VwGH 26.06.2024, Ra 2024/15/0023
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Die Begründung des Aufhebungsbescheides hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 299 BAO darzulegen, also sowohl den Aufhebungsgrund als auch die Gründe für die Ermessensübung anzuführen. Allerdings sind Begründungsmängel des Erstbescheides im Beschwerdeverfahren sanierbar. Im Beschwerdeverfahren kann ein mangelhaft begründeter Aufhebungsbescheid (etwa hinsichtlich der Begründung der Ermessensübung) ergänzt bzw. richtig gestellt werden, es darf bloß kein anderer (neuer) Aufhebungsgrund herangezogen werden (vgl. , mwN). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des H H in S, vertreten durch die Aigner Rechtsanwalts-GmbH in 1010 Wien, Lugeck 1-2/Stiege 2/Top 12, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5100686/2021, betreffend Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2019 gemäß § 299 BAO und Einkommensteuer 2019, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber wurde mit Bescheid vom zur Einkommensteuer 2019 veranlagt. Das Finanzamt setzte den Familienbonus Plus und den Alleinerzieherabsetzbetrag mit jeweils 0 € fest und führte zur Begründung aus:
„Der Familienbonus Plus kann für das Kind [...] nur zur Hälfte berücksichtigt werden, weil für dieses Kind die andere Hälfte des Familienbonus Plus von der [Familienbeihilfenbezieherin] beantragt wurde.
Der Alleinverdienerabsetzbetrag steht bei Personen, die in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben, nur dann zu, wenn diese Partnerschaft im Kalenderjahr länger als sechs Monate besteht und einer der Partner für mindestens ein Kind mehr als sechs Monate den Kinderabsetzbetrag (Auszahlung mit der Familienbeihilfe) bezieht. Da diese Voraussetzungen bei Ihnen nicht gegeben sind, kann der Alleinverdienerabsetzbetrag nicht berücksichtigt werden.
Es wurde der Alleinerzieher anstatt Alleinverdiener berücksichtigt“.
2 Mit Vorhalt vom forderte das Finanzamt den Revisionswerber zum Nachweis geltend gemachter Betriebsausgaben und Werbungskosten auf. Unter Hinweis auf die negative Entwicklung der Einkünfte aus Vermietung und Gewerbebetrieb vertrat es den Standpunkt, es sei von keiner Einkunftsquelle auszugehen, und es forderte den Revisionswerber zur Stellungnahme auf. Im Übrigen führte es aus, der Einkommensteuerbescheid 2019 sei jedenfalls zu berichtigen, „weil der Alleinerzieherabsetzbetrag zu Unrecht berücksichtigt wurde“.
3 Nach Abschluss des Vorhalteverfahrens hob das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2019 vom gemäß § 299 BAO auf (Bescheid vom ) und führte zur Begründung aus:
„Auf Grund einer Überprüfung des Bescheides und der zugrunde liegenden Unterlagen wurde eine sich aus der Begründung des neuen Sachbescheides ergebende inhaltliche Rechtswidrigkeit des im Spruch bezeichneten Bescheides festgestellt, die eine Aufhebung gemäß § 299 Abs. 1 BAO erforderlich macht. Die Aufhebung wird unter Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen (§ 20 BAO) verfügt. Im vorliegenden Fall überwiegt das Interesse an der Rechtsrichtigkeit das Interesse auf Rechtsbeständigkeit. Die steuerlichen Auswirkungen sind auch nicht bloß geringfügig.“
4 Der neue Einkommensteuerbescheid 2019 vom , auf den im Aufhebungsbescheid verwiesen wird, enthält folgende Begründung:
„Die Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen, von denen ein Selbstbehalt abzuziehen ist, konnten nicht berücksichtigt werden, da sie den Selbstbehalt in Höhe von 4.581,64 € nicht übersteigen.
Die Topf-Sonderausgaben werden ab 1996 nur zu einem Viertel berücksichtigt und bei einem Gesamtbetrag von mehr als 36.400 € überdies nach der oben angeführten Formel eingeschliffen.
Der Familienbonus Plus kann für das Kind [...] nur zur Hälfte berücksichtigt werden, weil für dieses Kind die andere Hälfte des Familienbonus Plus von der [Familienbeihilfenbezieherin] beantragt wurde.
Unter Wahrung des Parteiengehörs wurden die von Ihnen geltend gemachten Aufwendungen hinterfragt. Da trotzdem die benötigten Unterlagen (zum Teil) nicht beigebracht wurden, konnten die Aufwendungen in freier Beweiswürdigung nur in Höhe der nachgewiesenen bzw. glaubhaft gemachten Aufwendungen berücksichtigt werden.
Da Sie zu dem Ihnen übermittelten Bedenkenvorhalt keine stichhaltige Gegenäußerung abgegeben haben, wurde die Veranlagung im Sinne des Vorhaltes vorgenommen.
Wir haben den Alleinerzieherabsetzbetrag nicht berücksichtigt. Dieser Absetzbetrag steht nur dann zu, wenn Alleinerziehende im Kalenderjahr für mehr als 6 Monate Anspruch auf den Kinderabsetzbetrag haben. Dieser wird mit der Familienbeihilfe ausbezahlt.“
5 Einer gegen den Aufhebungsbescheid und gegen den neuen Sachbescheid erhobenen Beschwerde gab das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung keine Folge, woraufhin der Revisionswerber die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (BFG) beantragte.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das BFG der Beschwerde keine Folge. Zur Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2019 gemäß § 299 BAO stellte das BFG unter der Überschrift „Aufhebungsgründe“ fest, dem Revisionswerber stehe laut Finanzamt weder der Alleinverdiener- noch der Alleinerzieherabsetzbetrag zu. Dies würde auch auf den in der Einkommensteuer 2019 in voller Höhe geltend gemachten Familienbonus Plus zutreffen, da die Kindesmutter bereits den halben Familienbonus Plus geltend gemacht habe. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das BFG sodann u.a. aus, der Revisionswerber habe die Unzulässigkeit der Bescheidaufhebung eingewendet. Dabei übersehe er, dass die Pflicht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes dort ihre Grenze finde, wo nach der Lage des Falles nur die Partei Angaben zum Sachverhalts machen könne. Dies treffe im vorliegenden Fall auf den Alleinerzieherabsetzbetrag und den Familienbonus Plus zu, weil der Revisionswerber gemäß § 119 Abs. 1 BAO zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung der für die Abgabepflicht bedeutsamen Umstände verpflichtet sei. „Es wäre im gegenständlichen Fall zumutbar gewesen, dass vor einer Beantragung in der Einkommensteuererklärung entsprechende Informationen bei der Ex-Gattin eingeholt werden.“ Dies umso mehr als der Revisionswerber im Ergänzungsvorhalt vom auf „das Fehlen der Voraussetzungen für die Geltendmachung des Alleinerzieherabsetzbetrages hingewiesen worden sei.“ Es könne als erwiesen angenommen werden, dass „bei den im Bescheid angeführten Aufhebungsgründen (kein Anspruch weder auf den Alleinverdiener-, noch auf den Alleinerzieherabsetzbetrag sowie den gesamten Familienbonus Plus) die Gewissheit der Rechtswidrigkeit“ des Einkommensteuerbescheides 2019 vorliege. Die gegenständliche Bescheidaufhebung sei daher rechtskonform.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
8 Das Finanzamt hat über Aufforderung hierzu eine Revisionsbeantwortung erstattet.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision ist zulässig und begründet.
11 § 299 BAO idF des Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetzes 2012 (FVwGG 2012), BGBl. I Nr. 14/2013, lautet:
„§ 299. (1) Die Abgabenbehörde kann auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Der Antrag hat zu enthalten:
a) Die Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides;
b) die Gründe, auf die sich die behauptete Unrichtigkeit stützt.
(2) Mit dem aufhebenden Bescheid ist der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.
(3) Durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides (Abs. 1) tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung (Abs. 1) befunden hat.“
12 Die Begründung des Aufhebungsbescheides hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 299 BAO darzulegen, also sowohl den Aufhebungsgrund als auch die Gründe für die Ermessensübung anzuführen (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 299 Tz 40). Allerdings sind Begründungsmängel des Erstbescheides im Beschwerdeverfahren sanierbar (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 93 Tz 16). Im Beschwerdeverfahren kann ein mangelhaft begründeter Aufhebungsbescheid (etwa hinsichtlich der Begründung der Ermessensübung) ergänzt bzw. richtig gestellt werden, es darf bloß kein anderer (neuer) Aufhebungsgrund herangezogen werden (vgl. , mwN).
13 Wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, muss die Begründung eines Erkenntnisses erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen es die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Die Begründung muss dabei in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (vgl. etwa ).
14 Diesen Anforderungen entspricht das angefochtene Erkenntnis des BFG nicht.
15 Das BFG pflichtete im Abschnitt „Aufhebungsgründe“ dem Finanzamt mit der Begründung bei, dass „weder der Alleinerzieherabsetzbetrag zusteht, noch der Familienbonus Plus in voller Höhe gewährt werden kann“. Aus diesem Grund erweise sich die gegenständliche Bescheidaufhebung als rechtskonform. Tatsächlich wurde im Erstbescheid weder der Alleinerzieherabsetzbetrag noch der Familienbonus Plus gewährt.
16 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
17 Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Ermessen VwRallg8 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024150023.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
DAAAF-46460