VwGH 27.03.2024, Ra 2024/13/0032
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Für den Aussteller der Rechnung wirkt eine Rechnungsberichtigung ex nunc; die Steuerschuld des Rechnungsausstellers entfällt durch die spätere Rechnungsberichtigung nicht bereits rückwirkend auf den Zeitpunkt der Steuerentstehung (vgl. ; , Ro 2019/13/0034, je mwN). |
Normen | |
RS 2 | Die Erstattung einer fehlerhaft in Rechnung gestellten Steuer darf davon abhängig gemacht werden, dass die fehlerhafte Rechnung zuvor berichtigt wird (vgl. Rusedespred, C-138/12, Rn. 31). |
Normen | |
RS 3 | Für die Wiederaufnahme ist stets eine Abgabenbehörde zuständig, und zwar auch dann, wenn das wiederaufzunehmende Verfahren durch ein Erkenntnis des VwG abgeschlossen ist (vgl. ). |
Norm | |
RS 4 | Ein Sachverständigengutachten besteht aus der sogenannten Befundaufnahme und aus sachverständigen Schlussfolgerungen unter Anwendung der jeweiligen Kunst oder Wissenschaft aus den festgestellten Tatsachen - dem Gutachten im engeren Sinn (Hinweis E 81/03/0151). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 82/02/0027 E RS 2 |
Normen | |
RS 5 | Sollte ein Sachverständiger Tatsachen, die im vorangegangenen Verfahren bereits bestanden, erst später feststellen, so könnten solche neuen Befundergebnisse (als neu hervorgekommene Tatsachen) einen Grund für die Wiederaufnahme darstellen. Anderes gilt aber für die vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen (vgl. ). Neue Befundergebnisse können demnach einen Wiederaufnahmegrund darstellen, geänderte Schlussfolgerungen aus den bisherigen Befunden hingegen nicht (vgl. ; , Ra 2022/04/0108, je mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2023/13/0025 B RS 3 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der Z GmbH in E, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Laudongasse 25, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7101909/2022, betreffend Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 BAO (1. hinsichtlich Umsatzsteuer 2012 und 2013; 2. hinsichtlich Umsatzsteuer 2010, 2012 und 2013, Körperschaftsteuer 2010, 2012 und 2013 und Kapitalertragsteuer 2010, 2012 und 2013), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Zum Sachverhalt und bisherigen Verfahrensgeschehen ist eingangs auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2020/13/0005, zu verweisen.
2 Mit Eingabe vom (gerichtet an das Finanzamt) beantragte die Revisionswerberin die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Umsatzsteuer 2012 und 2013. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Außenprüfung habe die Rechnungslegung der Revisionswerberin an die B GmbH (Rechnungen im Zeitraum bis ) beanstandet. Die Außenprüfung sei zum Ergebnis gekommen, dass auf die in Rechnung gestellten Leistungen die Schrott-Umsatzsteuerverordnung anzuwenden sei; die Umsatzsteuerschuld liege gemäß „Reverse-Charge“ beim Leistungsempfänger. Daher bestehe keine Umsatzsteuerschuld für die erbrachte Leistung. Die Revisionswerberin schulde die Umsatzsteuer aber gemäß Rechnungslegung (§ 11 Abs. 12 UStG 1994). Die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht hätten sich dieser Ansicht angeschlossen. Der Revisionswerberin sei zur Kenntnis gelangt, dass die Finanzverwaltung der Leistungsempfängerin (B GmbH) aus den Rechnungen der Antragstellerin den Vorsteuerabzug gekürzt habe; die entsprechenden Beträge seien zurückgefordert worden. Die Finanzverwaltung sei daher bereichert. Der Revisionswerberin sei dieser Umstand erst nach Entscheidung des Bundesfinanzgerichts zur Kenntnis gelangt. Die Revisionswerberin habe daher nun die entsprechenden Rechnungen berichtigt; die Berichtigung wirke zurück (Verweis auf EuGH in der Rechtssache Senatex). Die Revisionswerberin legte dazu korrigierte Rechnungen vor (mit dem Vermerk: „rückwirkend auf das ursprüngliche Ausstelldatum, durchgeführt mit “).
3 Mit weiterer Eingabe vom (gerichtet an das Bundesfinanzgericht) beantragte die Revisionswerberin die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer, jeweils für die Jahre 2010, 2012 und 2013. In der Begründung wurde geltend gemacht, die Wiederaufnahme stütze sich auf ein beiliegendes Gutachten sowie auf die der Revisionswerberin unbekannten Beweise der historischen Marktpreise in der Anlage zu diesem Gutachten. Das Gutachten erweise die Annahmen des Bundesfinanzgerichts als unrichtig und willkürlich. Das Gutachten und die Aussagen darin seien für die Antragstellerin neu. Die Anlagen zum Gutachten wie auch das Gutachten selbst hätten alleine oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einer anderen Entscheidung geführt. Das Gutachten stütze sich auch auf für die Antragstellerin neu hervorgekommene Tatsachen.
4 Das Bundesfinanzgericht leitete diesen Antrag zuständigkeitshalber an das Finanzamt weiter.
5 Mit Bescheiden vom wies das Finanzamt beide Anträge auf Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO ab.
6 Zum ersten Antrag führte das Finanzamt aus, der Antrag auf Wiederaufnahme zeige keine Tatsachen auf, die zum Zeitpunkt der Erlassung der Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2012 und 2013 bereits existent gewesen seien und von denen die Revisionswerberin erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis erlangt habe.
7 Zum zweiten Antrag führte das Finanzamt aus, die Revisionswerberin zeige keine Tatsachen auf, die zum Zeitpunkt der Erlassung der Bescheide bereits existent gewesen seien und von denen sie erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis erlangt habe. Die geltend gemachte Kenntniserlangung beziehe sich auf die rechtliche Auswertung bereits existierender und bekannter Tatsachen bzw. Grundlagen in einem Gutachten vom Dezember 2021. Die dem Gutachten zugrunde liegenden Tatsachen und Beweismittel seien der Revisionswerberin bereits zum Zeitpunkt der Außenprüfung und Veranlagung bekannt gewesen. Die dargelegten historischen Marktpreise, Preislisten und Angaben seien bereits zum Zeitpunkt der Außenprüfung vorhanden gewesen. Die Abgabenbehörde sei überdies gemäß § 278 Abs. 3 BAO an die Rechtsmeinung des Gerichts gebunden. Spätere Eingriffe in die Rechtskraft eines BFG-Erkenntnisses stünden nur dem Gericht zu; diesbezüglich bestehe ein Wiederaufnahmetatbestand in Gestalt des § 32 VwGVG.
8 Die Revisionswerberin erhob gegen diese Bescheide eine als „Antrag auf Entscheidung durch die Abgabenbehörde 2. Instanz“ bezeichnete Beschwerde.
9 Das Finanzamt wies mit Beschwerdevorentscheidungen vom 3. und die Beschwerde als unbegründet ab. Die Revisionswerberin beantragte die Entscheidung durch die „Abgabenbehörde 2. Instanz“.
10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
11 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin habe Rechnungen an die B GmbH mit Umsatzsteuerausweis gelegt. Die Außenprüfung sei zum Ergebnis gelangt, dass auf die in den Rechnungen verzeichneten Leistungen die Schrott-Umsatzsteuerverordnung anzuwenden sei; die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer werde von der Revisionswerberin gemäß § 11 Abs. 12 UStG 1994 geschuldet. Das Finanzamt habe sich bei der Erlassung der Bescheide betreffend Umsatzsteuer 2012 und 2013 der Beurteilung der Außenprüfung angeschlossen. Die im Rahmen des Wiederaufnahmeantrags vorgelegten Rechnungen (ohne Umsatzsteuerausweis) seien keine neu hervorgekommene Tatsache; die Rechnungen seien unstrittig erst nach Bescheiderlassung und Bestätigung durch das Bundesfinanzgericht berichtigt worden. Eine andere rechtliche Beurteilung sei keine neu hervorgekommene Tatsache und damit kein Wiederaufnahmegrund. Die Kürzung der Vorsteuern bei der B GmbH sei keine neue Tatsache im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme bei der Revisionswerberin. Die Umsatzsteuer sei gemäß § 11 Abs. 12 UStG 1994 vorgeschrieben worden. Der Wegfall der Steuerschuld sei an die tatsächliche Durchführung der Berichtigung geknüpft. Für den Aussteller der Rechnung falle die Steuerschuld aufgrund der Rechnung zu dem Zeitpunkt (in jenem Voranmeldezeitraum) weg, in dem die Rechnung berichtigt werde. Hinsichtlich der Umsatzsteuer 2012 und 2013 könne durch die im Jahr 2022 erfolgte Rechnungsberichtigung kein im Spruch anders lautender Bescheid herbeigeführt werden.
12 Ein nach Rechtskraft erstelltes Sachverständigengutachten sei kein neu hervorgekommenes Beweismittel. Stütze es sich auf Tatsachen, die neu hervorgekommen seien, so kämen diese Tatsachen als Wiederaufnahmegründe in Betracht. Der Antrag auf Wiederaufnahme stütze sich auf ein Sachverständigengutachten vom Dezember 2021 und insbesondere auf die in den Anlagen 1 bis 8 des Gutachtens vorgelegten Preislisten und Preisangebote aus den Jahren 2010 bis 2013. Das Bundesfinanzgericht ziehe nicht in Zweifel, dass die vom Sachverständigen in seinem Gutachten herangezogenen Preise und Angebote auch vom Sachverständigen ermittelt worden seien. Das Bundesfinanzgericht gehe nicht davon aus, dass die vom Sachverständigen ermittelten Preise und Angebote der Revisionswerberin bei Bescheiderlassung bekannt gewesen seien. Das Bundesfinanzgericht sei in seinem Erkenntnis vom zu der Feststellung gelangt, dass den an die Revisionswerberin gelegten Rechnungen von sieben Subunternehmen keine tatsächlich erbrachten Leistungen zu Grunde gelegen seien; diese Subunternehmen hätten keine Leistungen an die Revisionswerberin erbracht. Diese Leistungen seien durch eigene Schwarzarbeiter der Revisionswerberin oder durch unbekannte Dritte erbracht worden. Der von der Revisionswerberin tatsächlich verausgabte Aufwand für Fremdpersonal sei geringer gewesen als in den Rechnungen ausgewiesen. Bei Durchführung der Schätzung sei das Bundesfinanzgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass mit einer Kürzung der geltend gemachten Betriebsausgaben um 30% das Auslangen gefunden werden könne. Mit dem vorgelegten Gutachten greife die Revisionswerberin letztlich die Richtigkeit der vom Bundesfinanzgericht vorgenommenen Schätzung des tatsächlich erwachsenen Fremdleistungsaufwandes an. Die vom Gutachten herangezogenen Preise, Angebote etc., seien Teil einer anderen Würdigung des Sachverhaltes durch die Revisionswerberin, stellten aber keinen Wiederaufnahmegrund iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO dar. Gleiches gelte für die im Wiederaufnahmeantrag als durch die Befundergebnisse im Gutachten für das gegenständliche Verfahren neu angeführten Lohnkosten, KV-Kosten und Aufschläge sowie Berechnungsmethoden. Wenn im Wiederaufnahmeantrag angeführt werde, dass die Revisionswerberin nunmehr Zugang zu historischen Branchenpreisen erlangt habe, mit deren Hilfe die zentrale Begründung im wiederaufzunehmenden Verfahren erschüttert sei, so werde damit die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts im Erkenntnis vom angegriffen; es lägen damit aber keine Gründe zur Wiederaufnahme des Verfahrens vor. Die nachteiligen Folgen einer früheren allenfalls unzutreffenden Würdigung oder Wertung des offen gelegten Sachverhaltes oder eine fehlerhafte Beurteilung ließen sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme beseitigen. Die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts in seinem Erkenntnis vom sei vom Verwaltungsgerichtshof nicht beanstandet worden.
13 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom , E 3416/2022-6, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab. In der Begründung führte der Verfassungsgerichtshof im Wesentlichen aus, die in der Beschwerde gerügten Rechtsverletzungen wären nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Fragen, ob die Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes in jeder Hinsicht dem Gesetz entspreche und ob vom Bundesfinanzgericht innerstaatliche einfachgesetzliche Normen oder unionsrechtliche Normen anzuwenden gewesen seien, nicht anzustellen. Mit Beschluss vom , E 3416/2022-9, trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
14 Gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts wendet sich auch die nunmehrige Revision.
15 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
16 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
17 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
18 Zur Zulässigkeit zum ersten Antrag auf Wiederaufnahme wird geltend gemacht, das Bundesfinanzgericht weiche von der Rechtsprechung des EuGH (Hinweis u.a. auf die Rechtssache Senatex) und des Verwaltungsgerichtshofs zur Rechnungsberichtigung ab. Auch habe das Bundesfinanzgericht den Anwendungsvorrang des Unionsrechts verkannt. Rechnungsberichtigungen wirkten ex tunc. Auf den guten Glauben des Rechnungsausstellers komme es nicht an. Wenn eine Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen sei, sei die Rechnungsberichtigung jedenfalls zulässig. § 239a BAO beeinträchtige die Effektivität und die Neutralität des Vorsteuerabzugsanspruchs.
19 Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass hier nicht die Frage eines Vorsteuerabzugs (worauf sowohl zur Begründung der Zulässigkeit der Revision als auch in der Revisionsbegründung wiederholt verwiesen wird) strittig ist (vgl. dazu etwa , mwN). Strittig ist im vorliegenden Verfahren vielmehr die Rückerstattung eines Umsatzsteuerbetrages, der unrichtig in Rechnung gestellt wurde (§ 11 Abs. 12 UStG 1994). Dazu entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass für den Aussteller der Rechnung eine Rechnungsberichtigung ex nunc wirkt; die Steuerschuld des Rechnungsausstellers entfällt durch die spätere Rechnungsberichtigung nicht bereits rückwirkend auf den Zeitpunkt der Steuerentstehung (vgl. ; , Ro 2019/13/0034, je mit weiteren Nachweisen).
20 Ein Fall, in dem eine Gefährdung des Steueraufkommens schon deswegen nicht vorläge, weil die Leistungen ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurden (vgl. dazu P GmbH, C-378/21), liegt hier nicht vor; die Rechnungen wurden an eine Steuerpflichtige (die B GmbH) gerichtet, die auch einen Vorsteuerabzug dazu geltend machte. Es entspricht der Rechtsprechung des EuGH, dass die Erstattung einer fehlerhaft in Rechnung gestellten Steuer davon abhängig gemacht werden darf, dass die fehlerhafte Rechnung zuvor berichtigt wird (vgl. Rusedespred, C-138/12, Rn. 31). Wäre der Ansicht der Revisionswerberin zu folgen, dass eine - wie hier vorliegend - nachträgliche (also nach Abschluss des vorangegangenen Verfahrens) Rechnungsberichtigung auf den Zeitraum der ursprünglichen Rechnungserstellung zurückwirkte, wäre für die Revisionswerberin im vorliegenden Verfahren nichts gewonnen. Insoweit läge keine neu hervorgekommene Tatsache (oder Beweismittel) vor, es wäre vielmehr gemäß § 295a BAO vorzugehen. Vor diesem Hintergrund ist auch der Anregung der Revisionswerberin, an den EuGH einen Antrag auf Vorabentscheidung zu stellen (wobei aus den weitwendigen Ausführungen in der Revision auch nicht hervorgeht, welche Frage an den EuGH herangetragen werden soll), nicht zu folgen.
21 Auf eine ungerechtfertigte Bereicherung der Revisionswerberin (§ 239a BAO) haben sich weder das Finanzamt noch das Bundesfinanzgericht gestützt.
22 Wenn weiters geltend gemacht wird, das Bundesfinanzgericht habe keine Feststellungen zur „Kenntnis vom Zeitpunkt der Rückzahlung seitens des Rechnungsempfängers“ getroffen, so hat die Revisionswerberin den Antrag auf Wiederaufnahme aber nicht darauf gestützt, dass sie (nachträglich) von dieser Rückzahlung Kenntnis erlangt hätte, sodass schon deswegen Feststellungen hiezu nicht erforderlich waren. Die Revisionswerberin macht auch nicht geltend, dass - und gegebenenfalls wann - dem Rechnungsempfänger das Recht auf Abzug der in einer Rechnung ausgewiesenen Mehrwertsteuer von der Finanzverwaltung endgültig versagt worden war (vgl. dazu EuGH Rusedespred, Rn. 34).
23 Zur Zulässigkeit betreffend den zweiten Antrag auf Wiederaufnahme wird zunächst geltend gemacht, dieser Antrag sei direkt beim Bundesfinanzgericht einzubringen gewesen; das Bundesfinanzgericht hätte unmittelbar über diesen Antrag und nicht über ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Finanzamts zu entscheiden gehabt. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu fehle.
24 Gemäß § 93a BAO sind die für Bescheide geltenden Bestimmungen (u.a. § 303 BAO), soweit nicht anderes angeordnet ist, sinngemäß auf Erkenntnisse und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte sowie auf in der Sache selbst ergangene Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs anzuwenden. Maßnahmen u.a. gemäß § 303 BAO obliegen auch dann der Abgabenbehörde, wenn sie solche Erkenntnisse, Beschlüsse oder Entscheidungen betreffen.
25 Gemäß § 305 BAO steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Abgabenbehörde zu, die für die Erlassung des nach § 307 Abs. 1 BAO aufzuhebenden Bescheides zuständig war oder vor Übergang der Zuständigkeit als Folge einer Bescheidbeschwerde oder einer Säumnisbeschwerde (§ 284 Abs. 3 BAO) zuständig gewesen wäre. Ist die diesbezügliche Zuständigkeit auf eine andere Abgabenbehörde übergegangen, so steht die Entscheidung der zuletzt zuständig gewordenen Abgabenbehörde zu.
26 Aus diesen Bestimmungen ergibt sich klar, dass für die Wiederaufnahme stets eine Abgabenbehörde zuständig ist, und zwar auch dann, wenn (wie hier) das wiederaufzunehmende Verfahren durch ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossen ist (vgl. ; vgl. weiters Ritz/Koran, BAO7, § 305 Tz 1).
27 Es war daher zutreffend, dass dieser Antrag vom Bundesfinanzgericht an die Abgabenbehörde weitergeleitet und von dieser über den Antrag entschieden worden war.
28 Weiters macht die Revisionswerberin geltend, aus der Beweismittelsammlung zum vorgelegten Gutachten ergebe sich, dass die von den Subauftragnehmen erbrachten Leistungen zu marktkonformen Stundensätzen abgerechnet worden seien. Das Bundesfinanzgericht habe nicht entschieden, ob die neuen Umstände zur Wiederaufnahme geeignet seien. Die Rechtsauffassung, dass das Gutachten und die historische Preissammlung keine zulässigen Beweismittel seien, sei rechtlich verfehlt. Es sei zu prüfen, ob die Inhalte dieser Beweismittel alleine oder in Verbindung mit anderen Ergebnissen des Vorverfahrens zu einer anderen Entscheidung hätten führen können. Aktenwidrig sei dazu die Annahme des Bundesfinanzgerichts, wonach sieben Subunternehmen keine tatsächlichen Leistungen erbracht hätten; dies sei nicht einmal mehr vom Finanzamt behauptet worden und sei auch nicht Kern der Vorentscheidung im hier zu beurteilenden Entscheidungsteil. Aktenwidrig sei auch die Wiedergabe eines E-Mails der Revisionswerberin, wobei die Revisionswerberin tatsächlich hätte ausführen wollen, dass das eingeholte Gutachten nicht nur auf neuen Beweisen beruhe, sondern auch die materielle und sachliche Richtigkeit zeige.
29 Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass das Bundesfinanzgericht im vorangegangenen Verfahren nach Schilderung der konkreten Umstände zu den sieben Subunternehmen (3a bis 3g) zum Ergebnis gelangt war, dass die in den Rechnungen dieser Subunternehmen fakturierten Arbeiten durch eigene „Schwarzarbeiter“ oder durch (unbekannte) Dritte geleistet worden seien.
30 Die Annahme des Bundesfinanzgerichts im vorliegenden Verfahren, dass diese sieben Subunternehmen keine tatsächlichen Leistungen erbracht hätten, ist sohin keineswegs aktenwidrig. Auch die zutreffende Wiedergabe des Vorbringens des Vertreters der Revisionswerberin, das - wie nunmehr behauptet - aber anders hätte ausgeführt werden sollen, begründet keine Aktenwidrigkeit.
31 Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren u.a. auf Antrag einer Partei wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
32 Zunächst ist zu bemerken, dass das Bundesfinanzgericht (im vorangegangenen Verfahren) die Höhe der Regiestundensätze ausschließlich im Zusammenhang mit der Frage behandelte, in welchem Ausmaß die von der Revisionswerberin geltend gemachten Betriebsausgaben (im Wege einer Schätzung gemäß § 184 BAO) zu kürzen seien. Dass die in den Rechnungen verzeichneten Leistungen nicht von den Rechnungsausstellern erbracht worden waren, hatte das Bundesfinanzgericht auf andere Argumente gestützt. Die Höhe der Regiestundensätze war hiefür für das Bundesfinanzgericht ohne Bedeutung, worauf das Bundesfinanzgericht im Zuge der Ausführungen zur Schätzung auch ergänzend verwies, indem es explizit hypothetisch ausführte, der Umstand der zu niedrigen Stundensätze „würde“ wiederum den Schluss zulassen, dass derartige Stundensätze nur unter Verstoß gegen zwingende abgaben- und sozialversicherungsrechtliche Vorschriften sowie zwingende arbeitsrechtliche Vorschriften von einem Unternehmen angeboten werden können. Die Annahme des Bundesfinanzgerichts, die Regiestundensätze seien als zu niedrig anzusehen, bewog das Bundesfinanzgericht hingegen dazu, die vom Finanzamt vorgenommene Kürzung der Betriebsausgaben zum Teil zurückzunehmen (Kürzung nicht mehr um 50%, sondern nur mehr um 30%). Wäre das Bundesfinanzgericht in diesem Zusammenhang - wie von der Revisionswerberin nunmehr geltend gemacht - davon ausgegangen, dass die verzeichneten Regiestundensätze angemessen gewesen wären, müsste angenommen werden, dass das Bundesfinanzgericht diese Kürzung allenfalls nicht (oder nur in einem geringeren Ausmaß) zurückgenommen hätte.
33 Damit kann die Revisionswerberin schon nicht aufzeigen, dass insoweit ein sie beschwerender Mangel betreffend diesen zweiten Antrag auf Wiederaufnahme vorliegt.
34 Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides eingeholt werden, sind nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden; sie können nicht als neues Beweismittel Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens sein. Ein Gutachten besteht aus einer sachverständigen Tatsachenfeststellung (der Befundaufnahme) und aus sachverständigen Schlussfolgerungen unter Anwendung der jeweiligen Kunst oder Wissenschaft aus eben den festgestellten Tatsachen (dem Gutachten im engeren Sinn). Stellt ein Sachverständiger Tatsachen, die im vorangegangenen Verfahren bereits bestanden, erst später fest, so können solche neuen Befundergebnisse (als neu hervorgekommene Tatsachen) einen Grund für die Wiederaufnahme darstellen. Anderes gilt aber für die vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen. Neue Befundergebnisse können demnach einen Wiederaufnahmegrund darstellen, geänderte Schlussfolgerungen aus den bisherigen Befunden hingegen nicht (vgl. , mwN).
35 Das Bundesfinanzgericht geht davon aus, dass die vom Sachverständigen in seinem Gutachten herangezogenen Preise und Angebote vom Sachverständigen stammen, von diesem ermittelt wurden und der Revisionswerberin bei Bescheiderlassung noch nicht bekannt waren; dass insbesondere die in Anlage 1 bis 8 des Gutachtens enthaltenen Unterlagen vom Gutachter stammen.
36 Insoweit liegen damit - soweit es den Befund des Gutachtens betrifft - auch neu hervorgekommene Tatsachen vor. Dabei handelt es sich insbesondere um die Anlagen 1 bis 8 des Gutachtens. Diese beinhalten vor allem Regiepreise für Geräte (insbesondere Baufahrzeuge). Auf eine mögliche Unangemessenheit von derartigen Regiepreisen hatte sich das Bundesfinanzgericht im vorangegangenen Verfahren nicht gestützt. Soweit die Anlagen zum Gutachten auch Angaben betreffend Regiepreise für Bauarbeiter enthalten, ergibt sich aber keine Abweichung zu den Annahmen des Bundesfinanzgerichts im vorangegangenen Verfahren: Nach Anlage 7, Position , beträgt der Lohn für Regieleistungen („BGR IV“, damit sind offenbar Bauhilfsarbeiter iSd Beschäftigungsgruppe IV des Kollektivvertrages gemeint) 35,10 € pro Stunde. Selbst unter Berücksichtigung der weiteren Ausführungen des Sachverständigen, dass es sich dabei um ein „unverhandeltes Preisangebot“ handle, bei dem erfahrungsgemäß noch Nachlässe von ca. 10% gewährt würden, liegt dieser Betrag in dem vom Bundesfinanzgericht angenommenen Bereich (Regiestundensatz für Bauhilfsarbeiter von 31 € bis 35 €). Die vom Sachverständigen ermittelten Kollektivvertragslöhne stimmen mit den Annahmen des Bundesfinanzgerichts überein (vgl. z.B. Kollektivvertragslohn Facharbeiter 2010: 12,80 € - Erkenntnis Bundesfinanzgericht Seite 88; Gutachten Seite 12).
37 Soweit es sich durch die Befundaufnahme des Sachverständigen um (an sich) neu hervorgekommene Tatsachen handelt (wie eben erwähnt die Regiepreise für Bauarbeiter), konnte die Kenntnis dieser Umstände (allein oder in Verbindung mit den sonstigen Ergebnissen des Verfahrens) einen im Spruch anders lautenden Bescheid schon deswegen nicht herbeiführen, weil diese Umstände ohnehin mit den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts übereinstimmen.
38 Betreffend die Ermittlung des „Mittellohnpreises“ durch den Sachverständigen handelt es sich hingegen um Schlussfolgerungen des Sachverständigen, die eine Wiederaufnahme nicht begründen können. Es ist daher auch nicht zu prüfen, ob die bei Herleitung dieser Schlussfolgerung vom Sachverständigen getroffenen Annahmen plausibel wären; eine Verprobung des vom Sachverständigen ermittelten Mittellohnpreises für einen Bauarbeiter mit dem (insoweit einzigen) von ihm erhobenen Marktpreis kann dem Gutachten (anders als zu den Regiepreisen mit Geräten) nicht entnommen werden. Es sei aber darauf hingewiesen, dass hier die an die Revisionswerberin erbrachten Leistungen zu beurteilen waren, sodass es nicht auf die Geschäftsgemeinkosten der Revisionswerberin oder den von dieser angenommenen Gewinn ankommen konnte.
39 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | BAO §177 BAO §303 BAO §303 Abs1 litb BAO §305 BAO §93a UStG 1994 §11 Abs12 UStG 1994 §16 Abs1 62012CJ0138 Rusedespred VORAB |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024130032.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-46436