VwGH 21.04.2023, Ro 2021/15/0037
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Die Frage, ob einem Arbeitnehmer zuzumuten ist, seinen Wohnsitz in den Nahebereich seiner Arbeitsstätte zu verlegen, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2000/14/0154 E VwSlg 8014 F/2005 RS 2 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des J N in I, vertreten durch Dr. Andreas König, Dr. Andreas Ermacora, Dr. Christian Klotz, MMag. Mathias Demetz, Dr. Simon Gleirscher, Mag. Claudia Lantos und Mag. Mine Cordic, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Erlerstraße 4/3. OG, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/3100618/2018, betreffend Einkommensteuer 2016 bis 2018, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) - Jurist und seit dem Jahr 2004 als Vertragsbediensteter in einem Bundesministerium in Wien tätig. Das Dienstverhältnis ist unbefristet. Seit dem Jahr 2017 ist er in Teilzeit im Ausmaß von 80 % einer Vollbeschäftigung tätig. Neben seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bezieht er seit dem Jahr 2016 aus einer im Jahr 2015 geerbten Liegenschaft Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
2 Der Familienwohnsitz des Revisionswerbers befindet sich in Innsbruck, wo er seit 2000 mit Hauptwohnsitz - seit 2002 gemeinsam mit seiner Ehefrau sowie seit 2010 mit der in diesem Jahr geborenen Tochter - in der von seinem Vater im Jahr 1992 als Neubauwohnung erworbenen und ihm im Jahr 2009 mit Schenkungsvertrag übertragenen Eigentumswohnung wohnt. Dabei handelt es sich um eine 3-Zimmer-Dachterrassen-Wohnung mit einer Wohnfläche von ca. 75 m². An seinem Arbeitsort in Wien wohnt er mit Nebenwohnsitz in einer Wohnung mit einer Nutzfläche von ca. 56 m², die aus Vorzimmer, 2 Zimmern, Küche, Badezimmer und WC besteht. Der monatliche Mietzins (einschließlich Betriebskostenpauschale von 75 €) beträgt 700 € (inkl. USt). In den Streitjahren betrugen seine Kosten für die doppelte Haushaltsführung 9.117,33 € (2016), 9.103,77 € (2017), 8.872,13 € (2018) und für die Familienheimfahrten 1.835,20 € (2016), 1.924,03 € (2017) und 1.933,72 € (2018).
3 Die Tochter des Revisionswerbers besuchte von Herbst 2014 bis Sommer 2017 den öffentlichen Kindergarten und ab Herbst 2017 die Volksschule in Innsbruck. Seine Ehefrau war bis zur Geburt ihrer Tochter Ende 2010 am Landeskrankenhaus Innsbruck tätig. Nach Ablauf des Karenzurlaubs im Jahr 2012 nahm sie die Tätigkeit am Krankenhaus Innsbruck nicht wieder auf, weil sie ihre Tochter, die als Einzelkind aufwächst, bestmöglich betreuen wollte und der Revisionswerber während der Arbeitswoche die Betreuung aufgrund seiner Ortsabwesenheit auch nicht zum Teil übernehmen konnte. Sie hat sich daher beruflich neuorientiert und betreibt seit Herbst 2013 eine eigene Homepage als Künstlerin. Ihre künstlerische Tätigkeit umfasst die Malerei und Schriftstellerei. In den Jahren 2014 bis 2018 erzielte sie aus dieser selbständigen Tätigkeit insgesamt bei Einnahmen von 2.600 € (2014: 900 €, 2015 bis 2017: 0 €, 2018: 1.700 €) und Ausgaben von 4.748,75 € (2014: 1.389 €, 2015: 245,05 €, 2016: 1.214,51 €, 2017: 817,13 €, 2018: 1.083,06 €) einen Verlust von 2.148,75 € (2014: -489 €, 2015: -245,05 €, 2016: -1.214,51 €, 2017: -817,13 €, 2018: +616,94 €). Anfang September 2018 nahm sie die Tätigkeit am Krankenhaus Innsbruck in Teilzeit wieder auf und erzielte daraus Bruttobezüge (KZ 210) von 2.099,33 €.
4 Mit Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 erkannte das Finanzamt die vom Revisionswerber in seiner Einkommensteuererklärung geltend gemachten Kosten für die doppelte Haushaltsführung und für die Familienheimfahrten (im Gegensatz zu den Vorjahren) nach Durchführung eines Vorhalteverfahrens erstmals nicht an und begründete dies damit, dass nach dessen Vorbringen seine Ehefrau nur bis 2012 beruflich tätig gewesen sei. Damit lägen im Streitjahr nur private Gründe für die Beibehaltung des Familienwohnsitzes vor, weshalb es sich bei den geltend gemachten Kosten um nicht abzugsfähige Kosten der Lebensführung nach § 20 EStG 1988 handle.
5 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde, woraufhin hinsichtlich der hier strittigen Werbungskosten eine abweisende Beschwerdevorentscheidung des Finanzamts erging. Anerkannt wurden vom Finanzamt hingegen als Sonderausgaben geltend gemachte Aufwendungen für Personenversicherungen, die nicht revisionsgegenständlich sind. Der Revisionswerber stellte daraufhin einen Vorlageantrag.
6 Mit Einkommensteuerbescheiden vom und vom erkannte das Finanzamt auch für die Jahre 2017 und 2018 vom Revisionswerber für die doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten beantragte Werbungskosten steuerlich nicht an, wogegen dieser wiederum Beschwerde erhob und - unter Verzicht auf die Erlassung von Beschwerdevorentscheidungen - die Direktvorlage an das BFG beantragte.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das BFG der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 lediglich im Umfang der Beschwerdevorentscheidung (betreffend Sonderausgaben) teilweise Folge und wies die Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2017 und 2018 als unbegründet ab. Begründend führte es aus, die Beurteilung der geltend gemachten Kosten für doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten bewege sich im Spannungsverhältnis der §§ 16 und 20 EStG 1988. Der Verwaltungsgerichtshof habe dazu in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, dass die Beibehaltung eines Familienwohnsitzes aus der Sicht einer Erwerbstätigkeit, die in unüblich weiter Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt werde, nicht durch die Erwerbstätigkeit, sondern durch Umstände veranlasst sei, die außerhalb der Erwerbstätigkeit lägen (Hinweis auf ; , 96/14/0018). Der Grund, warum Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten bei den Steuerpflichtigen dennoch als Betriebsausgaben oder Werbungskosten bei den aus der Erwerbstätigkeit erzielten Einkünften Berücksichtigung fänden, liege darin, dass derartige Aufwendungen so lange als durch die Einkünfteerzielung veranlasst gälten, als diesen eine Wohnsitzverlegung in übliche Entfernung vom Ort der Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden könne, wobei die Unzumutbarkeit unterschiedliche Ursachen haben könne (Hinweis auf , mwN). Solche Ursachen müssten aus Umständen resultieren, die von erheblichem objektiven Gewicht seien. Momente bloß persönlicher Vorliebe für die Beibehaltung des Familienwohnsitzes reichten nicht aus (Hinweis auf ). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei die Frage der Zumutbarkeit einer Wohnsitzverlegung in den Nahbereich der Arbeitsstätte nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen (Hinweis auf ). Nach einer gewissen Zeit sei es den Steuerpflichtigen dabei in aller Regel zumutbar, den Familienwohnsitz in den Nahbereich der Arbeitsstätte zu verlegen. Die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes sei stets aus der Sicht des jeweiligen Streitjahres zu beurteilen, weshalb die Gründe für die Beibehaltung des Familienwohnsitzes jährlich neu zu prüfen seien.
8 Unstrittig sei im Revisionsfall, dass dem Revisionswerber die tägliche Rückkehr vom Beschäftigungsort an den Familienwohnort nicht zugemutet werden könne und er daher am Arbeitsort einen Wohnsitz habe begründen müssen. Strittig sei lediglich, ob es ihm zugemutet werden könne, den Familienwohnsitz an den Beschäftigungsort zu verlegen. Als einen der wesentlichen Gründe, warum es ihm nicht zumutbar sei, seinen Familienwohnsitz nach Wien zu verlegen, bringe der Revisionswerber vor, dass er aufgrund seiner familiären Situation bis heute versucht habe, in Tirol beruflich wieder Fuß zu fassen, wobei er auf Grund seiner familiären Verpflichtungen und seines Alters sein Dienstverhältnis beim Bund beibehalten möchte bzw. am öffentlichen Dienst interessiert sei, es ihm aber bis dato nicht gelungen sei, eine solche Anstellung zu bekommen. Auch wenn sich der Revisionswerber nachweislich, wiederholt über Jahre um eine Stelle im öffentlichen Dienst oder öffentlich nahen Bereich in Tirol bemüht habe - letztmalig habe sich der Revisionswerber im Jahr 2016 bei drei Ausschreibungen um eine Stelle im öffentlichen Dienst in Tirol beworben - so reiche allein der Umstand, dass er sich um einen angemessenen Arbeitsplatz in der Nähe des Familienwohnsitzes bemühe, nicht aus, um die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes an den Arbeitsort zu begründen. Ein zeitlich befristetes Dienstverhältnis, bei dem nach den Umständen des Einzelfalles von einer Rückkehr an den Hauptwohnsitz auszugehen und daher nur eine vorübergehende doppelte Haushaltsführung anzunehmen sei, das einen Wechsel des Familienwohnsitzes unzumutbar erscheinen ließe (Hinweis auf ), liege im gegenständlichen Fall nicht vor. In diesem Zusammenhang sei überdies auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 90/14/0212, hinzuweisen, in dem dieser ausgesprochen habe, dass der bloße Wunsch nach einem Arbeitsplatz-/Arbeitsortwechsel bzw. die abstrakte Möglichkeit einer künftigen beruflichen Tätigkeit am Familienwohnsitz, die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Arbeitsort nicht unzumutbar mache. Der Revisionswerber sei seit dem Jahr 2004 in Wien in einem unbefristeten Dienstverhältnis. Eine Zusage eines potentiellen Arbeitgebers oder sonstige konkrete Umstände, die einen Arbeitsortwechsel in den Nahbereich des Familienwohnortes in absehbarer Zeit mit hinreichender Sicherheit erwarten ließen, lägen nicht vor. Auch der Revisionswerber behaupte nicht, dass ein Wechsel des Arbeitsortes tatsächlich in Aussicht stehe, vielmehr betone er, dass es insbesondere aufgrund der im Vergleich zu Wien geringen Anzahl an Bundesstellen in Tirol und der damit verbundenen großen Konkurrenz an Bewerbenden schwierig sei, eine entsprechende Stelle zu bekommen. Allein der Wunsch bzw. das Bemühen des Revisionswerbers um eine Arbeitsstelle im Nahbereich seines Familienwohnsitzes, ohne dass ein Arbeitsortwechsel konkret bevorstehe, ließen die Verlegung des Familienwohnsitzes an den seit 2004 bestehenden Arbeitsort in Wien nicht unzumutbar erscheinen.
9 Einen weiteren Grund für die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes erblicke der Revisionswerber darin, dass der Verkauf seiner Eigentumswohnung in Innsbruck und der Kauf einer familienadäquaten Wohnung zu einer erheblichen Vermögenseinbuße führen würde. Für eine vergleichbare Wohnung (inkl. Terrasse) in vergleichbarer Lage in Wien müsse er mit erheblichen Mehrkosten rechnen, die seine finanziellen Möglichkeiten überstiegen. Demgegenüber seien jedoch nach dem vom Fachverband der Immobilien- und Vermögenstreuhänder der Wirtschaftskammer Österreich jährlich veröffentlichten Immobilien-Preisspiegel sowohl die Immobilienpreise für Neu- und Gebrauchtwohnungen als auch der Mietzins für Mietwohnungen in sehr guter Wohnlage bzw. mit sehr guten Wohnwert in Innsbruck in allen Streitjahren höher als in Wien. Die Anmietung einer vergleichbaren Wohnung und die Vermietung der Wohnung in Innsbruck hätte unter den gegebenen Umständen für den Revisionswerber sogar einen finanziellen Vorteil gebracht, zumal er nur mehr eine Wohnung in Wien hätte unterhalten müssen.
10 Der Revisionswerber habe die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes auch mit der beruflichen Tätigkeit seiner Ehefrau als Künstlerin begründet. Eine Berufstätigkeit von Ehepartnern am Ort des Familienwohnsitzes habe der Verwaltungsgerichtshof mehrfach als Grund für die Unzumutbarkeit einer Wohnsitzverlegung unter der Bedingung bejaht, dass diese aus ihrer Berufstätigkeit nachhaltig Einkünfte nicht bloß untergeordneten Ausmaßes erziele. Sei dieser Beitrag im Verhältnis zum Einkommen des bzw. der Steuerpflichtigen vernachlässigbar, dann stelle die Berufstätigkeit der Ehepartnerin bzw. des Ehepartners am Ort des Familienwohnsitzes keinen Grund für eine Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes an den Ort der Beschäftigung dar (Hinweis auf ). Entscheidend sei somit das Gewicht des Beitrags der am Ort des Familienwohnsitzes erzielten Einkünfte im Verhältnis zum Familieneinkommen und ob dieser Beitrag bei einer Verlegung des Familienwohnsitzes verloren ginge.
11 Wie der Revisionswerber in seiner Beschwerdeschrift ausführe, habe sich seine Ehefrau seit der Geburt der gemeinsamen Tochter beruflich umorientiert und versuche sich als Schriftstellerin und Malerin zu etablieren. Die Tätigkeit einer Künstlerin sei in aller Regel nicht ortsgebunden. Es müssten daher besondere Gründe aufgezeigt und erwiesen werden, warum der Wohnsitz in Innsbruck für die künstlerische Tätigkeit der Ehefrau des Revisionswerbers unabdingbar sein solle. Solche besonderen Gründe seien nicht aufgezeigt worden. Aber selbst wenn, was hier nicht erwiesen worden sei, der Wohnsitz in Innsbruck für die künstlerische Tätigkeit der Ehefrau unabdingbar wäre, sei für den Revisionswerber nichts gewonnen. Für die Zumutbarkeit der Wohnsitzverlegung sei nämlich entscheidend, inwieweit die (ortsgebundenen) Einkünfte der Ehefrau des Revisionswerbers am Familienwohnsitz für das Familieneinkommen von wirtschaftlicher Bedeutung seien. Die Gesamteinkünfte der Ehefrau des Revisionswerbers seien jedoch in den Jahren 2016 und 2017 bei 0 € Einnahmen negativ und hätten im Jahr 2018 (vor Abzug des Veranlagungsfreibetrages) nicht einmal 2.000 € betragen. Sie hätten damit in keinem der Streitjahre eine steuerlich relevante Höhe erreicht. Ihr Beitrag zum Familieneinkommen lasse daher die Verlegung des Familienwohnsitzes nach Wien aus wirtschaftlicher Sicht nicht als unzumutbar erscheinen.
12 Als weiteren Grund für die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes habe der Revisionswerber schließlich die Einbindung seiner von seiner Ehefrau betreuten Tochter in das soziale Netzwerk in Tirol (Kindergarten/Volksschule, aber auch Verwandtschaft) angeführt. Der Umstand, dass die Tochter, die bis zum Sommer 2017 den Kindergarten und seit Herbst 2017 die Volksschule besucht habe, bei einer Verlegung des Familienwohnsitzes nach Wien auch den Kindergarten bzw. die Volksschule hätte wechseln müssen, mache die Wohnsitzverlegung nach Ansicht des Gerichtes jedoch nicht bereits unzumutbar. Würde man aus diesem Grund bereits eine Verlegung des Familienwohnsitzes für unzumutbar erachten, wäre selbst der Umzug innerhalb einer Stadt aufgrund von Bindungen in sozialen Netzwerken meist unzumutbar, zumal auch dort ein Wohnungswechsel für minderjährige Kinder meist auch einen Wechsel des Kindergartens oder der Schule mit sich bringe. Dem Vorbringen, es sei dem Revisionswerber wichtig, dass seine Tochter in einem völlig normalen Umfeld aufwachse und sich entwickeln könne, wozu insbesondere die Möglichkeit zähle, sie in ortsübliche, öffentliche Bildungseinrichtungen schicken zu können, die Werte, Sprache und Kultur vermittelten, die in Tirol allgemein üblich seien, sei entgegen zu halten, dass auch in Wien gleichartige und gleichwertige Bildungseinrichtungen wie in Innsbruck bestünden. Warum seine Tochter nicht auch in Wien in einem normalen Umfeld aufwachsen und sich entwickeln könne, erschließe sich dem Gericht nicht. Ebenso wenig gebe es Anhaltspunkte dafür, dass sich die in Wiener Kindergärten und Volkschulen vermittelten Werte, Sprache und Kultur von jenen in Tirol in einer Weise unterschieden, die einen Umzug nach Wien unzumutbar machten. Auch mit dem Hinweis, wonach in Wien seit der Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015 der Anteil der Kinder in den Kinderbetreuungseinrichtungen aus nicht-deutschsprachigen Familien massiv gestiegen sei, wo hingegen sich der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund in dem von seiner Tochter besuchten öffentlichen Kindergarten bzw. der Volksschule in Innsbruck in Grenzen halte und er daher bei einem Umzug nach Wien jedenfalls eine private Bildungseinrichtung in Betracht ziehen würde, was mit erheblichen Mehrkosten verbunden wäre, sei für die Beschwerde nichts gewonnen. Der Besuch eines öffentlichen bzw. städtischen Kindergartens sei in Wien ebenso wie in Innsbruck beitragsfrei. Dass es seiner Tochter nicht zumutbar gewesen wäre, in Wien einen städtischen Kindergarten zu besuchen, werde selbst vom Revisionswerber nicht behauptet. Zudem wäre es ihm freigestanden, in Wien für seine Tochter den seinen Vorstellungen und Ansprüchen entsprechenden Kindergarten oder die passende Volksschule zu wählen. Selbst wenn der Revisionswerber für seine Tochter eine private Bildungseinrichtung in Betracht gezogen hätte, so gebe es gerade in Wien viele von verschiedensten Einrichtungen und Organisationen geführte private Kindergärten, bei denen der Beitrag der Eltern durch Zuschüsse der Stadt Wien an die Trägerorganisationen oder einen Direktzuschuss zum Elternbeitrag gering gehalten werde, sodass sich auch beim Besuch eines privaten Kindergartens seiner Tochter die finanzielle Mehrbelastung des Revisionswerbers in vertretbaren Grenzen gehalten hätte (Hinweis auf www.wien.gv.at/bildung/kindergarten/).
13 Auch wenn sich - wie der Revisionswerber ausführe - für seine Tochter im näheren Umfeld des Familienwohnsitzes bereits Freundschaften ergeben hätten und er den Kontakt seiner Tochter, die als Einzelkind aufwachse, zu Cousins und Großeltern forciere und diese intensiven Kontakte nach einem Umzug nach Wien nicht mehr in diesem Ausmaß möglich wären, mache das die Verlegung des Familienwohnsitzes nicht unzumutbar. Für das Gericht sei das Bestreben des Revisionswerbers, dass seine Tochter ihre Kontakte zu Freundinnen und Freunden und zu den Verwandten weiterhin im gleichen Ausmaß aufrechterhalten könne und sie in ihrem bisherigen gewöhnten sozialen Umfeld aufwachse, durchaus einsichtig. Umstände von erheblich objektiven Gewicht für die Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung würden damit aber nicht aufgezeigt. Der Verwaltungsgerichtshof habe wiederholt ausgesprochen, dass der Verlust des „sozialen Umfeldes“ keine steuerlich beachtenswerten Gründe für die Beibehaltung des Wohnsitzes begründe (Hinweis auf , ).
14 Wie der Verwaltungsgerichtshof in einem jüngeren Erkenntnis (Hinweis auf ) zu Aufwendungen für Familienheimfahrten unter Hinweis auf seine Rechtsprechung zur Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen dezidiert hervorgestrichen habe, hätte das BFG in dem damaligen Fall dem Umstand, wonach die Ehefrau des Steuerpflichtigen am Familienwohnsitz in Polen drei minderjährige Kinder (ein Kleinkind sowie zwei Kinder im Kindergarten- bzw. Schulalter) betreue, nicht von vornherein keine Bedeutung beimessen dürfen. Daraus sei aber nach Ansicht des BFG nicht zu schließen, dass immer dann, wenn ein minderjähriges Kind am Familienwohnsitz einen Kindergarten oder eine Schule besuche, von einer „Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes“ gesprochen werden könne. Dies könne zwar als Indiz gewertet werden; es müssten aber, da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sämtliche Umstände des Einzelfalles zu beachten seien, auch weitere Gründe für die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes hinzutreten. Da dies nach den vorstehenden Ausführungen gegenständlich aber nicht der Fall sei, seien im Ergebnis die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung in den Beschwerdejahren 2016 bis 2018 nicht gegeben. Dementsprechend seien auch die geltend gemachten Aufwendungen für Familienheimfahrten nicht als beruflich veranlasst anzusehen, zumal Aufwendungen für Familienheimfahrten des Arbeitnehmers von dem am Arbeitsort gelegenen Wohnsitz zum Familienwohnsitz unter jenen Voraussetzungen Werbungskosten seien, unter denen eine doppelte Haushaltsführung als beruflich veranlasst gelte.
15 Die Revision ließ das BFG zu, weil die entscheidende Rechtsfrage, ob allein der Umstand, dass der andere (Ehe)Partner am Familienwohnsitz ein minderjähriges, unterhaltsberechtigtes Kind betreue, das dort einen Kindergarten bzw. eine Pflichtschule besuche und in das dort bestehende soziale Netzwerk eingebunden sei, zu einer Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes führe, bisher nicht an den Verwaltungsgerichtshof herangetragen worden sei. Dieser Rechtsfrage komme über den Einzelfall hinaus Bedeutung zu, zumal die Lohnsteuerrichtlinien, die zwar für das erkennende Gericht keine verbindliche Rechtsquelle bildeten, aber für die Verwaltungspraxis von nicht unerheblicher Bedeutung seien, in Rz. 345, fünfter Punkt, unter Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2016/13/0016, dahingehend geändert worden seien, dass nach Ansicht des Finanzministeriums die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort immer dann unzumutbar sei, wenn im gemeinsamen Haushalt minderjährige, unterhaltsberechtigte Kinder wohnten.
16 In der daraufhin erhobenen ordentlichen Revision wies der Revisionswerber auf die Zulassung der Revision durch das BFG hin. Ergänzend machte er zur Zulässigkeit geltend, das BFG weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs insofern ab, als dem Revisionswerber im Verfahren zu Ra 2016/13/0016 der Familienwohnsitz in Polen zuerkannt worden sei, weil dessen Ehefrau schulpflichtige Kinder zu versorgen habe und eine Verlegung des Familienwohnsitzes daher unzumutbar wäre.
17 Das Finanzamt verzichtete unter Hinweis auf die geänderten Lohnsteuerrichtlinien auf die Erstattung einer Revisionsbeantwortung.
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
19 Die Revision ist zur Klarstellung der von ihr angesprochenen Rechtsfrage zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
20 Gemäß § 20 Abs. 1 Z 1 EStG 1988 dürfen die für den Haushalt von Steuerpflichtigen und für den Unterhalt ihrer Familienangehörigen aufgewendeten Beträge bei den einzelnen Einkünften nicht abgezogen werden. Dasselbe gilt nach § 20 Abs. 1 Z 2 lit. a EStG 1988 für Aufwendungen und Ausgaben für die Lebensführung, selbst wenn sie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung von Steuerpflichtigen mit sich bringt und sie zur Förderung des Berufes oder der Tätigkeit der Steuerpflichtigen erfolgen.
21 Haushaltsaufwendungen oder Aufwendungen für die Lebensführung sind demnach grundsätzlich nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abziehbar. Lediglich unvermeidbare Mehraufwendungen, die Steuerpflichtigen dadurch erwachsen, dass sie am Beschäftigungsort wohnen müssen und ihnen die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort ebenso wenig zugemutet werden kann wie die tägliche Rückkehr zum Familienwohnsitz, werden als beruflich bzw. betrieblich bedingte Mehraufwendungen bei jener Einkunftsart abzuziehen sein, bei der sie erwachsen sind (vgl. ).
22 Wie der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat, ist die Beibehaltung des Familienwohnsitzes aus der Sicht einer Erwerbstätigkeit, die in unüblicher Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt wird, niemals durch die Erwerbstätigkeit, sondern immer durch Umstände veranlasst, die außerhalb dieser Erwerbstätigkeit liegen. Berufliche Veranlassung der mit der doppelten Haushaltsführung verbundenen Mehraufwendungen von Steuerpflichtigen und deren daraus resultierende Qualifizierung als Werbungskosten sind nach ständiger Rechtsprechung nur dann anzunehmen, wenn den Steuerpflichtigen die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Ort ihrer Beschäftigung nicht zuzumuten ist, wobei die Unzumutbarkeit unterschiedliche Ursachen haben kann. Solche Ursachen müssen aus Umständen resultieren, die von erheblichem objektiven Gewicht sind. Momente bloß persönlicher Vorliebe für die Beibehaltung des Familienwohnsitzes reichen nicht aus. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Frage, ob Steuerpflichtigen zuzumuten ist, ihren Wohnsitz in den Nahbereich seiner Arbeitsstätte zu verlegen, nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen (vgl. ).
23 Wie der Verwaltungsgerichtshof in mittlerweile ständiger Rechtsprechung zum EStG 1988 vertritt, kann die Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung ihre Ursache dabei auch in der privaten Lebensführung haben (vgl. , mit Hinweis auf , sowie ; zur Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen vgl. , VwSlg 8265/F; sowie , mwN).
24 Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof in dem vom BFG und der Revision angesprochenen Erkenntnis vom , Ra 2016/13/0016, ausgesprochen, dass sich das BFG auch mit dem vom damaligen Revisionswerber ins Treffen geführten Umstand, wonach seine Ehegattin am Familienwohnsitz in Polen drei minderjährige Kinder (ein Kleinkind sowie zwei Kinder im Kindergarten- bzw. Schulalter) betreue, auseinandersetzen muss und diesem Umstand nicht von vornherein keine Bedeutung beimessen darf.
25 Im Gegensatz dazu hat sich das BFG im vorliegenden Fall aber sehr eingehend mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zu seiner minderjährigen Tochter auseinander gesetzt und - vor dem Hintergrund des Kindeswohls - fallbezogen keine Umstände (insbesondere im Zusammenhang mit einem möglichen Wechsel des Kindergartens oder Volksschule) feststellen können, die eine Verlegung des Familienwohnsitzes im Revisionsfall als unzumutbar erscheinen lassen (vgl. auch Hofstätter/Reichel, EStG § 16 Abs 1 Z 6 EStG Tz 80).
26 Dass die dabei vom BFG im Revisionsfall vorgenommene Beweiswürdigung unschlüssig wäre (zum Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofs vgl. zB , mwN) oder das BFG den Begriff der Unzumutbarkeit in diesem Zusammenhang falsch ausgelegt hätte, zeigt die Revision nicht auf.
27 Die Revision erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Wien, am
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RO2021150037.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
MAAAF-46658