TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH 06.09.2023, Ro 2021/08/0016

VwGH 06.09.2023, Ro 2021/08/0016

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
ABBG 2019 §8 Abs2
ASVG §111
ASVG §111a Abs1
VwRallg
RS 1
§ 111a Abs. 1 ASVG erkennt den dort genannten Behörden die Parteistellung und Beschwerdelegitimation "in den Verwaltungsstrafverfahren nach § 111" ASVG (schlechthin) zu, ohne dabei nach einzelnen Tatbeständen dieser Strafbestimmung zu unterscheiden. Voraussetzung ist lediglich, dass eine Betretung zu dem Verwaltungsstrafverfahren geführt hat, und die Betretung durch Organe der betreffenden Behörde erfolgt ist (zum Begriff der Betretung vgl. näher ).
Norm
VStG §22 Abs2
RS 2
Der Begriff "Scheinkonkurrenz" bringt zum Ausdruck, dass in Wahrheit keine Konkurrenz von Strafbestimmungen vorliegt, sondern eben nur eine Bestimmung, nach der bestraft werden kann (vgl. , mwN). Zu den Fällen der Scheinkonkurrenz zählen die Subsidiarität, die Spezialität und die Konsumtion (vgl. , mwN).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ro 2019/04/0012 E RS 2
Normen
ASVG §111 Abs1 Z1
VStG §22 Abs2
RS 3
Eine meldepflichtige Person, die einen Dienstnehmer an einem erst nach dem tatsächlichen Arbeitsantritt gelegenen Tag (mit Wirksamkeit ab diesem Tag) zur Pflichtversicherung anmeldet, verwirklicht nach § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG formal sowohl den Tatbestand der "nicht rechtzeitigen" Anmeldung (dritter Fall) als auch der "falschen" Anmeldung (zweiter Fall). Beschränkt sich in einer solchen Situation der Vorwurf der "falschen" Anmeldung ausschließlich darauf, dass der in der nachgeholten Anmeldung angegebene Zeitpunkt des Arbeitsantritts nicht dem Tag des tatsächlichen Arbeitsantritts, sondern dem Tag der Betretung entspricht, wohnt diesem Vorwurf kein Unrechtsgehalt inne, der über jenen der bis zum Tag der Betretung unterlassenen (nicht rechtzeitigen) Anmeldung hinaus geht, geht es doch auch beim Vorwurf einer solchen Falschmeldung (nur) darum, dass durch nicht gemeldete Beschäftigungszeiten keine Beiträge verkürzt werden sollen. In einem solchen Fall ergibt sich aus den konkreten Umständen des Tatgeschehens ein Zurücktreten des Tatbestands nach § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG (zweiter Fall) gegenüber dem Tatbestand des dritten Falles. Erfolgte bereits eine Bestrafung wegen der bis zur Betretung nicht erfolgten Anmeldung vor Arbeitsantritt, verbleibt für eine Bestrafung dafür, dass der Meldepflichtige die nachgeholte Anmeldung nicht zum Tag des tatsächlichen Arbeitsantritts, sondern zum Tag der Betretung erstattet hat, kein Raum.

Entscheidungstext

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

Ro 2021/08/0017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revisionen 1. des J H und 2. des J S, beide in B, beide vertreten durch Dr. Paul Kreuzberger, Mag. Markus Stranimaier & Mag. Manuel Vogler Rechtsanwälte und Strafverteidiger OG in 5500 Bischofshofen, Mohshammerplatz 14, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , Zlen. 405-7/1087/1/14-2021 und 405-7/1088/1/14/2021, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Am fand auf einer Baustelle der H S GmbH eine Kontrolle durch Organe des Finanzamtes S am See statt, die zu Anträgen auf Bestrafung der nunmehrigen Revisionswerber als zur Vertretung nach außen Berufene der H S GmbH wegen Übertretung des § 111 iVm. § 33 Abs. 1 ASVG führte. Den Strafanträgen zufolge seien bei der genannten Kontrolle durch die „Finanzpolizei S“ auf der Baustelle „insgesamt 3 Dienstnehmer der Firma [H S GmbH]“ angetroffen worden, die mit Abbrucharbeiten beschäftigt gewesen seien. Diese Dienstnehmer seien nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung angemeldet worden. Hinsichtlich des Dienstnehmers F bestehe zudem „der Verdacht einer Falschmeldung“, weil für diesen „am um 9:09:16 Uhr“, also nach Kontrollbeginn eine „ELDA-Meldung mit Beschäftigung ab “ erfolgt sei, obwohl dieser „laut den niederschriftlichen Angaben und den vorgelegten Aufzeichnungen (Lieferscheinbuch)“ bereits seit gearbeitet habe.

2 Mit Straferkenntnissen vom bestrafte die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau (im Folgenden: belangte Behörde) die Revisionswerber gemäß § 111 Abs. 1 Z 1 iVm. § 33 Abs. 1 ASVG, (unter anderem) weil sie es als zur Vertretung nach außen Berufene der H S GmbH zu verantworten hätten, dass diese Gesellschaft den Dienstnehmer F als eine in der Krankenversicherung pflichtversicherte Person in ihrem Betrieb beschäftigt habe, „ohne diese[n] vor Arbeitsantritt (am ) beim zuständigen Krankenversicherungsträger angemeldet zu haben“ (laut Lieferscheinbuch habe dieser seit täglich zwischen 8,0 und 10,0 Stunden an 5 Tagen pro Woche gearbeitet). Über die Revisionswerber wurde wegen dieser Verwaltungsübertretung jeweils eine Geldstrafe von € 900 (Ersatzfreiheitsstrafe 96 Stunden) zuzüglich eines Verfahrenskostenbeitrags verhängt. Diese Straferkenntnisse wurden rechtskräftig.

3 Mit weiteren Bescheiden vom selben Tag stellte die belangte Behörde die Verwaltungsstrafverfahren im Hinblick auf den weiters in den Strafanträgen erhobenen Vorwurf einer falschen Anmeldung des genannten Dienstnehmers ein. Der Spruch dieser Bescheide lautete jeweils (Hervorhebung im Original):

„Angaben zur Tat:

- Zeit der Begehung: Kontrolle am um 08:45 Uhr durch die Finanzpolizei S

Ort der Begehung: Baustelle[...]

o Sie haben es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Firma [H S GmbH] mit Sitz in [...] und somit als nach außen vertretungsbefugtes Organ zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeber Herrn [...] als eine in der Krankenversicherung pflichtversicherte Person (Vollversicherte und Teil-versicherte) in Ihrem Betrieb ab beschäftigte und die Anmeldung beim zuständigen Krankenversicherungsträger erst am (nach der Kontrolle durch die Finanzpolizei) mit Beschäftigungsbeginn erstattet wurde.

Rechtsvorschriften: § 9 Abs 1 VStG iVm § 33 Abs 1 iVm § 111 Abs 1 Z 1 ASVG, BGBl Nr 189/1955 idgF Das ggst. Verwaltungsstrafverfahren wird gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 eingestellt.

4 In der Begründung dieser Bescheide führte die belangte Behörde aus, grundsätzlich bestünden die Tatbestände des § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG nebeneinander. Demnach handle ordnungswidrig, wer die Anmeldung zur Pflichtversicherung oder Anzeigen nicht oder falsch oder nicht rechtzeitig erstatte. Es sei daher strafbar, wenn ein Dienstnehmer beschäftigt werde, ohne ihn vor Arbeitsantritt gemäß § 33 Abs. 1 ASVG zur Sozialversicherung gemeldet zu haben und es sei strafbar, wenn in der Folge die verspätete Meldung einen falschen Inhalt habe. Im Fall einer verspäteten Meldung, die aufgrund einer Beschäftigungskontrolle erfolgt sei und „in welcher nicht der korrekte Beschäftigungsbeginn“ gemeldet werde, sei der Unrechtsgehalt bereits im Vorwurf einer Beschäftigung ohne Anmeldung bzw. einer verspäteten Anmeldung mitumfasst. Andernfalls wären Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer verspätet anmeldeten, schlechter gestellt als solche, „die nach einer Kontrolle gar keine Meldung erstatten“. Die Beschäftigung des Dienstnehmers F ohne Anmeldung zur Sozialversicherung vor Arbeitsbeginn sei (den Revisionswerbern gegenüber) bereits „mit Straferkenntnissen erledigt worden“. Es liege daher (im Hinblick auf den hier strittigen weiteren Vorwurf der Falschmeldung) keine Verwaltungsübertretung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz vor.

5 Gegen diese Einstellungsbescheide erhob das Amt für Betrugsbekämpfung Beschwerden und brachte vor, es sei nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde zum Ergebnis gelange, dass das Verfahren betreffend die „Falschmeldung“ einzustellen sei. Mit Anmeldung des Dienstnehmers F, „durchgeführt am um 09:09:16 Uhr“ sei „vorsätzlich auf Grund des Wissens des Beschuldigten, dass [F] bereits am ab [im] Betrieb gearbeitet hat, ... neuerlich eine strafbare Tathandlung“ gesetzt worden. Diese Tathandlung könne „nicht unter eine vorangegangene Nichtanmeldung, in diesem Fall vom bis zum Anmeldezeitpunkt am subsumiert“ werden. Zu den Ausführungen der belangten Behörde, wonach andernfalls „Arbeitgeber, die ihre Arbeiter verspätet anmelden, schlechter gestellt [wären] als solche, die nach einer Kontrolle gar keine Meldung erstatten“, sei auszuführen, dass im vorliegenden Fall „keine verspätete Anmeldung, sondern eine falsche Anmeldung ab o.a. Anmeldezeitpunkt“ vorliege.

6 Das Verwaltungsgericht verband die Beschwerdeverfahren zur gemeinsamen Entscheidung, gab den Beschwerden mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge und änderte die Bescheide der belangten Behörde dahingehend ab, dass sie jeweils wie folgt zu lauten hätten:

„Sie haben als handelsrechtlicher Geschäftsführer der [H S GmbH...] und somit als gemäß § 9 Abs 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ zu verantworten, dass diese als Dienstgeberin den als Vollversicherten in der Krankenversicherung pflichtversicherten Dienstnehmer [...] am um 09:09 Uhr - nach einer Kontrolle durch Organe der Finanzpolizei am um 08:45 Uhr auf der Baustelle [...] beim zuständigen Krankenversicherungsträger mit Beschäftigungsbeginn angemeldet hat, obwohl dieser bereits seit beschäftigt worden ist. Die Anmeldung zur Pflichtversicherung wurde somit falsch erstattet.

Sie haben dadurch folgende Verwaltungsübertretung begangen:

Übertretung gemäß § 33 Abs 1 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz - ASVG, BGBl Nr 189/1955 idF BGBl I Nr 44/2016, iVm § 111 Abs 1 Z 1 ASVG, BGBl Nr 189/1955 idF BGBl I Nr 113/2015

Deshalb wird gegen Sie folgende Verwaltungsstrafe verhängt:

Strafe gemäß § 111 Abs 2 ASVG, BGBl Nr 189/1955 idF BGBl I Nr 113/2015: € 730 Ersatzfreiheitsstrafe: 72 Stunden.

Gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG beträgt der Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens € 73“.

7 In der Begründung des Erkenntnisses führte das Verwaltungsgericht unter anderem Folgendes aus:

8 Die Revisionswerber seien als zur Vertretung nach außen berufene Organe der H S GmbH rechtskräftig dafür bestraft worden, dass der in der Anzeige genannte Dienstnehmer beschäftigt worden sei, ohne vor Arbeitsantritt am beim zuständigen Krankenversicherungsträger angemeldet worden zu sein. Der Dienstnehmer sei, obwohl er bereits seit dem beschäftigt worden sei, nach der Kontrolle am um 09:09 Uhr mit Beschäftigungsbeginn „“ zur Sozialversicherung angemeldet worden. Da die Meldung somit falsch erstattet worden sei, sei der zur Last gelegte Tatbestand objektiv erfüllt. Eine unzulässige Doppelbestrafung sei nicht gegeben. Eine solche liege dann vor, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpfe, so dass ein weiteres Strafbedürfnis entfalle. Dies sei hier nicht der Fall. Während die gesetzliche Verpflichtung zur Anmeldung von Dienstnehmern schon vor Beginn der Arbeitsleistung sicherstelle, dass eine das österreichische Sozialversicherungssystem aushöhlende Schwarzarbeit leicht erkennbar und diese damit erschwert werde, diene die Meldung von Dienstnehmern zur Sozialversicherung auch dem Schutz der Beitragsinteressen der Versichertengemeinschaft und ganz wesentlich dem Schutz des Interesses des einzelnen Dienstnehmers, der bei nicht erfolgter Anmeldung Nachteile im Leistungsrecht erleiden könne (Hinweis auf ). Die Straftatbestände „des Nichtanmeldens vor Arbeitsantritt“ einerseits und „des falschen Anmeldens“ andererseits wiesen unterschiedliche Gesichtspunkte auf, weshalb die falsche Anmeldung zur Sozialversicherung als selbständige Tat zu werten sei. Daher sei den Beschwerden des Amtes für Betrugsbekämpfung Folge zu geben gewesen und hätte jeweils ein Schuldspruch zu erfolgen gehabt.

9 Das Verwaltungsgericht erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG mit der Begründung für zulässig, dass noch keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vorliege, ob eine Bestrafung wegen der Nichtanmeldung eines Dienstnehmers zur Pflichtversicherung (§ 111 Abs. 1 Z 1 erster Fall ASVG) den Tatbestand einer falschen Anmeldung zur Pflichtversicherung (§ 111 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall leg. cit.) konsumiere.

10 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobenen (wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen) ordentlichen Revisionen hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens durch das Verwaltungsgericht (in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde), in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Die Revisionen sind aus dem vom Verwaltungsgericht genannten Grund, auf den auch die Revisionen zurückkommen, zulässig.

12 Sie sind auch berechtigt.

13 § 111 Abs. 1 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, lautete in der im vorgeworfenen Tatzeitpunkt geltenden Fassung (BGBl. I Nr. 113/2015) auszugsweise wie folgt:

„Strafbestimmungen

Verstöße gegen melderechtliche Vorschriften

§ 111. (1) Ordnungswidrig handelt, wer als Dienstgeber oder sonstige nach § 36 meldepflichtige Person (Stelle) oder nach § 42 Abs. 1 auskunftspflichtige Person oder als bevollmächtigte Person nach § 35 Abs. 3 entgegen den Vorschriften dieses Bundesgesetzes

1. die Anmeldung zur Pflichtversicherung oder Anzeigen nicht oder falsch oder nicht rechtzeitig erstattet oder

...“

14 § 111a Abs. 1 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, lautete in der vor seiner Novellierung durch das Finanz-Organisationsreformgesetz - FORG, BGBl. I Nr. 104/2019, geltenden Fassung (BGBl. I Nr. 113/2015):

„Parteistellung im Verwaltungsstrafverfahren

§ 111a. (1) Die Abgabenbehörden des Bundes, deren Prüforgane Personen betreten haben, die entgegen § 33 Abs. 1 nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung angemeldet wurden, haben in den Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 Parteistellung und sind berechtigt, gegen Entscheidungen Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht und Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Verzichten sie auf die Parteistellung, so tritt der Versicherungsträger in diese Parteistellung ein. Der Verzicht ist gegenüber der Bezirksverwaltungsbehörde ausdrücklich zu erklären; diese hat den Versicherungsträger davon unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Der Verzicht bewirkt die Unterbrechung aller in Betracht kommenden Verfahrensfristen.“

15 § 111a Abs. 1 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, lautet in der durch das FORG, BGBl. I Nr. 104/2019, novellierten, mit in Kraft getretenen Fassung (zum In-Kraft-Treten vgl. § 729 ASVG in der Fassung des 2. Finanz-Organisationsreformgesetzes - 2. FORG, BGBl. I Nr. 99/2020):

„Parteistellung im Verwaltungsstrafverfahren

§ 111a. (1) Die Abgabenbehörden des Bundes oder das Amt für Betrugsbekämpfung, deren Organe Personen betreten haben, die entgegen § 33 Abs. 1 nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung angemeldet wurden, haben in den Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 Parteistellung und sind berechtigt, gegen Entscheidungen Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht und Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Verzichten sie auf die Parteistellung, so tritt der Versicherungsträger in diese Parteistellung ein. Der Verzicht ist gegenüber der Bezirksverwaltungsbehörde ausdrücklich zu erklären; diese hat den Versicherungsträger davon unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Der Verzicht bewirkt die Unterbrechung aller in Betracht kommenden Verfahrensfristen.“

16 Die §§ 3 und 8 des Bundesgesetzes über die Schaffung eines Amtes für Betrugsbekämpfung - ABBG, BGBl. I Nr. 104/2019, lauten auszugsweise:

„Aufgaben

§ 3. Dem Amt für Betrugsbekämpfung obliegt insbesondere

...

2. im Geschäftsbereich Finanzpolizei

...

e) die Vollziehung anderer durch unmittelbar anwendbares Recht der Europäischen Union oder Bundesgesetz außerhalb der Abgabenvorschriften dem Amt für Betrugsbekämpfung oder dessen Organen übertragenen Aufgaben,

...

Inkrafttreten, Übergangsregelungen

§ 8. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit in Kraft.

(2) Im Zusammenhang mit im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes anhängigen Verwaltungs- und Verwaltungsstrafverfahren im Sinne des § 3 Z 2 lit. e geht die den Abgabenbehörden gesetzlich eingeräumte Parteistellung auf das Amt für Betrugsbekämpfung über.“

17 Voranzustellen ist, dass dem Vorbringen der Revisionswerber, wonach das Amt für Betrugsbekämpfung nicht legitimiert gewesen sei, gegen die Einstellungsbescheide der belangten Behörde Beschwerden zu erheben (und das Verwaltungsgericht somit die Beschwerden zurückzuweisen gehabt hätte), nicht beigetreten wird.

18 Die Revisionswerber begründen diese Auffassung damit, dass § 111a Abs. 1 ASVG darauf abstelle, dass Organe der in dieser Bestimmung genannten Amtsparteien „Personen betreten haben, die entgegen § 33 Abs. 1 nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung angemeldet wurden“. Daraus schließen sie, dass die Parteistellung auf Verfahren betreffend den Vorwurf beschränkt sei, dass die betretene(n) Person(en) „nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung angemeldet wurde(n)“; im Verfahren betreffend die „Falschmeldung“ komme sie nicht zum Tragen. Im Übrigen sei die Falschmeldung nicht anlässlich der „Betretung“ der in den Strafanträgen genannten Personen, sondern erst bei einer darauf folgenden Durchführung einer ELDA-Abfrage festgestellt worden. Daraus folge, dass insofern das für die Begründung der Parteistellung vorgesehene Erfordernis einer „Betretung“ nicht erfüllt sei.

19 Dem ist zu erwidern, dass § 111a Abs. 1 ASVG den dort genannten Behörden die Parteistellung und Beschwerdelegitimation „in den Verwaltungsstrafverfahren nach § 111“ ASVG (schlechthin) zuerkennt, ohne dabei nach einzelnen Tatbeständen dieser Strafbestimmung zu unterscheiden. Voraussetzung ist lediglich, dass (wie hier) eine Betretung zu dem Verwaltungsstrafverfahren geführt hat, und die Betretung durch Organe der betreffenden Behörde erfolgt ist (zum Begriff der Betretung vgl. näher ).

20 Gemäß § 111a Abs. 1 ASVG in der Fassung vor dem Finanz-Organisationsreformgesetz - FORG, BGBl. I Nr. 104/2019, kam die Parteistellung in dem nach einer Betretung durch Prüforgane einer Abgabenbehörde des Bundes geführten Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 111 ASVG der betreffenden Abgabenbehörde zu. Im vorliegenden Fall erfolgte die Betretung durch (der Organisationseinheit Finanzpolizei zuzuordnende) Organe der Abgabenbehörde, hier des Finanzamtes S (vgl. zur Rechtslage vor In-Kraft-Treten des FORG, BGBl. I Nr. 104/2019, hinsichtlich der Eigenschaft der Finanzpolizei als bloße Organisationseinheit der Abgabenbehörde iSd. § 9 Abs. 3 AVOG 2010 ). Daraus folgte zunächst die Parteistellung der Abgabenbehörde. § 8 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Schaffung eines Amtes für Betrugsbekämpfung (ABBG), BGBl. I Nr. 104/2019, in der Fassung BGBl. I Nr. 99/2020, sieht für Verwaltungsstrafverfahren im Sinne des § 3 Z 2 lit. e leg.cit. vor, dass die (gesetzlich ursprünglich der Abgabenbehörde eingeräumte) Parteistellung am auf das Amt für Betrugsbekämpfung übergeht. Ein solcher Fall lag hier vor, zumal die Betretung durch Organe erfolgte, die der Organisationseinheit „Finanzpolizei“ der Abgabenbehörde zuzuordnen waren. Daher war das Amt für Betrugsbekämpfung zur Erhebung der Beschwerde an das Verwaltungsgericht legitimiert.

21 In der Sache bringen die Revisionswerber vor, sie seien im vorausgegangenen, rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsstrafverfahren wegen des Vorwurfs bestraft worden, dass sie den Mitarbeiter F vor Arbeitsantritt nicht zur Sozialversicherung angemeldet hätten, weil dieser vom 2. November (Arbeitsantritt) bis (Kontrolle) nicht angemeldet gewesen sei. Im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren sei den Revisionswerbern zur Last gelegt worden, sie hätten zudem den Arbeitnehmer F falsch angemeldet und zwar erst mit anstatt mit . Damit beziehe sich sowohl die Bestrafung wegen der Nichtmeldung als auch der hier zusätzlich erhobene Vorwurf der Falschmeldung auf „ein und denselben Tatzeitraum und dasselbe Rechtsgut“. Wie bereits die belangte Behörde richtig ausgeführt habe, liege in diesem Fall eine reine Scheinkonkurrenz vor. Der Unrechtsgehalt einer Falsch- oder verspäteten Meldung sei bereits im Vorwurf einer Beschäftigung ohne Anmeldung mitumfasst. Andernfalls würden Arbeitgeber, die einen Mitarbeiter falsch oder verspätet anmelden, schlechter gestellt als solche, die nach einer Kontrolle gar keine Meldung erstatten. Wenn für denselben Zeitraum keine Meldung erstattet worden und dann - aufgrund eines Versehens - rückwirkend genau für diesen Zeitraum noch eine unrichtige Meldung erfolgt sei, könne dies nicht zu einer doppelten Bestrafung führen. Eine „komplette Nichtmeldung“ für einen Zeitraum sei ein umfassenderer Vorwurf als jener, dass für diesen Zeitraum eine Falschmeldung erfolgt sei.

22 Dies werde auch anhand des folgenden Beispiels deutlich: Wenn ein Arbeitgeber nach einer Nichtmeldung im Zeitraum bis auch anschließend keine (rückwirkende) Meldung für diesen Zeitraum veranlasse, würde „keine Behörde dies zum Anlass nehmen“, neuerlich ein Verwaltungsstrafverfahren einzuleiten und den Arbeitgeber zu bestrafen, sei er doch für die Nichtmeldung im bezeichneten Zeitraum ohnedies bereits bestraft worden. Es könne nicht nochmals eine Bestrafung dafür erfolgen, dass der Arbeitgeber nach der Kontrolle eine nachträgliche Meldung für den gleichen Zeitraum nicht veranlasst habe. Veranlasse er die Meldung aber doch, die infolge eines Versehens unrichtig sei, könne dies nicht schwerere Folgen nach sich ziehen. Infolge Konsumtion sei eine neuerliche Bestrafung des Revisionswerbers im gegenständlichen Verfahren auch wegen der Ordnungswidrigkeit nach § 111 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall ASVG nicht zulässig. Das Verwaltungsgericht habe dadurch gegen das Doppelbestrafungsverbot nach Art. 4 7. ZPMRK verstoßen.

23 Mit diesen Ausführungen sind die Revisionen im Recht.

24 Strafbar ist nach § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG sowohl das Nicht-Erstatten einer gebotenen Anmeldung oder Anzeige (erster Fall) als auch das Erstatten einer falschen Anmeldung oder Anzeige (zweiter Fall) und das nicht rechtzeitige Erstatten einer Anmeldung oder Anzeige (dritter Fall).

25 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass es im Falle einer Scheinkonkurrenz, also wenn der gesamte Unrechtsgehalt eines Delikts von jenem eines anderen, ebenfalls verwirklichten in jeder Beziehung mitumfasst ist, unzulässig ist, dem Täter ein und denselben Unwert mehrmals zuzurechnen; sie führt zu einem Zurücktreten eines Tatbestandes hinter einen anderen, wenn sich aus den konkreten Umständen des Tatgeschehens dessen Vorrang ergibt (vgl. , 0021, mwN).

26 Der Begriff „Scheinkonkurrenz“ bringt zum Ausdruck, dass in Wahrheit keine Konkurrenz von Strafbestimmungen vorliegt, sondern eben nur eine Bestimmung, nach der bestraft werden kann. Zu den Fällen der Scheinkonkurrenz zählen die Subsidiarität, die Spezialität und die Konsumtion (vgl. , mwN).

27 Konsumtion liegt vor, wenn die wertabwägende Auslegung der formal (durch eine Handlung oder durch mehrere Handlungen) erfüllten zwei Tatbestände zeigt, dass durch die Unterstellung der Tat(en) unter den einen der deliktische Gesamtunwert des zu beurteilenden Sachverhalts bereits für sich allein abgegolten ist. Voraussetzung ist, dass durch die Bestrafung wegen des einen Delikts tatsächlich der gesamte Unrechtsgehalt des Täterverhaltens erfasst wird (vgl. , 0047, mwN).

28 Eine meldepflichtige Person, die einen Dienstnehmer an einem erst nach dem tatsächlichen Arbeitsantritt gelegenen Tag (mit Wirksamkeit ab diesem Tag) zur Pflichtversicherung anmeldet, verwirklicht nach § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG formal sowohl den Tatbestand der „nicht rechtzeitigen“ Anmeldung (dritter Fall) als auch der „falschen“ Anmeldung (zweiter Fall).

29 Beschränkt sich in einer solchen Situation der Vorwurf der „falschen“ Anmeldung ausschließlich darauf, dass der in der nachgeholten Anmeldung angegebene Zeitpunkt des Arbeitsantritts nicht dem Tag des tatsächlichen Arbeitsantritts, sondern dem Tag der Betretung entspricht, wohnt diesem Vorwurf kein Unrechtsgehalt inne, der über jenen der bis zum Tag der Betretung unterlassenen (nicht rechtzeitigen) Anmeldung hinaus geht, geht es doch auch beim Vorwurf einer solchen Falschmeldung (nur) davon, dass durch nicht gemeldete Beschäftigungszeiten keine Beiträge verkürzt werden sollen.

30 In einem solchen Fall ergibt sich aus den konkreten Umständen des Tatgeschehens ein Zurücktreten des Tatbestands nach § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG (zweiter Fall) gegenüber dem Tatbestand des dritten Falles. Erfolgte - wie vorliegend - bereits eine Bestrafung wegen der bis zur Betretung nicht erfolgten Anmeldung vor Arbeitsantritt, verbleibt für eine Bestrafung dafür, dass der Meldepflichtige die nachgeholte Anmeldung nicht zum Tag des tatsächlichen Arbeitsantritts, sondern zum Tag der Betretung erstattet hat, kein Raum.

31 Das angefochtene Erkenntnis war daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

32 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 53 Abs. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
ABBG 2019 §8 Abs2
ASVG §111
ASVG §111 Abs1 Z1
ASVG §111a Abs1
VStG §22 Abs2
VwRallg
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RO2021080016.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
JAAAF-46607