VwGH 18.12.2024, Ro 2021/13/0011
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lukacic-Marinkovic, über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Niederösterreich Mitte, in 2700 Wiener Neustadt, Grazer Straße 95, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7104192/2020, betreffend Einkommensteuer 2015 (Mitbeteiligte: B in N), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte machte im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2015 verschiedene gesundheitsbezogene Aufwendungen, darunter auch die im Revisionsfall strittigen Kosten für eine Schulteroperation in einer Privatklinik in der Höhe von 2.005 € geltend.
2 Mit Vorhalt vom forderte das Finanzamt die Mitbeteiligte u.a. auf, Belege betreffend diese Aufwendungen vorzulegen.
3 Im Einkommensteuerbescheid vom erkannte das Finanzamt u.a. die Kosten der Operation in der Privatklinik nicht als außergewöhnliche Belastung an. Begründend führte es im Wesentlichen aus, der Entschluss, sich im Falle einer Operation an den Arzt (Privatklinik) des Vertrauens zu wenden, sei durchaus verständlich und nachvollziehbar, es handle sich dabei allerdings um eine freiwillige Entscheidung, die nach der Rechtslage keine Zwangsläufigkeit der Aufwendungen begründe.
4 Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde, in der sie die nochmalige Überprüfung und Berücksichtigung der Spitalskosten beantragte. Begründend führte sie aus, sie habe seit mehr als 35 Jahren Diabetes Typ 1. Aufgrund dieser Erkrankung mit ihren Folgeerscheinungen sei ihr eine 50 %ige Behinderung zuerkannt worden. Trotz ihrer Erkrankung habe sie stets gearbeitet und regelmäßig ihre Abgaben gezahlt. In den letzten Jahren habe sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert und es würden mittlerweile immer mehr Folgeerkrankungen auftreten. Aufgrund diverser medizinischer Eingriffe und dem damit verbundenen Ausfall als Arbeitskraft habe sie intensiv um die Erhaltung ihres Arbeitsplatzes zu kämpfen. Sie habe sich für die Operation in einer Privatklinik entschieden, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Monate im Krankenstand gewesen sei. Ihre Personalchefin habe sie immer wieder zu Gesprächen eingeladen und sie unter Druck gesetzt. Sie sei betriebsintern auf verschiedene Arbeitsplätze versetzt worden, die weder ihrer Ausbildung noch ihrer langjährigen Erfahrung entsprochen hätten. Die nervliche Anspannung und die ständigen Schmerzen hätten zu einer massiven Verschlechterung ihrer Blutzuckerwerte geführt. Die sie betreuenden Ärzte hätten eine rasche Operation empfohlen, um ihren Körper nicht noch mehr zu schädigen bzw. einer Medikamentenabhängigkeit (aufgrund der Einnahme suchtgefährdender Schmerzmittel) zu entgehen. Die Wartezeit für die benötigte Operation hätte in verschiedenen angefragten Krankenhäusern mindestens drei bis sechs Monate betragen. In dieser Zeit hätte sie noch länger Krankengeld beziehen müssen. Dies seien ihre Beweggründe für die Operation und die Investition von 2.005 € gewesen. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung zur Übernahme solcher Kosten sei ihr wegen ihrer Grunderkrankung nie möglich gewesen. Sie habe die Kosten für die Operation nicht freiwillig auf sich genommen. Ihre langjährige Erkrankung erfordere von ihr beträchtliche finanzielle Aufwendungen, die ein Gesunder nicht tragen müsse. Sie habe keine andere Wahl als eine rasche Operation gehabt, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten und eine drohende „Aussteuerung“ der Gebietskrankenkasse zu vermeiden. Die Wartezeit von drei bis sechs Monaten hätte sie in finanzielle Probleme gestürzt und ihr Dienstgeber hätte nach einem Jahr eventuell eine Begründung zur Kündigung finden können. Sie habe damals ohnedies bereits mangels Entgeltfortzahlung des Dienstgebers einen monatlichen Einkommensverlust gehabt. Sie habe sich daher in der vom Gesetzgeber geforderten Zwangslange befunden. Sie habe 35 Jahre gearbeitet, sei kein einziges Mal arbeitslos gewesen und werde es schaffen, im Folgejahr direkt aus einem Arbeitsverhältnis in Pension zu gehen.
5 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.
6 Mit Eingabe vom beantragte die Mitbeteiligte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde statt und änderte den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass es die Einkommensteuer für das Jahr 2015 unter Berücksichtigung der von der Mitbeteiligten geltend gemachten Aufwendungen für die Operation festsetzte. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig.
8 Begründend führte das Bundesfinanzgericht - nach Wiedergabe des Verfahrensgangs - zusammengefasst aus, die Mitbeteiligte sei seit im Krankenstand gewesen und habe ab Krankengeld bezogen. Die verfahrensgegenständliche Operation habe in einem Privatspital am stattgefunden. Unstrittig sei, dass die Ursache für die Operation eine Folgeerkrankung ihrer Diabetes Typ 1, welche zu einem 50 %igen Behinderungsgrad geführt habe, gewesen sei. Die Angst der Mitbeteiligten vor einer „Aussteuerung“ durch die Gebietskrankenkasse sei zum Zeitpunkt der Operation noch nicht objektiv nachvollziehbar gewesen, weil die Mitbeteiligte erst ein halbes Jahr Krankengeld bekommen habe und für eine „langjährig Versicherte“ das Krankengeld gemäß § 139 Abs. 1 ASVG für bis zu 52 Wochen bezahlt worden wäre. Das Krankengeld sei daher für eine weitere Wartezeit von drei bis sechs Monaten gesichert gewesen. Die Angst der Mitbeteiligten vor einem Verlust ihres Arbeitsplatzes sei objektiv nachvollziehbar. § 20 Angestelltengesetz sehe zwar eine Kündigungsfrist vor, es gebe aber keinen Kündigungsschutz für Angestellte im Krankenstand. Die Mitbeteiligte habe sich somit aus einem objektiv nachvollziehbaren Grund für eine Operation auf eigene Kosten entschieden. Dieser Grund sei zwingend gewesen, weil der Verlust des Arbeitsplatzes eine unbedingt zu vermeidende Situation sei. Die Mitbeteiligte habe die verfahrensgegenständliche Behandlung im Privatspital nicht wegen allgemeiner Befürchtungen hinsichtlich der Qualität öffentlicher Krankenhäuser gewählt, habe sie sich doch im Mai 2015 in einem näher genannten öffentlichen Krankenhaus behandeln lassen. Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse sei es der Mitbeteiligten auch nicht darum gegangen, im Privatspital einen „Hotelkomfort zu genießen“. Ob triftige medizinische Gründe für den früheren Operationstermin im Privatspital statt des späteren Termins im öffentlichen Krankenhaus vorgelegen seien, könne mangels ärztlicher Bestätigungen nicht beurteilt werden, sei letztendlich für die vorliegende Entscheidung aber auch nicht relevant.
9 Rechtlich folgerte das Bundesfinanzgericht, die Belastung der Mitbeteiligten sei außergewöhnlich, weil sie im Sinne des § 34 Abs. 2 EStG 1988 höher sei als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse erwachse. Die wesentliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit werde gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 durch einen Selbstbehalt berücksichtigt. Da es sich im revisionsgegenständlichen Fall um Heilbehandlungskosten infolge einer Behinderung handle, sei gemäß § 34 Abs. 6 iVm § 35 EStG 1988 und § 4 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen kein Selbstbehalt nach § 34 Abs. 4 EStG 1988 anzusetzen. Strittig sei die Zwangsläufigkeit im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG 1988, die vorliege, wenn sich der Steuerpflichtige der Belastung aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen könne. Hinsichtlich der Kosten der Heilbehandlung der Steuerpflichtigen könne es sich nur um tatsächliche Gründe handeln. Der gegenständliche Sachverhalt sei dadurch gekennzeichnet, dass die Mitbeteiligte aus objektiv nachvollziehbaren Gründen befürchtet habe, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie nicht für eine rasche Operation in einem Privatspital gesorgt hätte, um ihren bereits sieben Monate dauernden Krankenstand einem baldigen Ende zuzuführen. Deshalb habe sich die Mitbeteiligte aus tatsächlichen Gründen der Kosten für die Operation nicht entziehen können, sodass die diesbezügliche Belastung der Mitbeteiligten zwangsläufig gewesen sei. Zum gleichen Ergebnis gelange man auch mit der Argumentation von Wanke in Wiesner et al., EStG § 34 Anm 78, wonach die hohen Kosten eines Privatkrankenhauses idR wegen der freien Arztwahl in Kauf genommen würden und einem Steuerpflichtigen nicht die Behandlung durch einen Arzt seines Vertrauens versagt werden könne, sodass Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen seien, ohne dass es im Einzelfall der an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedürfe.
10 Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Bundesfinanzgericht mit fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob auch die Abwendung einer Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz ein geeignetes Kriterium sei, um die Zwangsläufigkeit der Behandlungskosten im Privatspital zu beurteilen. In der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien nur Fälle ersichtlich, in welchen Behandlungskosten in einem Privatspital bzw. auf der Sonderklasse nach dem Kriterium der triftigen medizinischen Gründe auf ihre Zwangsläufigkeit geprüft worden seien.
11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, in der zur Zulässigkeit neben der vom Bundesfinanzgericht angeführten Begründung vorbracht wird, das Innehaben eines Arbeitsplatzes könne grundsätzlich als eine Beteiligung am Wirtschaftsleben angesehen werden. Der Verwaltungsgerichtshof habe bisher Kosten aus Gründen der Beteiligung am Wirtschaftsleben als nicht zwangsläufig erwachsen eingestuft (Hinweis auf ), sodass das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts auch in Widerspruch zu dieser Judikatur stehe. Abgesehen davon widerspreche die Berücksichtigung der Kosten einer Heilbehandlung als außergewöhnliche Belastung, ohne eine Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach vorzunehmen, der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
12 Das Bundesfinanzgericht legte dem Verwaltungsgerichtshof die ordentliche Amtsrevision nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem von der Mitbeteiligten keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, vor.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
15 Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss vor allem folgende Voraussetzungen erfüllen:
„1. Sie muß außergewöhnlich sein (Abs. 2).
2. Sie muß zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
3. Sie muß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).“
16 Die im vorliegenden Fall strittige Voraussetzung der Zwangsläufigkeit ist gemäß § 34 Abs. 3 EStG 1988 erfüllt, wenn sich der Steuerpflichtige der Belastung aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Dabei ist die Zwangsläufigkeit des Aufwands stets nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen. Solche tatsächlichen Gründe, die die Zwangsläufigkeit der Belastung zu begründen vermögen, können insbesondere in der Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Betreuungsbedürftigkeit des Steuerpflichtigen gelegen sein. Die Zwangsläufigkeit ergibt sich bei Krankheitskosten aus der Tatsache der Krankheit (vgl. etwa , mwN).
17 Zu den als außergewöhnliche Belastung abzugsfähigen Krankheitskosten zählen nur Aufwendungen für solche Maßnahmen, die zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig sind. Zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit (dem Grunde nach) ist nach der hg. Rechtsprechung ein ärztliches Zeugnis oder ein Gutachten erforderlich. Einem ärztlichen Gutachten kann es gleich gehalten werden, wenn ein Teil der angefallenen Aufwendungen von einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung übernommen wird (vgl. etwa , mwN).
18 Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können auch Aufwendungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, dem Steuerpflichtigen (der Höhe nach) zwangsläufig erwachsen, wenn sie aus triftigen Gründen medizinisch geboten sind (vgl. etwa ; , Ra 2020/13/0062; , Ra 2021/15/0059; ; Ra 2020/15/0066; jeweils mwN). Die Beweislast dafür trägt der Steuerpflichtige, der selbst alle Umstände darzulegen hat, auf welche die Berücksichtigung bestimmter Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung gestützt werden kann (vgl. erneut ; , Ra 2020/13/0057; jeweils mwN).
19 Das Bundesfinanzgericht hat im angefochtenen Erkenntnis ausgeführt, mangels ärztlicher Bestätigungen könne nicht beurteilt werden, ob triftige medizinische Gründe für den früheren Operationstermin im Privatspital statt des späteren Termins im öffentlichen Krankenhaus vorgelegen seien. Dies sei allerdings auch nicht relevant, ergebe sich die Zwangsläufigkeit doch aus dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes.
20 Damit steht das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts aber nicht im Einklang mit der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten anhand deren medizinischer Notwendigkeit zu beurteilen ist und die Abzugsfähigkeit von nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragenen Aufwendungen nur bei Vorliegen triftiger medizinischer Gründe gegeben ist, für die der Steuerpflichtige die Beweislast trägt.
21 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RO2021130011.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAF-46624