VwGH 08.11.2023, Ra 2023/16/0086
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | FamLAG 1967 §2 Abs1 litc |
RS 1 | Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine zu einer Erwerbsunfähigkeit führende geistige oder körperliche Behinderung Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (vgl. , , 2013/16/0170, und , Ra 2014/16/0010, VwSlg 8598 F/2014). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/16/0022 B RS 1 |
Normen | FamLAG 1967 §2 Abs1 litc FamLAG 1967 §8 Abs6 |
RS 2 | Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , Ra 2014/16/0010, ausgesprochen, dass es im Fall des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG weder auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu irgendeiner Behinderung führt, sondern dass der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem diejenige Behinderung (als Folge einer allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt. Bei der Antwort auf die Frage, ob eine solche körperliche oder geistige Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 27. oder 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Ro 2014/16/0053, und die hg. Erkenntnisse jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/16/0023 B RS 1 (hier ohne den ersten Satz) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision der H E in P, vertreten durch Mag. Markus Hager, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hafnerstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/5100504/2022, betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Österreich), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Bei dem im Jahr 1974 geborenen Sohn der Revisionswerberin wurde im Jahr 2017 eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert.
2 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das damalige Finanzamt Braunau Ried Schärding (nunmehr: Finanzamt Österreich, im Folgenden: Finanzamt) die vom Sohn der Revisionswerberin erhobene Beschwerde gegen den Bescheid des Finanzamtes vom über die Abweisung des von ihm gestellten Eigenantrags auf Familienbeihilfe ab. Das Finanzamt legte der Abweisung der Beschwerde zwei Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zu Grunde, die auf einem ärztlichen Gutachten vom und einem weiteren, nach Erhebung der Beschwerde durch den Sohn der Revisionswerberin eingeholten, ärztlichen Gutachten vom beruhten. In beiden Gutachten wurde festgehalten, dass der Sohn der Revisionswerberin voraussichtlich dauerhaft außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sei nicht vor dem vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.
3 Mit Bescheid vom forderte das Finanzamt von der Revisionswerberin die zu Unrecht für ihren Sohn im Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2017 gewährten Beträge an erhöhter Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbeträgen in Höhe von 6.719,40 € zurück. Das Finanzamt begründete die Rückforderung der (irrtümlich an die Revisionswerberin ausgezahlten) erhöhten Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbeträgen damit, dass beim Sohn der Revisionswerberin die dauerhafte Erwerbsunfähigkeit nicht vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei.
4 Die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wies das Bundesfinanzgericht - nach Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durch das Finanzamt und aufgrund des Vorlageantrags der Revisionswerberin - mit dem angefochtenen Erkenntnis mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die rückgeforderten Beträge am fällig gewesen seien. Die Revision erklärte das Bundesfinanzgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
5 Das Bundesfinanzgericht führte in der Begründung des Erkenntnisses nach Wiedergabe des Wortlautes der Gutachten im Verfahrensgang aus, beide Gutachten, die das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen herangezogen habe, stützten sich zur Beantwortung der Frage, wann die voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten sei, auf ein Urteil eines Landesgerichtes als Arbeits- und Sozialgericht aus 2018, mit welchem dem Sohn der Revisionswerberin ab der Anspruch auf unbefristete Invaliditätspension zuerkannt worden sei. In diesem Verfahren sei ein Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, eingeholt worden. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen habe sich den Ausführungen des Gutachters Dr. D. angeschlossen und den Beginn der Erwerbsunfähigkeit des Sohnes der Revisionswerberin, der das 21. Lebensjahr im März 1995 vollendet habe, mit Beginn des Jahres 2001 angenommen. Diesen Zeitpunkt stellten auch beide im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen im Verfahren über den Eigenantrag des Sohnes der Revisionswerberin eingeholten Gutachten fest.
6 § 2 Abs. 1 lit c FLAG 1967 stelle darauf ab, dass das Kind auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Es komme dabei auf den Zeitpunkt an, zu dem diejenige Behinderung eintrete, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirke. Nach den Feststellungen des Gerichtsgutachters habe sich der Zustand des Sohnes der Revisionswerberin zwischen 1990 und 2017 verschlechtert, sodass Arbeiten nur mehr unter bestimmten Arbeitsplatzbedingungen möglich gewesen wäre, die so einschränkend gewesen wären, dass letztlich von einem Ausschluss vom allgemeinen Arbeitsmarkt auszugehen gewesen sei. Bei einer über die Jahre dauernden Verschlechterung des Gesundheitszustandes könne angesichts des Fehlens ärztlicher Befunde kein bestimmter Einzeltag fixiert werden, ab dem die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit anzunehmen wäre. Es könne vom Sachverständigen aufgrund seines Fachwissens nur die Aussage getroffen werden, ab welchem Zeitpunkt mit ausreichender Sicherheit von einem Ausschluss vom Arbeitsmarkt und damit der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, auszugehen sei.
7 Unter diesem Gesichtspunkt erwiesen sich die Feststellungen des Gerichtssachverständigen und die darauf aufbauenden Feststellungen in den im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen eingeholten ärztlichen Gutachten als schlüssig. Dies umso mehr, wenn man berücksichtige, dass nach den Feststellungen des Gerichtsgutachters im Oktober 1994, rund ein halbes Jahr vor Vollendung des 21. Lebensjahres, noch von einer Erwerbsfähigkeit des Sohnes der Revisionswerberin auszugehen gewesen sei. Der Sohn der Revisionswerberin habe selbst darauf hingewiesen, dass kein plötzliches Ereignis vorgelegen habe, welches die Erwerbsunfähigkeit bewirkt habe. Bei dieser Ausgangslage sei es nicht unschlüssig, wenn die ärztlichen Sachverständigen übereinstimmen davon ausgingen, dass der Sohn der Revisionswerberin vor Vollendung des 21. Lebensjahres noch nicht außer Stande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
8 Da es an den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 lit c FLAG 1967 für die Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe gefehlt habe, habe das Finanzamt von der Revisionswerberin diese und die Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2017 zu Recht zurückgefordert.
9 Die dagegen erhobene Revision legte das Bundesfinanzgericht dem Verwaltungsgerichtshof unter Anschluss der Akten des Verfahrens vor.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Die Revisionswerberin wendet sich gegen die vom Bundesfinanzgericht herangezogenen Gutachten und bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Bundesfinanzgereicht stütze sich zur Frage des Zeitpunktes des Eintritts der dauerhaften Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, auf zwei Gutachten, die beide auf das Gutachten des Dr. D. verweisen würden, das jedoch in einem Verfahren zur Feststellung der Frage, ob eine Arbeitsunfähigkeit des Sohnes der Revisionswerberin iSd § 236 Abs. 4 Z 3 ASVG vorgelegen sei, eingeholt worden sei. Die Verwertung dieses, in einem völlig anderen Verfahren eingeholten Gutachtens, verletze „Verfahrensgrundsätze“. Das Bundesfinanzgericht hätte ein neuerliches Gutachten einholen müssen, weil der Verweis der Sachverständigen auf ein Gutachten in einem anderen Verfahren zu einer anderen Rechtsfrage eine bloße Behauptung darstelle und aufgrund des unterschiedlichen Verfahrensgegenstandes unzulässig sei.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine zu einer solchen Erwerbsunfähigkeit führende geistige oder körperliche Behinderung Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (vgl. , , VwGH, , 2013/16/0170, und ).
15 Bei der Antwort auf die Frage, ob eine solche körperliche oder geistige Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 27. oder 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl. etwa , , , mwN).
16 Die Revision zeigt mit ihrem Vorbringen, die vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen für das Finanzamt im Verfahren über den Eigenanspruch des Revisionswerbers auf erhöhte Familienbeihilfe eingeholten Gutachten hätten sich nicht auf das in einem zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit des Sohnes der Revisionswerberin iSd § 236 Abs. 4 Z 3 ASVG geführten arbeitsgerichtlichen Verfahren stützen dürfen, nicht auf, dass das Bundesfinanzgericht bei der Prüfung der eingeholten Gutachten auf ihre Vollständigkeit und Schlüssigkeit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre. Zum Einen verwiesen die vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen eingeholten Gutachten nicht ausschließlich auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. D, zum anderen legt die Revision nicht dar, welche für die Beurteilung des Zeitpunktes des Eintritts der dauerhaften Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, maßgeblichen Tatsachen, Unterlagen oder Befunde in den beiden für das Verfahren auf erhöhte Familienbeihilfe eingeholten Gutachten unberücksichtigt geblieben wären oder zu einer Widersprüchlichkeit der Gutachten geführt hätten.
17 Da die Revision eine Unschlüssigkeit der Gutachten nicht aufzeigt, geht auch das Vorbringen, das Bundesfinanzgericht hätte ein weiteres Gutachten einholen müssen, ins Leere (vgl. zum diesbezüglichen Maßstab des Bundesfinanzgerichtes ).
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | FamLAG 1967 §2 Abs1 litc FamLAG 1967 §8 Abs6 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023160086.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
ZAAAF-46389