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VwGH 17.12.2024, Ra 2024/16/0034

VwGH 17.12.2024, Ra 2024/16/0034

Entscheidungsart: Beschluss

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma, die Hofrätin Dr. Reinbacher sowie den Hofrat Mag. M. Mayr als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des S W in W, vertreten durch das VertretungsNetz-Erwachsenenvertretung in Wien, dieses vertreten durch die Urbanek & Rudolph Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Tuchlauben 8, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7103889/2023, betreffend erhöhte Familienbeihilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Österreich), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom wies das Finanzamt Österreich den Antrag des im Jahr 1989 geborenen Revisionswerbers auf erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum ab November 2021 ab. Begründend wurde angeführt, Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe, wenn ein Kind voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sei. Die Erwerbsunfähigkeit müsse vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Da laut Sozialministeriumservice keine Beurteilung über die dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt habe werden können, sei der Antrag abzuweisen.

2 Dagegen richtete sich der Revisionswerber, vertreten durch seine Erwachsenenvertreterin, mit einer Beschwerde, in der er u.a. auf ein Gutachten aus dem Jahr 2012 verwies, in dem ihm bereits attestiert worden sei, dass er voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Er verfüge über einen Feststellungsbescheid vom und sei mit einem Grad der Behinderung von 50% dem Kreis der begünstigten Behinderten zugehörig. Weiters liege ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten, erstellt am im Rahmen des Erwachsenenschutzverfahrens, vor. Aus beiden Dokumenten gehe der Unterstützungsbedarf des Revisionswerbers hervor. Er sei nachweislich nicht in der Lage, einen Arbeitsplatz am „ersten Arbeitsmarkt“ langfristig und ohne entsprechende Unterstützung zu halten bzw. zu erlangen. Von seiner Fähigkeit, sich selbst zu erhalten, sei nicht auszugehen.

3 Der Revisionswerber wurde auf Grund der eingebrachten Beschwerde am  von einem Facharzt für Psychiatrie untersucht und am  wurde ein Gutachten erstellt, welches dem Revisionswerber sowohl einen Grad der Behinderung von 50% als auch bescheinigte, dass eine Erwerbsunfähigkeit bzw. eine dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht vorliege. Das Finanzamt wies in der Folge die Beschwerde unter Bezugnahme auf das genannte Gutachten vom November 2022 mit Beschwerdevorentscheidung vom ab.

4 Dagegen brachte die Erwachsenenvertreterin namens des Revisionswerbers einen umfangreichen Vorlageantrag unter Beilage diverser Vorgutachten und Befunde und Bezugnahme auf ebendiese ein.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde des Revisionswerbers ab. Unter einem sprach es aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts sei der Revisionswerber im Jahr 1989 geboren. Er habe die allgemeine Sonderschule besucht, von 2004 bis 2010 Gartenarbeiten bei einer näher genannten gemeinnützigen Organisation verrichtet, von September 2010 bis Oktober 2014 gemäß § 8b Abs. 1 BAG eine verlängerte Lehre für den Lehrberuf „Maler und Anstreicher“ absolviert und verfüge über ein Jahres- und Abschlusszeugnis vom . Er beziehe laut Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom  seit eine Waisenrente nach seinem verstorbenen Vater solange infolge Krankheit oder Gebrechens Erwerbsunfähigkeit vorliege. Er beziehe kein Pflegegeld und wohne in einer Gemeindewohnung.

7 Ab April 2018 sei der Revisionswerber beim AMS gemeldet, vom  bis Mitte Jänner 2021 und nach Wiedereinstellung bis  habe er bei der Fa. B gearbeitet. Die Vermittlung des Arbeitsplatzes sei nach Teilnahme an einem Förderprogramm für Berufsqualifizierung und Berufsintegration erfolgt. Das Arbeitsverhältnis bei der Fa. B sei im Jänner 2021 einvernehmlich aufgelöst worden. Nachdem seitens der Erwachsenenvertretung die Rückgängigmachung der Auflösungsvereinbarung unter Entgeltfortzahlung erwirkt worden sei, habe der Revisionswerber dieses Beschäftigungsverhältnis im Juni 2021 zwar wiederaufgenommen, aber nach etwa 14 Tagen von sich aus gekündigt und nach Einhaltung der Kündigungsfrist mit beendet.

8 Der Revisionswerber gehöre laut einem [auf Grundlage der §§ 2 und 14 Abs. 1 und 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes ergangenen] Bescheid des Sozialministeriumservice vom dem Personenkreis der begünstigten Behinderten an. Darin werde festgehalten, dass die Feststellung des Grades der Behinderung sich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und nicht auf den von ihm ausgeübten Beruf oder erlernten Beruf beziehe.

9 In den Vorgutachten des Sozialministeriumservice sei - ausgenommen im Gutachten vom  - die voraussichtliche Erwerbsunfähigkeit bzw. voraussichtliche Erwerbsfähigkeit des Revisionswerbers jeweils nur für einen befristeten Zeitraum, jedoch nicht als Dauerzustand, bescheinigt worden. In den Gutachten des Sozialministeriumservice vom und vom  sei dem Revisionswerber aufgrund seiner fast zweijährigen Tätigkeit bei der Fa. B (vom Mitte März 2019 bis Jänner 2021) eine voraussichtlich dauernde Erwerbsfähigkeit bescheinigt worden. Im letztgenannten Gutachten sei die Verlaufskontrolle bei möglicher Besserung des Funktionsniveaus angeordnet worden.

10 Der Revisionswerber sei im Zeitpunkt der Antragstellung bereits 32 Jahre alt gewesen. In Betracht komme daher ausschließlich ein Eigenantrag iSd § 6 Abs. 5 iVm § 6 Abs. 2 lit. d FLAG. Ein solcher setze voraus, dass der Antragsteller wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. In diesem Fall stehe auch der Erhöhungsbetrag gemäß § 8 Abs. 4 FLAG zu. Bestehe keine vor den genannten Zeitpunkten eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, stünden weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu.

11 Das Bundesfinanzgericht gehe in freier Beweiswürdigung von der Richtigkeit der in den Gutachten vom und vom aufgrund der Beweis- und Befundlage nachvollziehbar getroffenen Feststellung, wonach der Revisionswerber - zuletzt als vorläufig - erwerbsfähig eingestuft worden sei, aus. Es könne mit höchster Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Feststellung über die Erwerbsfähigkeit und die damit im Zusammenhang stehende zeitliche Festlegung, dass eine dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres (bei Berufsausbildung des 25. Lebensjahres) eingetreten sei, den tatsächlichen Gegebenheiten entspreche.

12 Dagegen richtet sich der Revisionswerber mit der vorliegenden Revision, zu deren Zulässigkeit zunächst vorgebracht wird, das angefochtene Erkenntnis weiche von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach ein tatsächliches Beschäftigungsverhältnis kein zwingender Nachweis der Erwerbsfähigkeit sei. Zudem stehe das angefochtene Erkenntnis im Widerspruch zu näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Ergänzungsbedürftigkeit der Sachverständigengutachten.

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16 Bei der Antwort auf die Frage, ob eine solche körperliche oder geistige Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 27. oder 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr: Sozialministeriumservice) zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl. etwa ; , Ro 2014/16/0053, jeweils mwN).

17 Der Revisionswerber wendet sich mit seinem Vorbringen im Wesentlichen gegen die auf näher genannten Sachverständigengutachten basierenden Feststellungen und damit gegen die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts. Dazu ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Ob eine Beweisaufnahme notwendig ist, unterliegt ebenso wie die Beweiswürdigung der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG könnte sich in diesem Zusammenhang nur dann ergeben, wenn das Verwaltungsgericht diese im Einzelfall vorgenommenen Beurteilungen in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. ; , Ra 2018/16/0168).

18 Eine in einem Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft erkennbare Beweiswürdigung wirft im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (vgl. , mwN).

19 Das Bundesfinanzgericht hat sich im angefochtenen Erkenntnis eingehend mit den vorliegenden Gutachten und Befunden sowie dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und ist mit näherer Begründung von der Schlüssigkeit der im November 2022 vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) gutachterlich bescheinigten voraussichtlichen dauernden Erwerbsfähigkeit des Revisionswerbers ausgegangen. Dass diese Beurteilungen in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wären, zeigt der Revisionswerber mit seinem Vorbringen zur Zulässigkeit nicht auf.

20 Insbesondere stützte das Bundesfinanzgericht seine Entscheidung nicht auf das Bestehen einer „mehrjährigen beruflichen Tätigkeit“, sondern bezog die in der Vergangenheit tatsächlich ausgeübte Berufstätigkeit des Revisionswerbers lediglich in seine Würdigung der Schlüssigkeit der gutachterlichen Feststellungen mit ein. Zu einem vom Revisionswerber vorgelegten Gutachten aus dem Juli 2022 führte das Bundesfinanzgericht in nicht vom Verwaltungsgerichtshof zu beanstandender Weise aus, dass dieses nicht die voraussichtliche dauernde Erwerbsfähigkeit zum Gegenstand gehabt habe. Auch der Hinweis des Revisionswerbers, dass er „den rechtskräftigen Bescheid der PVA zur Gewährung der Waisenpension vom “ erst nach der Untersuchung am und dem daraufhin im November 2022 erstellten Gutachten vorgelegt habe, vermag für sich allein schon deshalb keine unvertretbare Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts aufzuzeigen, weil das genannte Gutachten auf einer aktuelleren ärztlichen Untersuchung basiert, als jene, die allenfalls dem angeführten Bescheid der PVA vorangegangen ist.

21 Der Revisionswerber bringt schließlich vor, das Bundesfinanzgericht habe das Parteiengehör verletzt, weil ihm keine Möglichkeit zum Erstatten eines Vorbringens zu einer vom Bundesfinanzgericht eingeholten Stellungnahme bei der M eingeräumt worden sei. Dazu ergibt sich aus den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts, dass eine vom Revisionswerber im Zuge des Vorlageantrags angekündigte Bestätigung darüber, wonach der bei M besuchte Kurs beendet worden sei, weil der Revisionswerber den Angeboten der Praktika nicht habe folgen können und erhebliche Schwierigkeiten mit der erforderlichen Pünktlichkeit aufgewiesen habe, nicht nachgereicht worden sei. Eine seitens des Bundesfinanzgerichtes an die M gerichtete Anfrage habe ergeben, dass nur die bereits im Vorlageantrag vorgelegte Teilnahmebestätigung ausgestellt worden sei. Zu dessen Beendigung sei von M intern vermerkt worden, dass der Revisionswerber nicht mehr habe erreicht werden können.

22 Der Revisionswerber zeigt in diesem Zusammenhang - insbesondere vor dem Hintergrund, dass er bereits im Vorlageantrag Bezug habende Dokumente angekündigt, aber nicht vorgelegt habe - nicht auf, welche „anderen Tatsachen“ er hätte darlegen oder welche weiteren Beweismittel er hätte beibringen wollen und warum diese zu einem anderen, für ihn günstigeren Ergebnis hätten führen können. Mit diesem Vorbringen wird daher die Relevanz des gerügten Verfahrensmangels nicht dargetan.

23 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am

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ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024160034.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
FAAAF-46481