hat. Falls die zweite Übertragung dieser Befähigung vor der innergemeinschaftlichen Beförderung stattfand, kann diese nicht der Erstlieferung an den Ersterwerber zugeordnet werden (vgl. Toridas, C-386/16, Rn. 36; und , Arex, C 414/17, Rn. 70).
35 Wie oben ausgeführt, liegt ein Reihengeschäft nur vor, wenn eine einzige Warenbewegung zu mehreren Lieferungen desselben Gegenstandes führt. Im gegenständlichen Fall wurden die Waren im von der Mitbeteiligten an einen Spediteur erteilten Auftrag und auf Kosten der Mitbeteiligten durch einen Frächter vom Produzenten in ein Speditionslager nach Österreich transportiert und sodann (fallweise durch einen anderen Frächter) vom Speditionslager zum Endabnehmer.
36 Das BFG führt im angefochtenen Beschluss an, aus den Feststellungen der Außenprüfung habe sich ergeben, dass die Waren im Speditionslager in Österreich ausgeladen, umetikettiert, zwischengelagert und auf die jeweiligen Kunden aufgeteilt würden und dass die Waren dann nach der von der Mitbeteiligten vorgegebenen Reihenfolge und Verpackung und in dem von der Mitbeteiligten vorgegebenen Zustand an die Endabnehmer weitertransportiert würden. In Übereinstimmung damit hat das Finanzamt im Vorlagebericht darauf verwiesen, dass im Vertrag zwischen der Mitbeteiligten und dem Speditionsunternehmen festgelegt sei, dass die Spedition ihre Dienstleistungen nach den Anweisungen der Mitbeteiligten erbringe, und auf Vorgaben der Mitbeteiligten betreffend Reihenfolge, Verpackung und Zustand der Ware hingewiesen. Das BFG führt auch aus, dass die Waren stets unverzüglich nach Fertigstellung beim Produzenten abgeholt werden mussten und weitere logistische Schritte erst im Lager in Österreich erfolgten. Die Ware ist also stets für einige Zeit in ein Lager nach Österreich gebracht und erst dort auf die Kunden aufgeteilt und „umetikettiert“ worden. Den Feststellungen zufolge hat die Mitbeteilige im Lager auch Vorgaben betreffend den Zustand der Ware gemacht und auf die Verpackung sowie die Reihenfolge des Transportes zum Endabnehmer Einfluss genommen.
37 Das BFG legte dem angefochtenen Beschluss zugrunde, dass bei dieser Sachlage nicht von zwei getrennten Lieferungen auszugehen ist. Die vom BFG hierfür herangezogene Begründung, dass der Abnehmer der Ware bereits zu Beginn des Transportes festgestanden sei, reicht dafür allerdings nicht aus. Es bedarf dafür auch nachvollziehbarer Feststellungen zum zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen der Lieferung der Waren in das Lager des Spediteurs und der Lieferung vom Lager des Spediteurs zum Endabnehmer, der von der Mitbeteiligten im Beschwerdeverfahren zunächst in Abrede gestellt worden ist.
38 Aber selbst wenn unterstellt würde, die Lieferungen vom jeweiligen Produzenten an die Mitbeteiligte seien Teil eines Reihengeschäftes, mangelt es dem angefochtenen Beschluss an einer tragfähigen Begründung dafür, dass die Endabnehmer die Befähigung, wie ein Eigentümer über die Waren zu verfügen, vor deren innergemeinschaftlichen Beförderung erlangt haben.
39 Obwohl das BFG im angefochtenen Beschluss zutreffend ausführt, dass der EuGH bei Reihengeschäften gerade nicht auf den Gefahrenübergang abgestellt hat (vgl. Pernegger in Melhardt/Tumpel, UStG3, § 3 Rn. 244), nimmt es auf den zwischen der Mitbeteiligten und ihren Abnehmern vereinbarten Gefahrenübergang Bezug und stellt in den Vordergrund, dass diese Abnehmer schon vor bzw. während des Transportes in der Lage gewesen seien, schuldrechtliche Verträge über die Ware abzuschließen. Auf wesentliche Umstände für die Beurteilung der Verfügungsmacht, etwa die Feststellung, dass die Ware erst im Speditionslager auf die Kunden „aufgeteilt“, also individualisiert wurde, oder dass die Mitbeteiligte auch noch während der Lagerung der Ware im Speditionslager Einfluss auf die Ware nehmen konnte, geht der angefochtene Beschluss nicht ein.
40 Der angefochtene Beschluss erweist sich daher als mit prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
41 Von der von der Mitbeteiligten beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Wien, am
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RO2022150035.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
JAAAF-46727