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VwGH 29.05.2024, Ra 2024/15/0028

VwGH 29.05.2024, Ra 2024/15/0028

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Norm
EStG 1988 §4 Abs1
RS 1
Was als Betriebsvermögen anzusehen ist bzw. nach welchen Grundsätzen Wirtschaftsgüter dem Betriebsvermögen zuzurechnen sind, wird im Gesetz nicht näher bestimmt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehören alle Wirtschaftsgüter, die objektiv dem Betrieb zu dienen bestimmt sind, zum notwendigen Betriebsvermögen. Dabei sind die Zweckbestimmung des Wirtschaftsgutes, die Besonderheiten des Betriebes und des Berufszweiges des Abgabepflichtigen sowie die Verkehrsauffassung maßgebend (Hinweis E , 98/15/0169, 0170).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2001/15/0008 E RS 1 (hier ohne den ersten Satz)

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Prendinger, über die Revision des Finanzamtes Österreich Dienststelle Tirol Ost in 6333 Kufstein, Oskar Pirlo-Straße 15, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/3100917/2010, betreffend Einkommensteuer 2008 (mitbeteiligte Partei: M S in O, vertreten durch Mag. Helmut Gruber und Mag. Christoph Kühnl, Rechtsanwälte in 6392 St. Jakob i. H., Moosbach 11), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte führte im Jahr 2008 zwei Gastronomiebetriebe und ermittelte seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG 1988. Er erwarb im Jahr 2007 zwei „Wetterderivate“ von der H GmbH und bezahlte dafür am 36.940 €. Im Jahr 2008 erhielt der Mitbeteiligte aus diesen „Wetterderivaten“ von der H GmbH Zahlungen von insgesamt 110.000 €.

2 Das Finanzamt beurteilte den Gewinn aus dem „Wetterderivat“ als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. In der Berufung (nunmehr Beschwerde) machte der Mitbeteiligte geltend, dass die „Wetterderivate“ privat erworben worden seien und daher der Gewinn auch dem Privatbereich zuzuordnen sei. Nach Berufungsvorentscheidung und Vorlageantrag, in dem das Finanzamt beantragte, für den Fall, dass keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorliegen würden, sollten die Einkünfte als Spekulationsgeschäft erfasst werden, gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge.

3 Es stellte fest, dass die „Wetterderivate“ wie folgt ausgestaltet gewesen seien:

„Produkt: Call Spread - Nicht Ski Tage NST. Absicherungsperiode: - (93 Tage); Wetterstation: Ellmau ...; Nicht Ski Tag Definition: Ein NST ist definiert als eins (1) wenn die tägliche Schneedeckenhöhe bei der Wetterstation Ellmau kleiner kleiner gleich 20 cm ist; Nicht Ski Tag Index: Die Summe der NST während der Absicherungsperiode; Beginn der Auszahlung (Strike Selbstbehalt): 45 NST; Auszahlung pro NST: EUR 2.500,-; Maximale Auszahlung: EUR 120.000,- oder 48 NST; Schadensauszahlung: 30 Tage nach Absicherungs-Periode; Preis für kleiner gleich 20 cm, EUR 36.090,-...“

„Produkt: Call Spread - Nicht Ski Tage NST. Absicherungsperiode - (20 Tage; Wetterstation: Ellmau...; Nicht Ski Tag Definition: Ein NST ist definiert als eins (1), wenn die tägliche Schneedeckenhöhe bei der Wetterstation Ellmau größer gleich 100 cm ist; Nicht Ski Tag Index: Die Summe der NST während der Absicherungsperiode; Beginn der Auszahlung (Strike Selbstbehalt): 10 NST; Auszahlung pro NST: EUR 2.500,-; Maximale Auszahlung: EUR 25.000,- oder 10 NST; Schadensauszahlung: 30 Tage nach Absicherungs-Periode; Preis für größer gleich 100 cm, EUR 3.350,-...“

4 Das Bundesfinanzgericht führte aus, der Mitbeteiligte habe im Jahr 2008 aus der Bewirtschaftung von zwei Gastronomiebetrieben Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Voraussetzung für die Qualifikation der zugeflossenen Zahlung von 110.000 € als Betriebseinnahmen im Rahmen dieser Betriebe sei, dass es sich bei den angeschafften „Wetterderivaten“ um notwendiges Betriebsvermögen eines oder beider Betriebe handle. Eine Widmung von Wirtschaftsgütern als gewillkürtes Betriebsvermögen scheide im Fall des Mitbeteiligten aus, da dieser seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG 1988 ermittelt habe. Bei Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens müsse einerseits ein sachlicher Zusammenhang zum Betrieb und andererseits wirtschaftliches Eigentum des Betriebsinhabers vorliegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehörten alle Wirtschaftsgüter, die objektiv dem Betrieb zu dienen bestimmt seien, zum notwendigen Betriebsvermögen. Dabei seien die Zweckbestimmung des Wirtschaftsgutes, die Besonderheiten des Betriebes und des Berufszweiges des Abgabepflichtigen sowie die Verkehrsauffassung maßgebend. Die „Wetterderivate“ seien als Wetten auf eine bestimmte Schneehöhe an einer bestimmten Anzahl von Tagen ausgestaltet gewesen, der Mitbeteiligte bezeichne die „Wetterderivate“ selbst als „Schneehöhenwetten“. Wetten auf eine bestimmte Schneehöhe seien nach der Verkehrsauffassung nicht geeignet, einem Gastronomiebetrieb zu dienen. Zwischen einer Schneehöhe von weniger als 20 cm an mindestens 45 Tagen einer Wintersaison bzw. von mindestens 100 cm an 10 aus 19 definierten Tagen innerhalb einer Wintersaison könne nur in besonderen Ausnahmefällen ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit einem Gastronomiebetrieb hergestellt werden. Derartige besondere Umstände seien weder geltend gemacht worden noch würden sie sich aus dem Akteninhalt erschließen. Die „Wetterderivate“ seien daher kein notwendiges Betriebsvermögen des Mitbeteiligten.

5 Zum Spekulationsgeschäft erwog das Bundesfinanzgericht, dass Termin-, Differenz- und Optionsgeschäfte derivative Finanzkontrakte seien, deren Wert bzw. wirtschaftlicher Erfolg vom Preis sowie den Preisschwankungen und -erwartungen eines zugrundeliegenden Basisinstruments (zB Aktie, Anleihe, Devisen, Index) abgeleitet werde. Eine Wette auf eine bestimmte Schneehöhe zu einem bestimmten Zeitpunkt bzw. über eine bestimmte Zeitspanne sei derartigen derivativen Finanzkontrakten nicht vergleichbar. Zudem seien die „Wetterderivate“ als höchstpersönliche Vereinbarungen zwischen dem Mitbeteiligten und der H GmbH ausgestaltet und stellten keine marktfähigen Wirtschaftsgüter dar. Der Tatbestand des § 30 Abs. 1 Z 2 EStG 1988 sei daher nicht erfüllt.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Finanzamtes, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts leide an einem Begründungsmangel. Bei den beiden Betrieben des Mitbeteiligten handle es sich um Berggasthöfe bzw. Skihütten, die in erheblichem Umfang von der Schneelage und damit der Auslastung von Skitouristen abhängig seien. Dies habe das Bundesfinanzgericht außer Acht gelassen, wenn es davon ausgehe, dass im Revisionsfall keine besonderen Umstände für einen wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Gastronomiebetrieben vorlägen. Es habe sich auch nicht mit den Spezifika von Wetterderivaten befasst, weil sich diese gerade für Tourismusbetriebe als geeignete Absicherung vor Wetterrisiken darstellten. Dies zeige sich auch dadurch, dass die Derivate nicht von einem Wettanbieter, sondern einem Versicherungsmakler erworben worden seien. Die Annahme, bei dem „Wetterderivat“ handle es sich um eine höchstpersönliche und nicht übertragbare Vereinbarung, sei aktenwidrig.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:

8 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.

9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erkennen lassen, welcher Sachverhalt ihr zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen es die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Die Begründung muss dabei in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für die Verfahrensparteien als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (vgl. etwa , mwN).

10 Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Erkenntnis nicht.

11 Zunächst ist der Revision zustimmen, dass das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts in sich widersprüchlich ist, weil es sich bei der Frage, ob Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorliegen, mit der Betriebsvermögenseigenschaft des Wetterderivats auseinandersetzt und eine Zuordnung zum Betriebsvermögen verneint, im Zusammenhang mit der Prüfung von Spekulationseinkünften jedoch schon die Wirtschaftsguteigenschaft verneint.

12 Das Bundesfinanzgericht hat darüber hinaus sein Erkenntnis mit einem weiteren wesentlichen Begründungsmangel belastet.

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gehören alle Wirtschaftsgüter, die objektiv erkennbar dem Betrieb zu dienen bestimmt sind, zum notwendigen Betriebsvermögen. Dabei sind die Zweckbestimmung des Wirtschaftsgutes, die Besonderheiten des Betriebes und des Berufszweiges des Abgabepflichtigen sowie die Verkehrsauffassung maßgebend (vgl. , mwN).

14 Das Bundesfinanzgericht ist davon ausgegangen, dass die „Wetterderivate“ deshalb nicht dem notwendigen Betriebsvermögen des Mitbeteiligten zuzuordnen seien, weil Wetten auf bestimmte Schneehöhen nach der Verkehrsauffassung nicht geeignet seien, einem Gastronomiebetrieb zu dienen. Nur in Ausnahmefällen könne ein wirtschaftlicher Zusammenhang hergestellt werden; solche würden sich aus dem Akteninhalt nicht erschließen. Wieso bei einer Skihütte bzw. einem Berggasthof eine Wette auf Schneehöhen von vorneherein keinen wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Betrieb begründen könne, macht das Bundesfinanzgericht nicht einsichtig. Es hat sich weder mit den in der Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes wiedergegebenen Angaben der H GmbH auseinandergesetzt, wonach es sich bei dem „Wetterderivat“ um ein Versicherungsprodukt handle, welches eine Versicherungsleistung für den Fall des Einnahmeausfalls aufgrund des Wetters (Schneelage) verspreche und das Produkt aufgrund der Höhe der zu leistenden Prämie für Privatpersonen uninteressant und bis dato von solchen auch nicht in Anspruch genommen worden sei. Noch hat sich das Bundesfinanzgericht damit auseinandergesetzt, dass der Schriftverkehr nach Angaben des Finanzamtes zwischen der H GmbH und dem Betrieb des Mitbeteiligten stattgefunden hat und die Vollmacht zur Umsetzung des Geschäfts mit einem Firmenstempel versehen war.

15 Für die Beurteilung der Betriebsvermögenseigenschaft ist auch auf die Besonderheiten des jeweiligen Betriebes zu achten. Das Bundesfinanzgericht wird sich daher - unter Würdigung aller Umstände und vor dem Hintergrund, dass es sich bei den Betrieben des Mitbeteiligten um eine Skihütte und einen Berggasthof handelt - im fortgesetzten Verfahren damit auseinanderzusetzen haben, ob das „Wetterderivat“ betrieblich veranlasst war, indem es als Absicherung des betriebswirtschaftlichen Risikos aufgrund des Wetters bzw. einer volatilen Schneelage dienen sollte.

16 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Norm
EStG 1988 §4 Abs1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024150028.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
XAAAF-46462