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VwGH 18.10.2022, Ro 2021/16/0008

VwGH 18.10.2022, Ro 2021/16/0008

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
RS 1
Durch eine Karenz gemäß § 15 Abs. 1 MSchG 1979 wird das Arbeitsverhältnis nicht unterbrochen. Es bleibt unverändert aufrecht, doch ruhen die Arbeitspflicht sowie die Entgeltpflicht als Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis.
Norm
FamLAG 1967 §3 Abs4
RS 2
Zeiten nach der rechtlichen Beendigung eines Dienstverhältnisses sind nicht mehr Zeiten, in denen eine Person unselbständig erwerbstätig im Sinn des § 3 Abs. 4 FLAG ist.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2010/16/0152 E RS 6
Normen
FamLAG 1967 §3 Abs1 idF 1977/192
FamLAG 1967 §3 Abs4 idF 2006/I/168
VwRallg
RS 3
Es ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, dass die tatsächliche Ausübung einer (beruflichen) Beschäftigung oder der Bezug von Einkünften aus dieser vom Gesetzgeber bei der Einführung des Anspruches auf Familienbeihilfe für subsidiär Schutzberechtigte als Voraussetzungen angenommen wurden. § 3 Abs. 1 FamLAG 1967 sah vor der Einführung des Anspruches auf Familienbeihilfe für subsidiär schutzberechtigte Personen mit BGBl. I Nr. 168/2006 noch vor, dass Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann einen Anspruch auf Familienbeihilfe hatten, wenn sie "im Bundesgebiet bei einem Dienstgeber beschäftigt sind und aus dieser Beschäftigung Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder zufolge einer solchen Beschäftigung Bezüge aus der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet beziehen" (§ 3 Abs. 1 FamLAG 1967, BGBl. Nr. 376/1967, idF BGBl. Nr. 192/1977). Im Unterschied dazu stellt § 3 Abs. 4 FamLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 168/2006 nicht darauf ab, dass Einkünfte aus der (unselbständigen) Erwerbstätigkeit bezogen werden. Angesichts der abweichenden Formulierung kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, auf den tatsächlichen Bezug von Einkünften aus einer unselbständigen Tätigkeit abzustellen, wenn gerade dieses Erfordernis in einer früher maßgeblichen Bestimmung enthalten war und in der anzuwendenden Fassung keine Anspruchsvoraussetzung mehr darstellt.
Normen
FamLAG 1967 §3 Abs4
MSchG 1979 §15 Abs1
RS 4
Die Zeiten einer Karenz aus Anlass der Mutterschaft bei einem aufrechten Dienstverhältnis stellen Zeiten dar, in denen Personen, denen der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, unabhängig von der tatsächlichen Ausübung einer beruflichen Tätigkeit als erwerbstätig im Sinne des § 3 Abs. 4 FamLAG 1967 gelten.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie den Hofrat Mag. Straßegger, die Hofrätin Dr. Reinbacher, den Hofrat Dr. Bodis und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Braunau Ried Schärding in 5280 Braunau am Inn, Stadtplatz 60, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/5101155/2020, betreffend Familienbeihilfe ab April 2020 (mitbeteiligte Partei: T B, vertreten durch die Puttinger Vogl Rechtsanwälte OG in 4910 Ried im Innkreis, Claudistraße 5), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligten, einer Staatsangehörigen des Staates Eritrea, wurde 2014 und ihrem 2019 geborenen Sohn in diesem Jahr in Österreich jeweils der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

2 Die Mitbeteiligte beantragte am die Familienbeihilfe für ihren 2019 geborenen Sohn ab dem Zeitpunkt seiner Geburt.

3 Mit Mitteilung vom informierte das Finanzamt die Mitbeteiligte über die Gewährung der Familienbeihilfe für den Zeitraum Dezember 2019 bis März 2020.

4 Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag der Mitbeteiligten für den Zeitraum ab April 2020 ab. Begründend führte das Finanzamt im Wesentlichen aus, Zeiten des Karenzurlaubes aus Anlass der Mutterschaft bis zum zweiten Geburtstag des Kindes würden keine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 4 FLAG 1967 darstellen. Somit bestehe ab April 2020 kein Anspruch auf Familienbeihilfe.

5 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte die Mitbeteiligte vor, sie befinde sich seit in einem Vollzeitbeschäftigungsverhältnis. Aufgrund der Geburt ihres Kindes im Dezember 2019 habe sie sich im Mutterschutz befunden und Wochengeld bezogen. Mit ihrem Arbeitgeber habe sie eine Elternkarenz bis zum ersten Geburtstag des Kindes vereinbart. Während der Elternkarenz bestehe Kündigungsschutz. Beim Karenzurlaub aus Anlass der Mutterschaft bleibe das Arbeitsverhältnis aufrecht, es seien nur die Hauptpflichten, nämlich die Erbringung der Arbeitsleistung und die Entgeltzahlung bei Aufrechterhaltung der Nebenpflichten, suspendiert. Die Mitbeteiligte sei unselbständig erwerbstätig iSd § 3 Abs. 4 FLAG 1967.

6 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde der Mitbeteiligten gegen den Bescheid vom als unbegründet ab.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht (BFG) - nach rechtzeitiger Einbringung des Vorlageantrages durch die Mitbeteiligte - der Beschwerde Folge, hob den bekämpften Bescheid ersatzlos auf und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig.

8 Das BFG stellte zunächst fest, die Mitbeteiligte sei zunächst ab Mai 2017 bei der Stadtgemeinde R mit 20 Wochenstunden als Reinigungsfrau, Dienstort „Freibad und Sonderreinigung“ teilzeitbeschäftigt gewesen. Ab Juni 2019 sei eine Vollzeitbeschäftigung (40 Wochenstunden), davon 20 Wochenstunden „in der NMS1“ und 20 Wochenstunden „Sonderreinigung“, vereinbart worden. Die Mitbeteiligte habe mit der Stadtgemeinde R eine Mutterschaftskarenzvereinbarung bis abgeschlossen. Der Versicherungsdatenauszug der Mitbeteiligten weise Versicherungszeiten aufgrund der Beschäftigung bei der Stadtgemeinde R bis und ab  bis laufend auf. In einer Mitteilung gemäß § 12 FLAG 1967 habe das Finanzamt der Mitbeteiligten bekannt gegeben, dass nicht nur von Dezember 2019 bis März 2020, sondern auch wieder ab Dezember 2020 (Ende des Karenzurlaubes) bis August 2021 (vorläufiges Ende der befristeten Aufenthaltsbewilligung) Anspruch auf Familienbeihilfe für ihren Sohn bestehe.

9 Rechtlich folgerte das BFG, es sei strittig, ob die Zeit des Karenzurlaubes aus Anlass der Mutterschaft als Zeit einer unselbständigen Erwerbstätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 4 FLAG 1967 anzusehen sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe in näher zitierter Rechtsprechung festgehalten, dass durch eine bloße Karenzierung eines Arbeitsverhältnisses, an das Arbeitslosenversicherungspflicht anknüpfe, die Anspruchsvoraussetzungen der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht erfüllt würden. Bei Karenzurlaubszeiten handle es sich um Zeiten innerhalb eines Dienstverhältnisses. Die Zeit, in der sich die Mitbeteiligte aufgrund der Vereinbarung mit ihrer Dienstgeberin in Karenzurlaub wegen Mutterschaft befunden habe, stelle die Zeit eines aufrechten Arbeitsverhältnisses dar, bei dem die Arbeitspflicht gegen Karenz der Bezüge entfalle. Zu klären bleibe, ob das für die Anwendbarkeit des § 3 Abs. 4 FLAG 1967 genüge, oder ob der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang unter einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nur eine solche verstehen wolle, die auch tatsächlich ausgeübt werde.

10 § 3 FLAG 1967 sei wiederholt geändert worden. Das BFG habe bereits in einer näher zitierten Entscheidung die Ansicht vertreten, es lasse sich weder aus dem Gesetzestext noch aus den Materialien zur für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung des § 3 Abs. 4 FLAG 1967 entnehmen, dass der Gesetzgeber unter einer eigenen Erwerbstätigkeit ausschließlich eine tatsächliche Arbeitsleistung habe verstehen wollen. Hätte der Gesetzgeber eine derartige Absicht gehabt, hätte er § 3 Abs. 4 FLAG 1967 so formuliert, wie § 3 Abs. 1 leg. cit. bis zum formuliert gewesen sei. Dort sei ausdrücklich darauf abgestellt worden, dass ein Beihilfenanspruch nur für Personen bestehe, die bei einem Dienstgeber beschäftigt seien und aus dieser Beschäftigung Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit beziehen würden. Da eine solche Formulierung gerade nicht gewählt worden sei, sei davon auszugehen, dass auch ein aufrechtes Arbeitsverhältnis, bei dem die Arbeitspflicht gegen Karenz der Bezüge entfalle, als unselbständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 4 FLAG 1967 zu werten sei. Der angefochtene Abweisungsbescheid erweise sich daher als rechtswidrig und sei ersatzlos aufzuheben.

11 Die ordentliche Revision sah das BFG als zulässig an, weil zur Frage, ob subsidiär Schutzberechtigte während des Karenzurlaubes nach dem Mutterschutzgesetz als erwerbstätig im Sinne des § 3 Abs. 4 FLAG 1967 anzusehen seien, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlen würde.

12 Die dagegen erhobene Amtsrevision des Finanzamtes legte das BFG dem Verwaltungsgerichtshof unter Anschluss der Akten des Verfahrens vor. Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück- oder Abweisung der Revision beantragte.

13 Die vorliegende Amtsrevision bringt im Wesentlichen vor, während einer Karenz könne bis zur Geringfügigkeitsgrenze dazuverdient werden, ohne den Kündigungs- und Entlassungsschutz zu verlieren. Des Weiteren könne während der Karenz bis zu 13 Wochen im Kalenderjahr eine Beschäftigung über der Geringfügigkeitsgrenze mit dem bisherigen Arbeitgeber vereinbart werden. Da die Mitbeteiligte während der Karenz keine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, fehle ein wesentliches Tatbestandsmerkmal für den Anspruch auf die Familienbeihilfe.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

15 Die Revision ist zulässig, aus den folgenden Gründen jedoch nicht berechtigt:

16§ 3 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), BGBl. Nr. 376/1967 idF BGBl. I Nr. 168/2006, lautet:

§ 3.

[...]

(4) Abweichend von Abs. 1 haben Personen, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten nach dem Asylgesetz 2005 zuerkannt wurde, Anspruch auf Familienbeihilfe, sofern sie keine Leistungen aus der Grundversorgung erhalten und unselbständig oder selbständig erwerbstätig sind. Anspruch besteht auch für Kinder, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten nach dem Asylgesetz 2005 zuerkannt wurde.“

17 §§ 1 und 15 Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG), BGBl. Nr. 221/1979 idF BGBl. I Nr. 149/2015 und § 18 MSchG idF BGBl. I Nr. 64/2004 lauten auszugsweise:

Abschnitt 1

Geltungsbereich

§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für

1. Dienstnehmerinnen,

2. Heimarbeiterinnen.

(2) Dieses Bundesgesetz ist nicht anzuwenden auf

1. Dienstnehmerinnen, für deren Dienstverhältnis das Landarbeitsgesetz 1984, BGBl. Nr. 287, gilt,

2. Dienstnehmerinnen, die in einem Dienstverhältnis zu einem Land, einer Gemeinde oder einem Gemeindeverband stehen, sofern sie nicht in Betrieben tätig sind.

[...]

Abschnitt 5

Karenz

Anspruch auf Karenz

§ 15. (1) Der Dienstnehmerin ist auf ihr Verlangen im Anschluss an die Frist des § 5 Abs. 1 und 2 Karenz gegen Entfall des Arbeitsentgelts bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes, soweit im Folgenden nicht anderes bestimmt ist, zu gewähren, wenn sie mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt. Das gleiche gilt, wenn anschließend an die Frist nach § 5 Abs. 1 und 2 ein Gebührenurlaub verbraucht wurde oder die Dienstnehmerin durch Krankheit oder Unglücksfall an der Dienstleistung verhindert war.

(1a) Eine gleichzeitige Inanspruchnahme von Karenz durch beide Elternteile ist ausgenommen im Falle des § 15a Abs. 2 nicht zulässig.

(2) Die Karenz muss mindestens zwei Monate betragen.

(3) Die Dienstnehmerin hat Beginn und Dauer der Karenz dem Dienstgeber bis zum Ende der Frist des § 5 Abs. 1 bekannt zu geben. Die Dienstnehmerin kann ihrem Dienstgeber spätestens drei Monate, dauert die Karenz jedoch weniger als drei Monate, spätestens zwei Monate vor dem Ende ihrer Karenz bekannt geben, dass sie die Karenz verlängert und bis wann. Hat der andere Elternteil keinen Anspruch auf Karenz, kann die Dienstnehmerin Karenz auch zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch nehmen. In diesem Fall hat sie ihrem Dienstgeber Beginn und Dauer der Karenz spätestens drei Monate vor dem Antritt der Karenz bekannt zu geben. Unbeschadet des Ablaufs dieser Fristen kann Karenz nach Abs. 1 vereinbart werden.

(4) Wird Karenz nach Abs. 1 und 3 in Anspruch genommen, so erstreckt sich der Kündigungs- und Entlassungsschutz nach den §§ 10 und 12 bis zum Ablauf von vier Wochen nach Beendigung der Karenz. Hat der andere Elternteil keinen Anspruch auf Karenz und nimmt die Dienstnehmerin Karenz zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch, so beginnt der Kündigungs- und Entlassungsschutz mit der Bekanntgabe, frühestens jedoch vier Monate vor Antritt der Karenz.

[...]

Abschnitt 8

Sonderbestimmungen für Bedienstete in bestimmten Zweigen des öffentlichen Dienstes

§ 18. Die Abschnitte 2 bis 7 gelten mit den in den §§ 18a bis 23 enthaltenen Abweichungen für Dienstnehmerinnen, die in einem Dienstverhältnis

1. zum Bund,

2. zu einem Land, einer Gemeinde oder einem Gemeindeverband, sofern die Dienstnehmerin in einem Betrieb tätig ist,

3. gemäß Art. 14 Abs. 2 B-VG,

4. gemäß Art. 14a Abs. 3 B-VG

stehen, weiters für Dienstnehmerinnen in einem Dienstverhältnis zu einer Stiftung, einer Anstalt oder einem Fonds, auf das nach dem Vertragsbedienstetengesetz 1948, BGBl. Nr. 86, dessen § 1 Abs. 2 sinngemäß anzuwenden ist.“

18 Strittig ist, ob die Mitbeteiligte ab April 2020 für jenen Zeitraum, in dem sie sich in Karenzurlaub aus Anlass der Mutterschaft befand, gemäß § 3 Abs. 4 FLAG 1967 Anspruch auf Familienbeihilfe hat. Entscheidend ist demnach, ob Zeiten des Karenzurlaubes aus Anlass der Mutterschaft als Zeiten zu verstehen sind, in denen die Mitbeteiligte „erwerbstätig“ gemäß § 3 Abs. 4 FLAG 1967 war.

19 Die Mitbeteiligte war ab 2019 bei der Stadtgemeinde R mit Dienstort „Freibad und Sonderreinigung“, später auch am Dienstort „NMS1“ beschäftigt. Im revisionsgegenständlichen Fall geht das BFG in Übereinstimmung mit den Parteien davon aus, dass die Mitbeteiligte bei einer Gemeinde im Rahmen eines Betriebes tätig war, sodass für die Mitbeteiligte gemäß § 18 Z 2 MSchG die Abschnitte 2 bis 7 des MSchG mit den in den §§ 18a bis 23 enthaltenen Abweichungen für Dienstnehmerinnen, die in einem Dienstverhältnis zu einer Gemeinde stehen, sofern die Dienstnehmerin in einem Betrieb tätig ist, maßgeblich sind.

20 Der Anspruch auf Familienbeihilfe für subsidiär Schutzberechtigte wurde mit BGBl. I Nr. 168/2006 geschaffen. In den Materialien wird dazu ausgeführt (IA 62/A BlgNR 23. GP):

„Weiters soll künftig auch für Personen, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ein Anspruch auf Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld eingeräumt werden, sofern diese auf Grund ihrer Hilfsbedürftigkeit nicht bereits Leistungen im Rahmen der Grundversorgung nach Maßgabe der Grundversorgungsvereinbarung nach Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern erhalten und durch eigene Erwerbstätigkeit zu ihrem Lebensunterhalt beitragen. Bereits nach der Rechtslage vor dem war als Voraussetzung für den Bezug der Familienbeihilfe das Vorliegen einer mindestens drei Monate dauernden legalen unselbständigen Erwerbstätigkeit vorgesehen. Diese Voraussetzung soll nunmehr durch die selbstständige Erwerbstätigkeit erweitert werden.“

21 Durch eine Karenz gemäß § 15 Abs. 1 MSchG wird das Arbeitsverhältnis nicht unterbrochen. Es bleibt unverändert aufrecht, doch ruhen die Arbeitspflicht sowie die Entgeltpflicht als Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis (vgl. Wolfsgruber-Ecker in Neumayr/Reissner (Hrsg), Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht3 [2018] § 15 MSchG Rz 3). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits dargelegt, dass Zeiten nach der rechtlichen Beendigung eines Dienstverhältnisses nicht mehr Zeiten sind, in denen eine Person unselbständig erwerbstätig im Sinne des § 3 Abs. 4 FLAG 1967 ist (vgl. ). Arbeitsvertragsrechtlich war das Dienstverhältnis der Mitbeteiligten während der Zeit ihrer Karenz jedenfalls aufrecht und kam unter diesem Blickwinkel als Zeit einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 3 Abs. 4 FLAG 1967 in Frage.

22 Das revisionswerbende Finanzamt versteht die Karenz deshalb nicht als Zeit, in der die Mitbeteiligte „erwerbstätig“ gewesen sei, weil die Mitbeteiligte in dieser Zeit keiner beruflichen Beschäftigung nachgegangen sei und dementsprechend auch keine Einkünfte aus dieser bezogen habe.

23 Es ist dem Gesetz jedoch nicht zu entnehmen, dass die tatsächliche Ausübung einer (beruflichen) Beschäftigung oder der Bezug von Einkünften aus dieser vom Gesetzgeber bei der Einführung des Anspruches auf Familienbeihilfe für subsidiär Schutzberechtigte als Voraussetzungen angenommen wurden. Das BFG weist in dem angefochtenen Erkenntnis zu Recht darauf hin, dass § 3 Abs. 1 FLAG 1967 vor der Einführung des Anspruches auf Familienbeihilfe für subsidiär schutzberechtigte Personen mit BGBl. I Nr. 168/2006 noch vorsah, dass Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann einen Anspruch auf Familienbeihilfe hatten, wenn sie „im Bundesgebiet bei einem Dienstgeber beschäftigt sind und aus dieser Beschäftigung Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder zufolge einer solchen Beschäftigung Bezüge aus der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet beziehen“ (§ 3 Abs. 1 FLAG 1967, BGBl. Nr. 376/1967, idF BGBl. Nr. 192/1977; vgl. die Übersicht über die seit dem Jahr 1992 für Drittstaatsangehörige maßgebenden Bestimmungen bei Lenneis/Wanke, FLAG2, § 3 Rz 25). Im Unterschied dazu stellt § 3 Abs. 4 FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 168/2006 nicht darauf ab, dass Einkünfte aus der (unselbständigen) Erwerbstätigkeit bezogen werden. Angesichts der abweichenden Formulierung kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, auf den tatsächlichen Bezug von Einkünften aus einer unselbständigen Tätigkeit abzustellen, wenn gerade dieses Erfordernis in einer früher maßgeblichen Bestimmung enthalten war und in der anzuwendenden Fassung keine Anspruchsvoraussetzung mehr darstellt.

24 Die Zeiten einer Karenz aus Anlass der Mutterschaft bei einem aufrechten Dienstverhältnis stellen demnach Zeiten dar, in denen Personen, denen der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, unabhängig von der tatsächlichen Ausübung einer beruflichen Tätigkeit als erwerbstätig im Sinne des § 3 Abs. 4 FLAG 1967 gelten (Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG2, Rz 279 zu § 3).

25 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

26 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 

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FamLAG 1967 §3 Abs4
FamLAG 1967 §3 Abs4 idF 2006/I/168
MSchG 1979 §15 Abs1
VwRallg
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021160008.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
HAAAF-46664