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VwGH 04.08.2022, Ro 2020/13/0012

VwGH 04.08.2022, Ro 2020/13/0012

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
ABGB §1332
COVID-19-VwBG 2020
COVID-19-VwBG 2020 §1
COVID-19-VwBG 2020 §1 Abs1
COVID-19-VwBG 2020 §2 Abs1
VwGG §26 Abs1
VwGG §46 Abs1
VwRallg
RS 1
Dem Antragsteller ist zwar zuzugestehen, dass zum Zeitpunkt der Revisionserhebung noch keine hg. Rechtsprechung dazu vorlag, ob die Frist zur Einbringung einer Revision iSd. § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG 2020 "unterbrochen" oder iSd. § 2 Abs. 1 legcit. "gehemmt" ist, doch lässt dieser Umstand für sich noch nicht auf einen bloß minderen Grad des Versehens schließen. Vielmehr hätte der Parteienvertreter, der sich in der Revision zur Beurteilung deren Rechtzeitigkeit ohne nähere Begründung auf § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG 2020 gestützt hat, § 2 Abs. 1 legcit. nicht außer Acht lassen dürfen (vgl. , 0150). Dass - nach den Angaben des Antragstellers - der OGH im Anwendungsbereich des 1. COVID-19-JuBG 2020, eines hier nicht zur Anwendung gelangenden Gesetzes, von einer Unterbrechung der ihn betreffenden Rechtsmittelfristen in Zivil- und Strafrechtssachen ausginge, änderte nichts an der Pflicht des Parteienvertreters, sich mit der neuen Gesetzeslage nach dem für Revisionen an den VwGH geltenden COVID-19-VwBG sorgfältig auseinanderzusetzen. Auch der Umstand, dass in der Literatur von einer Anwendbarkeit des § 1 COVID-19-VwBG 2020 auf Revisionen an den VwGH ausgegangen wird, lässt keine Rückschlüsse auf das allein maßgebliche Verschulden des im hier zu beurteilenden Verfahren tätigen Parteienvertreters zu.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2020/07/0062 B RS 1 (hier ohne den dritten Satz)
Normen
COVID-19-VwBG 2020 §1 Abs1
COVID-19-VwBG 2020 §2 Abs1
COVID-19-VwBG 2020 §6
VwGG §26 Abs1
VwGG §46 Abs1
VwRallg
RS 2
Vor dem Hintergrund, dass beim Rechtsvertreter Zweifel an der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG 2020 aufgekommen waren (vgl. ), hätte es der einem Rechtsvertreter obliegenden Sorgfaltspflicht entsprochen, die Revision vorsorglich vor Ablauf der unter Anwendung des § 2 Abs. 1 COVID-19-VwBG 2020 berechneten Frist einzubringen (vgl. in diesem Sinne ). (Hier wurde vorgebracht, der Rechtsvertreter habe zur Klärung der gegenständlichen Rechtsfrage eine Literaturrecherche durchgeführt.)
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2020/13/0063 B RS 2

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Eraslan, über den Antrag der T Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Nikolaus, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1130 Wien, St. Veit-Gasse 8, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7105043/2018, betreffend u.a. Körperschaftsteuer für das Jahr 2015, und in der Revisionssache gegen dieses Erkenntnis, den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht u.a. die Beschwerde der Revisionswerberin betreffend Körperschaftsteuer 2015 als unbegründet ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Dieses Erkenntnis wurde der Revisionswerberin nach dem Vorbringen in der Revision bzw. nach den im Verfahrensakt einliegenden Nachweisen am zugestellt.

2 Dagegen richtet sich die vorliegende - am zur Post gegebene - ordentliche Revision. Zur Rechtzeitigkeit wird ausgeführt, die Revision werde innerhalb der „aufgrund von Art 16 § 6 Abs 2 iVm § 1 Abs 1 2. COVID-19-Gesetz, BGBl I 2020/16“ offenen Frist erhoben.

3 Über Vorhalt der Verspätung durch den Verwaltungsgerichtshof - unter Hinweis auf  - stellte die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom den gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist.

4 Darin wird begründend vorgebracht, die Revisionswerberin habe der Verfügung entnehmen können, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Berechnung der Revisionsfrist § 2 Abs. 1 Z 1 COVID-19-VwBG zur Anwendung zu bringen gewesen sei und nicht - wie in der Revision angenommen - § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG. Dieser Rechtsirrtum der Revisionswerberin - über das Ende der Revisionsfrist - sei als unvorhergesehenes Ereignis anzusehen und stelle einen Wiedereinsetzungsgrund dar. Der Wiedereinsetzungsantrag sei rechtzeitig im Sinne des § 46 Abs. 3 VwGG, weil er innerhalb von zwei Wochen ab jenem Zeitpunkt gestellt wurde, ab dem die Revisionswerberin ihren Rechtsirrtum bei gehöriger Aufmerksamkeit habe erkennen können. Dieser Zeitpunkt sei mit der Zustellung der Verfügung durch den Verwaltungsgerichtshof zu bestimmen. Der Rechtsirrtum habe auf keinem Verschulden bzw. nur auf einem minderen Grad des Versehens beruht, weil der Rechtsvertreter der Revisionswerberin bei der Ermittlung der Revisionsfrist die Anwendbarkeit der Bestimmungen des COVID-19-VwBG - unter Heranziehung einschlägiger Literatur zum Verwaltungsverfahrensrecht - sorgfältig geprüft habe.

Zu Spruchpunkt I.:

5 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Das Verschulden des die Partei vertretenden Rechtsanwaltes ist der Partei zuzurechnen (vgl. , mwN).

6 Im vorliegenden Fall wurde die Frist zur Erhebung der Revision versäumt (vgl. unten zu Spruchpunkt II.).

7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen, welches eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann. Wird ein solcher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Partei an der Unkenntnis der Rechtslage bzw. am Rechtsirrtum ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden trifft (vgl. , mwN).

8 Der Begriff des minderen Grads des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. An berufliche rechtskundige Parteienvertreter ist dabei ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige Personen (vgl. ; , Ra 2020/07/0062, jeweils mwN).

9 Daher stellt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa auch die Unkenntnis einer neuen Gesetzeslage durch einen beruflichen Parteienvertreter in der Regel keinen minderen Grad des Versehens (im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG) dar, weil vor allem eine rezente Änderung der Rechtslage besondere Aufmerksamkeit verdient (vgl. , mwN).

10 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat (vgl. ; , Ra 2020/18/0232; , Ra 2020/02/0169; , Ra 2020/10/0063; , Ro 2020/05/0024, jeweils mwN), lässt der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Revisionserhebung noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu vorlag, ob die Frist zur Einbringung einer Revision im Sinn des § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG „unterbrochen“ oder im Sinn des § 2 Abs. 1 leg. cit. „gehemmt“ ist, auf dem Boden der dargestellten Rechtsprechung für sich noch nicht auf einen bloß minderen Grad des Versehens schließen; ein Parteienvertreter, der sich in der Revision zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit ohne nähere Begründung auf § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG gestützt hat, hätte § 2 Abs. 1 leg. cit. nicht außer Acht lassen dürfen (zu den sich aufgrund der Ausgestaltung des Revisionsmodells des Art. 133 Abs. 4 B-VG ergebenden Anhaltspunkten, dass die Revision einen verfahrenseinleitenden Antrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 1 iVm. § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG bildet, vgl. ).

11 Wenn die antragstellende Revisionswerberin in diesem Zusammenhang vorbringt, ihr Rechtsvertreter habe zur Klärung der gegenständlichen Rechtsfrage eine Literaturrecherche durchgeführt, zeigt schon allein dieser behauptete Umstand, dass auch beim Rechtsvertreter Zweifel an der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG aufgekommen waren (vgl. ). Vor diesem Hintergrund hätte es der einem Rechtsvertreter obliegenden Sorgfaltspflicht entsprochen, die Revision vorsorglich vor Ablauf der unter Anwendung des § 2 Abs. 1 COVID-19-VwBG berechneten Frist einzubringen (vgl. in diesem Sinne ).

12 Der Umstand, dass in der Literatur von einer Anwendbarkeit des § 1 COVID-19-VwBG auf Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof ausgegangen wird, lässt zudem keine Rückschlüsse auf das allein maßgebliche Verschulden des im hier zu beurteilenden Verfahren tätigen Parteienvertreters zu (vgl. in diesem Sinne ; , Ra 2020/12/0042; , Ra 2020/07/0062).

13 Da das der antragstellenden Revisionswerberin anzulastende Verschulden ihres Parteienvertreters somit den minderen Grad des Versehens übersteigt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II.:

14 Gemäß § 26 Abs. 1 VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes (Revisionsfrist) sechs Wochen. Sie beginnt gemäß Z 1 leg. cit. in den Fällen des Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG dann, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber nur mündlich verkündet wurde, jedoch mit dem Tag der Verkündung.

15 Für die Rechtzeitigkeit der gegenständlichen Revision kommt es entscheidungswesentlich darauf an, ob die Revisionsfrist durch das COVID-19-VwBG unterbrochen oder lediglich gehemmt wurde.

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom , Ra 2020/11/0098, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass die Erhebung der Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht in einem bei diesem bereits anhängigen Verfahren erfolgt, sodass die Fristunterbrechung des § 1 COVID-19-VwBG schon aus diesem Grund nicht zur Anwendung gelangt. Vielmehr ist die Revisionsfrist als Frist für einen „verfahrenseinleitenden“ Antrag im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 1 iVm. § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG anzusehen und nach dieser Bestimmung daher für die dort genannte Dauer nur gehemmt worden (vgl. auch ; , Ra 2020/18/0232; , Ra 2020/02/0169, jeweils mwN).

17 Für den Revisionsfall bedeutet dies, dass die Revisionsfrist am , somit vor Inkrafttreten des COVID-19-VwBG am , zu laufen begann.

18 Ausgehend vom Beginn der Revisionsfrist hätte die sechswöchige Frist des § 26 Abs. 1 VwGG mit Ablauf des geendet. Unter Hinzurechnung der 40-tägigen Fristenhemmung hat die Revisionsfrist daher - unter Berücksichtigung des § 33 Abs. 2 AVG, weil das Fristende auf Samstag, den , fiel - mit Ablauf des geendet.

19 Im Hinblick darauf erweist sich die am zur Post gegebene Revision wegen Versäumung der sechswöchigen Frist des § 26 Abs. 1 VwGG als verspätet.

20 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 

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Normen
ABGB §1332
COVID-19-VwBG 2020
COVID-19-VwBG 2020 §1
COVID-19-VwBG 2020 §1 Abs1
COVID-19-VwBG 2020 §2 Abs1
COVID-19-VwBG 2020 §6
VwGG §26 Abs1
VwGG §46 Abs1
VwRallg
Schlagworte
Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RO2020130012.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
KAAAF-46556