Suchen Hilfe
VwGH 26.06.2024, Ro 2022/15/0002

VwGH 26.06.2024, Ro 2022/15/0002

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
EURallg
UStG 1994 Art3 Abs3
UStG 1994 §3 Abs9
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art32 Abs2
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art33 Abs2
RS 1
Art. 33 Abs. 2 MwStSystRL - der mit dem letzten Satz des Art. 3 Abs. 3 UStG 1994 umgesezt wurde - stellt auf die Sonderkonstellation des Versandhandels ab und ist gegenüber Art. 32 Abs. 2 MwStSystRL - diese Bestimmung ist im UStG 1994 mit § 3 Abs. 9 umgesetzt worden - die speziellere Regelung. Durch die Einbeziehung dieser Einfuhrfälle wird sichergestellt, dass in dem Mitgliedstaat in dem die Warenbewegung endet, kein unversteuerter Letztverbrauch eintreten kann. Ganz allgemein ist der Zweck der Versandhandelsregelung, dass die Gegenstände mit dem Mehrwertsteuersatz des Bestimmungslandes belastet werden.
Normen
EURallg
UStG 1994 §1 Abs1 Z3
UStG 1994 §26
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art30
RS 2
Gemäß § 26 UStG 1994 sind zwar für die Einfuhrumsatzsteuer - z.B. für deren Entstehung - die Rechtsvorschriften für Zölle sinngemäß anzuwenden, dies gilt aber nicht für die Definition des Tatbestandes der Einfuhr (§ 1 Abs. 1 Z 3 UStG 1994). Auch die unionsrechtliche Grundlage des Einfuhrbegriffs (Art. 30 MwStSystRL) enthält keinen Verweis auf die zollrechtlichen Vorschriften.
Normen
EURallg
UStG 1994 Art3 Abs3
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art33 Abs2
RS 3
Weder Art. 3 Abs. 3 letzter Satz UStG 1994 noch Art. 33 Abs. 2 MwStSystRL stellen darauf ab, wer Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist, sondern wer die Gegenstände eingeführt hat.
Normen
EURallg
UStG 1994 Art3 Abs3
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art33 Abs1
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art33 Abs2
RS 4
Aus Art. 33 Abs. 2 MwStSystRL ergibt sich: Sind bei einer Lieferung die Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 1 MwStSystRL mit Ausnahme der Versendung aus einem Mitgliedstaat erfüllt, weil der Gegenstand von einem Drittgebiet oder Drittland aus versandt wird, bestimmt sich der Ort der Lieferung dennoch nach Art. 33 Abs. 1 MwStSystRL, wenn der Gegenstand vom Lieferer in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Beendigung der Versendung an den Erwerber eingeführt wird.

Entscheidungstext

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

Ro 2022/15/0002 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der Y Ltd. in S (Deutschland), vertreten durch die Ernst & Young Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. in 1220 Wien, Wagramer Straße 19, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2100006/2020, betreffend u.a. Umsatzsteuer 2010 bis 2014, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine im Jahr 2004 gegründete limited liability company (im Folgenden: Ltd.) mit statutarischem Sitz auf Jersey Island (im Folgenden: Jersey), ist Teil eines in Deutschland ansässigen Augenoptik Konzerns (im Folgenden: X Konzern). Sie wurde für Zwecke der Abwicklung des laufenden Geschäfts betreffend den Vertrieb von Kontaktlinsen und Pflegeprodukten in Deutschland und Österreich gegründet. Ihr Sitz befindet sich auf Jersey, wo sie aber keine Tätigkeit ausübt und weder über eigene Räumlichkeiten noch über Personal verfügt. Der Sitz der Geschäftsleitung der Revisionswerberin befindet sich in Deutschland und die Geschäftsleitung wird von Mitarbeitern des X Konzerns ausgeübt.

2 Aufgrund einer Kontrollmitteilung der deutschen Finanzverwaltung wurde bei der - bis zu diesem Zeitpunkt in Österreich nicht registrierten - Revisionswerberin eine Außenprüfung durchgeführt. Der Prüfer vertrat den Standpunkt, für die von der Revisionswerberin nach Österreich gelieferten Kontaktlinsen und Pflegeprodukte sei die Versandhandelsregelung nach Art. 3 Abs. 3 UStG 1994 anzuwenden und die daraus resultierenden Umsätze seien von der Revisionswerberin in Österreich zu versteuern.

3 Das Finanzamt erließ - dem Prüfer folgend - u.a. Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2010 bis 2014, in denen es die Abo-Umsätze der Umsatzsteuer unterzog.

4 Eine gegen die Umsatzsteuerbescheide 2010 bis 2014 gerichtete Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab, woraufhin die Revisionswerberin die Vorlage der Beschwerde an das BFG beantragte.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das BFG der Beschwerde, soweit sie die Umsatzsteuer 2010 bis 2014 betraf, keine Folge und führte zur Begründung aus, in Österreich kooperiere der X Konzern mit einer konzernzugehörigen Augenoptik-Gesellschaft (im Folgenden: Ö-Gesellschaft). Die Ö-Gesellschaft verkaufe in ihren Filialen Augenoptikartikel wie Brillen und Kontaktlinsen sowie Kontaktlinsenpflegemittel.

6 Wenn ein Kunde in einer Filiale der Ö-Gesellschaft Kontaktlinsen erwerbe, erhalte er eine Erstausstattung bestehend aus Kontaktlinsen, Kontaktlinsenbehälter, Broschüre betreffend Handhabung und Pflege der Kontaktlinsen, AGB-Broschüre und eine Ausfertigung der unterschriebenen Vertragsunterlagen betreffend den weiteren Bezug von Kontaktlinsen (Tages- oder Monatslinsen) und Pflegemitteln.

7 Für den weiteren Bedarf an Kontaktlinsen und Pflegemitteln könne der Kunde zwischen dem Bezug in einer Filiale und dem Lieferservice der Revisionswerberin („Abo-Verkauf“) wählen. Entscheide er sich für den Lieferservice, trete die jeweilige Filiale bzw. die Ö-Gesellschaft nur als Vermittlerin zwischen dem Kunden und der Revisionswerberin auf und der Kunde müsse einen Vertrag unterfertigen, mit welchem er die Revisionswerberin mit der laufenden Lieferung der Kontaktlinsen und Pflegeprodukte beauftrage. Die Bezahlung der Produkte erfolge monatlich über Bankeinzug. In den allgemeinen Verkaufsbedingungen werde unter Punkt 4.9 festgehalten:

„Die [Revisionswerberin] führt außerhalb des Gebietes der Europäischen Gemeinschaft lagernde Ware unter Beachtung der einschlägigen zollrechtlichen Bestimmungen im Namen des jeweiligen Kunden ein. Mit Unterzeichnung des Antrages zur Lieferung der Ware durch den Kunden bevollmächtigt dieser die [Revisionswerberin] zur Abgabe aller für die Einfuhr im Namen des Kunden erforderlichen Erklärungen.

Die [Revisionswerberin] übernimmt für den Kunden alle mit der Einfuhr verbundenen Steuern und Abgaben und stellt den Kunden von allen diesbezüglichen Verpflichtungen frei“.

8 Nach diesen Bedingungen werde der Kunde von der Revisionswerberin nicht mit Transportkosten, Gebühren oder Einfuhrabgaben belastet und er wirke am Transport nicht mit. Die Kontaktlinsen und Pflegemittel würden von Jersey (ein „Drittgebiet“, das allerdings zum Zollgebiet der EU gehöre, vgl. Art. 6 MwStSystRL) an die Endverbraucher geliefert.

9 Die Revisionswerberin bestelle die Ware für ihre Lieferungen an die Endverbraucher bei den Herstellern in der Europäischen Union (ca. 70 % stamme aus Deutschland). Die Hersteller lieferten die Ware im Auftrag der Revisionswerberin in das Lager eines von der Revisionswerberin beauftragten „Logistikzentrums“ in Jersey. Vom „Logistikzentrum“ werde die Ware im Auftrag der Revisionswerberin eingelagert, für die einzelnen Abnehmer an Hand der Bestellscheine kommissioniert und verpackt. Die Päckchen würden mit den Adressen der österreichischen Kunden versehen und der Jersey Post zur Versendung übergeben. Die für die Versendung erforderlichen Formalitäten (Erstellung von Freistellungslisten für die Einfuhr in die Europäische Union und der erforderlichen Papiere CN22 und CN23 etc.) würden ebenfalls vom „Logistikzentrum“ abgewickelt.

10 Von der Jersey Post werde die Ware unter Zollverschluss an die TNT Express B.B. (im Folgenden: TNT) in die Niederlande verschickt. In den Niederlanden werde sie von der TNT übernommen und in Rotterdam in die Europäische Union zum freien Verkehr eingeführt, von wo sie im Postweg an die österreichischen Abnehmer gelange.

11 Der Zollwert der einzelnen Pakete liege größtenteils unter 22 €, weshalb in der Mehrheit der Fälle weder Zoll noch Einfuhrumsatzsteuer anfielen. Waren mit einem Wert über 22 € melde die TNT gesammelt beim Zoll an. Auf den diesbezüglichen Vorschreibungen scheine die TNT als Zollschuldnerin auf. Die Einfuhrabgaben würden von der TNT bezahlt und über das „Logistikzentrum“ an die Revisionswerberin weiterverrechnet, welche damit letztlich belastet sei.

12 Im Erwägungsteil des Erkenntnisses führte des BFG sodann aus, das Finanzamt habe seinen Standpunkt, der Ort der gegenständlichen Einfuhren liege in den Niederlanden und die Weiterversendung der Waren an die österreichischen Endkunden sei wegen Überschreitung der Lieferschwelle als Versandhandel gemäß Art. 3 Abs. 3 UStG 1994 zu qualifizieren, auf Art. 32 Satz 2 MwStSystRL gestützt. Diese Bestimmung setze eine Lieferung voraus, die durch den Importeur bewirkt werde, der vom Mitgliedstaat der Einfuhr nach Art. 201 MwStSystRL als Steuerschuldner bestimmt oder bezeichnet worden sei. Maßgeblich sei im Revisionsfall aber Art. 33 Abs. 2 MwStSystRL, der bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen Art. 32 Satz 2 MwStSystRL vorgehe (Hinweis auf Rau/Dürrwächter, [deutscher] Umsatzsteuergesetz-Kommentar, § 3c Anmerkung 22).

13 Nach Art. 33 Abs. 2 MwStSystRL müsse der Liefergegenstand vom Lieferer im Einfuhrmitgliedstaat zur Abfuhr (zum freien Verkehr) abgefertigt worden sein. Nicht erforderlich sei, dass der Importeur vom Mitgliedstaat der Einfuhr nach Art. 201 MwStSystRL als Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer bestimmt oder bezeichnet werde. Sinn und Zweck dieser Bestimmungen sei es, einen unbelasteten Endverbrauch zu verhindern, wenn Lieferungen - wie im Revisionsfall - an private Abnehmer erfolgten. Durch die Versandhandelsregel werde zudem die Besteuerung im Bestimmungsland bewirkt und sie diene zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen.

14 Die Revisionswerberin vertrete den Standpunkt, im Revisionsfall seien weder Art. 32 Satz 2 MwStSystRL noch Art. 33 Abs. 2 MwStSystRL anwendbar, weil die Einfuhr der Waren nicht von der Revisionswerberin, sondern von den Abnehmern durchgeführt worden sei. Dem sei zu entgegnen, dass für die Beurteilung eines abgabenrechtlichen Sachverhaltes gemäß § 21 BAO der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend sei.

15 Die Revisionswerberin liefere Waren aus Jersey, einem Drittgebiet, nach Österreich an private Kunden. Die Waren gelangten bei der Versendung vom Drittgebiet in den Mitgliedsstaat der Einfuhr (Niederlande) und schließlich an private Konsumenten in Österreich. Zur Klärung der Frage, ob die Waren von der Revisionswerberin als Lieferantin oder von den österreichischen Kunden als Abnehmer in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt worden seien, sei das Zollrecht heranzuziehen.

16 Gemäß Art. 201 Abs. 3 Satz 1 Zollkodex (ZK) sei Zollschuldner der Anmelder der Waren. Dieser sei folglich auch Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer und führe die Waren in den freien Verkehr ein. Anmelder sei gemäß Art. 4 Nr. 18 ZK die Person, die in eigenem Namen eine Zollanmeldung abgebe, oder die Person, in deren Namen eine Zollanmeldung abgegeben werde. Der Anmelder könne sich gemäß Art. 5 ZK vertreten lassen.

17 Die Revisionswerberin habe das Logistikzentrum, dieses wiederum die Post mit der Anmeldung und Einfuhr der Waren beauftragt. Die Zollanmeldung im Wege der „Anträge auf Freischreibung nach Art. 27 VO (EWG) Nr. 918/83“ sei durch die TNT im Namen der Empfänger abgegeben worden. Zu diesem Zweck habe das Logistikzentrum Listen mit den Namen und Adressen der Empfänger und dem Zollwert der einzelnen Sendungen erstellt. Diese Listen seien der Post für die Freischreibung übergeben worden (Wert unter 22 Euro).

18 Die Revisionswerberin gehe davon aus, die Anmeldungen seien im Namen und für Rechnung der Empfänger erfolgt. Die TNT habe jedoch nicht für Rechnung der Empfänger gehandelt, weil die zollrechtliche Abwicklung unabhängig von der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer durch die Übernahme aller etwaig anfallenden Steuern und sonstiger Kosten durch die Revisionswerberin für die Empfänger keine wirtschaftlichen Auswirkungen haben könne. Die Revisionswerberin habe - durch ihre Subbeauftragten („Logistikzentrum“ und TNT) - die Anmeldung durch den „Antrag auf Freischreibung“ zwar im Namen der Empfänger, aber mit Wirkung für sich selbst und nicht für die österreichischen Abnehmer abgegeben.

19 Des Weiteren sei auf Art. 238 Teilstrich 2 ZK-DVO zu verweisen. Laut dieser Bestimmung gelte Art. 237 ZK-DVO nicht für Postsendungen (Briefe und Postpakete), die zu kommerziellen Zwecken bestimmte Waren enthielten, die Teil einer regelmäßigen Serie gleichartiger Vorgänge seien. Die streitgegenständlichen Postsendungen seien kommerzieller Natur und Teil einer regelmäßigen Serie gleichartiger Vorgänge (Kontaktlinsen-Abo).

20 Dass die niederländische Zollverwaltung die Einfuhr iSd Art. 237 ZK-DVO anerkannt habe, sei mangels Vorliegen der objektiven Voraussetzungen unbeachtlich. Art. 3 Abs. 3 UStG 1994 spreche nur von „Einfuhren“ durch den Lieferer im objektiven Sinn und beziehe sich nicht auf die rechtliche Beurteilung durch den Einfuhrmitgliedstaat.

21 Eine Revision erklärte das BFG für zulässig. Eine Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung liege u.a. dahingehend vor, ob eine als unwirksam erachtete Bevollmächtigung des Lieferers durch den Empfänger dazu führe, dass dem Lieferer und nicht dem Empfänger die Einfuhr in den freien Verkehr zuzurechnen sei.

22 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete ordentliche Revision führt zu ihrer Zulässigkeit ergänzend aus, es fehle an Rechtsprechung zu folgenden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung:

„In welchem Verhältnis stehen § 3 Abs 9 UStG und Art 3 Abs 3 UStG (bzw Art 32 Satz 2 und Art 33 Abs. 2 MwstSystRL) zueinander? Ist hinsichtlich der Anwendungsvoraussetzungen des Art 3 Abs 3 UStG bzw Art 33 Abs 2 MwstSystRL darauf abzustellen, ob der Lieferer Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer gemäß Art 201 MwstSystRL geworden ist?

Nach dem Recht welchen Mitgliedstaates richtet sich die Beurteilung, ob der Lieferer die Ware iSd Art 3 Abs 3 UStG bzw Art 33 Abs 2 MwstSystRL eingeführt hat? Ist diese Beurteilung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise durch einen anderen Mitgliedstaat als dem Einfuhrmitgliedstaat zugänglich?“

23 Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

24 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

25 Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.

26 § 3 Abs. 9 UStG 1994 lautet:

„Gelangt der Gegenstand der Lieferung bei der Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten aus dem Drittlandsgebiet in das Gebiet eines Mitgliedstaates, so ist diese Lieferung als im Einfuhrland ausgeführt zu behandeln, wenn der Lieferer oder sein Beauftragter Schuldner der bei der Einfuhr zu entrichtenden Umsatzsteuer ist.“

27 Art. 3 Abs. 3 UStG 1994 in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung lautete:

„(3) Wird bei einer Lieferung der Gegenstand durch den Lieferer oder einen von ihm beauftragten Dritten aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates befördert oder versendet, so gilt die Lieferung nach Maßgabe der Abs. 4 bis 7 dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung endet. Das gilt auch, wenn der Lieferer den Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt hat.“

28 Art. 32 und 33 MwStSystRL in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung lauteten auszugsweise:

„Artikel 32

Wird der Gegenstand vom Lieferer, vom Erwerber oder von einer dritten Person versandt oder befördert, gilt als Ort der Lieferung der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet.

Liegt der Ort, von dem aus die Gegenstände versandt oder befördert werden, in einem Drittgebiet oder in einem Drittland, gelten der Ort der Lieferung, die durch den Importeur bewirkt wird, der gemäß Artikel 201 als Steuerschuldner bestimmt oder anerkannt wurde, sowie der Ort etwaiger anschließender Lieferungen jedoch als in dem Mitgliedstaat gelegen, in den die Gegenstände eingeführt werden.

Artikel 33

(1) Abweichend von Artikel 32 gilt als Ort einer Lieferung von Gegenständen, die durch den Lieferer oder für dessen Rechnung von einem anderen Mitgliedstaat als dem der Beendigung der Versendung oder Beförderung aus versandt oder befördert werden, der Ort, an dem sich die Gegenstände bei Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befinden, sofern folgende Bedingungen erfüllt sind:

a) die Lieferung der Gegenstände erfolgt an einen Steuerpflichtigen oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, deren innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen gemäß Artikel 3 Absatz 1 nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, oder an eine andere nichtsteuerpflichtige Person;

b) [...]

(2) Werden die gelieferten Gegenstände von einem Drittgebiet oder einem Drittland aus versandt oder befördert und vom Lieferer in einen anderen Mitgliedstaat als den der Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber eingeführt, gelten sie als vom Einfuhrmitgliedstaat aus versandt oder befördert.“

29 Im Revisionsfall ist strittig, ob die Warenlieferungen, die aufgrund der Abo-Verkäufe der Revisionswerberin erfolgten, in Anwendung der Versandhandelsregelung des Art. 3 Abs. 3 UStG 1994 in Österreich zu versteuern sind.

30 Wird bei einer Lieferung der Gegenstand durch den Lieferer oder einen von ihm beauftragten Dritten aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates befördert oder versendet, so gilt gemäß Art. 3 Abs. 3 UStG 1994 in der auf den Revisionsfall anzuwendenden Fassung die Lieferung nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 4 bis 7 UStG 1994 dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung endet. Das gilt auch, wenn der Lieferer den Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt hat.

31 Mit dem letzten Satz des Art. 3 Abs. 3 UStG 1994 wird Art. 33 Abs. 2 MwStSystRL umgesetzt. Werden die gelieferten Gegenstände von einem Drittgebiet oder einem Drittland aus versandt oder befördert und vom Lieferer in einen anderen Mitgliedstaat als den der Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber eingeführt, gelten sie nach dieser Bestimmung - für Zwecke der Versandhandelsregelung - als vom Einfuhrmitgliedstaat aus versandt oder befördert.

32 Art. 33 Abs. 2 MwStSystRL stellt auf die Sonderkonstellation des Versandhandels ab und ist gegenüber Art. 32 Abs. 2 MwStSystRL - diese Bestimmung ist im UStG 1994 mit § 3 Abs. 9 umgesetzt worden - die speziellere Regelung (vgl. Rau/Dürrwächter, [deutscher] Umsatzsteuergesetz-Kommentar, Lfg. 178. Juli 2018, § 3c Anm. 22).

33 Durch die Einbeziehung dieser Einfuhrfälle wird sichergestellt, dass in dem Mitgliedstaat in dem die Warenbewegung endet, kein unversteuerter Letztverbrauch eintreten kann (vgl. Martin in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, EL 75. September 2015, § 3c dUStG, Anm. 6). Ganz allgemein ist der Zweck der Versandhandelsregelung, dass die Gegenstände mit dem Mehrwertsteuersatz des Bestimmungslandes belastet werden.

34 Die Revisionswerberin bringt vor, gegenständlich sei - nach den gemäß § 26 UStG 1994 auf die Einfuhrumsatzsteuer sinngemäß anzuwendenden Rechtsvorschriften des Zollrechts - die Einfuhr der revisionsgegenständlichen Waren den Endkunden zuzurechnen. Es liege daher kein Anwendungsfall der Versandhandelsregelung des Art. 3 Abs. 3 UStG 1994 vor, der den Lieferort an das Ende der Warenbewegung verlagere.

35 Gemäß § 26 UStG 1994 sind zwar für die Einfuhrumsatzsteuer - z.B. für deren Entstehung - die Rechtsvorschriften für Zölle sinngemäß anzuwenden, dies gilt aber nicht für die Definition des Tatbestandes der Einfuhr. Eine Einfuhr liegt gemäß § 1 Abs. 1 Z 3 UStG 1994 vor, wenn ein Gegenstand aus dem Drittlandsgebiet in das Inland, ausgenommen die Gebiete Jungholz und Mittelberg, gelangt (vgl. Ruppe/Achatz, UStG5, § 1 Tz 442). Auch die unionsrechtliche Grundlage des Einfuhrbegriffs (Art. 30 MwStSystRL) enthält keinen Verweis auf die zollrechtlichen Vorschriften. Demnach gilt als „Einfuhr eines Gegenstands“ die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne des Art. 24 des Vertrags (zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, nunmehr Art. 29 AEUV) befindet, in die Gemeinschaft sowie die Verbringung eines im freien Verkehr befindlichen Gegenstands mit Herkunft aus einem Drittgebiet, das Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft ist, in das Gemeinschaftsgebiet.

36 Weder Art. 3 Abs. 3 letzter Satz UStG 1994 noch Art. 33 Abs. 2 MwStSystRL stellen darauf ab, wer Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist, sondern wer die Gegenstände eingeführt hat.

37 Aus Art. 33 Abs. 2 MwStSystRL ergibt sich: Sind bei einer Lieferung die Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 1 MwStSystRL mit Ausnahme der Versendung aus einem Mitgliedstaat erfüllt, weil der Gegenstand von einem Drittgebiet oder Drittland aus versandt wird, bestimmt sich der Ort der Lieferung dennoch nach Art. 33 Abs. 1 MwStSystRL, wenn der Gegenstand vom Lieferer in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Beendigung der Versendung an den Erwerber eingeführt wird.

38 Nach den Feststellungen des BFG sei die TNT im Auftrag der Revisionswerberin tätig gewesen. Sie habe nicht für Rechnung der Endkunden, sondern für Rechnung der Revisionswerberin gehandelt, die alle aus den gegenständlichen Einfuhren resultierenden Einfuhrabgaben getragen habe.

39 Wie bereits ausgeführt, findet sich die unionsrechtliche Grundlage von Art. 3 Abs. 3 UStG 1994 in Art. 33 MwStSystRL. Im Hinblick auf den Zweck der Bestimmung des Art. 33 MwStSystRL, insbesondere dessen Abs. 2, ist bei der gegebenen Konstellation unzweifelhaft von einer dem Lieferer zuzurechnenden Einfuhr iSd Art. 33 Abs. 2 MwStSystRL und Art. 3 Abs. 3 letzter Satz UStG 1994 auszugehen, weil der Einfuhrvorgang zur Gänze in dessen Einflussbereich lag. Dass die Einfuhr in Vertretung der Endabnehmer erfolgt und somit diesen zuzurechnen wäre, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil sie nicht auf deren Rechnung erfolgt ist (siehe im Übrigen zu in Vertretung erfolgenden Zollanmeldungen BFH , V R 5/14).

40 Die Revisionswerberin vermag sohin eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses nicht aufzuzeigen. Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

41 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
EURallg
UStG 1994 Art3 Abs3
UStG 1994 §1 Abs1 Z3
UStG 1994 §26
UStG 1994 §3 Abs9
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art30
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art32 Abs2
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art33 Abs1
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art33 Abs2
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RO2022150002.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
RAAAF-46707