TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH 29.05.2024, Ra 2024/13/0010

VwGH 29.05.2024, Ra 2024/13/0010

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
RS 1
Die Bindungswirkung gemäß § 63 VwGG bezieht sich auch auf einen Übergangsfall im Sinne des Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ro 2014/05/0062 E VwSlg 18912 A/2014 RS 2 (hier betreffend Art. 151 Abs. 51 Z 8 bis 10 B-VG)
Normen
VwGG §63 Abs1
VwRallg
RS 2
Die Bindung des VwG gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die im aufhebenden Erkenntnis geäußerte tragende Rechtsanschauung des VwGH (vgl. , mwN) besteht nicht bei einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage (vgl. ). Die Bindung ist somit insbesondere dann nicht mehr gegeben, wenn der Sachverhalt in einer für die Entscheidung erheblichen Weise von jenem abweicht, den der VwGH zunächst rechtlich beurteilt hat (vgl. , mwN).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2022/16/0040 B RS 1
Normen
BAO §260 Abs1 lita
BAO §97 Abs1 lita
RS 3
Wären die Erledigungen des Finanzamts nicht wirksam zugestellt worden, wären die dagegen erhobenen Berufungen (nunmehr Beschwerden) als unzulässig zurückzuweisen gewesen (vgl. , mwN).

Entscheidungstext

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

Ra 2024/13/0011 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamtes Österreich (Dienststelle Wien 8/16/17) in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7102902/2016, betreffend Wiederaufnahme Körperschaftsteuer 2006 und 2007 und Umsatzsteuer 2007, sowie Körperschaft-, Umsatz- und Kapitalertragsteuer 2006 bis 2008 (mitbeteiligte Partei: G GmbH in W, vertreten durch Dr. Michael Kotschnigg, Steuerberater in 1220 Wien, Stadlauer Straße 39/1/Top 12), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte des Revisionsfalls wird zunächst - in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 VwGG - auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2012/13/0058 (in der Folge: Vorerkenntnis), verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hob damit - unter Verweis auf das ebenfalls die mitbeteiligte Partei betreffende und ebenso (teilweise) aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2012/13/0043 - den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates vom , RV/1552-W/10 (miterledigt RV/1551-W/10 und RV/1550-W/10), wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des unabhängigen Finanzsenates auf, weil - nach dem damaligen, unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der mitbeteiligten Partei - die erstinstanzlichen Bescheide unter Missachtung einer erteilten Zustellvollmacht nicht an den Bevollmächtigten adressiert worden und diesem auch nicht im Original zugekommen seien.

2 Mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen Beschluss hob das Bundesfinanzgericht unter Verweis auf das Vorerkenntnis und ohne weitere Begründung die angefochtenen Bescheide des (damaligen) Finanzamtes wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde auf und sprach weiters aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision vom , die das Bundesfinanzgericht - unter Anschluss der Akten des Verfahrens - dem Verwaltungsgerichtshof mit Vorlagebericht vom vorlegte.

4 Zur Zulässigkeit wird geltend gemacht, der Verwaltungsgerichtshof habe im Vorerkenntnis auf Grundlage der ihm vorliegenden Aktenlage entschieden, der dem Bundesfinanzgericht im fortgesetzten Verfahren verfügbar gewesenen Aktenlage könne jedoch eindeutig entnommen werden, dass der (damalige) steuerliche Vertreter seine Zustellvollmacht selbst über FinanzOnline beendet und erst nach Zustellung der angefochtenen Bescheide wieder eingetragen habe. Das Bundesfinanzgericht habe somit den Sachverhalt unvollständig und aktenwidrig festgestellt.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem von der mitbeteiligten Partei eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 Die Revision ist zulässig und begründet.

7 Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sind die Verwaltungsbehörden verpflichtet, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Beschwerde stattgegeben hat, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

8 Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG in der seit geltenden Fassung (BGBl. I Nr. 33/2013) sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

9 Die Bindungswirkung gemäß § 63 VwGG bezieht sich auch auf einen Übergangsfall im Sinne des Art. 151 Abs. 51 Z 8 bis 10 B-VG (vgl. , mwN).

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht bei einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage keine Bindung des Verwaltungsgerichtes gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die im aufhebenden Erkenntnis geäußerte tragende Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ). Die Bindung ist insbesondere dann nicht mehr gegeben, wenn der Sachverhalt in einer für die Entscheidung erheblichen Weise von jenem abweicht, den der Verwaltungsgerichtshof zunächst rechtlich beurteilt hat (vgl. , mwN).

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat die mit dem Vorerkenntnis erfolgte Aufhebung auf einen ergänzenden Schriftsatz der mitbeteiligten Partei, mit dem diese insbesondere geltend gemacht habe, die erstinstanzlichen Bescheide seien unter Missachtung einer erteilten Zustellvollmacht nicht an den Bevollmächtigten adressiert worden, gestützt. Zu diesem Vorbringen, das soweit an Hand der Akten überprüfbar den Tatsachen entsprechen würde, habe der Referent der (damals) belangten Behörde - somit des unabhängigen Finanzsenates - keine Stellung bezogen.

12 Sollte sich im fortgesetzten Verfahren herausgestellt haben, dass der damalige Rechtsvertreter der mitbeteiligten Partei - entgegen dem im ersten Rechtsgang erstatteten Vorbringen - seine Zustellvollmacht vor Erlassung der erstinstanzlichen Bescheide zurückgelegt habe, wie das revisionswerbende Finanzamt unter Verweis auf die nunmehr vorliegende Aktenlage behauptet, läge darin eine erhebliche, die Bindungswirkung gemäß § 63 Abs. 1 VwGG des Vorerkenntnisses ausschließende Änderung der Sachlage. Das Bundesfinanzgericht wäre daher verpflichtet gewesen, im - nach dem Vorerkenntnis - fortgesetzten Verfahren entsprechende Feststellungen zur Frage des aufrechten Bestands der Zustellvollmacht des damaligen Rechtsvertreters der mitbeteiligten Partei zu treffen und seiner Entscheidung zu Grunde zu legen.

13 Selbst bei Annahme einer Bindung an das Vorerkenntnis (oder bei Verneinung des nunmehrigen Vorbringens des Finanzamts zur Zustellvollmacht des Vertreters der mitbeteiligten Partei) erwiese sich der angefochtene Beschluss als rechtswidrig. Wären demnach die Erledigungen des Finanzamts nicht wirksam zugestellt worden, wären die dagegen erhobenen Berufungen (nunmehr Beschwerden) als unzulässig zurückzuweisen gewesen (vgl. , mwN).

14 Der angefochtene Beschluss erweist sich daher insgesamt als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
BAO §260 Abs1 lita
BAO §97 Abs1 lita
B-VG Art151 Abs51 Z10
B-VG Art151 Abs51 Z8
B-VG Art151 Abs51 Z9
VwGG §63
VwGG §63 Abs1
VwRallg
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024130010.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
CAAAF-46430