VwGH 22.06.2022, Ro 2021/08/0004
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | ASVG §59 Abs2 VwRallg |
RS 1 | Der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 59 Abs. 2 ASVG unterscheidet nicht danach, ob ein Beitragsschuldner wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet oder sich etwa in Liquidation oder Abwicklung befindet (zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung bei eindeutigem Gesetzeswortlaut in Ermangelung der Voraussetzungen für Analogie oder teleologische Reduktion vgl. zB ; , Ra 2017/08/0062; , Ro 2019/12/0007). |
Norm | |
RS 2 | Nach der Rechtsprechung des VwGH zu der gemäß § 59 Abs. 2 ASVG für die Gewährung einer Nachsicht normierten Voraussetzung, dass "die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners gefährdet wären", ist es erforderlich, dass der Antragsteller durch ein konkretes, mit Beweisanboten untermauertes Vorbringen alle Umstände darlegt, aus denen hervorgeht, dass und in welcher Weise seine wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Einhebung der Verzugszinsen in voller Höhe gefährdet wären. Eine solche Gefährdung kann sich etwa daraus ergeben, dass der antragstellende Beitragsschuldner zur Aufbringung der Mittel für die Entrichtung der Verzugszinsen einen Kredit aufnehmen müsste, dessen Rückzahlung ihn wirtschaftlich gefährden könnte, oder, dass er wegen der Bezahlung der Verzugszinsen gehindert wäre, die hiefür aufgewendeten Mittel in anderer Weise, etwa zur Tilgung anderer Schulden oder für betriebsnotwendige Investitionen, einzusetzen und dass ihm daraus eine wirtschaftliche Gefährdung erwachsen sei oder erwachsen könnte (vgl. ; , 88/08/0183; , 95/08/0243). |
Norm | |
RS 3 | Eine Nachsicht oder Herabsetzung der Zinsen ist nicht schon bei bloß angespannter wirtschaftlicher Lage des Unternehmens oder immer dann zulässig, wenn ein Unternehmen Verluste schreibt, sondern nur dann, wenn gerade durch die Einhebung der Verzugszinsen eine konkrete wirtschaftliche Gefährdung eintreten würde, die ansonsten nicht gegeben wäre. Dies darzulegen obliegt im Verfahren dem Beitragsschuldner (, mwN). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der revisionswerbenden Partei B GmbH in H, vertreten durch die Sutterlüty Klagian Brändle Gisinger Rechtsanwälte GmbH in 6850 Dornbirn, Marktstraße 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , I410 2234543-1/3E, betreffend Nachsicht von Verzugszinsen gemäß § 59 Abs. 2 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse Landesstelle Vorarlberg), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses zufolge habe die revisionswerbende Gesellschaft ihre Tätigkeit im Jahr 2016 eingestellt und befinde sich im Stadium der Liquidation. Im Zuge einer den Zeitraum vom bis betreffenden Prüfung lohnabhängiger Abgaben (GPLA) sei ihr ein Betrag von € 160.844,57 an Sozialversicherungsbeiträgen und ein Betrag von € 22.686,86 an Verzugszinsen nachverrechnet worden. Während die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen bereits beglichen sei, sei ein Betrag von Verzugszinsen aus der GPLA (von € 22,686,89) und von laufenden Verzugszinsen (in Höhe von € 5.375,34) ausständig. Gemäß der Bilanz zum Stichtag weise die Gesellschaft einen Bilanzverlust von € 2.927.154,27 bei einem negativen Eigenkapital von € 1.627.154,27 auf. Eine Überschuldung im Sinne des Insolvenzrechts bestehe deshalb nicht, weil Gesellschafterdarlehen in Höhe von € 1,630.000 nachrangig seien. Der ehemalige Gesellschafter und Liquidator leiste weitere Zuschüsse zur Bedienung der Verbindlichkeiten und Sicherstellung einer ordentlichen Liquidation.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht das Ersuchen der revisionswerbenden Gesellschaft auf Nachsicht von Verzugszinsen in Höhe von € 28.062,23 im Beschwerdeverfahren ab. Zur Begründung führte es aus, dass für die Nachsicht von Verzugszinsen die wirtschaftliche Situation des Beitragsschuldners ausschlaggebend sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setze die Nachsicht voraus, dass gerade durch die Einhebung der Verzugszinsen eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse eintreten würde, das heißt, dass eine solche Gefährdung nicht schon durch andere Umstände (wie zB die Einhebung der Sozialversicherungsbeiträge selbst) eingetreten sei. Eine Nachsicht oder Herabsetzung der Zinsen sei somit nicht schon bei bloß (anderweitig verursachter) angespannter wirtschaftlicher Lage des Unternehmens oder immer dann zulässig, wenn ein Unternehmen Verluste schreibe. In diesem Zusammenhang habe der Verwaltungsgerichtshof etwa dem Verhältnis zwischen dem Betrag der Verzugszinsen sowie dem Umstand Bedeutung beigemessen, ob der angestrebte Verzugszinsenverzicht zu einer wesentlichen Sanierung des Unternehmens beitragen könne (Hinweis auf ).
3 Im vorliegenden Fall stelle sich auch die Frage, ob die Nachsichtsregelung des § 59 Abs. 2 Satz 1 ASVG „uneingeschränkt auch auf eine in Liquidation befindliche Beitragsschuldnerin ..., die keinerlei wirtschaftliche Tätigkeit mehr entfaltet“, anwendbar sei.
4 Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts sei dies mit Blick auf den Normzweck des § 59 ASVG, die restriktiven Voraussetzungen für eine Beitragsnachsicht aufgrund der Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse und den Zweck eines Liquidationsverfahrens zu verneinen: Die Liquidation der Gesellschaft diene gemäß § 91 GmbHG nicht nur der Beendigung der laufenden Geschäfte und der Verwertung des Gesellschaftsvermögens, sondern auch der Befriedigung und Sicherstellung der Gläubiger. Würde man aus dem Umstand, dass sich die Beitragsschuldnerin in Liquidation befinde und mangels Geschäftstätigkeit für die Bedeckung offener Verbindlichkeiten nicht mehr kreditfähig sei, auf eine die Nachsicht von Verzugszinsen bedingende Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse schließen, dann wären in Liquidation befindliche Beitragsschuldner gegenüber sonstigen Beitragsschuldnern im Hinblick auf den Normzweck des § 59 Abs. 1 und 2 ASVG unsachlich privilegiert. Dieser Normzweck sei darauf gerichtet, im Interesse der Gleichbehandlung aller Beitragsschuldner einen aus der verspäteten Zahlung von Beiträgen beim säumigen Beitragsschuldner entstandenen wirtschaftlichen Vorteil, dem ein entsprechender Nachteil beim Beitragsgläubiger (und damit der Versichertengemeinschaft) korrespondiert, auszugleichen, und davon nur dann zu dispensieren, wenn die Einhebung der Verzugszinsen in voller Höhe im konkreten Fall die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens gefährde und sich insbesondere als Hindernis für eine wesentliche wirtschaftliche Sanierung des Unternehmens des Beitragsschuldners erweise. Bei einer in Liquidation befindlichen Gesellschaft sei eine wirtschaftliche Sanierung - aufgrund Auflösung und mangels Geschäftstätigkeit - von vornherein nicht denkbar. Zudem scheine es im Hinblick auf den gesetzlich festgelegten Zweck der Liquidation einer Gesellschaft, der gerade auch in der Befriedigung der Gläubiger liege (Hinweis auf § 91 Abs. 2 GmbHG), nicht angemessen, die Verhinderung der durch die Einhebung der Verzugszinsen potentiell drohenden Insolvenz der Gesellschaft in Liquidation als einen im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gesetzmäßigen Zweck einer Verzugszinsennachsicht iSd. § 59 Abs. 2 Satz 1 ASVG anzusehen. Es sei nicht angemessen, die Einhebung von Verzugszinsen als Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse einer Gesellschaft in Liquidation zu betrachten, wenn dadurch gerade ein wesentliches Ziel des Liquidationsverfahrens, nämlich die Befriedigung der Gläubiger, verwirklicht werden solle (ob die aushaftenden Verzugszinsen im Hinblick auf die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft in Liquidation tatsächlich einbringlich gemacht werden können, sei eine davon zu unterscheidende Frage). Vielmehr sei „in einer solchen Konstellation“ das in der Verzugszinsenregelung des § 59 ASVG insgesamt zum Ausdruck kommende öffentliche Interesse der Beitragsgerechtigkeit und des vollständigen Ausgleichs der durch eine verspätete Beitragszahlung entstandenen wirtschaftlichen Nachteile beim Beitragsgläubiger im Rahmen der gebotenen restriktiven Auslegung dieses Nachsichtstatbestands höher zu gewichten. Angesichts dessen sei die Ablehnung der beantragten Verzugszinsennachsicht schon aus diesen Gründen rechtmäßig.
5 Im Übrigen habe die belangte Behörde bereits zutreffend auf die schon spätestens seit dem Jahr 2016, in dem die Geschäftstätigkeit eingestellt worden sei, bestehende, anderweitig verursachte und durch die im Jahr 2018 nachverrechneten Beiträge noch verschlechterte prekäre wirtschaftliche Situation der revisionswerbenden Partei hingewiesen, sodass auch vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich sei, dass nunmehr konkret (erst) durch die Einhebung der Verzugszinsen eine Gefährdung deren wirtschaftlicher Verhältnisse eintrete. Zudem erweise sich die Höhe der aushaftenden Verzugszinsen im Vergleich zu den Gesamtverbindlichkeiten der Beitragsschuldnerin als so untergeordnet, dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse gerade durch die Entrichtung der Verzugszinsen nicht angenommen werden könne.
6 Im gegebenen Zusammenhang könne es nämlich nicht darauf ankommen, ob ein Gesellschafter (wie etwa im Zusammenhang mit der Entrichtung der nachverrechneten Beiträge) erneut in der Lage bzw. bereit sei, die betreffenden Verbindlichkeiten durch weitere verlorene Zuschüsse abzudecken oder nicht. Vielmehr sei hier allein die wirtschaftliche Situation der Beitragsschuldnerin als solche zu betrachten. Die wirtschaftliche Situation der revisionswerbenden Partei sei aber „in ihrer Gesamtheit schon seit Jahren prekär“, sodass eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft gerade nicht (erst) durch die Einhebung der Verzugszinsen eintrete. Vielmehr habe auch bislang, wie die revisionswerbende Partei selbst ausführe, eine Insolvenz der Gesellschaft nur durch „weitere Kapitalzuschüsse von Gesellschafterseite“ abgewendet werden können. Im Ergebnis sei daher der Ablehnung des Antrags, die Verzugszinsen in Höhe von € 28.062,23 gemäß § 59 Abs. 2 ASVG nachzusehen, nicht entgegenzutreten.
7 Das Verwaltungsgericht erklärte die Revision im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG mit der Begründung für zulässig, dass keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vorliege, ob die Nachsichtsregelung des § 59 Abs. 2 Satz 1 ASVG auch auf eine in Liquidation befindliche Beitragsschuldnerin anwendbar sei, obwohl diese keinerlei wirtschaftliche Tätigkeit mehr entfalte, sowie, ob eine solche in Abwicklung befindliche Gesellschaft durch die Einhebung von Verzugszinsen überhaupt im Sinn dieser Bestimmung in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen gefährdet sein könne.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, in der die revisionswerbende Gesellschaft die Verletzung in ihrem Recht, „bei Vorliegen der Voraussetzungen Nachsicht von der Bezahlung von Verzugszinsen gemäß § 59 Abs. 2 ASVG zu erhalten“, geltend macht, und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses beantragt.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat auch eine ordentliche Revision von sich aus die im Lichte des Art. 133 Abs. 4 B-VG maßgeblichen Gründe ihrer Zulässigkeit darzulegen, sofern sie der Auffassung ist, die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision reiche nicht aus, oder sie andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. u.a. ; , Ro 2018/12/0002 bis 0008). Wird in der Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichts das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht dargestellt und auch vom Revisionswerber nicht (gesondert) dargelegt, dass die Entscheidung über die Revision von der Beantwortung einer (anderen als der vom Verwaltungsgericht angesprochenen) Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt, so ist auch eine ordentliche Revision zurückzuweisen (vgl. , mwN).
13 Soweit die Begründung des Zulässigkeitsausspruchs des angefochtenen Erkenntnisses (der sich die revisionswerbende Gesellschaft im Rahmen der Ausführungen zur Zulässigkeit ihrer Revision angeschlossen hat) eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung darin erblickt, dass keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vorliege, ob die Nachsichtsregelung des § 59 Abs. 2 Satz 1 ASVG auch auf eine in Liquidation befindliche Beitragsschuldnerin „anwendbar“ sei, die keinerlei wirtschaftliche Tätigkeit mehr entfalte, und ob eine solche in Abwicklung befindliche Gesellschaft durch die Einhebung von Verzugszinsen „überhaupt im Sinn dieser Bestimmung in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen gefährdet“ sein könne, ist auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 59 Abs. 2 ASVG hinzuweisen, der nicht danach unterscheidet, ob ein Beitragsschuldner wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet oder sich etwa in Liquidation oder Abwicklung befindet (zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung bei eindeutigem Gesetzeswortlaut in Ermangelung der - vorliegendenfalls weder aufgezeigten noch sonstwie ersichtlichen - Voraussetzungen für Analogie oder teleologische Reduktion vgl. zB ; , Ra 2017/08/0062; , Ro 2019/12/0007). Auf diese - vom Bundesverwaltungsgericht gegenteilig beantwortete Frage ist es aber auch nicht angekommen, weil das Bundesverwaltungsgericht in einer - wie zu zeigen sein wird: zutreffenden - Alternativbegründung ausgehend von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 59 Abs. 2 ASVG dessen Voraussetzungen im vorliegenden Fall verneint hat.
14 Als weitere Rechtsfragen im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG macht die revisionswerbende Gesellschaft im Rahmen der gesondert ausgeführten Darlegung der Zulässigkeit der Revision Folgendes geltend:
„3.2. [Es] liegt keine Rechtsprechung zur Frage vor, ob die Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch Maßnahmen des Gesellschafters (Rückstehungserklärungen, verlorene Zuschüsse et cetera) rechtsrelevant beseitigt werden kann.
3.3. Schließlich ist dann, wenn die Frage zu 3.2. mit Ja zu beantworten ist, zu klären, ob die Vorschreibung von Verzugszinsen als einzig verbleibende Forderung eine wirtschaftliche Gefährdung einer in Liquidation befindlichen Gesellschaft herbeiführen kann, die die Gewährung von Nachsicht rechtfertigt“.
15 Das Verwaltungsgericht hat die Nichtgewährung einer Nachsicht - wie schon erwähnt - nicht ausschließlich damit begründet, dass § 59 Abs. 2 ASVG auf die in Liquidation befindliche revisionswerbende Gesellschaft nicht anwendbar sei, sondern auch eine Alternativbegründung (unter Zugrundelegung der Anwendbarkeit dieser Bestimmung) angeführt, wonach die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltenden Voraussetzungen für die Nachsichtsgewährung gemäß § 59 Abs. 2 ASVG nicht erfüllt seien.
16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der gemäß § 59 Abs. 2 ASVG für die Gewährung einer Nachsicht normierten Voraussetzung, dass „die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners gefährdet wären“, ist es erforderlich, dass der Antragsteller durch ein konkretes, mit Beweisanboten untermauertes Vorbringen alle Umstände darlegt, aus denen hervorgeht, dass und in welcher Weise seine wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Einhebung der Verzugszinsen in voller Höhe gefährdet wären. Eine solche Gefährdung kann sich etwa daraus ergeben, dass der antragstellende Beitragsschuldner zur Aufbringung der Mittel für die Entrichtung der Verzugszinsen einen Kredit aufnehmen müsste, dessen Rückzahlung ihn wirtschaftlich gefährden könnte, oder, dass er wegen der Bezahlung der Verzugszinsen gehindert wäre, die hiefür aufgewendeten Mittel in anderer Weise, etwa zur Tilgung anderer Schulden oder für betriebsnotwendige Investitionen, einzusetzen und dass ihm daraus eine wirtschaftliche Gefährdung erwachsen sei oder erwachsen könnte (; , 88/08/0183; , 95/08/0243).
17 Eine Nachsicht oder Herabsetzung der Zinsen ist nach der Rechtsprechung nicht schon bei bloß angespannter wirtschaftlicher Lage des Unternehmens oder immer dann zulässig, wenn ein Unternehmen Verluste schreibt, sondern nur dann, wenn gerade durch die Einhebung der Verzugszinsen eine konkrete wirtschaftliche Gefährdung eintreten würde, die ansonsten nicht gegeben wäre. Dies darzulegen obliegt im Verfahren dem Beitragsschuldner (, mwN).
18 Die Voraussetzung, dass „gerade durch die Einhebung der Verzugszinsen eine konkrete wirtschaftliche Gefährdung eintreten würde, die ansonsten nicht gegeben wäre“, hat das Verwaltungsgericht in seiner Alternativbegründung unter Hinweis darauf verneint, dass die wirtschaftliche Situation der revisionswerbenden Partei „in ihrer Gesamtheit schon seit Jahren prekär“ sei, „sodass eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft gerade nicht (erst) durch die Einhebung der Verzugszinsen eintritt“. Vielmehr habe „auch bislang ... eine Insolvenz der Gesellschaft nur durch weitere Kapitalzuschüsse von Gesellschafterseite abgewendet werden“ können.
19 Dass das Verwaltungsgericht damit von der oben wiedergegebenen Rechtsprechung abgewichen wäre, bringt die Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht vor; Derartiges ist im Übrigen (und zwar auch unter Berücksichtigung des in der Zulässigkeitsbegründung angesprochenen Aspekts, dass der Gesellschaft zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten Gesellschafterdarlehen gewährt worden seien) nicht ersichtlich. Die Revision stützt das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf das Fehlen von Rechtsprechung, begnügt sich aber damit, dies lediglich zu behaupten, ohne auszuführen, dass (und weshalb) die zitierte, zu § 59 Abs. 2 ASVG ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde liegenden Sachverhalt nicht anwendbar wäre. Nur in diesem Fall könnte angesichts der bereits vorhandenen Judikatur von einem „Fehlen“ von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rede sein. Schon deshalb wird in diesem Zusammenhang eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aufgezeigt (vgl. ).
20 Somit wird weder in der Zulassungsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts noch in der Revision eine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | ASVG §59 Abs2 VwRallg |
Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021080004.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAF-46603