VwGH 17.05.2023, Ra 2023/16/0056
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Aus dem in § 17 GebG 1957 normierten Urkundenprinzip folgt nicht, dass im Rahmen der Auslegung des Urkundeninhalts die Nichtanwendbarkeit des MRG und damit das Bestehen eines ordentlichen Kündigungsrechts nicht geprüft werden dürfte. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Sonderzuständigkeiten in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7103847/2017, betreffend Rechtsgeschäftsgebühr (mitbeteiligte Partei: M S in P, vertreten durch die Ehrenhöfer & Häusler Rechtsanwälte GmbH in 2700 Wiener Neustadt, Neunkirchner Straße 17), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Finanzamts für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel (nunmehr: Finanzamt Österreich) vom teilweise Folge und änderte den Bescheid dahingehend ab, dass es die Rechtsgeschäftsgebühr gemäß § 33 TP 5 Abs. 1 Z 1 GebG für den Mietvertrag vom mit 1.948,80 € festsetzte. Weiters sprach das Bundesfinanzgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
2 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte sei Eigentümer eines Geschäftsgebäudes mit einer Gesamtnutzfläche von 568 m². Mit Mietvertrag vom habe er dieses an die I GmbH zum Betrieb eines Fitnessstudios vermietet.
3 Punkt III. 3.1. „Vertragsdauer“ des Mietvertrags laute wie folgt:
„[...]
Das Mietverhältnis wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.
Die Mieterin verzichtet unwiderruflich und auch für den Fall geänderter Verhältnisse auf das ihm zustehende Recht zur Kündigung dieses Mietverhältnisses auf die Dauer von 10 Jahren ab Beginn des Mietverhältnisses wie vor angeführt. Die Kündigung kann daher erstmals nach Ablauf des Kündigungsverzichtes unter Einhaltung der Kündigungsfristen und Kündigungstermine ausgesprochen werden.
Abgesehen davon ist der Vermieter berechtigt, diesen Vertrag mit sofortiger Wirkung für aufgelöst zu erklären, wenn einer der folgenden wichtigen Gründe vorliegt:
[...]“
4 Nach § 33 TP 5 Abs. 3 GebG seien bei unbestimmter Vertragsdauer die wiederkehrenden Leistungen mit dem Dreifachen des Jahreswertes zu bewerten, bei bestimmter Vertragsdauer mit dem dieser Vertragsdauer entsprechend vervielfachten Jahreswert, höchstens jedoch dem Achtzehnfachen des Jahreswertes. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehe das Unterscheidungsmerkmal zwischen „auf bestimmte Zeit“ und „auf unbestimmte Zeit“ abgeschlossenen Bestandverträgen darin, ob nach dem erklärten Vertragswillen beide Vertragsteile durch eine bestimmte Zeit an den Vertrag gebunden sein sollen oder nicht, wobei allerdings die Möglichkeit, den Vertrag aus einzelnen bestimmt bezeichneten Gründen schon vorzeitig einseitig aufzulösen, der Beurteilung des Vertrags als eines auf bestimmte Zeit abgeschlossenen nicht entgegenstehe. Im gegenständlichen Fall sei strittig, ob nach dem Wortlaut des Mietvertrags ein einseitiger Kündigungsverzicht vereinbart worden sei und dem Vermieter weiterhin ein (ordentliches) Kündigungsrecht zustehe, oder ob dieser nur aus den unter Punkt III. 3.1. vereinbarten wichtigen Gründen kündigen könne. Schon aus allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen ergebe sich, dass ein auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Dauerschuldverhältnis, sofern dessen Kündbarkeit nicht gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen bzw. eingeschränkt sei, durch ordentliche Kündigung ende. § 1116 ABGB, der ursprünglich die gesamte materiell-rechtliche Seite der Kündigung geregelt habe, werde durch § 560 ZPO hinsichtlich der Kündigungsfristen und -termine bei unbeweglichen Sachen und für die Unternehmenspacht materiell derogiert. Da im gegenständlichen Fall das gesamte Gebäude nur aus dem Fitnessstudio bestehe und dieses vermietet werde, falle das Mietverhältnis nicht in den Anwendungsbereich des MRG und somit nicht unter die Kündigungsschutzbestimmungen des § 30 leg. cit. Ein ordentliches Kündigungsrecht stehe daher grundsätzlich beiden Vertragsparteien zu. Die Mieterin habe vertraglich auf ihr Kündigungsrecht für eine Dauer von 10 Jahren verzichtet. Der Revisionswerber habe zu Recht vorgebracht, dass er als Vermieter keinen Verzicht auf die Kündigung des Bestandvertrags abgegeben habe. Bei Vorliegen eines solchen einseitigen Kündigungsverzichts sei nach der Rechtsprechung ein Bestandverhältnis auf unbestimmte Dauer anzunehmen. Dem Einwand des Finanzamts, die Vereinbarung der in Punkt III. 3.1. genannten Auflösungsgründe mit sofortiger Wirkung sei als Kündigungsverzicht des Vermieters zu verstehen, könne der Vertragsinhalt und die Systematik des Gesetzes entgegengehalten werden. Aus dem Vertragswortlaut gehe nur der Kündigungsverzicht der Mieterin hervor. Mit der Wortfolge „Abgesehen davon“ werde lediglich festgehalten, dass dem Revisionswerber als Vermieter neben der ordentlichen Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen das Recht zustehe, den Vertrag „mit sofortiger Wirkung“ aus wichtigen Gründen aufzulösen. Ein Kündigungsverzicht des Vermieters könne daraus nicht abgeleitet werden. Der gegenständliche Mietvertrag sei daher als auf unbestimmte Dauer abgeschlossen anzusehen.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, die das Bundesfinanzgericht dem Verwaltungsgerichtshof unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorlegte.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 In der Amtsrevision wird zu deren Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesfinanzgericht sei von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es entgegen dem in § 17 GebG normierten Urkundenprinzip aus der Nichtanwendbarkeit des MRG auf die jederzeitige ordentliche Kündigungsmöglichkeit des Vermieters geschlossen habe.
10 Gemäß § 17 Abs. 1 erster Satz Gebührengesetz 1957 (GebG) ist für die Festsetzung der Gebühren der Inhalt der über das Rechtsgeschäft errichteten Schrift (Urkunde) maßgebend.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. So wirft etwa eine vertretbare Auslegung eines Schriftstücks oder einer Parteierklärung keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (vgl. etwa , mwN).
12 Ob ein konkreter Bestandvertrag vom Verwaltungsgericht im Einzelfall in seiner Gesamtgestaltung als Vertrag auf bestimme Dauer oder auf unbestimmte Dauer gedeutet wird, ist - von krassen Fehlentscheidungen abgesehen - keine Frage, die über den Einzelfall hinausgeht und daher nicht grundsätzlich im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. etwa ; , Ra 2018/16/0040, jeweils mwN).
13 Das Bundesfinanzgericht ist im Rahmen der Auslegung des Mietvertrags zum Ergebnis gelangt, dass dieser auf unbestimmte Dauer abgeschlossen worden sei, weil zwar der Mieter für die Dauer von zehn Jahren auf sein Kündigungsrecht verzichtet habe, mit der Wortfolge „Abgesehen davon“ aber lediglich festgehalten werde, dass dem Revisionswerber als Vermieter neben dem ordentlichen Kündigungsrecht unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen das Recht zustehe, den Vertrag mit sofortiger Wirkung aus wichtigen Gründen aufzulösen. Ein Kündigungsverzicht des Vermieters könne daraus nicht abgeleitet werden. Dass dem Bundesfinanzgericht bei der Auslegung des Mietvertrags eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, vermag die Amtsrevision nicht aufzuzeigen.
14 Aus dem in § 17 GebG normierten Urkundenprinzip folgt nicht, dass im Rahmen der Auslegung des Urkundeninhalts die Nichtanwendbarkeit des MRG und damit das Bestehen eines ordentlichen Kündigungsrechts nicht geprüft werden dürfte.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023160056.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
BAAAF-46384