VwGH 14.05.2024, Ro 2022/08/0014
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
RS 1 | Sachliche Differenzen führen für sich genommen nicht zur Befangenheit eines Organwalters. In dem Umstand, dass sich die Rechtsansicht eines Organwalters nicht mit jener der Partei deckt, ist daher grundsätzlich keine Befangenheit zu erblicken; der Anschein einer Befangenheit wird noch nicht damit begründet, dass ein Organwalter eine gewisse Rechtsmeinung vertritt. Sinn und Zweck der Ablehnung wegen Besorgnis einer Befangenheit ist nämlich nicht die Abwehr einer unrichtigen Rechtsauffassung des Organwalters. Die Richtigkeit oder Unrichtigkeit seiner Entscheidung ist vielmehr durch die Rechtsmittelinstanzen zu überprüfen und grundsätzlich keine Angelegenheit des Ablehnungsverfahrens (vgl. , mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/06/0041 E RS 1 |
Normen | |
RS 2 | In § 3 AlVG ist seit der AlVG-Novelle BGBl. I Nr. 104/2007 für Personen, die aufgrund einer Erwerbstätigkeit der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG unterliegen oder gemäß § 5 GSVG von dieser Pflichtversicherung ausgenommen sind, die Möglichkeit zur Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung vorgesehen. Die Versicherung in der Arbeitslosenversicherung tritt dabei nicht ex lege ein, sondern setzt nach § 3 Abs. 2 erster Satz AlVG eine Eintrittserklärung ("Opting-in") - innerhalb der in § 3 Abs. 3 AlVG näher bezeichneten Frist - voraus. Rechtsfolge des Opting-in ist die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung nach § 2 AMPFG. |
Normen | |
RS 3 | Die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG - im Sinn von § 1 GSVG die Pflichtversicherung der selbständig Erwerbstätigen -, an die § 3 AlVG anknüpft, setzt die Erfüllung eines Versicherungstatbestandes nach § 2 GSVG (Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung) oder nach § 3 Abs. 3 GSVG (Teilversicherung in der Pensionsversicherung) voraus. |
Normen | |
RS 4 | Hinsichtlich der auf die Anwartschaft anzurechnenden Zeiten unterscheidet § 14 Abs. 4 lit. a AlVG zwischen Zeiten, die der Arbeitslosenversicherungspflicht unterlagen, und sonstigen Zeiten der Versicherung in der Arbeitslosenversicherung. Derartige "sonstige Zeiten" sind Zeiträume der Versicherung nach § 3 AlVG. Ihre Berücksichtigung setzt nach § 14 Abs. 8 AlVG (zusätzlich zur Zugehörigkeit zum von § 3 erfassten Personenkreis und einer wirksamen Eintrittserklärung) auch voraus, dass die geschuldeten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung tatsächlich entrichtet wurden. |
Normen | |
RS 5 | In § 15 Abs. 5 AlVG ist eine Verlängerung der Rahmenfrist - nach den dort näher bezeichneten Maßgaben entweder unbegrenzt oder nur für höchstens fünf Jahre - für Zeiträume einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung oder einer Ausnahme von der Pflichtversicherung nach § 5 GSVG vorgesehen. Unter Beachtung, dass anwartschaftsbegründende Zeiten gemäß § 15 Abs. 7 AlVG nicht mehr zur Rahmenfristerstreckung herangezogen werden können, die die Rahmenfrist erstreckenden Zeiten also subsidiär sind (vgl. näher , mwN), werden auch mit § 15 Abs. 5 AlVG nur Zeiten angesprochen, die nicht der Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegen oder als sonstige Zeiten der Versicherung in der Arbeitslosenversicherung nach § 3 AlVG im Sinn von § 14 Abs. 4 lit. a und Abs. 8 AlVG auf die Anwartschaft anzurechnen sind. |
Normen | |
RS 6 | § 15 Abs. 5 AlVG erstreckt sich zunächst auf die bereits von § 3 AlVG angesprochenen Zeiträume einer Pflichtversicherung nach dem GSVG bzw. der Ausnahme nach § 5 GSVG, soweit ein Eintritt in die Arbeitslosenversicherung und damit die Berücksichtigung für die Anwartschaft nicht erfolgt ist. § 15 Abs. 5 AlVG geht insoweit aber über § 3 Abs. 1 AlVG hinaus, als neben einer Pflichtversicherung nach dem GSVG auch andere Zeiten der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung erfasst werden, in denen nicht gleichzeitig eine Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung eingetreten ist. Weder von der Möglichkeit zum Eintritt in die Arbeitslosenversicherung nach § 3 AlVG noch von der Rahmenfristerstreckung nach § 15 Abs. 5 AlVG erfasst werden dagegen insbesondere selbständig Erwerbstätige, die gemäß § 4 GSVG von der Pflichtversicherung nach dem GSVG ausgenommen sind. Das betrifft unter anderem gemäß § 4 Abs. 1 Z 5 AlVG die (große) Gruppe der Selbständigen nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG, die durch ihre Tätigkeit keine die Versicherungsgrenze übersteigenden Einkünfte erzielen, wobei ihnen aber die Möglichkeit offensteht, durch Abgabe einer Versicherungserklärung in die Pflichtversicherung nach dem GSVG einbezogen zu werden (vgl. zu den Rechtswirkungen der Versicherungserklärung etwa , mwN). |
Normen | AlVG 1977 §3 EURallg 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs2 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs5 lita 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65a Abs1 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art9 |
RS 7 | Art. 65a Abs. 1 Verordnung 883/2004 sieht eine von Art. 65 Abs. 2 und Abs. 5 lit. a Verordnung 883/2004 abweichende Zuständigkeit vor, wenn eine vollarbeitslose Person einerseits in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Wohnmitgliedstaat Versicherungszeiten als Selbständiger oder Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit zurückgelegt hat, die für die Zwecke der Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit anerkannt werden, andererseits aber ihr Wohnmitgliedstaat gemeldet hat, dass für keine Kategorie von Selbständigen ein System der Leistungen bei Arbeitslosigkeit dieses Mitgliedstaats besteht. In diesem Fall wird eine Zuständigkeit des Staates, in dem zuletzt eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde, begründet. Zweck der Regelung ist es zu verhindern, dass Selbständige, die als Grenzgänger im Staat ihrer Beschäftigung für Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu berücksichtigende Zeiten erworben haben, durch die in Art. 65 Abs. 5 lit. a Verordnung 883/2004 festgelegte Zuständigkeit des Wohnmitgliedstaats, soweit dieser über kein Arbeitslosenversicherungssystem für Selbständige verfügt, ohne Schutz bei Arbeitslosigkeit wären. Österreich hat gegenüber der Europäischen Kommission im Sinn von Art. 9 und Art. 65a Abs. 1 Verordnung 883/2004 gemeldet, dass das österreichische Recht für Selbständige die Möglichkeit vorsieht, von dem System der Leistungen bei Arbeitslosigkeit Gebrauch zu machen und insoweit auf § 3 AlVG verwiesen. |
Normen | |
RS 8 | Gemäß § 15 Abs. 1 AlVG müssen die dort genannten Rahmenfristerstreckungstatbestände im Inland verwirklicht werden. Durch bestimmte im Ausland verwirklichte Rahmenfristerstreckungstatbestände (§ 15 Abs. 2, 4 und 8 AlVG) sowie aufgrund unions- bzw. völkerrechtlicher Verpflichtungen - insbesondere einer Gleichstellung aufgrund im Unionsausland verwirklichter Tatbestände nach Art. 5 Verordnung 883/2004 - kommt es zu einer Durchbrechung dieses - das Sozialversicherungsrecht an sich prägenden - Territorialitätsprinzips (vgl. , mwN). |
Normen | |
RS 9 | Die Verlängerung der Rahmenfrist nach § 15 Abs. 8 AlVG tritt für Zeiträume einer Erwerbstätigkeit im Ausland ein, die aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens in der Pensionsversicherung zu berücksichtigen sind. Mit einem zwischenstaatlichen Abkommen im Sinn dieser Bestimmung sind die von Österreich mit Staaten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes (und der Schweiz) abgeschlossenen Abkommen angesprochen (vgl. ErlRV 298 BlgNR 23. GP 11 f). § 15 Abs. 8 AlVG erfasst somit nicht die in den Anwendungsbereich der Verordnung 883/2004 fallenden Sachverhalte. Hinsichtlich Ereignissen, die sich in anderen Mitgliedstaaten der Union zugetragen haben, ist zu prüfen, ob aus diesen eine Erstreckung der Rahmenfrist nach dem Grundsatz der Gleichstellung von Sachverhalten nach Art. 5 lit. b Verordnung 883/2004 folgt. Hinsichtlich Leistungen, die - wie solche bei Arbeitslosigkeit (Art. 3 Abs. 1 lit. h und Art. 61 ff Verordnung 883/2004) - in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, sind nach dieser Bestimmung die Rechtswirkungen in den Blick zu nehmen, die bestimmte (in anderen Mitgliedstaaten der Union verwirklichte) Sachverhalte oder Ereignisse nach nationalen Vorschriften haben. Zu prüfen ist vom nationalen Träger somit, ob im Sinn von Art. 5 lit. b Verordnung 883/2004 der Eintritt eines Sachverhaltes in einem anderen Mitgliedstaat nachgewiesen ist, der nach österreichischen Rechtsvorschriften Rechtswirkungen - hier die Erstreckung der Rahmenfrist - hat (vgl. SJ, C-769/18, insbesondere Rn. 45 und 52). |
Normen | EURallg 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art5 litb 62013CA0523 Larcher VORAB 62018CJ0398 Bocero Torrico und Bode VORAB 62018CJ0769 SJ VORAB |
RS 10 | Der Grundsatz der Gleichstellung von Sachverhalten, wie er in Art. 5 lit. b Verordnung 883/2004 geregelt ist, steht sowohl offenkundigen als auch versteckten Diskriminierungen insbesondere von Personen entgegen, die als Arbeitnehmer von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, soweit die Unterscheidungen nicht objektiv gerechtfertigt sind und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Insoweit hat der EuGH darauf hingewiesen, dass es den verschiedenen Systemen der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten immanent ist, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Leistung in den Mitgliedstaaten unterschiedlich geregelt sind. Es ist eine vergleichende Prüfung erforderlich, ob allfällige Unterscheidungen gerechtfertigt sind (vgl. Larcher, C-523/13; siehe dazu, dass Art. 5 Verordnung 883/2004 unter Beachtung des Inhalts und des Geistes der Judikatur des EuGH ausgeformt wurde, Bocero Torrico und Bode, C-398/18 und C-428/18, Rn. 29; SJ, C-769/18, Rn. 42). |
Normen | AlVG 1977 §15 EURallg 11997E039 EG Art39 Abs2 11997E042 EG Art42 12010E045 AEUV Art45 Abs2 12010E048 AEUV Art48 31971R1408 WanderarbeitnehmerV 62000CJ0290 Duchon VORAB |
RS 11 | Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung zur Verordnung 1408/71 zum Ausdruck gebracht, dass sich auch hinsichtlich der Berücksichtigung von Zeiten für eine Rahmenfrist das Erfordernis der Gleichstellung von Sachverhalten bereits aus Art. 39 Abs. 2 und 42 EG-Vertrag (nunmehr Art. 48 und 45 Abs. 2 AEUV) ergibt und dieser Grundsatz gebietet, dass der Eintritt von Tatsachen oder Umständen, die zu einer Verlängerung der Rahmenfrist führen, auch zu berücksichtigen sind, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat eintreten ( Duchon, C-290/00). |
Normen | |
RS 12 | Der Sachverhalt, an den § 15 Abs. 5 AlVG die Erstreckung der Rahmenfrist knüpft, ist nicht die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit, sondern das Eintreten einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung bzw. die Pflichtmitgliedschaft in einer Kammer, für die nach § 5 GSVG in Hinblick auf ein eigenes (verpflichtendes) System der Alterssicherung eine Ausnahme von der Pflichtversicherung nach dem GSVG vorgesehen ist. Verbunden damit ist jeweils die Verpflichtung zur Leistung von Pensionsversicherungsbeiträgen. Diesen Tatbeständen jedenfalls gleichzuhalten sind Zeiten der selbständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat, die dort mit dem Erwerb von Versicherungszeiten in einem auf die Gewährung von Leistungen bei Alter ausgerichteten Zweig der sozialen Sicherheit (Art. 3 Abs. 1 lit. d Verordnung 883/2004) verbunden sind, soweit diese Zeiten nicht ohnehin für die Anwartschaft nach § 14 Abs. 1 AlVG zu berücksichtigen sind. Die bloße Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit ohne Einbindung in ein System der Alterssicherung ist kein Sachverhalt, der demjenigen des § 15 Abs. 5 AlVG als gleich anzusehen ist, zumal auch in Österreich nicht alle selbständig Erwerbstätigen von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung (bzw. einer Ausnahme nach § 5 GSVG) erfasst werden. |
Normen | EURallg 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art1 litt 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art1 litu 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art61 Abs1 |
RS 13 | Art. 61 Abs. 1 Verordnung 883/2004 sieht bei der Beurteilung des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit durch den zuständigen Mitgliedstaat die Zusammenrechnung von in verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegten Zeiten vor. Die Differenzierung der Bestimmung zwischen "Versicherungszeiten", "Beschäftigungszeiten" und "Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit" hat ihre Grundlage darin, dass in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten jeweils unterschiedliche Zeiten als anspruchsrelevant festgelegt sind. Die verwendeten Begriffe sind durch das Unionsrecht selbst in Art. 1 lit. t und u Verordnung 883/2004 definiert. Nach diesen Definitionen richtet sich die Qualifikation der Zeiten nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind. |
Normen | |
RS 14 | In Österreich setzt nach § 14 Abs. 1 AlVG die erstmalige Inanspruchnahme sowie nach § 14 Abs. 2 AlVG auch jede weitere Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld ein bestimmtes Ausmaß arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung in einer Rahmenfrist voraus. Der Leistungsanspruch ist im Sinn des Art. 61 Abs. 1 zweiter Satz Verordnung 883/2004 somit von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig (vgl. idS ). Für die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld sind daher nach Art. 61 Abs. 1 erster Satz Verordnung 883/2004 zunächst jedenfalls alle in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten zu berücksichtigen, wozu nach der Definition des Art. 1 lit. t Verordnung 883/2004 auch gleichgestellte Zeiten zählen. Die Zusammenrechnung hat dabei unabhängig davon zu erfolgen, ob diese Zeiten nach österreichischem Recht Versicherungszeiten oder diesen gleichgestellte Zeiten gewesen wären. Ebenso zu berücksichtigen sind gemäß Art. 61 Abs. 1 zweiter Satz Verordnung 883/2004 nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zurückgelegte Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach Art. 1 lit. u Verordnung 883/2004, soweit sie nach österreichischen Vorschriften als Versicherungszeiten gegolten hätten. |
Normen | EURallg 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art4 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art5 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art61 62002CJ0372 Adanez-Vega VORAB |
RS 15 | Die Regeln der Gleichbehandlung nach Art. 4 Verordnung 883/2004 (ebenso wie die Regeln der Gleichstellung nach Art. 5 Verordnung 883/2004) kommen nur zur Anwendung, sofern in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist. Hinsichtlich der Zusammenrechnung bzw. Berücksichtigung von im Unionsausland zurückgelegten Zeiten enthält die Verordnung 883/2004 eigene Anordnungen, die dem Gleichbehandlungsgebot nach Art. 4 Verordnung 883/2004 (und dem Gleichstellungsgebot nach Art. 5 Verordnung 883/2004) vorgehen (vgl. Adanez-Vega, C-372/02, Rn. 56 ff; sowie darauf Bezug nehmend ). |
Normen | EURallg 32009R0987 Koordinierung Soziale Sicherheit DV Art5 62016CJ0527 Alpenrind VORAB |
RS 16 | Nach Art. 5 Verordnung 987/2009 vom Träger eines Mitgliedstaats ausgestellte Dokumente, in denen der Status einer Person für die Zwecke der Anwendung der Grundverordnung und der Durchführungsverordnung für andere Mitgliedstaaten bescheinigt wird, sind grundsätzlich bindend (vgl. zur Bindung nach Art. 5 Verordnung 987/2009 hinsichtlich aufgrund von Art. 12 Abs. 1 Verordnung 883/2004 ausgestellten A1-Bescheinigungen Alpenrind, C-527/16; sowie zu von Trägern anderer Mitgliedstaaten für die Zusammenrechnung nach Art. 6 Verordnung 883/2004 mitgeteilten Zeiten den Beschluss H6 der Verwaltungskommission vom ). |
Normen | EURallg 32009R0987 Koordinierung Soziale Sicherheit DV Art5 Abs1 62016CJ0527 Alpenrind VORAB |
RS 17 | Ein nationaler Bescheid stellt kein Dokument dar, in dem der Status der betreffenden Person im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Verordnung 987/2009 "bescheinigt" wird (vgl. Alpenrind, C-527/16, Rn. 75). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, über die Revision des M B in R, vertreten durch die Puttinger Vogl Rechtsanwälte OG in 4910 Ried/Innkreis, Claudistraße 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , L525 2238584-1/13E, betreffend Arbeitslosengeld (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Braunau), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom wies die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Braunau (AMS) den Antrag des Revisionswerbers auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld vom mangels Erfüllung der Anwartschaft ab.
2 In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde brachte der Revisionswerber unter Berufung auf § 14 Abs. 5 AlVG und die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (in der Folge: Verordnung 883/2004) vor, seine in Deutschland zurückgelegten Zeiten selbständiger Erwerbstätigkeit seien zu Unrecht nicht für die Anwartschaft berücksichtigt worden. Auch komme es im Sinn von § 15 Abs. 8 AlVG durch diese Zeiten zu einer Erstreckung der Rahmenfrist.
3 Das AMS teilte dem Revisionswerber daraufhin mit, die Zeiten seiner selbständigen Erwerbstätigkeit in Deutschland könnten in Österreich nur dann „als Pensionsversicherungszeiten anerkannt“ werden (Anmerkung: gemeint offensichtlich hinsichtlich einer Erstreckung der Rahmenfrist nach § 15 Abs. 5 AlVG), sofern für diese Erwerbstätigkeit in Deutschland eine Rentenversicherung bestanden habe und auch tatsächlich entsprechende Beiträge an den zuständigen deutschen Sozialversicherungsträger entrichtet worden seien. Da der Revisionswerber jedoch bereits gegenüber dem AMS bekannt gegeben habe, dass er für seine selbständige Erwerbstätigkeit in Deutschland keine „Rentenversicherung abgeschlossen“ habe, könnten diese Zeiten in Österreich auch nicht als Pensionsversicherungszeiten anerkannt werden. Sollte er anderer Meinung sein, werde um Übermittlung einer Bestätigung des zuständigen deutschen Sozialversicherungsträgers über den Bestand einer Rentenversicherung sowie hinsichtlich der dafür entrichteten Beiträge ersucht.
4 Mit E-Mail vom verwies der Revisionswerber darauf, dass er sich bereits mit beim AMS arbeitssuchend gemeldet, aber in Hinblick auf seine damalige selbständige Tätigkeit in Deutschland keinen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt habe und brachte vor, die in Deutschland zurückgelegten Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit seien für die von Österreich als Wohnmitgliedstaat zu erbringende Leistung so zu berücksichtigen, als wären sie nach österreichischen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden. Im Weiteren stehe ihm aufgrund der eintretenden Rahmenfristerstreckung Arbeitslosengeld zu.
5 Unter einem legte der Revisionswerber einen Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See vom vor, in dem ausgesprochen wurde, nach § 2 Satz 1 des (deutschen) Sozialgesetzbuchs - Sechstes Buch (SGB VI) seien selbständig Tätige zwar unter bestimmten Voraussetzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen bestehe von bis jedoch keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die vom Revisionswerber als Geschäftsführer der U GmbH ausgeübte Erwerbstätigkeit. Eine Entscheidung über das Vorliegen einer Versicherungspflicht als abhängig Beschäftigter nach § 1 SGB VI werde hiermit nicht getroffen. Dem Bescheid schloss die Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See die Mitteilung an den Revisionswerber an, es stehe ihm noch bis zum offen, für das Jahr 2020 freiwillig Beiträge zur Rentenversicherung zu leisten.
6 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das AMS die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab. In seiner Begründung führte es aus, es komme durch die Zeiten, in denen der Revisionswerber sich als arbeitssuchend gemeldet habe, zu einer Verlängerung der Rahmenfrist um 361 Tage. Die Rahmenfrist erstrecke sich daher auf den Zeitraum bis zur Antragstellung am . Unter Berücksichtigung der unselbständigen Erwerbstätigkeit in Deutschland im Jahr 2017 ergäben sich daraus 73 für die Anwartschaft zu berücksichtigende Tage. Die für den Anspruch erforderlichen 52 Wochen der Arbeitslosenversicherung seien damit nicht erfüllt. Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag.
7 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für zulässig.
8 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber sei österreichischer Staatsbürger und seit dem Jahr 2007 durchgehend in Österreich wohnhaft. Von bis sei er in Österreich einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen, die der Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung unterlegen sei.
9 Der Revisionswerber sei Geschäftsführer und Gesellschafter der am gegründeten U GmbH mit Sitz in Deutschland (an einem in der Nähe zur österreichischen Grenze gelegenen Ort) gewesen. Er habe zunächst 26 % des Stammkapitals dieses Unternehmens gehalten. Ab sei er - infolge Übertragung aller anderen Gesellschaftsanteile - alleiniger Gesellschafter gewesen. In seiner Funktion als Geschäftsführer sei er zunächst von bis als Angestellter der U GmbH in Deutschland der (gesetzlichen) Versicherung unterlegen. Ab sei er als Geschäftsführer „im Rahmen einer selbständigen Erwerbstätigkeit tätig“ gewesen. Am sei der Revisionswerber infolge Auflösung der U GmbH zum Liquidator des Unternehmens bestellt worden. Am sei die Löschung der U GmbH aus dem Handelsregister erfolgt.
10 Aus dem Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See ergebe sich, dass die vom Revisionswerber vom bis zur Geltendmachung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld am ausgeübte selbständige Tätigkeit als Geschäftsführer der U GmbH nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlegen sei. Der Revisionswerber sei in dieser Zeit nicht freiwillig versichert gewesen und habe auch keine Versicherungsbeiträge geleistet.
11 Für die Zeiträume 1. bis , bis sowie bis habe sich der Revisionswerber beim AMS als arbeitssuchend gemeldet.
12 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Revisionswerber sei in Österreich wohnhaft und während seiner Tätigkeit für die U GmbH ein Grenzgänger im Sinn von Art. 1 lit. f Verordnung 883/2004 gewesen. Er unterliege daher nach Art. 65 Abs. 5 lit. a iVm. Art. 11 Verordnung 883/2004 hinsichtlich der Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit österreichischen Rechtsvorschriften. Die Berücksichtigung von in Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten für die Anwartschaft richte sich nach Art. 61 Abs. 1 Verordnung 883/2004. In Österreich werde durch Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit - abgesehen von einer freiwilligen Versicherung nach § 3 AlVG und der Entrichtung von Beiträgen für diese - keine Anwartschaft in der Arbeitslosenversicherung begründet. Daher sei auch die keiner Pflichtversicherung oder freiwilligen Versicherung unterliegende Zeit der selbständigen Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers in Deutschland für die Anwartschaft nicht zu berücksichtigen. Zu prüfen sei, ob die selbständige Erwerbstätigkeit in Deutschland zu einer Erstreckung der Rahmenfrist nach § 15 Abs. 5 oder Abs. 8 AlVG führe. Art. 61 Verordnung 883/2004 sei aber kein zwischenstaatliches Abkommen in der Pensionsversicherung im Sinn von § 15 Abs. 8 AlVG. Dagegen komme wohl der Grundsatz der Gleichstellung von Sachverhalten nach Art. 5 Verordnung 883/2004 zur Anwendung. Die selbständige Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers sei aber auch in Deutschland nicht der Pflichtversicherung oder der freiwilligen Versicherung in der Pensions- bzw. Rentenversicherung - wie dies von § 15 Abs. 5 AlVG für die Erstreckung der Rahmenfrist verlangt werde - unterlegen. Eine Erstreckung der Rahmenfrist trete daher auch nach § 15 Abs. 5 AlVG nicht ein.
13 Nach § 14 Abs. 1 AlVG reiche die Rahmenfrist 24 Monate vom Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs am zurück. Die Zeit, in der der Revisionswerber beim AMS arbeitssuchend gemeldet gewesen sei, sei als die Rahmenfrist erstreckend zu erachten. Auch unter Berücksichtigung dessen erfülle der Revisionswerber aber nicht die erforderlichen 52 Wochen einer Anwartschaft nach § 14 Abs. 1 AlVG. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld sei vom AMS daher zu Recht abgewiesen worden.
14 Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage fehle, ob in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zurückgelegte Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit, für die weder eine Pflichtversicherung noch eine freiwillige Versicherung bestanden habe, als anwartschaftsbegründende Zeiten im Sinn von § 14 Abs. 5 AlVG iVm. Art. 61 Abs. 1 Verordnung 883/2004 zu berücksichtigen seien. Auch liege keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vor, ob durch solche Zeiten gemäß § 15 Abs. 8 AlVG iVm. Art. 5 Verordnung 883/2004 die Rahmenfrist erstreckt werde.
15 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene ordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:
16 Die Revision, die sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit auf die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts stützt, ist aus den genannten Gründen zulässig. Im Ergebnis ist die Revision auch berechtigt.
Zur Frage der Befangenheit des fachkundigen Laienrichters LZ
17 Mit Schreiben vom teilte das Bundesverwaltungsgericht mit, nach Abfertigung des angefochtenen Erkenntnisses habe sich ergeben, dass der Laienrichter LZ, der dem in der Sache entscheidenden Senat (vgl. § 56 Abs. 2 AlVG) angehört habe, im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber dem Revisionswerber eine Rechtsberatung durchgeführt habe. Die diesbezügliche Korrespondenz werde vorgelegt.
18 Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass sich der Revisionswerber mit E-Mail vom an die Wirtschaftskammer Oberösterreich (WKO) wandte und um rechtliche Einschätzung des Bescheides des AMS vom ersuchte. Der Laienrichter LZ entgegnete als Angestellter der WKO mit E-Mails vom 10. und , nach einer Prüfung der Rechtsgrundlagen - nämlich § 15 Abs. 5 und 8 AlVG - ergebe sich, dass eine Erstreckung der Rahmenfrist eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung voraussetze. Da der Revisionswerber einer solchen weder im Inland noch im Ausland unterlegen sei, sei der Bescheid des AMS „leider als korrekt“ zu erachten und werde einem Rechtsmittel keine „allzu große Erfolgsaussicht“ eingeräumt. Auch aus der Verordnung 883/2004 sei „kein direkter Rechtsanspruch“ aus der Arbeitslosenversicherung abzuleiten. Aufgrund der folgenden schriftlichen Mitteilung des Revisionswerbers, dass er von einem „Sozialrechts-Professor“ eine „andere Information“ erhalten habe, entgegnete der Laienrichter mit E-Mail vom , dieser Argumentation sei wohl „durchaus etwas abzugewinnen“. Die WKO halte jedoch ihre Rechtsansicht aufrecht. Es liege letztlich am Revisionswerber, ob er ein Rechtsmittel ergreife.
19 Mit E-Mail vom legte der Laienrichter dem Bundesverwaltungsgericht seine Korrespondenz mit dem Revisionswerber vor und teilte mit, er habe in Hinblick auf das Verstreichen eines Zeitraums von etwa zwei Jahren bei seiner Tätigkeit als Laienrichter keinen Zusammenhang mit seinen Äußerungen als Rechtsberater hergestellt. Er habe bei seiner Aufgabe als Laienrichter „absolut unbefangen und nach bestem Gewissen agiert.“
20 Das Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts und die vorgelegten Unterlagen wurden den Parteien vom Verwaltungsgerichtshof zur Kenntnis und allfälligen Stellungnahme übermittelt. Der Revisionswerber brachte darauf mit Schriftsatz vom vor, es sei im Sinn von § 7 Abs. 1 Z 3 AVG eine Befangenheit des Laienrichters LZ gegeben, weil dieser in der Korrespondenz mit dem Revisionswerber zum Ausdruck gebracht habe, dass die Entscheidung des AMS inhaltlich korrekt gewesen wäre.
21 Nach § 6 VwGVG haben sich Mitglieder des Verwaltungsgerichtes, fachkundige Laienrichter und Rechtspfleger unter Anzeige an den Präsidenten der Ausübung ihres Amtes „wegen Befangenheit“ zu enthalten. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine allfällige Befangenheit von Amts wegen wahrzunehmen, ein Ablehnungsrecht der Parteien besteht diesbezüglich nicht. Eine Verletzung des § 6 VwGVG begründet jedoch eine Rechtswidrigkeit der getroffenen Entscheidung infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und hat bei Zulässigkeit der Revision zur Aufhebung der Entscheidung aus diesem Grunde zu führen (vgl. etwa ).
22 Das Wesen der Befangenheit liegt darin, dass die unparteiische Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive gehemmt wird (vgl. etwa , mwN). Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass sachliche Differenzen für sich genommen nicht zur Befangenheit eines Organwalters (bzw. eines Richters eines Verwaltungsgerichts) führen. In dem Umstand, dass sich die Rechtsansicht eines Organwalters nicht mit jener der Partei deckt, ist daher grundsätzlich keine Befangenheit zu erblicken. Der Anschein einer Befangenheit wird somit noch nicht damit begründet, dass ein Organwalter eine gewisse Rechtsmeinung vertritt. Sinn und Zweck der Ablehnung wegen Besorgnis einer Befangenheit ist nämlich nicht die Abwehr einer unrichtigen Rechtsauffassung des Organwalters. Die Richtigkeit oder Unrichtigkeit seiner Entscheidung ist vielmehr durch die Rechtsmittelinstanzen zu überprüfen und grundsätzlich keine Angelegenheit des Ablehnungsverfahrens (vgl. , mwN). Im Übrigen bedarf es für die Annahme einer Befangenheit konkreter Umstände, welche die Objektivität des Entscheidungsträgers in Frage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist. Nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, können seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen (, mwN).
23 Im vorliegenden Fall trifft es zu, dass LZ - wie vom Revisionswerber geltend gemacht - im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit eine vom Revisionswerber abweichende Rechtsmeinung in der gegenständlichen Angelegenheit vertreten hat. Im Sinn der dargestellten Rechtsprechung ergibt sich aber allein daraus noch keine Befangenheit. Hinweise darauf, dass LZ in seiner Tätigkeit als Laienrichter nicht bereit gewesen wäre, die beinahe zwei Jahre zuvor im Zuge einer Rechtsberatung geäußerte Ansicht einer Überprüfung zu unterziehen, liegen nicht vor, zumal der Laienrichter sich schon damals auch gegenüber der gegenteiligen Ansicht offen gezeigt hatte.
In der Sache anzuwendende Bestimmungen
24 § 3 Abs. 1, 2 und 4, § 7 Abs. 1, § 14 Abs. 1, 2, 4, 5 und 8, § 15 Abs. 1, 5 und 8 sowie § 81 Abs. 10 AlVG lauten auszugsweise:
„Arbeitslosenversicherung selbständig Erwerbstätiger
§ 3. (1) Erwerbstätige Personen, die auf Grund einer Erwerbstätigkeit der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG unterliegen oder gemäß § 5 GSVG von dieser Pflichtversicherung ausgenommen sind, können nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen in die Arbeitslosenversicherung einbezogen werden, wenn diese nicht auf Grund ihres Lebensalters gemäß § 1 Abs. 2 lit. e von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommen sind.
(2) Personen, die die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen, werden in die Arbeitslosenversicherung einbezogen, wenn sie fristgerecht ihren Eintritt in die Arbeitslosenversicherung erklären. [...]
(4) Personen, die den Eintritt in die Arbeitslosenversicherung erklären, haben eine der gemäß § 2 AMPFG zur Auswahl stehenden Beitragsgrundlagen auszuwählen. [...]
§ 7. (1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer
1. [...]
2. [...] die Anwartschaft erfüllt und
3. [...]
Anwartschaft
§ 14. (1) Bei der erstmaligen Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. [...]
(2) Bei jeder weiteren Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 12 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 28 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Die Anwartschaft ist im Falle einer weiteren Inanspruchnahme auch dann erfüllt, wenn der Arbeitslose die Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 erster Satz erfüllt.
(4) Auf die Anwartschaft sind folgende im Inland zurückgelegte oder auf Grund inländischer Rechtsvorschriften erworbene Zeiten anzurechnen:
a) Zeiten, die der Arbeitslosenversicherungspflicht unterlagen, sowie sonstige Zeiten der Versicherung in der Arbeitslosenversicherung;
b) bis g) [...]
(5) Ausländische Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten sind auf die Anwartschaft anzurechnen, soweit dies durch zwischenstaatliche Abkommen oder internationale Verträge geregelt ist.
(8) Sonstige Zeiten der Versicherung in der Arbeitslosenversicherung gemäß Abs. 4 lit. a sind auf die Anwartschaft nur anzurechnen, soweit für diese Beiträge entrichtet wurden.
§ 15. (1) Die Rahmenfrist (§ 14 Abs. 1 bis 3) verlängert sich um höchstens fünf Jahre um Zeiträume, in denen der Arbeitslose im Inland
1. [...];
2. arbeitsuchend bei der regionalen Geschäftsstelle gemeldet gewesen ist, [...]
3. bis 13. [...]
(5) Die Rahmenfrist verlängert sich um Zeiträume einer der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegenden oder gemäß § 5 GSVG von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung ausgenommenen Erwerbstätigkeit, wenn davor mindestens fünf Jahre arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung liegen. In den übrigen Fällen verlängert sich die Rahmenfrist um höchstens fünf Jahre um Zeiträume einer der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegenden oder gemäß § 5 GSVG von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung ausgenommenen Erwerbstätigkeit.
(8) Die Rahmenfrist verlängert sich um Zeiträume einer Erwerbstätigkeit im Ausland, die auf Grund eines zwischenstaatlichen Abkommens in der Pensionsversicherung zu berücksichtigen sind, wenn davor mindestens fünf Jahre arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung liegen. In den übrigen Fällen verlängert sich die Rahmenfrist um höchstens fünf Jahre um Zeiträume einer Erwerbstätigkeit im Ausland, die auf Grund eines zwischenstaatlichen Abkommens in der Pensionsversicherung zu berücksichtigen sind.
Übergangsrecht
§ 81. [...]
(10) Für Personen, die vor dem sowohl Versicherungszeiten in der Arbeitslosenversicherung erworben haben als auch Zeiträume einer krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach dem GSVG oder BSVG aufweisen, verlängert sich die Rahmenfrist um Zeiträume einer krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach dem GSVG oder BSVG.“
25 Art. 1 lit. b), t) und u), Art. 5 und Art. 61 Abs. 1, Art. 65 Abs. 2 und 5 lit. a und Art. 65a Abs. 1 Verordnung 883/2004 haben samt Überschriften auszugsweise folgenden Wortlaut:
„Art. 1
Definitionen
[...]
b) ‚selbstständige Erwerbstätigkeit‘ jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;
t) ‚Versicherungszeiten‘ die Beitragszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt sind;
u) ‚Beschäftigungszeiten‘ oder ‚Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit‘ die Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind, als solche bestimmt oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Beschäftigungszeiten oder den Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichwertig anerkannt sind;
Artikel 5
Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten oder Ereignissen
Sofern in dieser Verordnung nicht anderes bestimmt ist, gilt unter Berücksichtigung der besonderen Durchführungsbestimmungen Folgendes:
a) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen, so sind die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar.
b) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären.
Artikel 61
Besondere Vorschriften für die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit
(1) Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung, das Wiederaufleben oder die Dauer des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit abhängig ist, berücksichtigt, soweit erforderlich, die Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als ob sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären.
Ist jedoch nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften der Leistungsanspruch von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig, so werden die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nicht berücksichtigt, es sei denn, sie hätten als Versicherungszeiten gegolten, wenn sie nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären.
Artikel 65
Arbeitslose, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt haben
(2) Eine vollarbeitslose Person, die während ihrer letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat und weiterhin in diesem Mitgliedstaat wohnt oder in ihn zurückkehrt, muss sich der Arbeitsverwaltung des Wohnmitgliedstaats zur Verfügung stellen. [...]
(5) a) Der in Absatz 2 Sätze 1 und 2 genannte Arbeitslose erhält Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, als ob diese Rechtsvorschriften für ihn während seiner letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gegolten hätten. Diese Leistungen werden von dem Träger des Wohnorts gewährt.
Artikel 65a
Besondere Bestimmungen für vollarbeitslose selbständig erwerbstätige Grenzgänger, sofern in dem Wohnmitgliedstaat für selbständig Erwerbstätige kein System der Leistungen bei Arbeitslosigkeit besteht
(1) Abweichend von Artikel 65 hat sich eine vollarbeitslose Person, die als Grenzgänger zuletzt in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Wohnmitgliedstaat Versicherungszeiten als Selbständiger oder Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit zurückgelegt hat, die für die Zwecke der Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit anerkannt werden, und deren Wohnmitgliedstaat gemeldet hat, dass für keine Kategorie von Selbständigen ein System der Leistungen bei Arbeitslosigkeit dieses Mitgliedstaats besteht, bei der zuständigen Arbeitsverwaltung in dem Mitgliedstaat, in dem sie zuletzt eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, anzumelden und sich zu ihrer Verfügung zu stellen sowie, wenn sie Leistungen beantragt, ununterbrochen die Voraussetzungen der Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats zu erfüllen. [...]“
26 Art. 5 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 54 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (in der Folge: Verordnung 987/2009) lauten samt Überschriften:
„Artikel 5
Rechtswirkung der in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Dokumente und Belege
(1) Vom Träger eines Mitgliedstaats ausgestellte Dokumente, in denen der Status einer Person für die Zwecke der Anwendung der Grundverordnung und der Durchführungsverordnung bescheinigt wird, sowie Belege, auf deren Grundlage die Dokumente ausgestellt wurden, sind für die Träger der anderen Mitgliedstaaten so lange verbindlich, wie sie nicht von dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgestellt wurden, widerrufen oder für ungültig erklärt werden.
Art. 12 (1) Bei der Anwendung von Artikel 6 der Grundverordnung wendet sich der zuständige Träger an die Träger der Mitgliedstaaten, deren Rechtsvorschriften für die betroffene Person ebenfalls gegolten haben, um sämtliche Zeiten zu bestimmen, die der Versicherte nach deren Rechtsvorschriften zurückgelegt hat.
Art. 54
Zusammenrechnung der Zeiten und Berechnung der Leistungen
(1) Artikel 12 Absatz 1 der Durchführungsverordnung gilt entsprechend für Artikel 61 der Grundverordnung. Unbeschadet der daneben fortbestehenden Pflichten der beteiligten Träger kann die betroffene Person dem zuständigen Träger ein Dokument vorlegen, das von dem Träger des Mitgliedstaats ausgestellt wurde, dessen Rechtsvorschriften die betroffene Person während ihrer letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit unterlag, und in dem die Zeiten bescheinigt sind, die nach diesen Rechtsvorschriften zurückgelegt wurden.“
Überblick - Selbständig Erwerbstätige in der österreichischen Arbeitslosenversicherung
27 In § 3 AlVG ist seit der AlVG-Novelle BGBl. I Nr. 104/2007 für Personen, die aufgrund einer Erwerbstätigkeit der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG unterliegen oder gemäß § 5 GSVG von dieser Pflichtversicherung ausgenommen sind, die Möglichkeit zur Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung vorgesehen. Die Versicherung in der Arbeitslosenversicherung tritt dabei nicht ex lege ein, sondern setzt nach § 3 Abs. 2 erster Satz AlVG eine Eintrittserklärung („Opting-in“) - innerhalb der in § 3 Abs. 3 AlVG näher bezeichneten Frist - voraus. Rechtsfolge des Opting-in ist die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung nach § 2 Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz (vgl. Pfeil in AlV-Komm [68. Lfg.] § 3 Rz 7).
28 Die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG - im Sinn von § 1 GSVG die Pflichtversicherung der selbständig Erwerbstätigen -, an die § 3 AlVG anknüpft, setzt die Erfüllung eines Versicherungstatbestandes nach § 2 GSVG (Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung) oder nach § 3 Abs. 3 GSVG (Teilversicherung in der Pensionsversicherung) voraus. Ebenso der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG unterliegen gemäß § 2 Abs. 1 FSVG natürliche Personen, auf die als Mitglieder bestimmter Kammern das FSVG Anwendung findet (vgl. Pfeil in AlV-Komm [68. Lfg.] § 3 Rz 3).
29 Die in § 3 AlVG angesprochene Ausnahme von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach § 5 GSVG betrifft Personengruppen, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer gesetzlichen beruflichen Vertretung (Kammer) und aufgrund der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG Anspruch auf Leistungen haben, die den Leistungen nach diesem Bundesgesetz gleichartig oder zumindest annähernd gleichwertig sind, und die daher mit Verordnung (vgl. zu Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten BGBl. II Nr. 522/2004) von der Pflichtversicherung nach dem GSVG ausgenommen wurden.
30 Hinsichtlich der auf die Anwartschaft anzurechnenden Zeiten unterscheidet § 14 Abs. 4 lit. a AlVG zwischen Zeiten, die der Arbeitslosenversicherungspflicht unterlagen, und sonstigen Zeiten der Versicherung in der Arbeitslosenversicherung. Derartige „sonstige Zeiten“ sind Zeiträume der Versicherung nach § 3 AlVG. Ihre Berücksichtigung setzt nach § 14 Abs. 8 AlVG (zusätzlich zur Zugehörigkeit zum von § 3 erfassten Personenkreis und einer wirksamen Eintrittserklärung) auch voraus, dass die geschuldeten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung tatsächlich entrichtet wurden (vgl. Pfeil in AlV-Komm [40. Lfg.] § 14 Rz 20).
31 In § 15 Abs. 5 AlVG ist eine Verlängerung der Rahmenfrist - nach den dort näher bezeichneten Maßgaben entweder unbegrenzt oder nur für höchstens fünf Jahre - für Zeiträume einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung oder einer Ausnahme von der Pflichtversicherung nach § 5 GSVG vorgesehen. Unter Beachtung, dass anwartschaftsbegründende Zeiten gemäß § 15 Abs. 7 AlVG nicht mehr zur Rahmenfristerstreckung herangezogen werden können, die die Rahmenfrist erstreckenden Zeiten also subsidiär sind (vgl. näher , mwN), werden auch mit § 15 Abs. 5 AlVG nur Zeiten angesprochen, die nicht der Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegen oder als sonstige Zeiten der Versicherung in der Arbeitslosenversicherung nach § 3 AlVG im Sinn von § 14 Abs. 4 lit. a und Abs. 8 AlVG auf die Anwartschaft anzurechnen sind.
32 § 15 Abs. 5 AlVG erstreckt sich somit zunächst auf die bereits von § 3 AlVG angesprochenen Zeiträume einer Pflichtversicherung nach dem GSVG bzw. der Ausnahme nach § 5 GSVG, soweit ein Eintritt in die Arbeitslosenversicherung und damit die Berücksichtigung für die Anwartschaft nicht erfolgt ist. § 15 Abs. 5 AlVG geht insoweit aber über § 3 Abs. 1 AlVG hinaus, als neben einer Pflichtversicherung nach dem GSVG auch andere Zeiten der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung erfasst werden, in denen nicht gleichzeitig eine Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung eingetreten ist. Das betrifft insbesondere selbständig erwerbstätige Personen, die aufgrund ihrer Tätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft der Pensionsversicherung nach dem BSVG unterliegen, sowie auch die in § 4 Abs. 1 ASVG genannten nach dem ASVG pflichtversicherten Personen, die - anders als insbesondere Dienstnehmer, Lehrlinge und Heimarbeiter - nicht nach § 1 AlVG arbeitslosenversichert sind.
33 Weder von der Möglichkeit zum Eintritt in die Arbeitslosenversicherung nach § 3 AlVG noch von der Rahmenfristerstreckung nach § 15 Abs. 5 AlVG erfasst werden dagegen insbesondere selbständig Erwerbstätige, die gemäß § 4 GSVG von der Pflichtversicherung nach dem GSVG ausgenommen sind. Das betrifft unter anderem gemäß § 4 Abs. 1 Z 5 AlVG die (große) Gruppe der Selbständigen nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG, die durch ihre Tätigkeit keine die Versicherungsgrenze übersteigenden Einkünfte erzielen, wobei ihnen aber die Möglichkeit offensteht, durch Abgabe einer Versicherungserklärung in die Pflichtversicherung nach dem GSVG einbezogen zu werden (vgl. zu den Rechtswirkungen der Versicherungserklärung etwa , mwN).
34 Im Weiteren sieht die durch die AlVG-Novelle BGBl. I Nr. 104/2007 eingeführte Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 10 AlVG eine Erstreckung der Rahmenfrist auch für Zeiträume einer krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach dem GSVG oder BSVG vor. Voraussetzung ist, dass vor dem sowohl Versicherungszeiten in der Arbeitslosenversicherung als auch Zeiträume einer krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach dem GSVG oder BSVG vorliegen.
Zuständigkeit Österreichs für den Anspruch des Revisionswerbers auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit
35 Der Revisionswerber hatte nach den unbestrittenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts während seiner Erwerbstätigkeit in Deutschland - sowohl als Angestellter der U GmbH von bis als auch während der darauffolgenden selbständigen Tätigkeit als Geschäftsführer desselben Unternehmens - sowie auch weiterhin nach Aufgabe einer Erwerbstätigkeit seinen Wohnort (Art. 1 lit. j Verordnung 883/2004) in Österreich und war während seiner Tätigkeit in Deutschland ein (echter) Grenzgänger nach Art. 1 lit. f Verordnung 883/2004.
36 Ausgehend davon trifft es zu, dass der Revisionswerber - wie vom Bundesverwaltungsgericht sowie beiden Parteien angenommen - sich nach Art. 65 Abs. 2 Verordnung 883/2004 der Arbeitsmarktverwaltung Österreichs zur Verfügung zu stellen hatte und gemäß Art. 65 Abs. 5 lit. a Verordnung 883/2004 Arbeitslosenunterstützung nach den Rechtsvorschriften Österreichs als Wohnmitgliedstaat, als ob diese Rechtsvorschriften für ihn während seiner letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit gegolten hätten, in Anspruch nehmen konnte (vgl. näher zu den rechtlichen Grundlagen ).
37 Auch aus Art. 65a Abs. 1 Verordnung 883/2004 ergibt sich nichts anderes. Diese Bestimmung sieht eine von Art. 65 Abs. 2 und Abs. 5 lit. a Verordnung 883/2004 abweichende Zuständigkeit vor, wenn eine vollarbeitslose Person einerseits in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Wohnmitgliedstaat Versicherungszeiten als Selbständiger oder Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit zurückgelegt hat, die für die Zwecke der Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit anerkannt werden, andererseits aber ihr Wohnmitgliedstaat gemeldet hat, dass für keine Kategorie von Selbständigen ein System der Leistungen bei Arbeitslosigkeit dieses Mitgliedstaats besteht. In diesem Fall wird eine Zuständigkeit des Staates, in dem zuletzt eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde, begründet. Zweck der Regelung ist es zu verhindern, dass Selbständige, die als Grenzgänger im Staat ihrer Beschäftigung für Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu berücksichtigende Zeiten erworben haben, durch die in Art. 65 Abs. 5 lit. a Verordnung 883/2004 festgelegte Zuständigkeit des Wohnmitgliedstaats, soweit dieser über kein Arbeitslosenversicherungssystem für Selbständige verfügt, ohne Schutz bei Arbeitslosigkeit wären (vgl. Fuchs in Fuchs/Janda8 [2022] EuSozR Art. 65a Rn 1).
38 Österreich - der Wohnmitgliedstaat des Revisionswerbers - hat gegenüber der Europäischen Kommission im Sinn von Art. 9 und Art. 65a Abs. 1 Verordnung 883/2004 gemeldet, dass das österreichische Recht für Selbständige die Möglichkeit vorsieht, von dem System der Leistungen bei Arbeitslosigkeit Gebrauch zu machen und insoweit auf § 3 AlVG verwiesen (vgl. Spiegel in Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [74. Lfg.], Anlage 4; siehe auch die Veröffentlichung der österreichischen Mitteilung auf der Homepage der Kommission). Art. 65a Abs. 1 Verordnung 883/2004 kommt damit nicht zur Anwendung.
Erstreckung der Rahmenfrist durch die Tätigkeit des Revisionswerbers in Deutschland
39 Der Revisionswerber war vor seiner selbständigen Tätigkeit in Deutschland durchgehend zunächst ab dem Jahr 2001 bis Juli 2017 in Österreich und schließlich im Jahr 2017 in Deutschland unselbständig beschäftigt, wobei unstrittig für die Anwartschaft zu berücksichtigende Versicherungszeiten vorliegen. Unabhängig davon, ob auch die nachfolgenden Zeiten der Erwerbstätigkeit in Deutschland auf die Anwartschaft anzurechnen sind (siehe dazu unten), wäre die Anwartschaft somit jedenfalls auch dann erfüllt, wenn durch die in Deutschland nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts zurückgelegten Zeiten seiner selbständigen Erwerbstätigkeit - von Dezember 2017 bis zur Geltendmachung des Anspruchs im September 2020 - zumindest die Rahmenfrist erstreckt würde.
40 Gemäß § 15 Abs. 1 AlVG müssen die dort genannten Rahmenfristerstreckungstatbestände im Inland verwirklicht werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits darauf hingewiesen, dass es zu einer Durchbrechung dieses - das Sozialversicherungsrecht an sich prägenden - Territorialitätsprinzips durch bestimmte im Ausland verwirklichte Rahmenfristerstreckungstatbestände (§ 15 Abs. 2, 4 und 8 AlVG) sowie aufgrund unions- bzw. völkerrechtlicher Verpflichtungen - insbesondere einer Gleichstellung aufgrund im Unionsausland verwirklichter Tatbestände nach Art. 5 Verordnung 883/2004 - kommt (vgl. , mwN).
41 Die vom Revisionswerber angesprochene Verlängerung der Rahmenfrist nach § 15 Abs. 8 AlVG tritt für Zeiträume einer Erwerbstätigkeit im Ausland ein, die aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens in der Pensionsversicherung zu berücksichtigen sind. Mit einem zwischenstaatlichen Abkommen im Sinn dieser Bestimmung sind die von Österreich mit Staaten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes (und der Schweiz) abgeschlossenen Abkommen angesprochen (vgl. ErlRV 298 BlgNR 23. GP 11 f; Pfeil in AlV-Komm [40. Lfg.] § 15 Rz 47). § 15 Abs. 8 AlVG erfasst somit nicht die in den Anwendungsbereich der Verordnung 883/2004 fallenden Sachverhalte und kommt daher im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung.
42 Zu prüfen ist jedoch hinsichtlich Ereignissen, die sich in anderen Mitgliedstaaten der Union zugetragen haben, ob aus diesen eine Erstreckung der Rahmenfrist nach dem Grundsatz der Gleichstellung von Sachverhalten nach Art. 5 lit. b Verordnung 883/2004 folgt (vgl. Pfeil in AlV-Komm [40. Lfg.] § 15 AlVG Rz 46). Hinsichtlich Leistungen, die - wie solche bei Arbeitslosigkeit (Art. 3 Abs. 1 lit. h und Art. 61 ff Verordnung 883/2004) - in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, sind nach dieser Bestimmung die Rechtswirkungen in den Blick zu nehmen, die bestimmte (in anderen Mitgliedstaaten der Union verwirklichte) Sachverhalte oder Ereignisse nach nationalen Vorschriften haben. Zu prüfen ist vom nationalen (hier österreichischen) Träger somit, ob im Sinn von Art. 5 lit. b Verordnung 883/2004 der Eintritt eines Sachverhaltes in einem anderen Mitgliedstaat nachgewiesen ist, der nach österreichischen Rechtsvorschriften Rechtswirkungen - hier die Erstreckung der Rahmenfrist - hat (vgl. SJ, C-769/18, insbesondere Rn. 45 und 52).
43 Der Grundsatz der Gleichstellung von Sachverhalten, wie er in Art. 5 lit. b Verordnung 883/2004 geregelt ist, steht sowohl offenkundigen als auch versteckten Diskriminierungen insbesondere von Personen entgegen, die als Arbeitnehmer von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, soweit die Unterscheidungen nicht objektiv gerechtfertigt sind und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Insoweit hat der EuGH darauf hingewiesen, dass es den verschiedenen Systemen der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten immanent ist, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Leistung in den Mitgliedstaaten unterschiedlich geregelt sind. Es ist eine vergleichende Prüfung erforderlich, ob allfällige Unterscheidungen gerechtfertigt sind (vgl. Larcher, C-523/13; siehe dazu, dass Art. 5 Verordnung 883/2004 unter Beachtung des Inhalts und des Geistes der Judikatur des EuGH ausgeformt wurde, Bocero Torrico und Bode, C-398/18 und C-428/18, Rn. 29; SJ, C-769/18, Rn. 42).
44 Der EuGH hat im Übrigen bereits in seiner Rechtsprechung zur Verordnung 1408/71 zum Ausdruck gebracht, dass sich auch hinsichtlich der Berücksichtigung von Zeiten für eine Rahmenfrist das Erfordernis der Gleichstellung von Sachverhalten bereits aus Art. 39 Abs. 2 und 42 EG-Vertrag (nunmehr Art. 48 und 45 Abs. 2 AEUV) ergibt und dieser Grundsatz gebietet, dass der Eintritt von Tatsachen oder Umständen, die zu einer Verlängerung der Rahmenfrist führen, auch zu berücksichtigen sind, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat eintreten ( Duchon, C-290/00).
45 Der Sachverhalt, an den § 15 Abs. 5 AlVG die Erstreckung der Rahmenfrist knüpft, ist - entgegen der Ansicht des Revisionswerbers - allerdings nicht die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit, sondern das Eintreten einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung bzw. die Pflichtmitgliedschaft in einer Kammer, für die nach § 5 GSVG in Hinblick auf ein eigenes (verpflichtendes) System der Alterssicherung eine Ausnahme von der Pflichtversicherung nach dem GSVG vorgesehen ist. Verbunden damit ist jeweils die Verpflichtung zur Leistung von Pensionsversicherungsbeiträgen.
46 Diesen Tatbeständen jedenfalls gleichzuhalten sind Zeiten der selbständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat, die dort mit dem Erwerb von Versicherungszeiten in einem auf die Gewährung von Leistungen bei Alter ausgerichteten Zweig der sozialen Sicherheit (Art. 3 Abs. 1 lit. d Verordnung 883/2004) verbunden sind, soweit diese Zeiten nicht ohnehin für die Anwartschaft nach § 14 Abs. 1 AlVG zu berücksichtigen sind. Dagegen hat eine Zeit der selbständigen Erwerbstätigkeit, die nicht zu einer Pflichtversicherung (bzw. zu einer Einbindung in ein Alterssicherungssystem einer beruflichen Vertretung und damit zu einer Ausnahme von der Pflichtversicherung im Sinn von § 5 GSVG) führt, auch nach österreichischem Recht auf das Entstehen und die Aufrechterhaltung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung keine Auswirkungen und führt nicht zu einer Erstreckung der Rahmenfrist. Die bloße Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit ohne Einbindung in ein System der Alterssicherung ist somit kein Sachverhalt, der demjenigen des § 15 Abs. 5 AlVG als gleich anzusehen ist, zumal auch in Österreich nicht alle selbständig Erwerbstätigen von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung (bzw. einer Ausnahme nach § 5 GSVG) erfasst werden.
47 Der Revisionswerber unterlag nach dem unstrittigen Sachverhalt während seiner selbständigen Erwerbstätigkeit in Deutschland als Geschäftsführer der U GmbH nicht der (gesetzlichen) Versicherung in der (deutschen) Rentenversicherung; dies auch nicht auf Antrag (§ 4 SGB VI). Ebenso leistete er nach den vorliegenden Unterlagen nicht freiwillig (§ 7 SGB VI) Beiträge in die Rentenversicherung. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen ist das Bundesverwaltungsgericht daher zu Recht davon ausgegangen, dass in Deutschland kein Sachverhalt verwirklicht wurde, der im Sinn von Art. 5 lit. b Verordnung 883/2004 in Österreich zu einer Erstreckung der Rahmenfrist nach § 15 Abs. 5 AlVG führt.
48 Unter Beachtung des Umstandes, dass der Revisionswerber vor dem Jahr 2009 nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich unselbständig beschäftigt war und dadurch zwar Zeiten der Arbeitslosenversicherung (sowie der Krankenversicherung nach dem ASVG) erworben hat, aber nicht nach dem GSVG oder BSVG krankenversichert gewesen ist, kommt auch eine Anwendung von § 81 Abs. 10 AlVG nicht in Betracht.
Zur Berücksichtigung der selbständigen Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers in Deutschland für die Anwartschaft:
49 Art. 61 Abs. 1 Verordnung 883/2004 sieht bei der Beurteilung des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit durch den zuständigen Mitgliedstaat die Zusammenrechnung von in verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegten Zeiten vor. Die Differenzierung der Bestimmung zwischen „Versicherungszeiten“, „Beschäftigungszeiten“ und „Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit“ hat ihre Grundlage darin, dass in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten jeweils unterschiedliche Zeiten als anspruchsrelevant festgelegt sind. Die verwendeten Begriffe sind durch das Unionsrecht selbst in Art. 1 lit. t und u Verordnung 883/2004 definiert. Nach diesen Definitionen richtet sich die Qualifikation der Zeiten nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind (vgl. Felten in Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [58. Lfg.], Art. 61 VO 883/2004 Rz 8).
50 Nach dem zweiten Satz des Art. 61 Abs. 1 Verordnung 883/2004 werden jedoch dann, wenn nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften - somit den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats - der Leistungsanspruch von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig ist, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit nicht berücksichtigt, es sei denn, sie hätten als Versicherungszeiten gegolten, wenn sie nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären.
51 In Österreich setzt nach § 14 Abs. 1 AlVG die erstmalige Inanspruchnahme sowie nach § 14 Abs. 2 AlVG auch jede weitere Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld ein bestimmtes Ausmaß arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung in einer Rahmenfrist voraus. Der Leistungsanspruch ist im Sinn des Art. 61 Abs. 1 zweiter Satz Verordnung 883/2004 somit von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig (vgl. Felten aaO Art. 61 VO 883/2004 Rz 7; idS auch ). Für die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld sind daher nach Art. 61 Abs. 1 erster Satz Verordnung 883/2004 zunächst jedenfalls alle in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten zu berücksichtigen, wozu nach der Definition des Art. 1 lit. t Verordnung 883/2004 auch gleichgestellte Zeiten zählen. Die Zusammenrechnung hat dabei unabhängig davon zu erfolgen, ob diese Zeiten nach österreichischem Recht Versicherungszeiten oder diesen gleichgestellte Zeiten gewesen wären (vgl. Felten aaO Art. 61 VO 883/2004 Rz 8, mwN). Ebenso zu berücksichtigen sind gemäß Art. 61 Abs. 1 zweiter Satz Verordnung 883/2004 nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zurückgelegte Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach Art. 1 lit. u Verordnung 883/2004, soweit sie nach österreichischen Vorschriften als Versicherungszeiten gegolten hätten.
52 Zur Ermittlung der in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Zeiten (Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit) sieht die Verordnung 987/2009 ein Verfahren vor (vgl. etwa Fuchs aaO Art. 61 Rn 13). Nach Art. 12 Abs. 1 Verordnung 987/2009 - auf den Art. 54 Abs. 1 erster Satz Verordnung 987/2009 verweist - wendet sich der zuständige Träger an die Träger der Mitgliedstaaten, deren Rechtsvorschriften für die betroffene Person ebenfalls gegolten haben, um sämtliche Zeiten zu bestimmen, die der Versicherte nach deren Rechtsvorschriften zurückgelegt hat. Nach dem zweiten Satz des Art. 54 Abs. 1 Verordnung 987/2009 kann auch die betroffene Person dem zuständigen Träger ein Dokument vorlegen, in dem von dem Träger des Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften für sie zuletzt gegolten haben, die Zeiten bescheinigt werden. Diese zweitgenannte Möglichkeit besteht „unbeschadet der daneben fortbestehenden Pflichten der beteiligten Träger“, woraus folgt, dass der zuständige Träger auch bei Vorlage einer solchen Bescheinigung nicht von seiner Ermittlungspflicht entbunden wird. Für die Auskünfte der Träger - sowohl auf Antrag der betroffenen Person als auch aufgrund einer Anfrage des Trägers eines anderen Mitgliedstaates - sind von der Verwaltungskommission standardisierte Dokumente vorgesehen (vgl. Felten in Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [24. Lfg.], Art. 54 VO 987/2009 Rz 1).
53 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Ermittlung, ob vom Revisionswerber in Deutschland für die Anwartschaft zu berücksichtigende Zeiten zurückgelegt wurden, nicht als vollständig. Der Revisionswerber hat gegenüber dem AMS geltend gemacht, dass seine Zeit der selbständigen Erwerbstätigkeit in Deutschland auf die Anwartschaft nach § 14 Abs. 1 AlVG anzurechnen sei. Das AMS hat dieses Vorbringen jedoch übergangen und keine Erhebungen beim deutschen Träger durchgeführt sowie sich auch in seiner Entscheidung zwar mit einer möglichen Erstreckung der Rahmenfrist, nicht aber mit der Berücksichtigung in Deutschland zurückgelegter Zeiten für die Anwartschaft auseinandergesetzt. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat keine Auseinandersetzung damit vorgenommen, ob die Zeit der selbständigen Tätigkeit des Revisionswerbers nach deutschem Recht eine Versicherungszeit nach Art. 1 lit. t Verordnung 883/2004 oder der selbständigen Erwerbstätigkeit nach Art. 1 lit. u Verordnung 883/2004 gewesen ist, sondern seine Annahme, die in Deutschland zurückgelegten Zeiten seien für die Anwartschaft nicht zu berücksichtigen, allein darauf gestützt, dass durch eine selbständige Erwerbstätigkeit auch in Österreich - in Hinblick darauf, dass eine Versicherung nach § 3 AlVG freiwillig sei und die Entrichtung von Beiträgen voraussetze - keine Anwartschaft in der Arbeitslosenversicherung begründet werde. Damit wird aber übersehen, dass die - insoweit der Sache nach vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen - Regeln der Gleichbehandlung nach Art. 4 Verordnung 883/2004 (ebenso wie die Regeln der Gleichstellung nach Art. 5 Verordnung 883/2004) nur zur Anwendung kommen, sofern in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist. Hinsichtlich der Zusammenrechnung bzw. Berücksichtigung von im Unionsausland zurückgelegten Zeiten enthält die Verordnung 883/2004 eigene Anordnungen, die dem Gleichbehandlungsgebot nach Art. 4 Verordnung 883/2004 (und dem Gleichstellungsgebot nach Art. 5 Verordnung 883/2004) vorgehen (vgl. Adanez-Vega, C-372/02, Rn. 56 ff; sowie darauf Bezug nehmend ).
54 Maßgeblich für das Vorliegen von anzurechnenden Versicherungszeiten war nach den dargestellten Grundsätzen daher nicht, ob dieselbe Tätigkeit in Österreich eine Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung begründet hätte, sondern - wie bereits dargestellt - nach Art. 61 Verordnung 883/2004, ob nach den deutschen Rechtsvorschriften eine Versicherungszeit (Art. 1 lit. t Verordnung 883/2004) vorgelegen ist; im Weiteren ist nach Art. 61 Abs. 1 zweiter Satz Verordnung 883/2004 von Bedeutung, ob in Deutschland eine Beschäftigungszeit oder eine Zeit einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach Art. 1 lit. u Verordnung 883/2004 zurückgelegt wurde, die nach österreichischen Vorschriften als Versicherungszeit gegolten hätte.
55 Als Grundlage der Beurteilung, ob in diesem Sinn für die Anwartschaft zu berücksichtigende Zeiten vorliegen, wären im Sinn von Art. 12 Abs. 1 und Art. 54 Abs. 1 Verordnung 987/2009 durch den deutschen Träger übermittelte Informationen (Dokumente) hinsichtlich des Vorliegens von in Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten (Art. 1 lit. t Verordnung 883/2004) bzw. Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit (Art. 1 lit. u Verordnung 883/2004) erforderlich gewesen.
56 Dabei ist zu beachten, dass nach Art. 5 Verordnung 987/2009 vom Träger eines Mitgliedstaats ausgestellte Dokumente, in denen der Status einer Person für die Zwecke der Anwendung der Grundverordnung und der Durchführungsverordnung für andere Mitgliedstaaten bescheinigt wird, grundsätzlich bindend sind (vgl. zur Bindung nach Art. 5 Verordnung 987/2009 hinsichtlich aufgrund von Art. 12 Abs. 1 Verordnung 883/2004 ausgestellten A1-Bescheinigungen Alpenrind, C-527/16; sowie zu von Trägern anderer Mitgliedstaaten für die Zusammenrechnung nach Art. 6 Verordnung 883/2004 mitgeteilten Zeiten den Beschluss H6 der Verwaltungskommission vom ).
57 Der Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See vom kann eine Auskunft des für die Arbeitslosenversicherung zuständigen deutschen Trägers aufgrund einer Anfrage nach Art. 12 Abs. 1 iVm. Art. 54 Abs. 1 Verordnung 987/2009 schon deshalb nicht ersetzen, weil der Bescheid ausdrücklich nur das Vorliegen von Versicherungszeiten als Selbständiger in der Rentenversicherung - und somit insbesondere nicht die Arbeitslosenversicherung und das Vorliegen von „Beschäftigungszeiten“ und „Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit“ - betraf. Im Übrigen hat der EuGH schon klargestellt, dass ein nationaler Bescheid kein Dokument darstellt, in dem der Status der betreffenden Person im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Verordnung 987/2009 „bescheinigt“ wird (vgl. Alpenrind, C-527/16, Rn. 75).
58 Ohne Befassung des deutschen Trägers nach Art. 54 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 Verordnung 987/2009 ist keine eigenständige Beurteilung vorzunehmen, ob die Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers nach deutschem Recht eine Versicherungszeit (Art. 1 lit. t Verordnung 883/2004) oder Zeit einer selbständigen Erwerbstätigkeit (Art. 1 lit. u Verordnung 883/2004) dargestellt hat. Ebenso hat (jedenfalls derzeit) eine Befassung des Verwaltungsgerichtshofes mit der Frage zu unterbleiben, ob der Begriff der „Zeit einer selbständigen Erwerbstätigkeit“ nach Art. 1 lit. u und Art. 61 Abs. 1 Verordnung 883/2004 voraussetzt, dass diese Zeit nach dem Recht des Staates, in dem sie zurückgelegt wurde (hier Deutschland), für den Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen ist (idS Felten aaO Art. 61 VO 883/2004 Rz 10) bzw. ob im Fall des Vorliegens einer solchen Zeit in Deutschland die (bislang nicht näher festgestellte) selbständige Tätigkeit des Revisionswerbers im Sinn von Art. 61 Abs. 1 zweiter Satz Verordnung 883/2004 nach österreichischen Vorschriften als Versicherungszeit gegolten hätte.
59 Da das Bundesverwaltungsgericht somit insoweit die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
60 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
61 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | AlVG 1977 §1 AlVG 1977 §14 Abs1 AlVG 1977 §14 Abs2 AlVG 1977 §14 Abs4 lita AlVG 1977 §14 Abs8 AlVG 1977 §15 AlVG 1977 §15 Abs1 AlVG 1977 §15 Abs2 AlVG 1977 §15 Abs4 AlVG 1977 §15 Abs5 AlVG 1977 §15 Abs7 AlVG 1977 §15 Abs8 AlVG 1977 §3 AlVG 1977 §3 Abs1 AlVG 1977 §3 Abs2 AlVG 1977 §3 Abs3 AlVG 1977 §3 Abs4 AlVG 1977 §3 idF 2007/I/104 AlVG 1977 §4 Abs1 Z5 AMPFG 1994 §2 ASVG §4 Abs1 AVG §7 Abs1 AVG §7 Abs1 Z3 BSVG EURallg FSVG §2 Abs1 GSVG 1978 §1 GSVG 1978 §2 GSVG 1978 §2 Abs1 Z4 GSVG 1978 §3 Abs3 GSVG 1978 §4 GSVG 1978 §5 VwGVG 2014 §17 VwGVG 2014 §6 VwRallg 11997E039 EG Art39 Abs2 11997E042 EG Art42 12010E045 AEUV Art45 Abs2 12010E048 AEUV Art48 31971R1408 WanderarbeitnehmerV 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art1 litt 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art1 litu 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art3 Abs1 litd 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art3 Abs1 lith 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art4 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art5 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art5 litb 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art61 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art61 Abs1 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs2 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs5 lita 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65a Abs1 32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art9 32009R0987 Koordinierung Soziale Sicherheit DV Art5 32009R0987 Koordinierung Soziale Sicherheit DV Art5 Abs1 62000CJ0290 Duchon VORAB 62002CJ0372 Adanez-Vega VORAB 62013CA0523 Larcher VORAB 62016CJ0527 Alpenrind VORAB 62018CJ0398 Bocero Torrico und Bode VORAB 62018CJ0769 SJ VORAB |
Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RO2022080014.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
DAAAF-46687