VwGH 22.10.2024, Ra 2024/13/0008
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | UStG 1994 §12 Abs1 Z1 |
RS 1 | Es entspricht der ständigen - neueren - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt. Die Steuerverwaltung darf das Recht auf Vorsteuerabzug in einem solchen Fall nicht verweigern, wenn sie über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob die für dieses Recht geltenden materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei darf sich die Steuerverwaltung nicht auf die Prüfung der Rechnung selbst beschränken. Sie hat auch die vom Steuerpflichtigen beigebrachten zusätzlichen Informationen zu berücksichtigen (vgl. ; , Ro 2016/13/0020; , Ro 2017/13/0011, jeweils mit Hinweis insbesondere auf das - die Bestimmungen des Art. 226 Nrn. 6 und 7 der Richtlinie 2006/112/EG behandelnde - Barlis 06 - Investimentos Imobiliarios e Turisticos, C-516/14; vgl. auch den Mennica Wroclawska, C-491/18, Rn. 35). Anders verhält es sich, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden. Ebenso ist das Recht auf Vorsteuerabzug zu verweigern, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird (vgl. z.B. Astone, C-332/15, Rn. 46 und 50; ). Verstöße gegen die formellen Pflichten könnten auch das Vorliegen eines Falles der Steuerhinterziehung belegen, in dem der Steuerpflichtige seinen formellen Pflichten vorsätzlich nicht nachkommt, um der Entrichtung der Steuer zu entgehen (vgl. z.B. Dobre, C-159/17, Rn. 40). Wusste der Steuerpflichtige, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, oder hätte er dies wissen müssen, so ist der Vorsteuerabzug zu verweigern (vgl. Maks Pen, C-18/13, Rn. 27; ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ro 2019/13/0030 E RS 1 (hier nur die ersten vier Sätze) |
Normen | UStG 1994 §12 Abs1 62022CJ0114 Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie VORAB |
RS 2 | Vorsteuerabzug steht nur dann zu, wenn die materiellen Voraussetzungen hiefür erfüllt sind. Eine dieser Voraussetzungen ist, dass eine Lieferung oder Dienstleistung von einem anderen Steuerpflichtigen erbracht wurde (vgl. , mwN). Wurden die verrechneten Leistungen nicht bewirkt, besteht demnach kein Recht auf Vorsteuerabzug (vgl. , mwN; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie, C-114/22, Rn. 31). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2023/13/0052 B RS 4 |
Normen | UStG 1994 §12 Abs1 62020CJ0281 Ferimet VORAB 62022CJ0114 Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie VORAB 62022CJ0537 Global Ink Trade VORAB |
RS 3 | Ein Vorsteuerabzug ist auch bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen zu verweigern, wenn dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird (vgl. ; vgl. weiters z.B. Ferimet, C-281/20, Rn. 45; , Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie [Mehrwertsteuer - Fiktiver Erwerb], C-114/22, Rn. 41 ff; , Global Ink Trade, C-537/22, Rn. 35 ff). |
Normen | |
RS 4 | Ein Vorsteuerabzug ist zu verweigern, wenn der Steuerpflichtige wusste, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, oder er dies hätte wissen müssen. Ob dies der Fall ist, hängt von Tatfragen ab, die die Abgabenbehörde oder das VwG in freier Beweiswürdigung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen hat (vgl. ; , Ra 2020/13/0007, je mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2023/13/0160 E RS 2 |
Normen | BAO §116 Abs1 VwRallg |
RS 5 | Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, auf denen sein Schuldspruch beruht, wozu jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandselementen zusammensetzt. Diese Bindung besteht allerdings nur hinsichtlich jener Personen, denen gegenüber das Strafurteil ergangen ist, nicht aber gegenüber Dritten (vgl. mwN). Auch im Verwaltungsstrafverfahren ist von der Beschränkung der Bindungswirkung von Straferkenntnissen auf Parteien, denen gegenüber sie ergangen sind, auszugehen (vgl. z.B. ; , 2000/07/0075; , 2005/06/0387). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/17/0052 E RS 2 (hier ohne den letzten Satz) |
Normen | |
RS 6 | Mit dem AbgÄG 2005, BGBl. I Nr. 161, wurde die Bestimmung des § 28 Abs. 1 FinStrG aufgehoben; es wurden Regelungen über die Verantwortlichkeit von Verbänden eingefügt (§ 28a FinStrG). Diese Bestimmung regelt die finanzstrafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden in weitgehender Übereinstimmung mit dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 1187 BlgNR 22. GP 26). Nach der Rechtsprechung des OGH (), bewirkt die materielle Rechtskraft des Schuldspruchs, dass sich der Verurteilte - vorbehaltlich einer allfälligen Wiederaufnahme des Strafverfahrens - gegenüber niemandem darauf berufen kann, dass er die Tat, deretwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, tatsächlich nicht begangen hätte. Kamen dem belangten Verband im Verfahren gegen die natürliche Person die Rechte des Beschuldigten zu, stand ihm daher bereits bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit offen, zu den Vorwürfen, für die er verantwortlich erklärt werden könnte, Stellung zu nehmen und konnte er den Schuldspruch seines Entscheidungsträgers auf gleiche Weise wie dieser bekämpfen, erstreckt sich die Bindungswirkung auch auf den Verband (vgl. auch RIS Justiz RS0112232). |
Normen | |
RS 7 | War Inhalt des Spruches erster Instanz jeweils die Festsetzung der Umsatzsteuer für bestimmte Monate (§ 21 Abs. 3 UStG 1994) und stellt sich (erst) im Rahmen des Beschwerdeverfahrens heraus, dass für diese Zeiträume weitere steuerpflichtige Umsätze zu berücksichtigen sind (hier: etwa der Umsatzsteuer unterliegende innergemeinschaftliche Erwerbe iSd Art. 1 UStG 1994), so sind diese bei einer - in jeder Richtung möglichen Abänderung (vgl. § 279 Abs. 1 BAO) - vom BFG zu berücksichtigen. Die "Sache" des Verfahrens (Umsatzsteuer für bestimmte Monate) wird durch Berücksichtigung weiterer Vorgänge, die zu einer Erwerbsbesteuerung geführt haben, nicht überschritten; eine andere (verschiedene) Abgabe ("Sache") liegt insoweit nicht vor. |
Normen | |
RS 8 | Im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs erfolgt wie im Fall der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens keine Mehrwertsteuerzahlung zwischen dem Verkäufer und dem Erwerber. Der Erwerber hat für den getätigten Umsatz die Erwerbsteuer zu entrichten, kann diese aber grundsätzlich als Vorsteuer in Abzug bringen, sodass der Steuerverwaltung kein Betrag geschuldet wird (vgl. Idexx Laboratories Italia, C-590/13, Rn. 33). Der tragende Grundsatz der steuerlichen Neutralität im Rahmen des Reverse-Charge-Verfahrens erfordert, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat. Verfügt die Abgabenbehörde über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich sind, dass die materiellen Anforderungen erfüllt sind, so darf sie keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung dieses Rechts vereiteln können. Anders verhält es sich, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden (vgl. neuerlich EuGH C-590/13, Rn. 38 ff; A [Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug], C-895/19, Rn. 47). Die Abführung der Mehrwertsteuer und ihr Abzug hat (im Allgemeinen) auch im gleichen Zeitraum zu erfolgen, so dass der Steuerpflichtige vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet wird (vgl. neuerlich EuGH C-895/19, Rn. 48). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lukacic-Marinkovic, über die Revision der T GmbH in B, vertreten durch Dr. Michael Kotschnigg, Steuerberater in 1220 Wien, Stadlauer Straße 39/1, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5100588/2013, betreffend u.a. Umsatzsteuer 3-11/2011,
Spruch
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird betreffend Umsatzsteuer 3-6/2011 zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird betreffend Umsatzsteuer 7-11/2011 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheiden vom setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für die Zeiträume 1/2011 und 2/2011 abweichend von den Abgabenerklärungen der Revisionswerberin fest. In der Begründung wurde ausgeführt, die Selbstberechnung habe sich als unrichtig erwiesen.
2 Die Revisionswerberin erhob gegen diese Bescheide Berufung.
3 Im Bericht über das Ergebnis einer die Umsatzsteuer 1/2011 bis 11/2011 betreffenden Außenprüfung vom wurde - mit näherer Begründung - dargelegt, die für die Revisionswerberin handelnden Personen (sowohl die Geschäftsführerin als auch der Gesellschafter) hätten gewusst, dass näher genannte Gesellschaften lediglich zum Zweck der Ausstellung von Scheinrechnungen und der damit zusammenhängenden Umsatzsteuerverkürzung gegründet worden seien. Diese Personen (die Geschäftsführerin und der Gesellschafter) hätten gewusst (oder hätten wissen müssen), dass die an die Revisionswerberin ausgeführten Umsätze im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehungen oder sonstigen, die Umsatzsteuer betreffenden Finanzvergehen stünden. Der Revisionswerberin stehe daher kein Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen zu.
4 Mit Bescheiden vom setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für die Zeiträume 3/2011 bis 11/2011 fest. In der Begründung wurde auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung verwiesen.
5 Die Revisionswerberin erhob auch gegen diese Bescheide Berufung.
6 Zum weiteren Verfahrensgeschehen (insbesondere zur Unwirksamkeit von Beschwerdevorentscheidungen des Finanzamtes vom sowie zur Unwirksamkeit einer Erledigung betreffend Festsetzung Umsatzsteuer für das Jahr 2011 vom ) kann auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2023/13/0015, verwiesen werden (vgl. zum Sachverhalt auch - Mineralölsteuer betreffend - ; sowie , Ra 2016/16/0087).
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Bundesfinanzgericht die Bescheide betreffend Umsatzsteuer Jänner und Februar sowie Juli, August, September, Oktober und November 2011 ab. Betreffend Umsatzsteuer März, April, Mai und Juni 2011 wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
8 Nach Darstellung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin sei im Streitzeitraum im Treibstoffvertrieb tätig gewesen. Geschäftsführerin der Revisionswerberin sei S gewesen. Der einzige Gesellschafter HS sei im Streitzeitraum der faktische Geschäftsführer der Revisionswerberin gewesen, er sei seit März 2010 für die Revisionswerberin generalhandlungsbevollmächtigt gewesen.
9 Aufgrund einer Außenprüfung, deren Ergebnissen sich die Abgabenbehörde angeschlossen habe, seien der Revisionswerberin aus Rechnungen der Z Kft Vorsteuern aus innergemeinschaftlichen Erwerben aufgrund von Rechnungsmängeln gestrichen worden (Jänner und Februar 2011). Die Revisionswerberin habe den innergemeinschaftlichen Erwerb aus diesen Lieferungen versteuert. Die Lieferungen hätten tatsächlich stattgefunden; die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs lägen vor (die Revisionswerberin sei Unternehmerin, sie habe die Lieferungen für steuerpflichtige Zwecke verwendet; sie habe die Lieferungen von einem anderen Unternehmer erhalten); hinsichtlich dieser Lieferungen liege kein Umsatzsteuerbetrug vor.
10 Weiters habe die Abgabenbehörde der Revisionswerberin den Abzug von Vorsteuern aus Rechnungen weiterer Gesellschaften in näher genannten Zeiträumen versagt. Betreffend Lieferungen der E GmbH (März, April und Mai 2011) und der D GmbH (Mai 2011) lägen die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges vor. Rechnungen der A Kft (Juni, Juli, August, September und Oktober 2011) sowie der P GmbH (Oktober und November 2011) seien Scheinrechnungen; tatsächliche Lieferungen zwischen diesen Gesellschaften und der Revisionswerberin hätten nicht stattgefunden. Die E GmbH, die D GmbH, die A Kft und die P GmbH hätten die Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt abgeführt. Die Revisionswerberin habe vom Umsatzsteuerbetrug dieser vier Gesellschaften wissen müssen.
11 Unter Ausblendung der Scheingeschäfte der A Kft und der P GmbH sei die Revisionswerberin in ein grenzüberschreitendes Reihengeschäft eingebunden gewesen: BK (Deutschland) an die Revisionswerberin (Österreich); Revisionswerberin an unternehmerische Abnehmer in Österreich. Die zweite Übertragung, wie ein Eigentümer über die fraglichen Waren zu verfügen, habe nach der innergemeinschaftlichen Beförderung in Österreich stattgefunden.
12 Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Bundesfinanzgericht aus, der Revisionswerberin sei das Wissen des HS als faktischer Vertreter und Generalhandlungsbevollmächtigter zuzurechnen. Dass die Revisionswerberin betreffend die Lieferungen der E GmbH, der D GmbH bzw. Geschäfte der A Kft. und der P GmbH vom Umsatzsteuerbetrug habe wissen müssen, ergebe sich aus mehreren Umständen. HS sei die unüblich hohe Gewinnmarge aus diesen Geschäften bewusst gewesen (höher als bei einem Streckengeschäft üblich); dies hätte ihn zu Nachprüfungen veranlassen sollen. Die Revisionswerberin habe pro Tankzug jeweils ca. 400 € verdient; der reguläre Betrag sei zwischen 180 € und 220 € gelegen. HS habe den Verdacht gehabt, dass mit der Mehrwertsteuer „irgendwas gedreht“ worden sei, weil sonst diese Spanne nicht hätte erzielt werden können. Das Vorbringen der Revisionswerberin im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht sei nicht überzeugend. Selbst wenn es am Spotmarkt geringere Preise für Dieselkraftstoff gebe, sei eine Verdoppelung des Gewinns unrealistisch. Wäre diese Gewinnerhöhung generell möglich, würden wohl alle Marktteilnehmer den Treibstoff am Spotmarkt einkaufen. Hinzu komme, dass bereits die Margen bei den Lieferungen der Z Kft unüblich hoch gewesen seien. Selbst bei kurzfristig möglicher Gewinnsteigerung durch Einkäufe am Spotmarkt erscheine es dem Bundesfinanzgericht unwahrscheinlich, durchgängige Gewinnverdoppelungen durch Spotmarkteinkäufe zu generieren. Dies werde insbesondere dadurch gestützt, dass HS die Erträge aus den Geschäften unüblich hoch erschienen seien. Es seien auch die gleichen Geschäfte mit schnell wechselnden Lieferanten bei gleicher Ansprechperson durchgeführt worden. Kontaktperson bei der Z Kft, der E GmbH, der D GmbH und der A Kft sei jeweils TK gewesen; bei der P GmbH sei Ansprechpartner AP gewesen. TK sei bei keiner dieser Gesellschaften als Geschäftsführer tätig gewesen. Der Umstand, dass dieselbe Person für mehrere Unternehmer handle, sei ein Warnsignal für Unregelmäßigkeiten. Die Revisionswerberin habe keinen Kontakt zu den eigentlichen Geschäftsführern dieser Gesellschaften aufgenommen, um sich zu vergewissern, ob TK überhaupt handlungsbefugt sei. Dass die Revisionswerberin dazu weitere Untersuchungen unterlassen habe, spreche dafür, dass die Revisionswerberin vom Umsatzsteuerbetrug dieser Gesellschaften habe wissen müssen. Dass aus dem Firmenbuchauszug der D GmbH der Geschäftszweig „Gastronomiebetrieb“ ersichtlich sei, runde das Bild ab; derart branchenfremde Geschäfte seien ebenfalls als Unregelmäßigkeit einzustufen. Dass die P GmbH schlussendlich als Ersatz für die A Kft Rechnungen ausgestellt habe, da die UID-Nummer der A Kft begrenzt worden sei und im Wissen der Revisionswerberin Rechnungen umgeschrieben worden seien, sei ebenso als Indiz dafür zu werten, dass die Revisionswerberin um den Umsatzsteuerbetrug der P GmbH habe wissen müssen.
13 HS sei zudem bewusst gewesen, dass um die Person TK bereits im März 2011 hinsichtlich des Treibstoffhandels ermittelt worden sei. HS habe die Geschäfte mit TK dennoch unverändert weitergeführt. Er sei lediglich verwundert gewesen, dass die Z Kft ab Mitte März keine weiteren Lieferungen durchgeführt habe. Die Geschäfte seien sodann mit der E GmbH (unter Vertretung des TK) weitergeführt worden. Dass trotz dieser Unregelmäßigkeiten, die HS selbst verwundert hätten, keine weiteren Nachforschungen betrieben worden seien bzw. weiter mit Unternehmen, bei denen TK aufgetreten sei, kontrahiert worden sei, sei als unüblich und sorgfaltslos zu werten.
14 Aus den rechtskräftigen Feststellungen im Urteil des Strafgerichtes vom September 2014 ergebe sich, dass HS am Mineralölsteuerbetrug im Zusammenhang mit zeitlich nach den Lieferungen der E GmbH und D GmbH stattgefundenen Geschäften der A Kft und der P GmbH beteiligt gewesen sei und dafür Provisionen kassiert habe. Eine gegenteilige eidesstattliche Erklärung des TK sei auch zum Gegenstand eines Antrags auf Wiederaufnahme eines Strafverfahrens gemacht worden. In einer mündlichen Verhandlung sei die eidesstattliche Erklärung aber relativiert und abgeschwächt worden; der den Antrag auf Wiederaufnahme abweisende Beschluss sei in Rechtskraft erwachsen. Auch die Übernahme von Verbindlichkeiten von Vorlieferanten durch spätere Lieferanten spreche dafür, dass die Revisionswerberin vom Umsatzsteuerbetrug der D GmbH habe wissen müssen.
15 Dass die Rechnungen der A Kft und der P GmbH an die Revisionswerberin Scheinrechnungen gewesen seien und keine Lieferungen zwischen diesen Gesellschaften und der Revisionswerberin stattgefunden hätten, ergebe sich aus den rechtskräftigen Feststellungen im Urteil des Strafgerichtes vom September 2014. Dieser Umstand werde auch dadurch bestätigt, dass nach Begrenzung der UID-Nummer der A Kft die Rechnungen von der A Kft auf die P GmbH umgeschrieben worden seien; weiters sei auf die Aussagen des AP zu verweisen, wonach es sich bei der A Kft und der P GmbH um Scheinfirmen gehandelt habe und diese zur Erstellung von Scheinrechnungen an die Revisionswerberin verwendet worden seien.
16 Da die Revisionswerberin tatsächlich an österreichische Abnehmer als Diesel deklarierte Waren geliefert habe, zwischen der Revisionswerberin und der A Kft bzw. der P GmbH aber keine umsatzsteuerlichen Lieferungen stattgefunden hätten, könnten sich die Liefergeschäfte nur als Reihengeschäfte darstellen. Dies entspreche der wirtschaftlichen Realität, die bei der Beurteilung von Umsätzen zu berücksichtigen sei. Die Revisionswerberin habe daher die Ware aus Deutschland von der Lieferantin BK bezogen und habe diese an ihre österreichischen Endkunden veräußert. Dies ergebe sich auch aus den Feststellungen im Urteil des Strafgerichtes vom September 2014, wonach das Entgelt, das die Revisionswerberin aus den Weiterverkäufen des Diesels lukriert habe, weder an die A Kft noch an die P GmbH, sondern auf das Konto des Betreibers der BK angewiesen worden sei.
17 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht aus, betreffend die Lieferungen der Z Kft seien die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges erfüllt. Formelle Rechnungsfehler führten nicht zur Versagung des Vorsteuerabzuges. Damit könne von einer Auseinandersetzung mit den von der Abgabenbehörde angeführten Rechnungsmängeln abgesehen werden. Die Streichung der Vorsteuer sei insoweit rückgängig zu machen; die Festsetzungsbescheide Umsatzsteuer Jänner und Februar 2011 seien daher zu Gunsten der Revisionswerberin abzuändern gewesen.
18 Betreffend die Lieferungen der E GmbH und der D GmbH lägen die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges vor. Die Revisionswerberin hätte aber um den Umsatzsteuerbetrug der E GmbH und der D GmbH wissen müssen, sodass der Revisionswerberin aus diesen Rechnungen kein Vorsteuerabzug zustehe. In diesem Punkt sei die Beschwerde betreffend Festsetzung Umsatzsteuer März, April und Mai 2011 abzuweisen gewesen.
19 Die Rechnungen der A Kft und der P GmbH an die Revisionswerberin seien Scheinrechnungen ohne dahinterliegende Lieferungen. Ein Vorsteuerabzug aus einem Scheingeschäft sei unzulässig. Es seien aber tatsächlich Lieferungen der Revisionswerberin an österreichische Abnehmer erfolgt. Bei der Beschaffung des Treibstoffes könne es sich damit nur um ein Reihengeschäft zwischen der BK, der Revisionswerberin und den österreichischen Endkunden der Revisionswerberin handeln. Die steuerbefreite bewegte Lieferung sei der Lieferung zwischen der BK und der Revisionswerberin zuzurechnen, weil die zweite Übertragung der Verfügungsmacht nach der innergemeinschaftlichen Beförderung in Österreich stattgefunden habe. Die Revisionswerberin habe die innergemeinschaftlichen Erwerbe in Österreich zu versteuern. Die Steuerschuld für diese innergemeinschaftlichen Erwerbe entstehe mangels Rechnung der BK an die Revisionswerberin am 15. Tag des auf die Erwerbe folgenden Kalendermonats. Auch bei innergemeinschaftlichen Erwerben entfalle das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn die Revisionswerberin um den Umsatzsteuerbetrug in der Lieferkette habe wissen müssen. Fest stehe, dass die Rechnungen der A Kft und der P GmbH Scheinrechnungen gewesen seien, um den tatsächlichen Warenfluss zu verschleiern. Die A Kft und die P GmbH schuldeten die Steuer gemäß § 11 Abs. 14 UStG 1994. Die Umsatzsteuer aus diesen Rechnungen sei nicht abgeführt worden. Der Revisionswerberin sei die Ausstellung von Scheinrechnungen bewusst gewesen. Die Revisionswerberin habe um den Umsatzsteuerbetrug wissen müssen, weswegen das Recht auf Vorsteuerabzug aus den innergemeinschaftlichen Erwerben zu versagen sei.
20 Es seien daher bei der Revisionswerberin die innergemeinschaftlichen Erwerbe aus den Lieferungen der BK zu berücksichtigen; ein Vorsteuerabzug aus diesen innergemeinschaftlichen Erwerben stehe jedoch nicht zu. Da die Steuerschuld der innergemeinschaftlichen Erwerbe am 15. Tag des auf die Erwerbe folgenden Kalendermonats entstehe, sei im Ergebnis der Bescheid betreffend Festsetzung Umsatzsteuer Juni 2011 nicht abzuändern gewesen. Die Steuerschuld für die innergemeinschaftlichen Erwerbe im November 2011 sei erst im Dezember 2011 entstanden; da ein Festsetzungsbescheid für diesen Monat nicht erlassen worden sei (ebenso kein Jahresumsatzsteuerbescheid), seien die Erwerbe vom November 2011 nicht zu berücksichtigen. Die Bescheide betreffend Festsetzung Umsatzsteuer Juli, August, September, Oktober und November 2011 seien daher im Ergebnis zu Lasten der Revisionswerberin abzuändern gewesen.
21 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom , E 1676/2023-6, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof ab. In der Begründung führte der Verfassungsgerichtshof im Wesentlichen aus, spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob vom Bundesfinanzgericht innerstaatliche einfachgesetzliche Normen oder unionsrechtliche Normen anzuwenden gewesen seien, nicht anzustellen gewesen. Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berühre, als die Rechtswidrigkeit der die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtsvorschriften (§ 209a BAO) behauptet werde, lasse ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Dem Steuerpflichtigen sei es unbenommen, schon vor Ablauf der Verjährungsfrist hinreichende Rechtsbehelfe gegen eine allfällige Säumnis der Abgabenbehörde bzw. des Bundesfinanzgerichtes zu ergreifen.
22 Gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts „in seinem abweisenden und verbösernden Teil“ (also betreffend die Monate März bis November 2011) wendet sich auch die vorliegende Revision.
23 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat sich die belangte Behörde am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.
24 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
25 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
26 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein derartiger Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
27 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
28 Strittig ist im Verfahren der Vorsteuerabzug aus (behaupteten) Lieferungen der E GmbH, der D GmbH, der A Kft und der P GmbH; eine Besteuerung innergemeinschaftlicher Erwerbe von der (deutschen) BK; sowie der Vorsteuerabzug aus diesen innergemeinschaftlichen Erwerben.
29 Das Bundesfinanzgericht geht davon aus, dass betreffend die E GmbH und die D GmbH die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug gegeben sind, dem Vorsteuerabzug aber das Wissen-Müssen der Revisionswerberin betreffend Einbeziehung in einen Umsatzsteuerbetrug entgegenstehe. Auch betreffend die A Kft und die P GmbH liege Umsatzsteuerbetrug vor, von dem die Revisionswerberin hätte wissen müssen; überdies lägen insofern aber auch nicht die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vor (tatsächlich keine Lieferungen). Insoweit lägen vielmehr (ergänzend zu besteuernde) innergemeinschaftliche Erwerbe (Lieferungen der deutschen BK) vor; ein Vorsteuerabzug aus diesen innergemeinschaftlichen Erwerben stehe aufgrund des Wissen-Müssens um den Umsatzsteuerbetrug in der Lieferkette nicht zu.
1. Vorsteuerabzug betreffend E GmbH, D GmbH, A Kft und P GmbH
30 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt. Die Steuerverwaltung darf das Recht auf Vorsteuerabzug in einem solchen Fall nicht verweigern, wenn sie über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob die für dieses Recht geltenden materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei darf sich die Steuerverwaltung nicht auf die Prüfung der Rechnung selbst beschränken. Sie hat auch die vom Steuerpflichtigen beigebrachten zusätzlichen Informationen zu berücksichtigen (vgl. , mwN).
31 Eine der materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug ist, dass eine Lieferung oder Dienstleistung von einem anderen Steuerpflichtigen erbracht wurde. Wurden die verrechneten Leistungen nicht bewirkt, besteht kein Recht auf Vorsteuerabzug (vgl. , mwN).
32 Ein Vorsteuerabzug ist aber auch bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen zu verweigern, wenn dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird (vgl. ; vgl. weiters z.B. Ferimet, C-281/20, Rn. 45; , Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie [Mehrwertsteuer - Fiktiver Erwerb], C-114/22, Rn. 41 ff; , Global Ink Trade, C-537/22, Rn. 35 ff). Wusste der Steuerpflichtige, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war oder hätte er dies wissen müssen, ist der Vorsteuerabzug zu versagen. Ob dies der Fall ist, hängt von Tatfragen ab, die die Abgabenbehörde oder das Verwaltungsgericht in freier Beweiswürdigung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen hat (vgl. , mwN).
33 Zur Zulässigkeit der Revision wird zunächst umfangreich Vorbringen zur Bindungswirkung von Strafurteilen erstattet.
34 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, auf denen sein Schuldspruch beruht, wozu jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandselementen zusammensetzt. Die Bindungswirkung erstreckt sich auf die vom Gericht festgestellten und durch den Spruch gedeckten Tatsachen (vgl. , mwN). Diese Bindung besteht (grundsätzlich) nur hinsichtlich jener Personen, denen gegenüber das Strafurteil ergangen ist, nicht aber gegenüber Dritten (vgl. - samt Erwägungen zur Frage von Haftungsbeteiligten iSd § 28 Abs. 1 FinStrG idF vor dem Abgabenänderungsgesetz 2005 - ).
35 Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2005, BGBl. I Nr. 161, wurde die Bestimmung des § 28 Abs. 1 FinStrG aufgehoben; es wurden Regelungen über die Verantwortlichkeit von Verbänden eingefügt (§ 28a FinStrG). Diese Bestimmung regelt die finanzstrafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden in weitgehender Übereinstimmung mit dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 1187 BlgNR 22. GP 26). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (gerade auch zum vorliegenden Fall, ), bewirkt die materielle Rechtskraft des Schuldspruchs, dass sich der Verurteilte - vorbehaltlich einer allfälligen Wiederaufnahme des Strafverfahrens - gegenüber niemandem darauf berufen kann, dass er die Tat, deretwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, tatsächlich nicht begangen hätte. Kamen dem belangten Verband - wie im vorliegenden Fall - im Verfahren gegen die natürliche Person (HS) die Rechte des Beschuldigten zu, stand ihm daher bereits bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit offen, zu den Vorwürfen, für die er verantwortlich erklärt werden könnte, Stellung zu nehmen und er den Schuldspruch seines Entscheidungsträgers auf gleiche Weise wie dieser bekämpfen konnte, erstreckt sich die Bindungswirkung auch auf den Verband (vgl. auch RIS Justiz RS0112232).
36 Das Bundesfinanzgericht verweist im angefochtenen Erkenntnis wiederholt auf das Strafurteil vom September 2014. Auf eine Bindungswirkung verweist das Bundesfinanzgericht aber nur im Zusammenhang mit den Rechnungen der A Kft und der P GmbH, es hätten keine Lieferungen stattgefunden (vgl. auch die Darlegungen des Richters in der mündlichen Verhandlung: „Ich bin an den Sachverhalt der rechtskräftigen Strafurteile gebunden“; „Die strafrechtlichen Verurteilungen betreffen Juni bis November 2011. Die Lieferungen davor sind daher nicht anhand der Strafrechtsurteile zu beurteilen“; „Wenn das Strafgericht rechtskräftig sagt, es gibt keinen Leistungsaustausch, dann kann ich nicht darüber urteilen“). Die Strafurteile bezogen sich nach ihrem Spruch auf Liefervorgänge im Zeitraum vom bis , wobei zur Verschleierung der Herkunft Rechnungen der A Kft und der P GmbH benutzt worden seien (vgl. ; sowie , 13 Os 64/17m).
37 Die Annahme, es liege betreffend die (behaupteten) Lieferungen ein Umsatzsteuerbetrug vor, von dem die Revisionswerberin hätte wissen müssen, wird hingegen vom Bundesfinanzgericht im Rahmen der eigenen Beweiswürdigung (die bei einer Bindung betreffend die insoweit anzunehmenden konkreten Sachverhaltselemente zu unterbleiben hätte), gestützt auf einzelne, im Strafurteil enthaltene Darlegungen, aber auch unter Hinweis auf weitere Beweisergebnisse ausführlich begründet. Es hat somit insoweit im Rahmen der eigenen Beweiswürdigung lediglich auf die Ausführungen im Strafurteil zurückgegriffen (vgl. in diesem Sinne auch ). Damit ist aber die Revision betreffend diese Vorsteuern nicht von den in der Revision dargelegten Fragen zur Bindungswirkung eines Strafurteils abhängig. Schon deswegen ist auch der Anregung, zur Frage der Vereinbarkeit der Judikatur zur Bindungswirkung mit Unionsrecht ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof zu richten, nicht näherzutreten (vgl. auch Energotehnica, C-792/22).
38 Dass aber die beweiswürdigenden Erwägungen zu dieser Frage mit die Zulässigkeit der Revision begründenden Mängeln belastet seien, kann die Revision nicht aufzeigen. Darauf, ob Lieferungen durch die deutsche BK vorliegen, kommt es insoweit nicht an. Entgegen dem Revisionsvorbringen hat sich das Bundesfinanzgericht auch mit allen bis zur Entscheidungsfindung vorliegenden Beweisergebnissen, insbesondere den von der Revisionswerberin vorgelegten Urkunden auseinandergesetzt. Wenn darauf verwiesen wird, dass sämtliche Gegebenheiten betreffend die Geschäftsfälle zur Z Kft mit jenen zur E GmbH und D GmbH ident gewesen seien, ist entgegenzuhalten, dass betreffend die Z Kft nach den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts (anders als betreffend die E GmbH und die D GmbH) keine Verkürzung der Umsatzsteuer vorliegt.
39 Wenn in der Revision geltend gemacht wird, dass es für die Frage der Berechtigung zum Vorsteuerabzug auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Erbringung der Leistung ankomme, auf welche die als Vorsteuer geltend gemachte Umsatzsteuer entfalle, ist zu erwidern, dass die vom Bundesfinanzgericht im Rahmen der Beweiswürdigung angeführten Umstände, aus denen es auf das Wissen-Müssen geschlossen hat, jeweils solche Umstände betrafen, die zum Zeitpunkt der Erbringung der Leistung vorlagen (wie etwa das Erkennen einer unüblich hohen Gewinnmarge, was das Bundesfinanzgericht - entgegen dem Revisionsvorbringen - unbedenklich u.a. auf die Angaben des HS stützen konnte; das schnelle Wechseln der Lieferanten bei gleicher Ansprechperson [TK]; oder die Übernahme von Rückständen von Vorlieferanten durch spätere Lieferanten).
40 Auch behauptete Feststellungs- oder (relevante) Begründungsmängel sind insoweit nicht erkennbar.
41 Die Revision war daher in diesem Umfang wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.
2. Erwerbsbesteuerung sowie Vorsteuerabzug betreffend BK
42 Zunächst ist zu bemerken, dass - entgegen dem Revisionsvorbringen - in der erstmaligen Berücksichtigung von innergemeinschaftlichen Erwerben im Rahmen des Beschwerdeverfahrens keine Überschreitung der Sache des Verfahrens vorliegt. „Sache“ ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (vgl. - mit Hinweisen auf die Rechtsprechung - Ritz/Koran, BAO7, § 279 Tz 10). Inhalt des Spruches erster Instanz war jeweils die Festsetzung der Umsatzsteuer für bestimmte Monate (§ 21 Abs. 3 UStG 1994). Stellt sich (erst) im Rahmen des Beschwerdeverfahrens heraus, dass für diese Zeiträume weitere steuerpflichtige Umsätze zu berücksichtigen sind (hier etwa der Umsatzsteuer unterliegende innergemeinschaftliche Erwerbe iSd Art. 1 UStG 1994), so sind diese bei einer - in jeder Richtung möglichen Abänderung (vgl. § 279 Abs. 1 BAO) - vom Bundesfinanzgericht zu berücksichtigen. Die „Sache“ des Verfahrens (Umsatzsteuer für bestimmte Monate) wird durch Berücksichtigung weiterer Vorgänge, die zu einer Erwerbsbesteuerung geführt haben, nicht überschritten; eine andere (verschiedene) Abgabe („Sache“) liegt insoweit nicht vor.
43 Das Bundesfinanzgericht scheint hier - wie bereits oben dargelegt - von einer Bindung an das Strafurteil vom September 2014 insoweit auszugehen, dass keine Lieferungen der A Kft und der P GmbH vorlägen. Im Hinblick auf (zusätzliche) Erwägungen im Rahmen der Beweiswürdigung (auch) zu diesen Geschäftsfällen ist dies für den Verwaltungsgerichtshof aber nicht mit Sicherheit beurteilbar. Dieser Begründungsmangel, aber auch die Frage, ob (entgegen dem Revisionsvorbringen) eine Bindung anzunehmen wäre, kann hier auf sich beruhen.
44 Geht man - entsprechend dem Vorbringen der Revisionswerberin - davon aus, dass diese Lieferungen tatsächlich (und rechtlich) von der A Kft und der P GmbH erfolgten, hätte die Erwerbsbesteuerung zu unterbleiben (Vorsteuern aus Lieferungen der A Kft und der P GmbH stünden dennoch, wie bereits oben dargelegt, wegen Wissen-Müssens der Revisionswerberin um den Umsatzsteuerbetrug der A Kft und der P GmbH nicht zu).
45 Geht man hingegen - entsprechend den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts - davon aus, dass es sich um Lieferungen der deutschen BK handelte, wäre im Hinblick auf die nicht bestrittene zeitliche Abfolge (Zeitpunkt der innergemeinschaftlichen Beförderung; Zeitpunkt der Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen; vgl. ) der innergemeinschaftliche Erwerb von der Revisionswerberin zu besteuern (Art. 1 UStG 1994). Entgegen der Annahme des Bundesfinanzgerichts bestünde aber kein Anlass dazu, insoweit den Vorsteuerabzug zu versagen.
46 Im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs erfolgt wie im Fall der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens keine Mehrwertsteuerzahlung zwischen dem Verkäufer und dem Erwerber. Der Erwerber hat für den getätigten Umsatz die Erwerbsteuer zu entrichten, kann diese aber grundsätzlich als Vorsteuer in Abzug bringen, sodass der Steuerverwaltung kein Betrag geschuldet wird (vgl. Idexx Laboratories Italia, C-590/13, Rn. 33). Der tragende Grundsatz der steuerlichen Neutralität im Rahmen des Reverse-Charge-Verfahrens erfordert, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat. Verfügt die Abgabenbehörde über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich sind, dass die materiellen Anforderungen erfüllt sind, so darf sie keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung dieses Rechts vereiteln können. Anders verhält es sich, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden (vgl. neuerlich EuGH C-590/13, Rn. 38 ff; A [Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug], C-895/19, Rn. 47). Die Abführung der Mehrwertsteuer und ihr Abzug hat (im Allgemeinen) auch im gleichen Zeitraum zu erfolgen, so dass der Steuerpflichtige vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet wird (vgl. neuerlich EuGH C-895/19, Rn. 48).
47 Das Bundesfinanzgericht verweist zur Versagung des Vorsteuerabzugs betreffend die Erwerbsbesteuerung auf das Ferimet, C-281/20, Rn. 53. Danach könne (im Rahmen eines Reverse-Charge-Verfahrens) die Angabe eines fiktiven Lieferers ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Steuerpflichtige an einer Lieferung von Gegenständen teilgenommen habe, die in eine Hinterziehung der Mehrwertsteuer einbezogen war. Diese Darlegung erfolgte aber vor dem Hintergrund, dass die Angabe eines fiktiven Lieferers dazu führte, dass die Identität des wahren Lieferers unbekannt blieb und damit eine Prüfung, ob dieser Lieferer selbst Steuerpflichtiger war (und damit die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorlagen), nicht erfolgen konnte (vgl. EuGH aaO, Rn. 27, 29, 37, 44). Im vorliegenden Fall besteht aber an dem Umstand, dass der Lieferer der Revisionswerberin (die deutsche BK) selbst steuerpflichtig ist, kein Zweifel (vgl. dazu auch Kemwater ProChemie, C-154/20, Rn. 40). Dass die insoweit angenommene Lieferkette (BK an Revisionswerberin, Revisionswerberin an österreichische Abnehmer) - gerade im Hinblick darauf, dass hier die A Kft und die P GmbH nicht einbezogen sind - eine Mehrwertsteuerhinterziehung beinhalte, hat das Bundesfinanzgericht nicht festgestellt. Der Umstand, dass in diesem Zusammenhang ein Verstoß der Revisionswerberin gegen Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten bestünde, rechtfertigt eine Versagung des Vorsteuerabzugs nicht (vgl. z.B. Megatherm-Csillaghegy, C-188/21, Rn. 54).
48 Somit erweist sich aber das angefochtene Erkenntnis betreffend Umsatzsteuer 7 bis 11/2011 auch dann als rechtswidrig, wenn von den in der Revision bestrittenen Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts ausgegangen wird.
49 Das angefochtene Erkenntnis war daher betreffend Umsatzsteuer 7 bis 11/2011 gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
50 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Normen | AbgÄG 2005 BAO §116 Abs1 BAO §167 Abs2 BAO §279 Abs1 BAO §93 Abs2 FinStrG §28a UStG 1994 Art1 UStG 1994 §12 Abs1 UStG 1994 §12 Abs1 Z1 UStG 1994 §21 Abs3 VbVG 2006 VwRallg 62013CJ0590 Idexx Laboratories Italia VORAB 62019CJ0895 A VORAB 62020CJ0281 Ferimet VORAB 62022CJ0114 Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie VORAB 62022CJ0537 Global Ink Trade VORAB |
Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024130008.L00 |
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FAAAF-46429