TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH 14.12.2023, Ro 2022/02/0023

VwGH 14.12.2023, Ro 2022/02/0023

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
EURallg
RL-KG 2013 §2 Abs1
RL-KG 2013 §5 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
32008R1126 Rechnungslegungsstandards
32009R0495 Änderungsverordnung Rechnungslegungsstandards
RS 1
Aus IFRS 3 Rn. 15 und 16 ergibt sich für die Rechnungslegung, dass der Erwerber zum Erwerbszeitpunkt zu beurteilen hat, ob ein eingebettetes Derivat gemäß IAS 39 vom Basisvertrag zu trennen ist. Die in IAS 39 genannten Grundsätze und in dessen Anhang A angeführten Beispiele sind daher auch im Kontext eines Unternehmenszusammenschlusses maßgeblich.
Normen
AVG §45 Abs2
AVG §52
RL-KG 2013 §2 Abs1
RL-KG 2013 §5 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
RS 2
Die Beurteilung, ob ein Konzernabschluss den nationalen und internationalen Rechnungslegungsvorschriften entspricht, stellt eine Rechtsfrage dar, deren Beantwortung ausschließlich dem erkennenden Gericht obliegt. Die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhalts ist nämlich eine der zentralen Aufgaben richterlicher Tätigkeit und bleibt ausschließlich dem Gericht vorbehalten. Ein Sachverständiger hat keine Rechtsfragen zu beantworten und er darf auch nicht in den Bereich der Beweiswürdigung vordringen. Vielmehr hat das erkennende Gericht eine eigene Auseinandersetzung mit der zu beantwortenden Rechtsfrage vorzunehmen ().
Normen
AVG §56
RL-KG 2013 §2 Abs1
RL-KG 2013 §5
RL-KG 2013 §5 Abs1
RL-KG 2013 §5 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
RS 3
§ 5 Abs. 1 RL-KG 2013 verlangt eine bescheidmäßige Feststellung nur für den Fall, dass die Prüfung durch die FMA eine fehlerhafte Rechnungslegung ergibt. Ergibt die Prüfung keine Beanstandungen, ist dies dem Unternehmen gemäß Abs. 3 lediglich mitzuteilen. Der vor dem BVwG angefochtene Bescheid der FMA ist daher entweder zu bestätigen oder aufzuheben. Für eine negative Feststellung, dass die Rechnungslegung nicht fehlerhaft gewesen ist, bietet § 5 RL-KG 2013 keine Grundlage.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Andrés, über die Revision der Finanzmarktaufsichtsbehörde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W276 2247485-1/29E, betreffend Feststellung der Fehlerhaftigkeit der Rechnungslegung nach dem Rechnungslegungs-Kontrollgesetz (mitbeteiligte Partei: B AG in W, weitere Partei: BM für Finanzen), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom stellte die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Z 1 und § 5 Abs. 1 Rechnungslegungs-Kontrollgesetz (RL-KG) fest, dass der Konzernabschluss zum und der Halbjahresfinanzbericht zum der mitbeteiligten Partei fehlerhaft seien. Die genannten Abschlüsse seien unter anderem aus folgendem Grund fehlerhaft:

„[...]

I.3 Bilanzierung von übernommenen Bauspareinlagen - Beurteilung der Trennungspflicht von eingebetteten Derivaten (IFRS 9 und IFRS 3)

Zum wurden von der [s AG] Bauspareinlagen mit eingebetteten Zinsbegrenzungsvereinbarungen in den Konzernabschluss der [mitbeteiligten Partei] übernommen. Es wurde keine Beurteilung der Trennungspflicht der eingebetteten Zinsbegrenzungsvereinbarungen gemäß den Bestimmungen von IFRS 3.16c) i. V. m. IFRS 3.15, IFRS 9.4.3.3, IFRS 9.B4.3.8b) und IFRS 9.B5.1.1 durchgeführt und die eingebetteten Zinsbegrenzungsvereinbarungen wurden auch nicht von den Basisverträgen abgespalten.

Im Kontext von Unternehmenszusammenschlüssen fordert IFRS 3.16c) i. V. m. IFRS 3.15 die Beurteilung, ob ein eingebettetes Derivat gemäß IFRS 9 vom Basisvertrag zum Erwerbszeitpunkt zu trennen ist.

Nachdem die [mitbeteiligte Partei] die hybriden Bauspareinlagen nicht erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert bewertet bzw. klassifiziert hat (IFRS 9.4.3.3c)), und da eigenständige Instrumente mit gleichen Bedingungen wie die eingebetteten Derivate die Definition von Derivaten erfüllen würden (IFRS 9.4.3.3b)), ist hinsichtlich der Beurteilung der Trennungspflicht der eingebetteten Zinsbegrenzungsvereinbarungen entscheidend, ob deren wirtschaftlichen Merkmale und Risiken zum Erwerbszeitpunkteng mit den wirtschaftlichen Merkmalen und Risiken der Basisverträge verbunden waren (IFRS 9.4.3.3a)).

Gemäß IFRS 9.B4.3.8b) sind die wirtschaftlichen Merkmale und Risiken eines eingebetteten Floors oder Caps auf Zinssätze eines Schuldinstruments eng mit dem Basisvertrag verbunden, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs des Vertrags die Zinsobergrenze gleich oder höher als der herrschende Marktzinssatz ist oder die Zinsuntergrenze gleich oder unter dem herrschenden Marktzinssatz liegt und der Cap oder Floor im Verhältnis zum Basisvertrag keine Hebelwirkung aufweist. Die wirtschaftlichen Merkmale und Risiken von Zinsobergrenzen unter und von Zinsuntergrenzen über dem herrschenden Marktzinssatz sind nicht eng mit dem Basisvertrag verbunden.

Dementsprechend kommt der Bestimmung des zum Erwerbszeitpunkt herrschenden Marktzinssatzes unter Beachtung des Konzepts des IFRS 13 und der Bestimmungen des IFRS 9.B5.1.1 eine zentrale Bedeutung zu. Im Einklang mit den Ausführungen des IFRIC Updates zu IAS 39 aus 2016 hat eine Beurteilung der Trennungspflicht von eingebetteten Floors auf Basis der Ermittlung von Marktzinssätzen für ähnliche Verträge („ähnlich im Hinblick auf Währung, Laufzeit, Art des Zinssatzes und andere Faktoren“) und ohne Zinsbegrenzungsvereinbarungen unter Einbezug aller vertraglich vereinbarten Komponenten zu erfolgen.

Aufgrund der zum Teil hohen Levels der übernommenen, eingebetteten Floors im Verhältnis zum im Dezember 2016 herrschenden Referenzzinssatz und aufgrund der zum Erwerbszeitpunkt herrschenden Marktverhältnisse bzw. aufgrund der Zinsentwicklung zwischen dem Entstehungszeitpunkt der übernommenen Verträge und dem Erwerbszeitpunkt der [s AG], die sich u. a. in den teilweise hohen beizulegenden Zeitwerten zum Erwerbszeitpunkt widerspiegelt, waren nach Berücksichtigung aller relevanten Parameter und Komponenten zumindest die Floors aus den zum Erwerbszeitpunkt bereits länger bestehenden Verträgen durch den Vergleich mit einem fristenkonformen Swap-Satz bzw. mit dem jeweiligen Forward-Satz ‚im Geld‘ und somit trennungspflichtig.

Diese ‚Klassifizierung‘ im Sinne der Verwendung dieses Begriffs in IFRS 3 zum hat Auswirkungen auf die Bewertung in den Folgeperioden und nimmt Einfluss auf den Konzernabschluss zum sowie auf den Halbjahresfinanzbericht zum , da zu diesen Stichtagen noch per übernommene Bauspareinlagen mit eingebetteten Floors in unterschiedlicher Höhe im Bestand geführt wurden. Das diesbezügliche, zum jeweiligen Stichtag eingezahlte Nominale belief sich zum auf TEUR 851.417 und zum auf TEUR 718.948.“

2 Die gegen Spruchpunkt I.3. dieses Bescheides erhobene Beschwerde der mitbeteiligten Partei wies die revisionswerbende Behörde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab. Die mitbeteiligte Partei stellte einen Vorlageantrag.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wurde der Beschwerde Folge gegeben und die Beschwerdevorentscheidung wie folgt abgeändert:

„Zum wurden von der [s AG] Bauspareinlagen mit eingebetteten Zinsbegrenzungsvereinbarungen in den Konzernabschluss der [mitbeteiligten Partei] übernommen. Es wurde eine rechtskonforme Beurteilung der Trennungspflicht der eingebetteten Zinsbegrenzungsvereinbarungen gemäß den Bestimmungen von IFRS 3.16c) i. V. m. IFRS 3.15, IFRS 9.4.3.3, IFRS 9.B4.3.8b) und IFRS 9.B5.1.1 durchgeführt und die eingebetteten Zinsbegrenzungsvereinbarungen wurden nicht von den Basisverträgen abgespalten.

Die von der [mitbeteiligten Partei] vorgenommene ‚Klassifizierung‘ im Sinne der Verwendung dieses Begriffs in IFRS 3 zum hat Auswirkungen auf die Bewertung in den Folgeperioden und nimmt Einfluss auf den Konzernabschluss zum sowie auf den Halbjahresfinanzbericht zum , da zu diesen Stichtagen noch per übernommene Bauspareinlagen mit eingebetteten Floors in unterschiedlicher Höhe im Bestand geführt wurden. Das diesbezügliche, zum jeweiligen Stichtag eingezahlte Nominale belief sich zum auf TEUR 851.417 und zum auf TEUR 718.948.“

Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 133 Abs. 4 B-VG für zulässig.

4 Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, die mitbeteiligte Partei sei eine börsennotierte Aktiengesellschaft, die eine anteilsverwaltende Holdingfunktion ausübe. Die B AG habe mit Closing-Stichtag („Erwerbszeitpunkt“) die s AG erworben. Seither stehe die s AG zu 100 % im Eigentum der B AG und werde als konsolidiertes Tochterunternehmen in die Konzernabschlüsse der B AG und der mitbeteiligten Partei einbezogen. Im Zuge dieser Akquisition sei unter anderem ein Portfolio an Bauspareinlagen gemäß Bausparkassengesetz (BSpG) übernommen worden. Weiters traf das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen zur Zinsgestaltung der Bauspareinlagen, insbesondere den in den Bauspareinlagen enthaltenen Zinsobergrenzen (Caps) und -untergrenzen (Floors), zum Marktvergleich für Bauspareinlagen sowie zur Bewertung, dem bilanziellen Erstansatz und der Folgebewertung der übernommenen Bauspareinlagen.

In seiner rechtlichen Beurteilung gab das Bundesverwaltungsgericht die gegenläufigen Rechtsansichten sowie das von ihm eingeholte Sachverständigengutachten zur Frage der Trennungspflicht der in einer Bauspareinlage eingebetteten Caps und Floors durch die mitbeteiligte Partei im Zusammenhang mit der Übernahme der s AG zum wieder. Demnach müsse zusammengefasst gemäß IFRS 3.16c) iVm IAS 39.11 im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses bei eingebetteten Derivaten überprüft werden, ob die wirtschaftlichen Merkmale und Risiken des Derivats nicht eng mit den wirtschaftlichen Merkmalen und Risiken des Basisvertrages verbunden seien, da ansonsten eine Trennungspflicht vorliege.

Dadurch solle verhindert werden, dass mit der Verknüpfung eines Derivats mit einem Basisvertrag eine Umgehung von Bilanzierungsvorschriften (keine ergebniswirksame Bewertung zum beizulegenden Zeitwert) erreicht werde. IFRS 3.16c) verlange dabei eine Beurteilung, ob das eingebettete Derivat aufgrund der zum Erwerbszeitpunkt bestehenden einschlägigen Bedingungen zu trennen sei.

IAS 39.A33b) zeige im Hinblick auf IAS 39.11, dass eine eingebettete Ober- oder Untergrenze auf Zinssätze eines Schuldinstruments eng mit dem Basisvertrag verbunden seien, wenn zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages die Zinsobergrenze gleich oder höher als der herrschende Marktzins sei oder die Zinsuntergrenze gleich oder unter dem herrschenden Marktzins liege und die Zinsober- oder -untergrenze im Verhältnis zum Basisvertrag keine Hebelwirkung aufweise. Weder in IAS 39.A33b) noch an anderer Stelle finde sich ein explizites Beispiel, das auf den Tatbestand eines Unternehmenszusammenschlusses abstelle und somit für den Anwender näher beschreibe, welche Indikatoren zur Feststellung der engen Verbundenheit im Zusammenhang einer Unternehmensübernahme relevant seien. Eine Beurteilung habe jedenfalls auf Basis des Grundkonzepts des IAS 39.11 zu erfolgen und somit das „closely related“ Kriterium zu behandeln.

Bei dieser Prüfung sei das alleinige Abstellen auf den Marktzins jedoch im Ergebnis nicht sachgerecht, weil dies in einem klaren Spannungsfeld zu den IAS 39.BC37 bzw. der Sichtweise des IFRIC stehe, zumal die alleinige Veränderung von externen Umständen (wie etwa dem Marktzins) nicht dazu herangezogen werden könne, um zu einer Neubeurteilung gemäß IAS 39 zu gelangen. Bei der im gegenständlichen Fall zu beurteilenden Frage der „engen wirtschaftliche Verbundenheit“ dürfe nicht alleine auf den Umstand abgestellt werden, dass im Zeitpunkt des Unternehmenszusammenschlusses die Zinsuntergrenze über dem herrschenden Marktzins gelegen habe. Bei dieser Prüfung sei daher nicht nur die Frage des im Zeitpunkt des Unternehmenszusammenschlusses herrschenden Marktzinses heranzuzuziehen, sondern das gesamte Geschäftsmodell zu berücksichtigen und seien überdies auch externe Umstände zur Beurteilung relevant.

Im Ergebnis sei daher auch im Zusammenhang mit der Frage einer „engen wirtschaftlichen Verbundenheit“ zwischen den wirtschaftlichen Merkmalen und Risiken des Derivats und den wirtschaftlichen Merkmalen und Risiken des Basisvertrages von einem Interpretationsspielraum auszugehen, weil der Standard für diesen Fall keine eindeutigen Beispiele vorsehe, sondern vielmehr eine Interpretation des „closely related“ Grundprinzips iVm IFRS 3.15 iVm IFRS 3.16c) verlange.

Es fänden sich sowohl Argumente, die im vorliegenden Fall der Bauspareinlage mit eingebettetem Floor und Cap für eine Trennung des Derivats vom Basisvertrag, als auch für einen kombinierten Ausweis des hybriden Finanzinstruments sprechen würden. Die FMA beurteile jedoch im vorliegenden Fall die enge wirtschaftliche Verbundenheit bloß anhand eines einzelnen Kriteriums, nämlich, ob zum Zeitpunkt des Unternehmenszusammenschlusses die Zinsuntergrenze über dem herrschenden Marktzins liege. Dabei interpretiere die FMA eine konkrete Ableitung zum Marktzins. Diese Interpretation ließe jedoch sowohl den Grundgedanken des IFRS 3.15 als auch des IAS 39.11 außer Acht, da demnach sowohl das Geschäftsmodell zu beurteilen sei als auch nicht nur externe Umstände (wie etwa wirtschaftliche Veränderungen) zur Beurteilung heranzuziehen seien. Weiters interpretiere die mitbeteiligte Partei das Grundprinzip des IAS 39.11 im Kontext des IAS 39.A33b) als Analyse, die zwar zum Zeitpunkt der Übernahme stattfinde, jedoch den Umständen bei der ursprünglichen Vertragsinitiierung Rechnung tragen müsse. In dieser Interpretation nutze die mitbeteiligte Partei den nicht näher konkretisierten Anwendungsfall des IFRS 3.16c) iVm IAS 39.11a), weil die Beispiele in IAS 39.A30 bzw. A33 keine direkte Anleitung zum Umgang im Falle eines Unternehmenszusammenschlusses aufzeigen würden. Wie von Seiten des IDW (Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland) dargestellt, sei für die Beurteilung gem. IAS 39.11a) nicht nur eine quantitative Beurteilung notwendig, sondern erfordere auch eine qualitative Beurteilung, die seitens der mitbeteiligten Partei in Ermangelung von weiterführenden expliziten Handlungshinweisen aus den Standards so umgesetzt worden sei.

Die Klassifizierung durch die mitbeteiligte Partei liege im Rahmen des Grundprinzips des IAS 39 iSd IFRS 3.16c) iVm IAS 39.11 und damit im Interpretationsspielraum. Es sei davon auszugehen, dass dem Grundprinzip des „True and Fair Views“ entsprochen worden sei, da vor dem Adressat der Rechnungslegung jedenfalls kein eingebettetes Derivat versteckt worden sei, welches offensichtlich nicht eng mit dem Basisvertrag verbunden sei. Vielmehr würden Indikatoren vorliegen, die zumindest beide Sichtweisen rechtlich zuließen und daher gegen keine konkrete Regelung verstoßen worden sei. Da die mitbeteiligte Partei somit einen Entscheidungsraum in der Beurteilung eines eingebetteten Derivats im Zuge der Unternehmensübernahme habe, könne im vorliegenden Sachverhalt keine objektiv falsche Fehldarstellung festgestellt werden.

Die mitbeteiligte Partei habe vielmehr einen Ermessensspielraum genutzt, worin keine Fehlerhaftigkeit erkannt werden könne. Ein Verstoß gegen das Grundprinzip der Vergleichbarkeit eines IFRS Abschlusses zu anderen Abschlüssen sei während des gesamten Verfahrens nicht hervorgekommen. Der bekämpfte Bescheid zeige kein rechtswidriges Verhalten der mitbeteiligten Partei auf.

Die Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht für zulässig erklärt, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur bilanzrechtlichen Frage fehle, ob im Kontext von Unternehmenszusammenschlüssen, ausgehend von den Vorgaben des IFRS 3.16c) und 3.15, ein eingebettetes Derivat gemäß IFRS 9 vom Basisvertrag zum Erwerbszeitpunkt zu trennen sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision der FMA.

6 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die FMA erachtet ihre Revision unter anderem deshalb für zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle, wie im Kontext von Unternehmenszusammenschlüssen gemäß IFRS 3.16c) iVm IFRS 3.15 eine Beurteilung der Trennungspflicht von übernommenen Verbindlichkeiten mit eingebetteten Derivaten gemäß IFRS 9 vorzunehmen sei, und ob das Vorhandensein von Interpretationsspielraum bei einschlägigen Rechnungslegungsstandards eine Fehlerfeststellung gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Z 1 und § 5 Abs. 1 RL-KG verhindert bzw. wie der Fehlerbegriff des RL-KG auszulegen und anzuwenden sei. Zudem stütze sich das angefochtene Erkenntnis auf ein grob mangelhaftes Sachverständigengutachten und weiche im Hinblick auf die Nichtanwendung grundlegender Verfahrensgrundsätze von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.

8 Die Revision ist zulässig und begründet.

9 Die maßgeblichen Bestimmungen des Rechnungslegungs-Kontrollgesetzes (RL-KG) lauten:

„Prüfungsgegenstand

§ 2.

(1) Die FMA hat zu prüfen, ob die Jahresabschlüsse, Lageberichte, Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte sowie die sonstigen vorgeschriebenen Informationen gemäß § 1 Z 22 BörseG 2018 von Unternehmen den nationalen und internationalen Rechnungslegungsvorschriften entsprechen. [...]

[...]

Ergebnis der Prüfung

§ 5.

(1) Ergibt die Prüfung durch die FMA, dass die Rechnungslegung fehlerhaft ist, so hat die FMA den Fehler mit Bescheid festzustellen.

[...]

(3) Ergibt die Prüfung durch die FMA keine Beanstandungen, so teilt die FMA dies dem Unternehmen mit.“

10 Die im Revisionsfall anzuwendende Fassung des International Financial Reporting Standard (IFRS) 3 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 495/2009 der Kommission vom zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1126/2008 zur Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf International Financial Reporting Standard (IFRS) 3 übernommen und lautet auszugsweise:

„15. Zum Erwerbszeitpunkt hat der Erwerber die erworbenen identifizierbaren Vermögenswerte und übernommenen Schulden - soweit erforderlich - einzustufen oder zu bestimmen, so dass anschließend andere IFRS angewendet werden können. Diese Einstufungen oder Bestimmungen basieren auf den Vertragsbedingungen, wirtschaftlichen Bedingungen, der Geschäftspolitik oder den Rechnungslegungsmethoden und anderen zum Erwerbszeitpunkt gültigen einschlägigen Bedingungen.

16. In manchen Situationen sehen die IFRS unterschiedliche Formen der Rechnungslegung vor, je nachdem wie ein Unternehmen den jeweiligen Vermögenswert oder die jeweilige Schuld einstuft oder bestimmt. Beispiele für Einstufungen oder Bestimmungen, welche der Erwerber auf Grundlage der zum Erwerbszeitpunkt bestehenden einschlägigen Bedingungen durchzuführen hat, sind u. a.:

[...]

c) die Beurteilung, ob ein eingebettetes Derivat gemäß IAS 39 vom Basisvertrag zu trennen ist (hierbei handelt es sich um eine „Einstufung“ im Sinne der Verwendung dieses Begriffs in diesem IFRS).“

11 Die im Revisionsfall anzuwendende Fassung des International Accounting Standard (IAS) 39 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 1126/2008 der Kommission vom zur Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates übernommen und lautet auszugsweise:

„11 Ein eingebettetes Derivat ist vom Basisvertrag zu trennen und nur dann nach Maßgabe des vorliegenden Standards als Derivat zu bilanzieren, wenn:

(a) seine wirtschaftlichen Merkmale und Risiken nicht eng mit den wirtschaftlichen Merkmalen und Risiken des Basisvertrags verbunden sind (siehe Anhang A Paragraphen A30 und A33);

(b) ein eigenständiges Instrument mit gleichen Vertragsbedingungen der Definition eines Derivats entspräche; und

(c) das hybride (zusammengesetzte) Finanzinstrument nicht ergebniswirksam zum beizulegenden Zeitwert bewertet wird (d. h. ein Derivat, das in einem ergebniswirksam zum beizulegenden Zeitwert bewerteten finanziellen Vermögenswert oder einer finanziellen Verbindlichkeit eingebettet ist, ist nicht zu trennen).

[...]

A30 In den folgenden Beispielen sind die wirtschaftlichen Merkmale und Risiken eines eingebetteten Derivats nicht eng mit dem Basisvertrag verbunden (Paragraph 11(a). In diesen Beispielen und in der Annahme, dass die Bedingungen aus Paragraph 11(b) und (c) erfüllt sind, bilanziert ein Unternehmen das eingebettete Derivat getrennt von seinem Basisvertrag.

(a) [...]

[...]

A33 In den folgenden Beispielen sind die wirtschaftlichen Merkmale und Risiken eines eingebetteten Derivats eng mit den wirtschaftlichen Merkmalen und Risiken des Basisvertrags verbunden. In diesen Beispielen wird das eingebettete Derivat nicht gesondert vom Basisvertrag bilanziert.

[...]

(b) Eine eingebettete Ober- oder Untergrenze auf Zinssätze eines Schuldinstruments oder Versicherungsvertrages ist eng mit dem Basisvertrag verbunden, wenn zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages die Zinsobergrenze gleich oder höher als der herrschende Marktzins ist oder die Zinsuntergrenze gleich oder unter dem herrschenden Marktzins liegt und die Zinsober- oder -untergrenze im Verhältnis zum Basisvertrag keine Hebelwirkung aufweist. Ebenso sind in einem Vertrag enthaltene Vorschriften zum Kauf oder Verkauf eines Vermögenswertes (z. B. eines Rohstoffs), die einen Cap und Floor auf den für den Vermögenswert zu zahlenden oder zu erhaltenden Preis vorsehen, eng mit dem Basisvertrag verbunden, wenn sowohl Cap als auch Floor zu Beginn aus dem Geld wären und keine Hebelwirkung aufwiesen.“

12 Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der von der FMA herangezogene IFRS 9, der durch die Verordnung (EU) 2016/2067 der Kommission vom zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1126/2008 zur Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf den International Financial Reporting Standard 9 übernommen wurde, dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen IAS 39 in der im Zeitpunkt des Unternehmensübergangs am noch geltenden (oben zitierten) Fassung in den für den vorliegenden Fall wesentlichen Teilen entspricht, sodass sich die Beantwortung der Frage, welcher Standard für die Beurteilung der verfahrensgegenständlichen Rechtsfragen heranzuziehen ist, erübrigt.

13 Ausgangspunkt für das vorliegende Verfahren war der Erwerb der s AG durch die mitbeteiligte Partei, im Zuge derer ein Portfolio an variabel verzinsten Bauspareinlagen übernommen wurde, in die Zinsobergrenzen (Caps) und Zinsuntergrenzen (Floors) eingebettet gewesen sind.

14 Aus IFRS 3 Rn. 15 und 16 ergibt sich für die Rechnungslegung, dass der Erwerber zum Erwerbszeitpunkt zu beurteilen hat, ob ein eingebettetes Derivat gemäß IAS 39 vom Basisvertrag zu trennen ist. Die in IAS 39 genannten Grundsätze und in dessen Anhang A angeführten Beispiele sind daher auch im Kontext eines Unternehmenszusammenschlusses maßgeblich.

15 Gemäß IAS 39 11(a) ist ein eingebettetes Derivat neben anderen, hier nicht in Frage stehenden Voraussetzungen vom Basisvertrag zu trennen, wenn die wirtschaftlichen Merkmale und Risiken des eingebetteten Derivats nicht eng mit den wirtschaftlichen Merkmalen und Risiken des Basisvertrages verbunden sind.

16 Im Anhang A zu IAS 39 finden sich Beispiele, in denen die wirtschaftlichen Merkmale und Risiken des eingebetteten Derivats eng mit den wirtschaftlichen Merkmalen und Risiken des Basisvertrages verbunden sind (A33) und Beispiele, in denen dies nicht der Fall ist (A30).

17 Aus Rn. A33 (b) zu IAS 39 (entspricht Rn. B4.3.8 zu IFRS 9) ergibt sich, dass ein eingebetteter Floor oder Cap auf Zinssätze eines Schuldinstruments oder Versicherungsvertrags eng mit dem Basisvertrag verbunden ist, wenn zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages die Zinsobergrenze gleich oder höher als der herrschende Marktzins ist oder die Zinsuntergrenze gleich oder unter dem herrschenden Marktzins liegt und der Cap oder Floor im Verhältnis zum Basisvertrag keine Hebelwirkung aufweist.

18 Die FMA kam auf Basis dessen zum Ergebnis, dass aufgrund der zum Teil hohen Levels der übernommenen, eingebetteten Floors im Verhältnis zum im Dezember 2016 herrschenden Referenzzinssatz, der zum Erwerbszeitpunkt herrschenden Marktverhältnisse sowie der Zinsentwicklung zwischen dem Entstehungszeitpunkt der übernommenen Verträge und dem Erwerbszeitpunkt der s AG, die sich u.a. in den teilweise hohen beizulegenden Zeitwerten zum Erwerbszeitpunkt widerspiegelte, zumindest die Floors aus den zum Erwerbzeitpunkt bereits länger bestehenden Verträgen durch den Vergleich mit einem fristkonformen Swap-Satz bzw. dem jeweiligen Forward-Satz unter Berücksichtigung von Spreads „im Geld“ und somit trennungspflichtig seien. Das gelte unabhängig davon, ob die einzelnen Floorlets, die Floors insgesamt oder sogar Floors und Caps in Kombination als relevante „unit of account“ angesehen werden und unabhängig davon, ob der Forward-Satz oder der Swap-Satz herangezogen werde.

19 Strittig ist im vorliegenden Fall im Wesentlichen, ob bei den in den Bauspareinlagen eingebetteten Floors von einer engen Verbundenheit im Sinn des IAS 39 auszugehen sei.

20 Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar sämtliche seiner zu dem in Beschwerde gezogenen Spruchpunkt getroffenen - als solche auch titulierten - Feststellungen (abgesehen von kurzen Feststellungen zur mitbeteiligten Partei, deren Geschäftsanschrift, Tätigkeitsfeld und Kapitalisierung, welche sich auf die Daten des offenen Firmenbuchs stützen) wortident aus der Beschwerdevorentscheidung der FMA übernommen und darüber hinaus keine zusätzlichen Feststellungen getroffen. In seiner rechtlichen Beurteilung aber, in der das Bundesverwaltungsgericht weitestgehend das Sachverständigengutachten - ohne dies offenzulegen - wörtlich übernimmt, kommt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die einschlägigen oben zitierten rechtlichen Vorgaben betreffend die Frage, ob im vorliegenden Fall eine Trennung des eingebetteten Derivats vom Basisvertrag zu erfolgen habe, jedenfalls „einen weiten Interpretationsspielraum“ eröffneten und für die rechtlichen Standpunkte beider Verfahrensparteien nachvollziehbare Argumente bestünden. Die rechtliche Interpretation durch die mitbeteiligte Partei sei „im Ergebnis nachvollziehbar und vertretbar“, daher sei „kein rechtswidriges Verhalten“ der mitbeteiligten Partei aufgezeigt worden.

21 Die Beurteilung, ob ein Konzernabschluss den nationalen und internationalen Rechnungslegungsvorschriften entspricht, stellt eine Rechtsfrage dar, deren Beantwortung ausschließlich dem erkennenden Gericht obliegt.

22 Die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhalts ist nämlich eine der zentralen Aufgaben richterlicher Tätigkeit und bleibt ausschließlich dem Gericht vorbehalten. Ein Sachverständiger hat keine Rechtsfragen zu beantworten und er darf auch nicht in den Bereich der Beweiswürdigung vordringen. Vielmehr hat das erkennende Gericht eine eigene Auseinandersetzung mit der zu beantwortenden Rechtsfrage vorzunehmen (vgl. , mwN).

23 Das Bundesverwaltungsgericht gibt demgegenüber wie bereits angeführt in seiner rechtlichen Beurteilung lediglich beinahe wortgleich die Ausführungen des Sachverständigen wieder; eine eindeutige, fallbezogen nachvollziehbar begründete Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage der Trennungspflicht hat es nicht vorgenommen.

24 Ausgehend von der Annahme bestehender Interpretationsspielräume beschränkte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine Vertretbarkeitskontrolle der rechtlichen Interpretation der mitbeteiligten Partei, ohne selbst - wie von den zitierten Rechnungslegungsstandards gefordert - eine abschließende Beurteilung vorzunehmen, ob im konkreten vorliegenden Fall das eingebettete Derivat im Konzernabschluss zu trennen sei oder nicht, und zog in seiner rechtlichen Beurteilung Faktoren (wie etwa das „Geschäftsmodell“ der mitbeteiligten Partei oder „externe Umstände“) heran, ohne dazu konkrete Feststellungen zu treffen, die diese zu tragen vermögen.

25 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher bereits aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig.

26 Darüber hinaus verlangt § 5 Abs. 1 RL-KG eine bescheidmäßige Feststellung nur für den Fall, dass die Prüfung durch die FMA eine fehlerhafte Rechnungslegung ergibt. Ergibt die Prüfung keine Beanstandungen, ist dies dem Unternehmen gemäß Abs. 3 lediglich mitzuteilen.

27 Der vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochtene Bescheid der FMA wäre daher entweder zu bestätigen oder aufzuheben gewesen. Für eine negative Feststellung, dass die Rechnungslegung der mitbeteiligten Partei nicht fehlerhaft gewesen sei, wie sie das Bundesverwaltungsgericht spruchgemäß vorgenommen hat, bietet § 5 RL-KG hingegen keine Grundlage.

28 Die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommen Modifikation der Beschwerdevorentscheidung in dem Sinn, dass festgestellt werde, dass eine rechtskonforme Beurteilung der Trennungspflicht der eingebetteten Zinsbegrenzungsvereinbarungen durchgeführt worden sei, erweist sich daher ebenfalls jedenfalls als rechtswidrig.

29 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
AVG §45 Abs2
AVG §52
AVG §56
EURallg
RL-KG 2013 §2 Abs1
RL-KG 2013 §5
RL-KG 2013 §5 Abs1
RL-KG 2013 §5 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
32008R1126 Rechnungslegungsstandards
32009R0495 Änderungsverordnung Rechnungslegungsstandards
Schlagworte
Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Besondere Rechtsgebiete Beweismittel Sachverständigenbeweis Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5 Gutachten rechtliche Beurteilung Sachverständiger Aufgaben
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RO2022020023.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
QAAAF-46674